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Mündliche / NichtSteuern

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von Alina P.

Was genau ist überhaupt ein One Stop Shop?

Als Weiterentwicklung des Mini-One-Stop-Shop (MOSS) Verfahrens hat die EU am 1. April 2021 das One-Stop-Shop (OSS) Verfahren eingeführt. Es ist Teil des Mehrwertsteuer-Digitalpakets.

Das OSS-Verfahren erlaubt es Händlern, Waren und Dienstleistungen, die sie in Drittländer an Privatpersonen liefern und die eine Umsatzschwelle von 10.000 Euro überschreiten, in ihrem Sitzland zu melden und dort die Umsatzsteuer abzuführen. Das geschieht über das OSS-Portal, das die Umsatzsteuer aller Fernverkäufe auf die jeweiligen Staaten verteilt.

Auf Deutsch bedeutet One Stop Shop so viel wie einzige Anlaufstelle und findet auch im allgemeinen Sprachgebrauch Anwendung: Damit werden zentrale Stellen beschrieben, die sämtliche bürokratische Schritte vereinen.


die bedeutendsten Vorteile zusammengefasst:

  • Sie können zulässige Umsätze in einem Portal gebündelt anmelden und die beim One Stop Shop anfallende Umsatzsteuer mit einer einzigen Zahlung begleichen.

  • Die einheitliche Lieferschwelle für alle EU-Mitgliedstaaten von 10.000 Euro und einheitliche Abgabefristen verringern den bürokratischen Aufwand.

  • Es ist keine Umsatzsteuerregistrierung im Empfängerland für Verkäufe ins EU-Ausland nötig.

  • Wenn Sie bereits das MOSS-Verfahren nutzen, müssen Sie sich nicht erneut für OSS registrieren, sondern nehmen automatisch daran teil.

  • Wenn Sie kein Lager im Ausland haben, ist das One-Stop-Shop-Verfahren besonders vorteilhaft für Sie.

  • Die Pflicht zur Rechnungsstellung beim OSS-Verfahren entfällt. Dies soll als Anreiz dienen, das Verfahren zu verwenden. Wenn Sie also grenzüberschreitende Verkäufe im One-Stop-Shop-Verfahren anmelden, bspw. wenn Sie als Fashion-Onlineshop Kleidung an Kunden in Frankreich schicken, müssen Sie keine Rechnung mehr an Ihre Kunden ausstellen.


Worin besteht das rechtliche Problem, wenn Geschäftsführerin Meyer über die Teilnahme der GmbH am Cash Pooling des Konzerns teilnehmen sollte? Was sollte die Geschäftsführerin unternehmen, um sich abzusichern?

· Verstöße gegen § 30 GmbHG (mit entsprechen weitreichenden Haftungsfolgen im Falle einer Insolvenz der GmbH) im Zusammenhang mit dem sog. Cash Pooling ist nach wie vor eines der zentralen Praxisprobleme im Gesellschaftsrecht

· Cash-Pooling ist eine betriebswirtschaftlich sinnvolle Form der Konzerninnenfinanzierung, bei der zB eine Tochter GmbH jeden Tag nach Geschäftsschluss die Beträge auf ihrem Konto auf ein Konto der Muttergesellschaft als typischem Cash-Pool-Führer (tatsächlich und nicht nur fiktivvirtuell) überwiest, was innerhalb der Konzerns unterm Strich Zinsvorteile bringt

· Im Rahmen der bilanziellen Betrachtung des § 30 GmbHG ist dies unproblematisch, wenn und solange die so entstehenden Forderungen der Tochter GmbH gegen die Muttergesellschaft auf Rückzahlung der überwiesenen Geldzahlungen werthaltig sind (insofern liegt ja bilanzielle nur ein Aktivtausch „Geld gegen Forderung“ vor)

· Problem: Es ist die Pflicht des Geschäftsführers diese Werthaltigkeit sorgfältig zu prüfen, geschieht dies nicht und gehen zB Mutter- und Tochtergesellschaft später in die Insolvenz, haftet der Geschäftsführer persönlich für unzulässiger Weise überwiesen Beträge. (Nicht auf 25.000 Euro beschränkt)

· Dieses Haftungsrisiko kann der Geschäftsführer in der Praxis meist nur reduzieren (zB durch regelmäßige Prüfung der finanziellen Situation der Muttergesellschaft und Dokumentation dessen), aber im Ergebnis nicht ganz ausschalten.

· Auch der Abschluss eines Unternehmensvertrags zw. Mutter- und Tochtergesellschaft beseitig das Risiko – entgegen dem insoweit etwas irreführenden Wortlaut des § 30 GmbHG – nicht endgültig, sondern führt nur zur Verlagerung des Problems, da nunmehr auf die Werthaltigkeit eines Verlustausgleichanspruchs gem. § 302 AktG abzustellen ist.

· Anweisung nützt hier auch nichts, Entlastung greift nicht

· Maßnahmen, neben Prüfung und Dokumentation dessen:

o Es sollte ein weiteres Konto geben, dass nicht am Cash-Pool teilnimmt (damit nicht sofort Zahlungsunfähig wenn es mal Problem mit Cash-Pool gibt)

o Forderung sollte verzinst werden

o Sobald Verletzung festzustellen ist, kündigen des Cash-Pools

Erläutern Sie die Grundzüge der Halterhaftung und wie sich dieses Recht im vergangenen Jahr weiterentwickelt hat!


Zentrale Anspruchsnorm des im Straßenverkehr Geschädigten ist § 7 StVG. Danach trifft die Ersatzpflicht den Halter eines Kfz i. S. des § 1 Abs. 2 StVG, soweit bei dem Betrieb des Fahrzeugs ein Mensch getötet oder verletzt bzw. eine Sache beschädigt worden ist. Die Qualifikation als „Kfz-Halter“ richtet sich dabei nicht nach dem Eigentum an dem Kfz, sondern an der Ingebrauchnahme und der Verfügungsgewalt.

Die Haftung kann nach § 7 Abs. 2 StVG wegen höherer Gewalt bzw. nach § 7 Abs. 3 StVG wegen einer „Schwarzfahrt“ ausgeschlossen sein. Auch die Entlastung nach § 17 Abs. 2, 3 oder 4 StVG wegen eines unabwendbaren Ereignisses kann dem Halter im Verhältnis zu motorisierten Unfallgegnern, Tierhaltern oder Eisenbahnunternehmern zugutekommen. Überdies ist nach § 9 StVG stets ein mögliches Mitverschulden des Unfallgegners zu berücksichtigen. Entsprechendes gilt nach § 19 StVG für den Betrieb von Anhängern, die dazu bestimmt sind, von einem Kfz gezogen zu werden.

Eine eben solche Konstellation hatte der BGH mit seinem Urteil v. 7.2.2023 [7] zu entscheiden. Konkret ging es um die Haftung für einen ordnungsgemäß auf einer Straße abgestellten Anhänger, der nach einer Kollision mit einem Fahrzeug ins Rollen geriet und gegen ein Gebäude stieß, wobei dessen Fassade beschädigt wurde. Nach Auffassung des BGH waren in diesem Fall die Anspruchsvoraussetzungen des § 19 Abs. 1 Satz 1 StVG gegeben. Dies begründete das Gericht damit, dass bei dem Betrieb von Fahrzeugen – und folglich auch bei dem von Anhängern – alle durch den Kraftverkehr beeinflussten Schadensabläufe zu erfassen sind. So sei ein Schaden bereits dann beim Betrieb des Fahrzeugs bzw. Anhängers entstanden, wenn sich in ihm die vom Objekt ausgehende Gefahr ausgewirkt habe. Es genüge also, wenn das Schadensgeschehen durch das Objekt (mit-)geprägt worden sei. So war bei diesem Anhänger davon auszugehen, dass er durch den Aufprall des Fahrzeugs ins Rollen gerate und gegen das Gebäude pralle.

Restriktiver legte der BGH hingegen den Betriebsbegriff des § 7 StVG bzw. § 19 StVG in seinem Urteil v. 24.1.2023 [8] aus. Hintergrund dieses Streitfalls war eine nach ihrem Ausbau in der Werkstatt explodierende E-Roller-Batterie. Das Gericht entschied, dass der Schaden, der durch den damit hervorgerufenen Brand des Werkstattgebäudes verursacht worden war, nicht der „Betriebsgefahr“ des E-Rollers zuzurechnen ist. Zwar sei die Vorschrift des § 7 Abs. 1 StVG grds. weit auszulegen, wonach ein Schaden bereits dann bei dem Betrieb eines Kfz entstanden sei, wenn sich in ihm die von dem Kfz ausgehenden Gefahren ausgewirkt haben. Jedoch verdeutliche die Entnahme der Batterie geradezu sinnfällig, dass das Fahrzeug außer Betrieb gesetzt gewesen sei. [9]

Diskutieren Sie mögliche Schadensersatzansprüche für Fälle, in denen Flughäfen-Rollfelder von „Klimaklebern“ für den kommerziellen Flugverkehr zeitweise blockiert werden!


Um sich auf ein Flughafen-Rollfeld kleben und auf diese Weise den „Klimaprotest“ durchführen zu können, ist es zunächst notwendig, auf das nicht öffentlich zugängliche Flughafengelände zu gelangen. Häufig wird hierzu der Maschendrahtzaun durchtrennt. Sodann zieht die Durchführung des Protests – wie beabsichtigt – i. d. R. die Verspätung sowie Annullierung zahlreicher Flüge nach sich. Der dadurch bei der jeweiligen Flughafen-Betreibergesellschaft sowie den betroffenen Airlines entstehende Schaden kann diesen billigerweise nicht aufgebürdet werden. Umso wichtiger ist daher die Frage, inwiefern an der Aktion beteiligte „Klimakleber“ für ihr Handeln in Anspruch genommen werden können.

Dem Eindringen in das Flughafengelände liegt offenkundig kein Vertragsschluss mit dem Flughafenbetreiber zugrunde, so dass ein vertraglicher Schadensersatzanspruch nach §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB mangels Existenz und Verletzung vertraglicher (Neben-)Pflichten ausscheidet.

Deliktische Schadensersatzansprüche hingegen sind für die Problematik der „Kleberhaftung“ von höchster Relevanz. Zu differenzieren ist hierbei zwischen den Ansprüchen der jeweiligen Flughafen-Betreibergesellschaft einerseits und der von Verspätungen und Annullierungen betroffenen Fluggesellschaften andererseits:

Hinsichtlich der Ansprüche der Flughafen-Betreibergesellschaft kommen neben § 823 Abs. 1 BGB auch § 823 Abs. 2 BGB i. V. mit der Verletzung von Schutzgesetzen wie z. B. § 303 StGB oder § 123 Abs. 1 StGB sowie § 826 BGB als taugliche Anspruchsgrundlagen in Betracht.

Werden Rollfelder durch sich daran festklebende Personen blockiert, stellt dies eine Eigentumsverletzung und damit auch eine Rechtsgutverletzung i. S. des § 823 Abs. 1 BGB dar. Gleiches gilt für die Schaffung des Zugangs zum Flughafengelände durch Überwindung etwaiger Zugangsbeschränkungen mittels Krafteinwirkung, also das Durchtrennen des Zauns. Daneben kann auch ein Eingriff in den „eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb“ des Flughafenbetreibers vorliegen. Sowohl das Eindringen in das Flughafengelände als auch das Festkleben am Rollfeld sind ursächliche (kausale) Verletzungshandlungen i. S. des § 823 Abs. 1 BGB für die Rechtsgutverletzung (Eigentumsverletzung).

raglich ist jedoch, ob sich Klimaaktivisten i. R. solcher Aktionen – wie von ihnen medienwirksam gerade über Social-Media-Kanäle behauptet – rechtfertigen können und damit ggf. nicht rechtswidrig handeln. Der zivilrechtliche Rechtfertigungsgrund des § 228 BGB ist bereits aufgrund eines fehlenden notstandsfähigen Rechtsguts sowie mangels einer aus der beeinträchtigten Sache selbst entstammenden Gefahr nicht einschlägig.Ebenfalls nicht einschlägig ist der dem Widerstandsrecht des Art. 20 Abs. 4 GG entstammendeRechtfertigungsgrund des „zivilen Ungehorsams“. [10] Ferner ist eine Berufung auf die Art. 8 GG entspringende Versammlungsfreiheit auf einem nicht öffentlichen Rollfeld nicht möglich, wobei hier bereits der Schutzbereich des Art. 8 GG mangels Versammlung nicht eröffnet ist. Ein Rechtfertigungsgrund liegt nach alledem somit nicht vor.

Die durch die Aktion verursachten finanziellen Einbußen des Flughafenbetreibers können als schuldhaft herbeigeführte, kausal auf die Rechtsgutverletzung zurückzuführende Schäden i. S. der §§ 249 ff. BGB qualifiziert werden.

Ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB der entsprechenden Flughafen-Betreibergesellschaft gegen den jeweiligen Aktivisten besteht somit. Daneben sind ggf. Schadensersatzansprüche nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. mit der Verletzung eines Schutzgesetzes (so insbesondere die Sachbeschädigung nach § 303 StGB und der Hausfriedensbruch nach § 123 Abs. 1 StGB) sowie nach § 826 BGB einschlägig.

Rechtsfolge der Ansprüche nach §§ 823 Abs. 1, Abs. 2 und 826 BGB ist der Ausgleich der entstandenen Schäden nach den §§ 249 ff. BGB.

Was die Ansprüche der Airlines gegen die Aktivisten angeht, gilt das zuvor Gesagte – mit Ausnahme der Verletzung des Eigentums i. R. der § 823 Abs. 1 BGB sowie § 823 Abs. 2 BGB i. V. mit § 303 Abs. 1 StGB – entsprechend.

Sind „Klimaklagen“ gegen Unternehmen erfolgsversprechend? Falls ja, wie? Falls nein, wieso nicht?


ntsprechend seiner seit Jahren wachsenden politischen Relevanz gewinnt das Anliegen des Klimaschutzes auch in der Rechtspraxis immer mehr an Gewicht. Gerade im Zivil- und Zivilprozessrecht wird dies in der jüngeren Vergangenheit in Gestalt von medienwirksam angestrengten „Klimaklagen“ besonders deutlich.

Unter „Klimaklagen“ versteht man Rechtsbehelfe, die als Mittel der strategischen Prozessführung darauf abzielen, durch Präzedenzfälle systematische Änderungen für mehr Klimaschutz herbeizuführen. Zu differenzieren ist hierbei zwischen „Klimahaftungsklagen“ und „Klimaschutzklagen“:

  • Als „Klimahaftungsklagen“ zu qualifizieren sind vergangenheitsorientierte Klagen, die darauf gerichtet sind, von Unternehmen einen finanziellen Ausgleich für bereits eingetretene oder noch bevorstehende Klimaschäden aufgrund vergangener Treibhausgasemissionen zu erstreiten. Dies spielt sich materiell-rechtlich regelmäßig im Delikts-recht ab.

  • „Klimaschutzklagen“ hingegen sind zukunftsorientierte Klagen, die zum Ziel haben, Unternehmen zu verpflichten, ihr künftiges unternehmerisches Verhalten anzupassen, um ihren Treibhausgasausstoß zu verringern. In diesen Konstellationen beantragen Kläger gem. § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB oder analog §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB, die beklagten Unternehmen dazu zu verurteilen, ab einem bestimmten Zeitpunkt eine bestimmte Maßnahme vorzunehmen oder zu unterlassen (bspw. keine Kfz mit Verbrennungsmotoren in den Verkehr zu bringen oder den Emissionsausstoß des jeweiligen Unternehmens um einen bestimmten Prozentsatz zu senken).

Sowohl Klimahaftungs- als auch Klimaschutzklagen können im Wege einer Leistungsklage angestrebt werden. Fraglich ist nur, inwiefern ein solches Vorhaben Aussicht auf Erfolg hat. Auch wenn dies stets für jeden Einzelfall gesondert abgewogen und entschieden werden muss, lassen sich doch klare Tendenzen aus der ( jüngeren) Rspr.-Praxis entnehmen. Demnach besteht in Deutschland i. d. R. keine Aussicht auf Erfolg. [11] Nachfolgend eine kurze Zusammenfassung aktueller Gerichtsentscheidungen hierzu:

Gerade bei zukunftsgerichteten Klimaschutzklagen widerspreche die begehrte Rechtsfolge (= die Verpflichtung des Beklagten zu besonders umweltfreundlichen Geschäftspraktiken) dem Gewaltenteilungsprinzip. Denn Privatleute könnten keine als unzureichend erachteten Gesetze auf dem Zivilrechtsweg durch Klagen gegen Einzelne korrigieren. Zum Klimaschutz sei primär der Gesetzgeber aufgerufen. [12] Bewege sich das Unternehmen in dem ihm durch ein Parlamentsgesetz gesetzten Rahmen, bestehe für ein ordentliches Gericht des Weiteren kein Grund, ihm eine besondere, über das normale Maß hinausgehende Verantwortung aufzubürden. Überdies indiziere die Einhaltung von öffentlich-rechtlichen Vorgaben die Unwesentlichkeit der Beeinträchtigung des Klägers nach § 1004 Abs. 2 BGB. Hieraus resultiere für den Kläger eine Duldungspflicht gegenüber der wirtschaftlichen Tätigkeit des jeweiligen Unternehmens. [13] Schließlich gewähre § 1004 BGB letztendlich auch keinen Anspruch auf eine konkrete Handlung, sondern räume dem Anspruchsgegner lediglich die Wahl ein, die zumindest drohende Beeinträchtigung nach seinen eigenen Vorstellungen zu beseitigen. [14] Folglich seien Anträge, die sich auf eine konkrete unternehmerische Handlung bzw. Unterlassung richten, nicht schlüssig. [15]

Wie steht die aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung zum Thema „Fluggastrechte“?


Nicht erst seit der Verabschiedung der europäischen Fluggastrechte-Verordnung (FluggastrechteVO) [16] häufen sich die Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit Rechten von Fluggästen. Dieser Themenkomplex ist dabei durchzogen mit EuGH-Entscheidungen, die jeweils auf Vorabentscheidungsverfahren nationaler Gerichte zurückgehen.

Fluggastfreundlich entschied der EuGH etwa in seinem Urteil v. 27.9.2022 [17] zur Informationslast der Airlines bei einer Flugannullierung. So sieht Art. 5 Abs. 1 Buchst. c FluggastrechteVO vor, dass den von einer Annullierung betroffenen Fluggästen nach Art. 7 FluggastrechteVO gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen grds. ein Anspruch auf Ausgleichsleistungen zusteht. Dies ist einzig dann nicht der Fall, wenn sie nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. c, i FluggastrechteVO mind. zwei Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit über die Annullierung unterrichtet werden. In der dem EuGH vorgelegten Konstellation hatten die Kläger ihre Reise nicht direkt bei dem Luftfahrtunternehmen, sondern über einen Vermittler gebucht. Über die von der Buchungsplattform (Vermittler) an die Airline mitgeteilte E-Mail-Adresse konnte jedoch allenfalls der Vermittler und nicht unmittelbar der Fluggast erreicht werden. Somit versandte die Fluggesellschaft die Information über die Annullierung zwar an die vom Vermittler bereitgestellten Kontaktdaten, die Meldung ging den Klägern jedoch nicht zu. Der EuGH entschied, dass der Beförderer auch in einem solchen Fall Ausgleichszahlungen zu leisten hat, da er nach Art. 5 Abs. 4 FluggastrechteVO die Beweislast dafür trägt, ob und wann der Passagier über die Annullierung in Kenntnis gesetzt wird. Das Risiko, dass Informationen im Dreieck zwischen Airline, Vermittler und Passagier verloren gehen, dürfe nicht den Fluggast treffen. Die Airline könne im Anschluss nach Art. 13 FluggastrechteVO den Vermittler in Regress nehmen, womit die Belastung im Ergebnis denjenigen treffe, der in der Informationskette fehlerhaft gehandelt habe.

Weiterhin hielt die aus Buchungskonstellationen im Hotelgewerbe bekannte „Button-Lösung“ Einzug in die sich mit der Luftbeförderung befassende Rspr. Nach § 312j Abs. 3 BGB muss beim Vertragsschluss im elektronischen Geschäftsverkehr mit Verbrauchern die Schaltfläche so eindeutig beschriftet sein, dass die Zahlungspflicht für den Verbraucher klar erkennbar ist. Andernfalls kommt nach § 312j Abs. 4 BGB kein wirksamer Vertrag zustande. Im Zusammenhang mit einer Hotelbuchung entschied der EuGH im Jahr 2022, dass sich die Zahlungspflicht allein aus der Beschriftung der Schaltfläche ergeben müsse und alle weiteren Begleitumstände des Bestellprozesses dabei außer Acht zu lassen seien. [18] Dies wurde vom AG Köln herangezogen und auf den Auswahl-Button einer E-Mail einer Fluggesellschaft im Zusammenhang mit einer Flugzeitenänderung angewendet. [19] Demgegenüber hielt das LG Frankfurt/Main in einer vergleichbaren Konstellation den Anwendungsbereich der §§ 312i ff. BGB für nicht eröffnet, so dass der Fluggast in diesem Streitfall keinen Anspruch auf Erstattung des vollständigen Flugpreises wegen der Nichtbeförderung hatte. [20] Dieses Themenfeld ist also weiterhin nicht endgültig geklärt.

Zuletzt ist die Schärfung des in Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO verfassten Begriffs des „außergewöhnlichen Umstands“ durch den EuGH zu nennen. Im Falle des Eintritts unvermeidbarer außergewöhnlicher Umstände ist die Airline von einer etwaigen Ausgleichszahlung zu befreien. Darunter sind nach st. Rspr. solche Vorkommnisse zu fassen, die ihrer Natur oder Ursache nach nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit der betreffenden Fluggesellschaft und von ihr überdies nicht tatsächlich beherrschbar sind. [21] Das Gericht erkannte diesbzgl. für Recht, dass der allgemeine Ausfall der Treibstoffversorgung einen solchen Umstand darstellt. [22] Gleiches gilt für den wegen eines Vogelschlags erfolgten Abbruch des Startvorgangs, wenn die damit einhergehende Vollbremsung die Reifen des Flugzeugs beschädigt und es dadurch seiner Bewegbarkeit beraubt. [23]

Welches aktuelle Gesetzesvorhaben soll zur Stärkung des Justizstandorts Deutschland beitragen und wie soll dies mit Blick auf das Handels- und Gesellschaftsrecht umgesetzt werden?


Einen maßgeblichen Beitrag zur Modernisierung des Justizstandorts Deutschland soll das Justizstandort-Stärkungsgesetz leisten, dessen Regierungsentwurf am 16.8.2023 vom Kabinett beschlossen wurde. Der Deutsche Bundestag hat den Gesetzentwurf [2] am 12.10.2023 in erster Lesung beraten und in die Ausschüsse überwiesen.

Ziel des Vorhabens ist vorrangig, die Abwanderung bedeutsamer Rechtsmaterien in andere Rechtskreise oder in die Schiedsgerichtsbarkeit zu verhindern. Auch soll es für ein an den Bedürfnissen der Wirtschaft orientiertes, schnelles, effizientes und attraktives Gerichtsverfahren sowie die Stärkung der Rechtsfortbildung im Bereich des Wirtschaftszivilrechts sorgen.

Den Ländern soll per Öffnungsklausel in §184a GVG-E ermöglicht werden, mit den „Commercial Chambers“ auf Ebene der Landgerichte besondere Kammern für Wirtschaftsverfahren einzurichten. Die Verfahren vor diesen Kammern sowie deren Entscheidungen sollen bei entsprechender Vereinbarung der Parteien vollständig auf Englisch erfolgen. § 184a GVG-E zielt darauf ab, die Einhaltung der Gerichtssprache Englisch innerhalb des Instanzenzugs sicherzustellen. Dritte sollen davor geschützt werden, gegen ihren Willen in ein Verfahren in englischer Sprache involviert werden zu können. Gegebenenfalls steht ihnen nach § 184a Abs. 4 GVG-E ein Dolmetscher zu. Auch vor dem BGH sollen in bestimmten Fällen nach § 184b GVG-E Verfahren auf Englisch möglich sein. Dies bestimmt sich jedoch nach dem freien Ermessen des BGH im Einzelfall, um so dessen limitierten Kapazitäten Rechnung zu tragen.

Überdies wird diskutiert, die Länder dazu zu ermächtigen, auf OLG-Ebene möglichst in länderübergreifender Zusammenarbeit „Commercial Courts“ zu gründen. Diese sollen nach § 119b GVG-E als Spezialkammern im ersten Rechtszug bei einem Streitwert ab einer Million Euro für bürgerliche Streitigkeiten zwischen Unternehmern i. S. des § 14 BGB zuständig sein. § 184a GVG-E (s. linke Spalte) soll auch auf diese Kammern Anwendung finden. Der Commercial Court würde damit das staatliche Gegengewicht zu privat organisierten Schiedsverfahren darstellen.

Folgerichtig soll ein Verfahren vor einem Commercial Court dem bislang vor einem Schiedsgericht praktizierten Verfahren hinsichtlich bestimmter Aspekte für die Parteien angeglichen werden. So wären Commercial Courts dazu verpflichtet, einen „Case-Management-Termin“ anzusetzen, um im Zuge dessen mit den Parteien den Ablauf des Verfahrens abzustimmen (§ 621 ZPO-E). Weiter steht den Parteien die Möglichkeit offen, nach § 622 ZPO-E ein mitlesendes Wortprotokoll anzufordern.S. 800

Ferner sollen die Möglichkeiten der Geheimhaltung für alle Gerichtsebenen ausgeweitet werden. Der in § 169 GVG statuierte Grundsatz der Öffentlichkeit soll durch den neuen § 273a ZPO-E i. V. mit den entsprechend anzuwendenden §§ 16–20 des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (im Folgenden: GeschGehG) für alle (!) Verfahren vor Zivilgerichten inkl. derer vor den neuen Commercial Courts eingeschränkt werden. Zwar kann eine vollständige Vertraulichkeit gerade mit Blick auf das „Ob“ des Rechtsstreits aller Wahrscheinlichkeit nach nicht sichergestellt werden, jedoch dürften die Anordnung des Ausschlusses der Öffentlichkeit nach § 18 Abs. 2 Nr. 1 GeschGehG und die Androhung von Ordnungsmitteln i. S. des § 16 GeschGehG für ein bisher ungekanntes Maß der Beschränkung des Einblicks der Allgemeinheit in den jeweiligen Prozess sorgen.

Darf sich ein GbR-Gesellschafter trotz Stimmverbots an der Willensbildung der Gesellschaft beteiligen? Wie ist die Rechtslage unter Berücksichtigung des am 1.1.2024 in Kraft tretenden MoPeG [3], wenn ihm die Beteiligung verweigert wird?


Ja, ein GbR-Gesellschafter darf sich trotz Stimmverbots an der Willensbildung der Gesellschaft beteiligen. Der Stimmrechtsausschluss verbietet dem Gesellschafter nur die Stimmabgabe als solche im konkreten Einzelfall, anderweitige Gesellschafterrechte, insbesondere das Informations-, Teilnahme- sowie Rederecht bei Gesellschafterversammlungen werden hiervon jedoch nicht berührt.

Ein Gesellschafter soll Kraft seiner Mitgliedschaft bei der Beschlussfassung die Möglichkeit haben, seine Ansicht über die zur Beratung oder Abstimmung anstehenden Tagesordnungspunkte darzulegen, um ggf. Einwendungen geltend machen zu können. Ebenso soll es ihm möglich sein, die Einhaltung aller nach Gesetz und Satzung zu beachtenden Förmlichkeiten zu überwachen. Die Teilnahme des nicht-stimmberechtigten Gesellschafters an der Beschlussfassung ist immanenter Bestandteil seiner Mitgliedschaft.

Der Gesetzgeber bestätigt dies zumindest indirekt durch die ab dem 1.1.2024 geltende Bestimmung des § 109 Abs. 4 HGB n. F. und die darin vorgesehenen Vorgaben zur Beschlussfähigkeit. Danach sind bei der Ermittlung der Beschlussfähigkeit der Versammlung auch die Stimmen derjenigen Gesellschafter mitzuzählen, denen kein Stimmrecht zusteht.

Werden die Beteiligungsrechte eines Gesellschafters durch den Ausschluss des betroffenen Gesellschafters von der Stimmabgabe i. e. S. verletzt, ist der getroffene Beschluss fehlerhaft und damit im Falle der GbR automatisch nichtig. [4]

Daran ändert im Grundsatz auch das MoPeG nichts: Für die GbR bleibt es trotz der Neuerungen ab dem 1.1.2024 beim derzeit geltenden Feststellungsmodell, wonach grds. jeder Mangel zur Nichtigkeit des fehlerhaften Beschlusses führt.

Etwas anderes ergibt sich jedoch, wenn im Gesellschaftsvertrag vom gesetzlichen Regelfall abgewichen werden soll: Es bleibt den GbR-Gesellschaftern unbenommen, im Gesellschaftsvertrag für das Anfechtungsmodell der §§ 110 ff. HGB n. F. zu optieren, das ab der Geltung des MoPeG für Personenhandelsgesellschaften standardmäßig eingeführt wird. Nach dem Anfechtungsmodell wird zwischen anfechtbaren und nichtigen Beschlüssen unterschieden. Bei einer GbR mit einer derartigen Vertragsgestaltung stellt sich dementsprechend dieselbe umstrittene Frage wie bei den Personenhandelsgesellschaften, nämlich, ob ein Beschluss nur anfechtbar oder schon nichtig ist, wenn ein vom Stimmrecht ausgeschlossener Gesellschafter bei der Beschlussfassung seiner Teilnahmemöglichkeit beraubt wurde. Dies ist von zentraler Bedeutung, denn anfechtbare Beschlüsse werden im Gegensatz zu nichtigen Beschlüssen trotz ihrer Rechtswidrigkeit mit Ablauf der Anfechtungsfrist des § 112 Abs. 1 Satz 1 HGB n. F. bestandskräftig und damit endgültig verbindlich.

Befürworter der Nichtigkeitsfolge führen im Wesentlichen den Sinn und Zweck des § 110 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 HGB n. F. ins Feld, wonach ein Gesellschafterbeschluss nichtig ist, wenn er durch seinen Inhalt Rechtsvorschriften verletzt, auf deren Einhaltung die Gesellschafter nicht verzichten können. Auch wenn der Wortlaut nahelegt, dass nur inhaltliche Fehler zur Nichtigkeit des Beschlusses führen können, sind es doch gerade die Informations-, Teilnahme- und Rederechte, die als Gesellschafterrechte unverzichtbar sind. Darüber hinaus wird als Argument die Unzumutbarkeit der Verteilung der Angriffslast angeführt. So sei es nicht akzeptabel, dem betroffenen Gesellschafter die gerichtliche Geltendmachung von Beschlussfehlern aufzuerlegen, wenn er zuvor rechtswidrig durch seine Mitgesellschafter von der Beschlussfassung ausgeschlossen wurde. [5] Folglich sei § 110 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 HGB n. F. im Wege der erweiternden Auslegung auf solche eklatanten Verfahrensfehler zu erstrecken. [6]

Gegner der Nichtigkeitsfolge führen als tragendes Argument den Wortlaut des § 110 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 HGB n. F. ins Feld, denn hiernach führen nur Rechtsverletzungen durch den Beschlussinhalt – nicht aber reine Verfahrensfehler – zur Nichtigkeit des Beschlusses. Die Versagung der Teilnahme eines von der Stimmabgabe ausgeschlossenen Gesellschafters sei ein solcher Verfahrensfehler. [7] Auch ist es nicht zwingend, dass der übergangene Gesellschafter stets ein Interesse an der Nichtigkeit des Beschlusses hat und daher in jedem Fall schutzbedürftig ist. Die ausnahmslose Anordnung der Nichtigkeit könnte den Interessen aller Beteiligten in manchen Konstellationen also sogar widersprechen.

Vor dem Hintergrund des Interesses des Rechtsverkehrs an bestandskräftigen Entscheidungen ist es m. E. dem übergangenen Gesellschafter zuzumuten, den Gesellschafterbeschluss anzufechten – sofern dies in der Sache in seinem Interesse ist. Einer bloßen Anfechtbarkeit wäre daher m. E. den Vorzug zu geben.

Welche Haftungsrisiken bestehen bei einem Gesellschafterwechsel in einer Personengesellschaft?


a) Haftungsrisiken der im Wege der Erbfolge eintretenden Gesellschafter

Bei der Nachfolge in den Gesellschaftsanteil von Todes wegen stehen zwei für die Haftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern geltende Systeme gleichrangig nebeneinander: Einerseits haften die Erben im Wege der Erbenhaftung nach § 1967 BGB für alle im Zeitpunkt des Erbfalls bereits begründeten Verbindlichkeiten des Erblassers. Dies ist i. V. mit § 128 HGB a. F. bzw. § 126 HGB n. F. auch dann der Fall, wenn diese aus seiner Stellung als Gesellschafter einer Personengesellschaft herrühren. Andererseits besteht das Risiko der Eigenhaftung durch Inanspruchnahme aufgrund der gesellschaftsrechtlichen Vorschriften.

b) Haftungsrisiken bei der Übertragung eines OHG- bzw. KG-Komplementäranteils

Bei der Übertragung eines OHG-Anteils ist der eintretende Gesellschafter nach §§ 128, 130 HGB a. F. bzw. §§ 126, 127 HGB n. F. einer unbeschränkten gesellschaftsrechtlichen Haftung ausgesetzt. § 127 HGB n. F. umfasst hierbei wie bisher § 130 HGB a. F. nicht nur „echte“ Beitrittsfälle i. S. einer rechtsgeschäftlichen Übertragung der Gesellschafterstellung, sondern auch die erbrechtliche Nachfolge in einen Anteil, also jeden Miterben, dem die Mitgliedschaft nach § 1922 BGB von Todes wegen zugefallen ist.

Das Haftungsrisiko des Ausscheidenden hingegen richtet sich nach seiner Austragung aus dem Handelsregister nach § 160 HGB a. F. bzw. § 137 HGB n. F. Der Unterschied zwischen alter und neuer Rechtslage liegt darin, dass das Gesetz den Anspruch des Gläubigers gegen den Altgesellschafter nun zusätzlich unter die Bedingung der Begehung der Pflichtverletzung vor dessen Ausscheiden stellt. Das Grundkonzept des § 160 HGB a. F. bleibt demgegenüber auch nach Inkrafttreten des MoPeG erhalten.

In der Zeit nach Ausscheiden des Gesellschafters, aber vor Änderung des Handelsregisters ist darüber hinaus noch die in § 15 Abs. 1 HGB statuierte negative Publizität des Handelsregisters zu beachten, wonach der Altgesellschafter auch für in dieser Übergangszeit entstandene Verbindlichkeiten haftbar gemacht werden kann.

Die obigen Ausführungen gelten über § 161 Abs. 2 HGB auch für den Komplementär einer KG.

c) Haftungsrisiken bei der Übertragung eines GbR-Anteils

Die mit dem MoPeG einhergehende Angleichung der Haftungssysteme von GbR und Personenhandelsgesellschaften zeigt sich in der inhaltsgleichen Übernahme der §§ 128130 HGB a. F. in den §§ 721721b BGB n. F. Das Gleiche gilt für die in § 728b BGB geregelte Nachhaftung des ausgeschiedenen Gesellschafters in Bezug auf § 137 HGB n. F. Auch die negative Publizität des Handelsregisters nach § 15 Abs. 1 HGB findet im Wege des § 707a Abs. 3 BGB n. F. zukünftig Anwendung auf die neu eingeführte eGbR.

d) Haftungsrisiken bei der Übertragung eines KG-Kommanditanteils

Der Rechtsnachfolger eines Kommanditisten haftet für die vor seinem Eintritt bestehenden Altverbindlichkeiten nur nach Maßgabe der §§ 171, 173 HGB. Der Haftungsstatus des übertragenen Kommanditanteils ist bei der Rechtsnachfolge kontinuierlich und haftet dem Anteil an. War die Kommanditeinlage bereits geleistet, haften wegen § 171 Abs. 1 Halbsatz 2 HGB weder der Veräußerer noch der Erwerber des Anteils. Gleiches gilt bei der Übertragung von Todes wegen.

Nach § 176 Abs. 1 Satz 1 i. V. mit Abs. 2 HGB a. F. haftet ein Kommanditist, der in eine bestehende Gesellschaft eintritt, bis zu seiner Eintragung in das Handelsregister für in dieser Zeit entstehende Verbindlichkeiten unmittelbar und unbeschränkt. Unter alter Rechtslage war die Frage nach der Anwendbarkeit der Norm auf Konstellationen des derivativen Anteilserwerbs umstritten, wobei die herrschende Meinung in der Literatur der unbeschränkten Haftung des Neu-Gesellschafters ablehnend gegenüberstand. [8] Dieser Ansicht folgt der Gesetzgeber nun nach neuer Rechtslage, indem er den Wortlaut des § 176 Abs. 2 HGB n. F. mit „weiterer“ ergänzt und so klarstellt, dass der derivative Anteilserwerb gerade nicht zur – zumindest zeitweisen – unbeschränkten persönlichen Haftung des neuen Kommanditisten führen soll. Weiterhin bestehen bleibt hingegen das mit der negativen Publizität des Handelsregisters verbundene Haftungsrisiko des Altkommanditisten aus § 15 Abs. 1 HGB bis zur Höhe seiner Einlage.

Was wird sich hinsichtlich der Eintragung einer GbR ab dem 1.1.2024 ändern?


Ab Inkrafttreten des MoPeG zum 1.1.2024 existiert ein „Gesellschaftsregister“, das stark an das Handelsregister angelehnt ist. In das Gesellschaftsregister kann sich eine GbR freiwillig eintragen lassen, um nach § 707a Abs. 2 Satz 1 BGB n. F. als eingetragene GbR (eGbR) am Rechtsverkehr teilzunehmen. Es ist wie das Handelsregister ein öffentliches Register, das dazu dient, wichtige rechtliche Vorgänge publik zu machen. Nach § 707a Abs. 3 HGB n. F. erstrecken sich die Wirkungen des § 15 HGB mit Aufnahme einer GbR in das Gesellschaftsregister sowohl auf die dann bestehende eGbR als auch auf ihre Gesellschafter.

Um durch das zuständige Gericht in das Gesellschaftsregister aufgenommen zu werden, muss sich die Gesellschaft zunächst nach § 707 BGB n. F. zum Register anmelden. Diese Anmeldung hat die in § 707 Abs. 2 BGB n. F. statuierten Angaben zu enthalten. Gleiches gilt gemäß § 707 Abs. 3 BGB n. F. für nachträgliche Änderungen. Nach § 707 Abs. 4 Satz 1 BGB n. F. bedarf die Anmeldung zwingend der Mitwirkung sämtlicher Gesellschafter. Diese Pflicht ist jedoch keine höchstpersönliche und erlaubt es den Gesellschaftern daher, sich hierbei vertreten zu lassen.S. 802

Der Gesetzgeber hat die Eintragung in das Gesellschaftsregister nicht zu einem konstitutiven Erfordernis der GbR-Gründung bzw. GbR-Existenz gemacht. Gleichwohl hat er vor dem Hintergrund der Vermeidung von Informationsasymmetrien im Rechtsverkehr ein starkes Interesse daran, möglichst viele BGB-Gesellschaften zur Eintragung zu motivieren. Das angestrebte Ergebnis soll durch bestimmte Vorteile erreicht werden, die einer eGbR im Vergleich zu ihrem nicht eingetragenen Pendant eingeräumt werden. So „soll“ bzw. muss ein Grundstücksrecht nach § 47 Abs. 2 GBO nur noch zugunsten einer eGbR in das Grundbuch eingetragen werden, was eine große Auswirkung auf den rechtsgeschäftlichen Erwerb von Grundstücken über § 873 Abs. 1 BGB hat. Dies gilt wegen Art. 229 § 21 Abs. 1 EGBGB im Ergebnis auch für die Verfügung über bereits bestehende Grundstücksrechte. Zudem wird die Position der eGbR im alltäglichen Rechts- und Geschäftsverkehr durch die geschaffene Publizität faktisch spürbar verbessert. Des Weiteren kann die eGbR ihren Vertragssitz nach § 707 Abs. 1 BGB wählen.

Welche Neuerungen i. R. der Zwangsvollstreckung treten ab dem 1.1.2024 in Kraft?


a) Status Quo vor Inkrafttreten des MoPeG

Bislang war die isolierte Verfügung über Gegenstände des Gesellschaftsvermögens durch einzelne Gesellschafter wegen § 719 BGB a. F. nicht möglich. Dementsprechend war es für einen Gläubiger notwendig, entweder einen Titel gegen alle Gesellschafter nach § 750 ZPO oder nach § 736 ZPO a. F. gegen die Außen-GbR als solche zu erlangen. Um eine Forderung mittels des so beschafften Titels durchsetzen zu können, war einzig das Instrument der Pfändung und anschließenden Überweisung eines Gesellschaftsanteils praktikabel. Die daraus ergehende Einziehungsbefugnis konnte bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 725 BGB für eine Kündigung der GbR als solcher herangezogen werden. Im Wege der anschließenden Auflösung und Liquidation erlangte der Gläubiger sodann Zugriff auf das Auseinandersetzungsguthaben, um damit seine Forderung zu befriedigen.

b) Veränderte Rechtslage durch das MoPeG

Von den durch das MoPeG veranlassten Änderungen der Rechtslage sind im Wesentlichen drei Punkte betroffen, die für die Durchführung der Zwangsvollstreckung von Gewicht sind: Neben aa) der Einführung des Gesellschaftsregisters sind auch die Konsequenzen der Rechtsänderung für bb) die Aspekte der Vermögenszuordnung sowie für cc) die Vollstreckungsmöglichkeiten der Privatgläubiger der Gesellschaft zu beachten.

aa) Auswirkungen des neuen Gesellschaftsregisters

Der neue § 736 ZPO regelt den Umgang mit vor der Eintragung der GbR entstandenen Vollstreckungstiteln. So bedarf es aufgrund des hinreichenden Nachweises der Parteienidentität bei Übereinstimmung von Namen und Sitz bzw. Anschrift in Titel und Register keiner Titelumschreibung bei einer zwischenzeitlichen „Umwandlung“ der Schuldner-GbR hin zur eGbR.

Verglichen mit solchen Titeln, die daneben noch eine nicht vollständig mit dem Gesellschaftsregister übereinstimmende Auflistung der GbR-Gesellschafter enthalten und damit aus dem Raster des § 736 ZPO n. F. fallen, würde dies jedoch im Ergebnis zu einer Ungleichbehandlung von im Wesentlichen gleich gelagerten Konstellationen führen. Folglich ist wohl auch in Zukunft die bisherige Rspr. des BGH, die die entsprechende Anwendung des § 727 ZPO gleichermaßen für nach Titelbeschaffung erfolgte Gesellschafterwechsel bejaht, [9] heranzuziehen. Auch nach neuer Rechtslage würde es dem zuständigen Vollstreckungsorgan obliegen, die Parteienidentität anhand des beigeschriebenen Vollstreckungstitels festzustellen und dem Gläubiger eine vollstreckbare Ausfertigung zu erteilen.

bb) Auswirkungen der Änderung in der Vermögenszuordnung

Zentrale Rechtsänderung ist der in § 713 BGB n. F. enthaltene Wandel vom Konzept des Sondervermögens hin zum (echten) Gesellschaftsvermögen der GbR als Trägerin von eigenen Rechten und Pflichten. Daher wird auch die Vollstreckung in das Sondervermögen nach § 736 ZPO von der in § 722 Abs. 1 BGB n. F. statuierten Regel abgelöst, wonach eine Vollstreckung in das Gesellschaftsvermögen nur mit einem Titel gegen diese selbst möglich ist. Gleiches gilt nach § 722 Abs. 2 BGB n. F. für die Vollstreckung in das Vermögen der einzelnen Gesellschafter aufgrund eines Titels gegen die Gesellschaft, was im Hinblick auf die GbR gleichbedeutend mit dem Ende der hybriden Titelschaffung ist. Zum Schutz der Gläubiger, die ihren Titel noch nach altem Recht gegen alle Gesellschafter als solche erwirkt haben, normiert § 45 EGZPO eine Übergangsvorschrift, die die Möglichkeit der Vollstreckung offenhält.

cc) Auswirkung auf die Vollstreckungsmöglichkeiten der Privatgläubiger der Gesellschaft

Wie bereits erläutert, erlaubte die bisherige Rechtslage den Zugriff auf das GbR-Vermögen wegen eines gegen einen oder mehrere Gesellschafter erwirkten Titels einzig über Pfändung und Überweisung des jeweiligen Gesellschafsanteils unter Kündigung und anschließender Liquidation der Gesellschaft als solcher. Zwar sind Gläubiger nach §§ 711, 711a BGB n. F. i. V. mit §§ 851, 857 ZPO auch in Zukunft auf Pfändung und Übertragung zur Durchsetzung ihres Titels angewiesen. Anders als bisher bedarf dessen Umsetzung jedoch nicht der Auflösung der Gesellschaft nach § 725 BGB a. F. Fortan räumt das Gesetz dem Gläubiger die Möglichkeit ein, nach § 726 BGB n. F. allein die Mitgliedschaft des Gesellschafter-Schuldners zu kündigen, um die ihm gegenüber bestehende Verbindlichkeit so zu begleichen.

Darf Robert Hoyzer ein GmbH-Geschäftsführer werden? Begründen Sie Ihre Antwort!


Folgender (fiktiver) Fall liegt Ihnen vor:

Sachverhalt: S platzierte bei mehreren Spielen der Fußball-Bundesligen, der Fußball-Regionalligen sowie des DFB-Pokals, Wetten mit hohen Einsätzen bei verschiedenen Anbietern. Robert Hoyzer (im Folgenden: H), seines Zeichens Bundesliga-Schiedsrichter, kam mit S überein, im Jahr 2004 bestimmte Spiele, auf deren Ausgang S Wetten abschloss,S. 803 zu dessen Gunsten zu manipulieren. Dies geschah durch das Aussprechen von offensichtlich unberechtigten Strafstößen und Platzverweisen. Dafür zahlte S dem H jeweils hohe Geldbeträge und gewährte ihm darüber hinaus Sachleistungen. H wurde wegen Beihilfe zum Betrug in sechs Fällen nach §§ 263 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 Alternative 1 i. V. mit 27, 49 Abs. 1, 53, 54 StGB zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und fünf Monaten verurteilt. [10]

Nehmen Sie an, dies alles hätte sich 2019 zugetragen, woraufhin H im Jahre 2020 rechtskräftig nach dem am 19.4.2017 in Kraft getretenen § 265c (Abs. 3) StGB i. V. mit §§ 53, 54 StGB wegen Sportwettbetrugs zur gleichen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt worden wäre. Nach seiner Freilassung im Jahr 2023 möchte sich H zum GmbH-Geschäftsführer bestellen lassen.

Antwort: Maßgebliche Norm zur Beurteilung der Frage, ob der 2020 wegen Sportwettbetrugs verurteilte H Geschäftsführer einer GmbH sein kann, ist § 6 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 Nr. 3 Buchst. e GmbHG. Demnach kann eine Person nicht Geschäftsführer i. S. des § 6 GmbHG werden, die innerhalb von fünf Jahren vor ihrer Bestellung nach den §§ 263264a StGB oder §§ 265b266a GmbHG zu einer Freiheitsstrafe von mind. einem Jahr verurteilt worden ist. H leistete innerhalb dieses Zeitraums eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr ab.

Umstritten ist jedoch, ob der Verweis auf §§ 265b266a StGB eine dynamische oder doch eher eine statische Verweisung konstituiert. Im Falle einer statischen Verweisung würde diese sich einzig auf die bei ihrem Inkrafttreten am 1.11.2008 geltenden Straftatbestände beziehen. § 265c StGB hingegen trat erst einige Jahre später in Kraft, wonach die von H abgeleistete Haftstrafe bei der Beurteilung seiner Tauglichkeit als Geschäftsführer nicht ins Gewicht fallen würde. Erkennt man dahingegen eine dynamische Verweisung in der Norm, wäre die Bestellung des H zum Geschäftsführer zu versagen.

Befürworter [11] der statischen Verweisung berufen sich insbesondere auf die Entstehungsgeschichte von § 6 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 Nr. 3 Buchst. e GmbHG, wonach der mit Inkrafttreten des MoMiG [12] bestehende Strafrechtstatbestand festgeschrieben worden ist.

Vertreter [13] der Auslegung der Norm als dynamischeVerweisung führen hingegen an, dass neben der Eindeutigkeit des Wortlauts [14] des § 6 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 Nr. 3 Buchst. e GmbHG insbesondere auch der objektivierte Wille [15] des Gesetzgebers für diese Interpretationsweise spreche. Ein Ausschluss der §§ 265c, 265d und 265e StGB würde so im Ergebnis zu einer teleologischen Reduktion der Vorschrift führen. Dem entgegenstehen würden jedoch insbesondere der Schutzzweck [16] der §§ 265c265e StGB sowie deren Sinnzusammenhang [17]. Zudem seien auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken ersichtlich, [18] die eine teleologische Reduktion der Norm zwingend erforderlich machen würden. Das Interesse der Gesellschaft, ihrer Gesellschafter und das der Allgemeinheit an der Integrität des GmbH-Geschäftsführers überwiegen demnach in solchen Konstellationen gegenüber der Berufsausübungsfreiheit der Einzelperson. Der BGH beschäftigte sich in einem Beschluss v. 28.6.2022 mit eben dieser Frage und erkannte auf eine dynamische Verweisung.

Hieraus folgt, dass Robert Hoyzer in unserem fiktiven Fall nicht GmbH-Geschäftsführer werden darf

Welche Regelungen enthält das HGB zur Frage der Haftung i. R. einer möglichen Firmenfortführung?


Das HGB enthält in den §§ 2528 HGB Regelungen zur Frage der Firmenfortführung:

  • Nach § 25 Abs. 1 HGB haftet derjenige, der ein unter Lebenden erworbenes Handelsgeschäft unter der bisherigen Firma mit oder ohne Beifügung eines das Nachfolgeverhältnis andeutenden Zusatzes fortführt, für alle im Geschäftsbetrieb begründeten Verbindlichkeiten des früheren Inhabers. Die insoweit begründeten Forderungen gelten den Schuldnern gegenüber als auf den Erwerber übergegangen, falls der bisherige Inhaber oder seine Erben in die Fortführung der Firma eingewilligt haben. Die Haftung des ehemaligen Inhabers kann darüber hinaus nach § 25 Abs. 2 HGB durch Eintragung in das Handelsregister oder durch Bekanntgabe dem Dritten gegenüber beschränkt werden.

  • § 27 Abs. 1 HGB sieht korrespondierend eine Haftung des Erben eines Handelsgeschäfts vor. Die unbeschränkte Haftung nach § 25 Abs. 1 HGB tritt jedoch nicht ein, wenn die Fortführung des Geschäfts vor dem Ablauf von drei Monaten nach dem Zeitpunkt, in welchem der Erbe von dem Anfall der Erbschaft Kenntnis erlangt hat, eingestellt wird. Auch durch eine erbrechtliche Ausschlagung (§ 1953 GBGB) kann der Erbe die Haftung vermeiden.

  • § 28 Abs. 1 HGB regelt, dass durch den Eintritt eines persönlich haftenden Gesellschafters oder eines Kommanditisten in das Geschäft eines Einzelkaufmanns eine Gesellschaft entsteht, die sodann, auch wenn sie die frühere Firma nicht fortführt, für alle im Geschäftsbetrieb entstandenen Verbindlichkeiten des früheren Geschäftsinhabers haftet.


Was ist eine „Unternehmergesellschaft (UG)“? Welche Unterschiede bestehen zur „GmbH“?


Die „UG“ stellt keine eigenständige Gesellschaftsform dar, sondern ist vielmehr als „Rechtsformvariante“ der „GmbH“ konzipiert, für die, mit Ausnahme der Spezialregelungen des § 5a GmbHG, sämtliche Normen des GmbH-Rechts gelten. Die Stellung der „UG“ als „kleine Schwester der GmbH“ zeigt sich insbesondere an § 5a Abs. 5 GmbHG: Diese Norm bestimmt, dass die Spezialregelungen des § 5a Abs. 1–4 GmbHG ab dem Erreichen des Mindeststammkapitals einer „GmbH“ nicht mehr greifen. Eine „UG“ muss gem. § 5a Abs. 1 GmbHG in ihrer Firmierung den Zusatz „UnternehmergesellschaftS. 809 (haftungsbeschränkt)“ oder „UG (haftungsbeschränkt)“ führen.

Anders als bei einer „GmbH“ bedarf es bei einer „UG“ keines Mindeststammkapitals von 25.000 €. Grundlegende Unterschiede der „UG“ zur „GmbH“ bestehen gem. § 5a Abs. 2 GmbHG darüber hinaus hinsichtlich der Kapitalaufbringung. So darf die Anmeldung zum Handelsregister abweichend von § 7 Abs. 2 GmbHG erst erfolgen, wenn das Stammkapital in voller Höhe eingezahlt ist. Im Fall einer „GmbH“ darf die Anmeldung bereits erfolgen, wenn nur ¼ der Bareinlagen eingezahlt wurde. Außerdem kann eine „UG“, anders als eine „GmbH“, ausschließlich per Bargründung erfolgen – eine Sachgründung ist per se ausgeschlossen. Weiterhin schreibt der Gesetzgeber bei einer „UG“ gem. § 5a Abs. 3 GmbHG die jährliche Bildung einer gesetzlichen Rücklage i. H. von ¼ des um einen Verlustvortrag aus dem Vorjahr geminderten Jahresüberschusses vor.

Diese Rücklagen dürfen ausschließlich zu drei Zwecken verwendet werden:

  • für Kapitalerhöhungen aus Gesellschaftsmitteln gem. § 57c GmbHG,

  • zum Ausgleich eines Jahresfehlbetrags, soweit er nicht durch einen Gewinnvortrag aus dem Vorjahr gedeckt ist,

  • zum Ausgleich eines Verlustvortrags aus dem Vorjahr, soweit er nicht durch einen Jahresüberschuss gedeckt ist.


Welche Neuerungen gab es vor dem SanInsKG, abgesehen von speziellen pandemiebedingten Regelungen?


Am 16.7.2019 ist die „Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz)“ in Kraft getreten.

Das Gesetz zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Anpassung pandemiebedingter Vorschriften im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins- und Stiftungsrecht sowie im Miet- und Pachtrecht (RestSchBÄndG) v. 22.12.2020 setzt die Vorgaben dieser Richtlinie für den Bereich Entschuldung in deutsches Recht um. Hauptregelungspunkt war durch eine Änderung des § 287 InsO die Verkürzung des regelmäßigen Restschuldbefreiungsverfahrens von sechs auf drei Jahre.

Weitere Umsetzungen der Richtlinie enthielt das Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungsrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG [3]). Es trat überwiegend am 1.1.2021 in Kraft. Das Gesetz nahm wichtige Anpassungen des Sanierungs- und Insolvenzrechts in den Regelungsbereichen des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) v. 7.12.2011 und in der Digitalisierung von Insolvenzverfahren vor. Das SanInsFoG enthält 25 Artikel und änderte zahlreiche Gesetze (etwa die InsO oder das COVInsAG).

Kernstück der Neuregelungen war die Schaffung des Gesetzes über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz – StaRUG). Darin wurden erstmalig vorinsolvenzliche Restrukturierungsinstrumente geschaffen, die Insolvenzen vermeiden und Restrukturierungen erleichtern sollen. Angesiedelt ist es zwischen der Sanierung ohne Hilfen und der Insolvenz in Eigenverwaltung. Ein zentrales Element ist die Möglichkeit der präventiven Restrukturierung, also eines vorinsolvenzlichen Verfahrens zur Vermeidung einer Insolvenz (vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren im Stadium der drohenden Zahlungsunfähigkeit).

Was hat der BGH zur Hinweispflicht des Steuerberaters im Hinblick auf das Vorliegen von Insolvenzgründen entschieden?


Der Steuerberater, der von dem Mandanten umfassend mandatiert ist und deshalb Einblick in die wirtschaftlichen Verhältnisse des Mandanten hat, hat ggf. die aus dem Beratungsvertrag und dem Gebot der umfassenden Beratung resultierende Nebenpflicht, den Mandanten auf eingetretene Eröffnungsantragsgründe hinzuweisen. Allerdings äußerte sich der BGH mit Urteil v. 7.3.2013 [8] hierzu und stellte fest, dass das steuerberatende Dauermandat von einer GmbH bei „üblichem Zuschnitt“ keine Pflicht des Steuerberaters begründet, die GmbH bei einer Unterdeckung in der Handelsbilanz auf die Pflicht ihres Geschäftsführers hinzuweisen, eine Überprüfung in Auftrag zu geben oder selbst vorzunehmen, ob Insolvenzreife besteht. Der BGH lehnte damit die bisher im Schrifttum und teilweise auch in der Rspr. vertretene Auffassung ab, der Steuerberater müsse i. R. seiner Vertragspflichten und kraft seines überlegenen Wissens den Geschäftsführer einer GmbH darauf hinweisen, zur Klärung der Insolvenzreife eine Überschuldungsbilanz aufzustellen und ggf. die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen.

Jedoch verschärfte der BGH sodann mit Urteil v. 26.1.2017 [9] die Haftung von Steuerberatern bei der Jahresabschlusserstellung für Krisenmandanten deutlich. Danach hat der mit der Erstellung eines Jahresabschlusses für eine GmbH beauftragte Steuerberater folgende Pflichten:

  • Zum einen trifft ihn eine Prüfungspflicht, ob sich auf der Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen und der ihm sonst bekannten Umstände tatsächliche oder rechtliche Gegebenheiten ergeben, die einer Fortführung der Unternehmenstätigkeit entgegenstehen können; dagegen ist er nicht verpflichtet, von sich aus eine Fortführungsprognose zu erstellen und die hierfür erheblichen Tatsachen zu ermitteln.

  • Zum anderen besteht eine Hinweispflicht auf einen möglichen Insolvenzgrund und die daran anknüpfende Prüfungspflicht des Geschäftsführers, wenn entsprechende Anhaltspunkte offenkundig sind und der Steuerberater annehmen muss, dass die mögliche Insolvenzreife der Mandantin nicht bewusst ist.

Kann der Steuerberater die Insolvenzindizien nicht selbst entkräften, muss er bei der Geschäftsführung eine explizite Going-concern-Prognose einfordern und diese anschließend einer Stichhaltigkeits- oder Plausibilitätsprüfung unterziehen.

Zusammengefasst besteht damit im Gegensatz zur bisherigen BGH-Rspr. für den Steuerberater eine generelle insolvenzrechtliche Hinweis- und Warnpflicht gegenüber dem Mandanten. Offenkundige Anhaltspunkte, die eine solche Hinweis- und Warnpflicht auslösen, sind dabei insbesondere ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag, ein hälftiger Nennkapitalverlust, eine Unterbilanz sowie offensichtliche Liquiditätsschwierigkeiten.

Wann ist eine Steuerschuld eine Insolvenzforderung und wann eine Masseforderung?


Generell ist zu unterscheiden zwischen Insolvenzforderungen gem. § 38 InsO einerseits und Masseforderungen gem. § 55 InsO andererseits. Im Folgenden stellen wir diese Unterschiede im Detail dar:

  • Eine Insolvenzforderung nach § 38 AO liegt im Hinblick auf Steuerschulden vor, wenn die Steuerschuld zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits „begründet“ war. Das Begründetsein setzt das Entstandensein der Forderung nicht voraus. Die InsO nimmt damit die Einordnung der einzelnen Forderungen als Insolvenzforderungen oder Masseverbindlichkeit nicht nach dem Zeitpunkt des Entstehens der Forderung vor. „Begründet“ nach § 38 InsO ist ein Anspruch dann, wenn im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Schuldverhältnis bereits besteht und der schuldrechtliche Grund bereits geschaffen ist. Dann geht die später entstehende Forderung auf das vorinsolvenzliche Verhalten des Insolvenzschuldners zurück, und die Forderung ist als Insolvenzforderung einzuordnen.

    Für die insolvenzrechtliche Einordnung der Steuerforderung bedeutet dies, dass die Steuerforderung immer dann Insolvenzforderung nach § 38 InsO ist, wenn der der Steuerforderung zugrunde liegende (zivilrechtliche) Sachverhalt, welcher zu der Entstehung des Steueranspruchs führt, von dem Insolvenzschuldner vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens verwirklicht worden ist. Eine Steuerforderung kann also i. S. des § 38 InsO „begründet“ und damit Insolvenzforderung sein, bevor sie im steuerrechtlichen Sinne (§ 38 AO) entstanden ist. Dies gilt insbesondere für Steuerforderungen, die wie die Einkommensteuer (§ 36 Abs. 1 EStG), die Umsatzsteuer (§ 13 Abs. 1 UStG) und die Gewerbesteuer (§ 18 GewStG) für das Entstehen auch an den Ablauf eines bestimmten Zeitraums (z. B. des Veranlagungs-, Erhebungs- oder des Voranmeldezeitraums) anknüpfen.

    Ist eine Steuerforderung im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch nicht gem. § 38 AO entstanden, ist nur die zum Eröffnungszeitpunkt bereits begründete Teilsteuerforderung anzumelden.

  • Dagegen handelt es sich um Masseforderungen nach § 55 AO, wenn die Steuerschuld erst nach der Verfahrenseröffnung „begründet“ worden ist. Diese Steuerforderungen sind i. d. R. sonstige Masseverbindlichkeiten gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1 Alternative 2 InsO. Dies gilt darüber hinaus ebenfalls für die in § 55 Abs. 4 InsO aufgezählten Verbindlichkeiten.


Erläutern Sie das „Schutzschirmverfahren“! Ziehen Sie dabei Vergleiche zum „vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren“!


Das „Schutzschirmverfahren“ dient wie das „vorläufige Eigenverwaltungsverfahren“ (s. insbesondere §§ 270b, 270c InsO) der Vorbereitung und Durchführung der Sanierung von Unternehmen. Ein Schuldner hat damit bereits bei drohender Zahlungsunfähigkeit oder bei Überschuldung die Möglichkeit, innerhalb von drei Monaten unter Aufsicht eines vorläufigen Sachwalters (also nicht eines vorläufigen Insolvenzverwalters!) und frei von Vollstreckungsmaßnahmen, ein Sanierungskonzept auszuarbeiten.

Hat der Schuldner den Eröffnungsantrag bei drohender Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung gestellt sowie die Eigenverwaltung beantragt und ist die angestrebte Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos, bestimmt das Insolvenzgericht auf Antrag des Schuldners eine Frist zur Vorlage eines Insolvenzplans (§ 270d InsO). Im „Schutzschirmverfahren“ hat der Schuldner im Gegensatz zur „vorläufigen Eigenverwaltung“ einige zusätzliche Rechte; dazu gehört z. B., dass er sich grds. seinen Sachwalter aussuchen darf.

Spätestens nach drei Monaten muss im „Schutzschirmverfahren“ ein Insolvenzplan vorgelegt werden (§ 270d Abs. 1S. 42 InsO). Bei einer „vorläufigen Eigenverwaltung“ existiert keine Pflicht zur Vorlage eines Insolvenzplans innerhalb einer bestimmten Frist.

Ist das Unternehmen schon zahlungsunfähig, ist das „Schutzschirmverfahren“ allerdings nicht mehr möglich. Der Schuldner hat daher eine Bescheinigung vorzulegen, dass noch keine Zahlungsunfähigkeit vorliegt und die Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos ist.

Das Nichtvorliegen von Zahlungsunfähigkeit und vor allem die eine gewisse Vorlaufzeit (und Kosten) verursachende Bescheinigung stellen in der Praxis hohe Hürden dar. Dies führt im Ergebnis dazu, dass viele sanierungsbedürftige Unternehmen anstelle des „Schutzschirmverfahrens“ die „vorläufige Eigenverwaltung“ beantragen.

Wer ist zur unbeschränkten Steuerberatung, wer zur beschränkten Steuerberatung befugt?


  • Nach § 3 Satz 1 StBerG sind zur unbeschränkten Hilfeleistung in Steuersachen befugt: Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Rechtsanwälte, niedergelassene europäische Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer, vereidigte Buchprüfer sowie Berufsausübungsgesellschaften nach dem StBerG, der Bundesrechtsanwaltsordnung und der Wirtschaftsprüferordnung.

  • Nach § 4 StBerG sind verschiedene Personen und Einrichtungen zur beschränkten Hilfeleistung in Steuersachen befugt. Dazu gehören u. a. Notare i. R. ihrer Befugnisse nach der Bundesnotarordnung, Berufsverbände, soweit sie i. R. ihres Aufgabenbereichs ihren Mitgliedern Hilfe in Steuersachen leisten, und die Lohnsteuerhilfevereine. Aktuell soll § 4 StBerG durch das „Gesetz zur Neuregelung beschränkter und unentgeltlicher geschäftsmäßiger Hilfeleistung in Steuersachen sowie zur Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der steuerberatenden Berufe“ überarbeitet werden. [2] Geplant ist nach dem Gesetzentwurf, auf eine abschließende Aufzählung der befugten Personen und Vereinigungen zu verzichten und stattdessen eine generalklauselartig formulierte Regelung zur Hilfeleistung in Steuersachen, die als Nebenleistung zu einer nichtsteuerberatenden Haupttätigkeit erbracht wird, einzuführen. Bestehende Befugnisse sollen dabei grundsätzlich fortgelten. Weiterhin sieht der Entwurf vor, die Befugnis von Lohnsteuerhilfevereinen zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen aus dem bisherigen Regelungssystem herauszunehmen und gesondert zu regeln.


Ein Hochschulverein möchte Hilfe in Steuersachen für Studierende leisten. Ist das zulässig?


Die geschäftsmäßige Hilfeleistung in Steuersachen darf bislang ausschließlich von Personen oder Vereinigungen geleistet werden, die hierzu nach §§ 3 ff. StBerG befugt sind (vgl. Frage 2). Studentische Vereinigungen gehören nicht zu den in §§ 3 ff. StBerG genannten Einrichtungen.

§ 2 StBerG definiert die geschäftsmäßige Hilfeleistung in Steuersachen. Zu dieser gehören die hauptberufliche, nebenberufliche, entgeltliche und auch die unentgeltliche Tätigkeit. Demnach ist es irrelevant, wenn der Verein seine Hilfeleistung in Steuersachen unentgeltlich an Studierende anbieten möchte. Die unentgeltliche Hilfeleistung in Steuersachen ist bislang aber nur gegenüber Angehörigen i. S. des § 15 AO zulässig (§ 6 Nr. 2 StBerG). § 6 Abs. 2 des Rechtsdienstleistungsgesetzes (RDG), der unentgeltliche Rechtsdienstleistungen erlauben würde, greift nicht, da das StBerG insofern abschließende Regelungen enthält. [3]

Da im Bereich des RDG eine unentgeltliche Hilfeleistung erlaubt ist, aufgrund derer sich bereits über 100 „Law Clinics“ an Hochschulen gebildet haben, beabsichtigt der Gesetzgeber mit dem „Gesetz zur Neuregelung beschränkter und unentgeltlicher geschäftsmäßiger Hilfeleistung in Steuersachen sowie zur Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der steuerberatenden Berufe“ [4] diese Möglichkeit auch im Bereich der Hilfeleistung in Steuersachen einzuführen. Dadurch würden „Tax Law Clinics“ an oder im Umfeld von Hochschulen zulässig, bei denen zu Ausbildungszwecken unter Anleitung einer besonders qualifizierten Person altruistische Hilfeleistungen in Steuersachen angeboten werden. Entsprechende „Tax Law Clinics“ wurden z. B. bereits an der Universität Hannover und an der Universität zu Köln gegründet.

Ein Steuerberater möchte sich von einem Mandanten trennen, bei dem gerade eine Betriebsprüfung anberaumt wurde. Darf er ihm kündigen?


Steuerberatungsleistungen sind alsDienste höherer Artgrundsätzlich jederzeit kündbar (§ 627 Abs. 1 BGB). Erfolgt eine Kündigung allerdings zur „Unzeit“ (§ 627 Abs. 2 BGB), ist diese zwar auch wirksam, aber der Steuerberater kann sich schadensersatzpflichtig machen (z. B. für Verspätungszuschläge), falls kein wichtiger Grund (z. B. Nichtzahlung des Honorars) für die Kündigung vorlag. Eine Kündigung zu Unzeit liegt dann vor, wenn für den Mandanten nicht mehr ausreichend Zeit besteht, sich die gekündigten Dienste anderweitig zu beschaffen. Eine sich aus der Beschaffung der anderweitigen Dienste für den (Ex-)Mandanten ergebende höhere finanzielle Belastung, da z. B. ein Folgeberater mehr verlangt als der bisherige Steuerberater, spielt für das Kriterium der Unzeit grundsätzlich keine Rolle.

Wo genau die zeitliche Grenze der Kündigung zur Unzeit liegt, lässt sich nicht allgemein sagen und hängt vom Einzelfall ab. So wird für ein einfaches Einkommensteuer-Mandat ein anderer zeitlicher Vorlauf anzusetzen sein als für einen mittelständischen Konzern. Die zeitliche Untergrenze für eine Kündigungsfrist dürfte bei ca. einem Monat liegen.

Berufsrechtlich sind bei Kündigung des Auftrags durch den Steuerberater zur Vermeidung von Rechtsverlusten des Mandanten in jedem Fall noch diejenigen Handlungen vorzunehmen, die zumutbar sind und keinen Aufschub dulden (§ 14 BOStB). Dies kann z. B. die vorsorgliche Einlegung eines Einspruchs oder ein Terminverlegungsantrag sein.

Die Ankündigung eine Betriebsprüfung ist kein Grund, der eine Kündigung zur Unzeit zur Folge hat. Der Steuerberater kann also grundsätzlich auch bei einer angekündigten oder laufenden Betriebsprüfung das Mandat kündigen.

In einem gerichtlichen Verfahren im Zusammenhang mit der Insolvenz einer GmbH benennt der Insolvenzverwalter den ehemaligen Steuerberater der GmbH als Zeugen. Muss er aussagen?


Grundsätzlich unterliegen Steuerberater der Verschwiegenheitspflicht über alles, was ihnen in Ausübung des Berufs bekannt geworden ist (§ 57 Abs. 1 StBerG). Ein Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht kann berufs- und strafrechtliche Konsequenzen (§ 203 StGB) nach sich ziehen. Als Zeugen benannte Steuerberater müssen deshalb regelmäßig von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht (§ 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO) Gebrauch machen.

Steuerberater können jedoch von der Verschwiegenheitspflicht entbunden werden (vgl. § 5 Abs. 2 BOStB). Grundsätzlich sind diejenigen Personen befugt, einen Berufsgeheimnisträger von seiner Verschwiegenheitspflicht zu entbinden, die zu ihm in einer geschützten Vertrauensbeziehung stehen. Dies ist regelmäßig nur der Auftraggeber. Ist der Auftraggeber eine juristische Person, können für diese diejenigen die Entbindungserklärung abgeben, die zu ihrer Vertretung zum Zeitpunkt der Zeugenaussage berufen sind. Bei einer Insolvenz ist dies der Insolvenzverwalter, soweit Angelegenheiten der Insolvenzmasse betroffen sind. Dies hat der BGH [8] im Fall „Wirecard“ in einer Grundsatzentscheidung im Januar 2021 entschieden. Bis dahin war bei juristischen Personen als Mandanten umstritten, ob zusätzlich zum Insolvenzverwalter auch ehemalige Geschäftsführer eine Entbindungserklärung abgeben müssen. Der BGH beseitigte diese Unsicherheit, indem er entschied, dass die Entpflichtung durch den Insolvenzverwalter ausreicht.

Ein Steuerberater vermutet, dass ein Mandant in Geldwäscheangelegenheiten verwickelt sein könnte. Muss er eine Verdachtsmeldung abgeben?


Grundsätzlich besteht für Steuerberater eine Pflicht zur Abgabe von Geldwäsche-Verdachtsmeldungen, wenn Tatsachen vorliegen, die auf einen Bezug zur Geldwäsche hindeuten, oder der Geschäftspartner seiner Offenlegungspflicht bzgl. wirtschaftlicher Berechtigung nicht nachkommt (§ 43 Abs. 1 GwG). Die Verdachtsmeldung hat an die FIU (vgl. Frage 21) elektronisch zu erfolgen.

Eine Verdachtsmeldung kann aber aufgrund der beruflichen Verschwiegenheit unterlassen werden, wenn die relevanten Informationen vom Steuerberater i. R. der Rechtsberatung oder Prozessvertretung erlangt wurden (Beraterprivileg nach § 43 Abs. 2 GwG). Zur (Steuer-)Rechtsberatung i. S. des § 43 Abs. 2 GwG gehören alle Vorbehaltsaufgaben i. S. des § 33 StBerG. Nur wenn ausschließlich kaufmännische Hilfstätigkeiten, nur Buchführungsaufgaben i. S. von § 6 Nr. 4 StBerG oder nur vereinbare Tätigkeiten (z. B. betriebswirtschaftliche Beratung) vereinbart waren, fällt dies nicht unter das Beraterprivileg. Ein typisches Steuerberater-„Vollmandat“ ist also vom Beraterprivileg erfasst. Hat ein Steuerberater allerdings positive Kenntnis, dass der Mandant das Mandatsverhältnis zum Zweck der Geldwäsche oder einer anderen Straftat nutzt oder genutzt hat, besteht auch i. R. einer Steuerrechtsberatung eine Meldepflicht (§ 43 Abs. 2 Satz 2 GwG). Bei einer bloßen Vermutung ist dies jedoch nicht der Fall.

Können Steuerberater ihre Haftung vertraglich vollständig ausschließen?


Ein vollständiger Haftungsausschluss ist nach h. M. für Steuerberater nicht möglich. Zulässig ist aber die vertragliche Begrenzung von Haftungsansprüchen nach § 67a StBerG. Diese kann nach § 67a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StBerG durch schriftliche Vereinbarung im Einzelfall bis zur Höhe der Mindestversicherungssumme oder nach § 67a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StBerG durch vorformulierte Vertragsbedingungen auf den vierfachen Betrag der Mindestversicherungssumme erfolgen, wenn insoweit Versicherungsschutz besteht.

Eine Haftungsbegrenzung durch schriftliche Vereinbarung im Einzelfall bis zur Höhe der Mindestversicherungssumme ist in der Praxis nicht durchführbar, da diese stets und in jedem Einzelfall individuell ausgehandelt werden müsste. Deshalb kommt in der Praxis nahezu ausschließlich die Haftungsbegrenzung nach § 67a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StBerG zum Tragen, insbesondere durch Verwendung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) bzw. allgemeinen Auftragsbedingungen (AAB). Für eine wirksame Haftungsbegrenzung durch AGB/AAB bedarf es eines Versicherungsschutzes mind. i. H. der vierfachen Mindestversicherungssumme (§ 67a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StBerG, vgl. auch Frage 12). Daher liegt z. B. der erforderliche Versicherungsschutz für eine Einzelkanzlei, die ihre Haftung durch AAB/AGB begrenzen möchte, bei 1 Mio. € und bei einer steuerberatenden Berufsausübungsgesellschaft in einer haftungsbeschränkten Rechtsform (z. B. GmbH) bei 4 Mio. €.

Welche berufsrechtlichen Sanktionen gibt es und wo sind diese geregelt?


Der Vorstand der Steuerberaterkammer kann gem. § 81 Abs. 1 StBerG eine Rüge aussprechen, wenn ein pflichtwidriges Verhalten des Steuerberaters vorliegt, die Schuld des Steuerberaters gering ist und ein Antrag auf Einleitung eines berufsgerichtlichen Verfahrens nicht erforderlich scheint. Vor Erteilen einer Rüge ist der Steuerberater anzuhören. Eine Rüge ist keine Strafe im Rechtssinn, sondern eine Maßnahme der Berufsaufsicht.

Hat ein Steuerberater schuldhaft gegen Pflichten verstoßen, wird eine berufsgerichtliche Maßnahme verhängt. Zuständig ist das Landgericht. Die berufsgerichtlichen Maßnahmen sind in §§ 90, 91 StBerG in einem Stufenverhältnis aufgebaut:

  • Warnung (§ 90 Abs. 1 Nr. 1 StBerG): leichteste berufsgerichtliche Maßnahme, kommt insbesondere bei erstmaligen geringfügigen Verfehlungen in Betracht;

  • Verweis (§ 90 Abs. 1 Nr. 2 StBerG): für mittelschwere Berufspflichtverletzungen, kann mit einer Geldbuße verbunden werden;

  • Geldbuße (§ 90 Abs. 1 Nr. 3 StBerG): für schwere Berufspflichtverletzungen, kann bei Steuerberatern bis zu 50.000 € und bei Berufsausübungsgesellschaften bis zu 500.000 € betragen;

  • Berufsverbot für die Dauer von einem bis zu fünf Jahren (§ 90 Abs. 1 Nr. 4 StBerG);

  • Ausschließung aus dem Beruf (§ 90 Abs. 1 Nr. 5 StBerG): schwerste berufsgerichtliche Maßnahme als ultima ratio; für Berufsausübungsgesellschaften steht anstelle der Ausschließung aus dem Beruf die Aberkennung der Befugnis zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen.

Der Einleitung eines berufsgerichtlichen Verfahrens gegen Steuerberater oder Berufsausübungsgesellschaften steht es gem. § 91 StBerG nicht entgegen, dass der Vorstand der Steuerberaterkammer ihm bereits wegen desselben Verhaltens eine Rüge (§ 81 StBerG) erteilt hat. Die Rüge wird mit der Rechtskraft eines berufsgerichtlichen Urteils unwirksam.

Ein Mandant hat die Finanzbuchhaltung im Jahr 2022, nicht aber den Jahresabschluss für 2022 bezahlt. Inwiefern darf der Steuerberater die Herausgabe der Unterlagen für 2022 verweigern?


Steuerberater können Mandanten die Herausgabe von Dokumenten verweigern, solange offene Honorarforderungen bestehen (§ 66 Abs. 3 StBerG). Dies gilt nicht, soweit die Vorenthaltung der Unterlagen nach den Umständen unangemessen ist. Daher ist die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts des Steuerberaters als unzulässig anzusehen, wenn für den Mandanten hieraus ein unverhältnismäßig hoher, auch bei Abwägung mit den Interessen des Steuerberaters nicht zu rechtfertigender Schaden resultieren würde. Dabei darf aber kein kleinlicher Maßstab angesetzt werden, weil das Zurückbehaltungsrecht ansonsten entwertet würde.

Zu den Unterlagen, die der Steuerberater zurückbehalten darf, gehören gem. § 66 Abs. 2 StBerG alle Dokumente, die er aus Anlass seiner beruflichen Tätigkeit erhalten hat

  • von Mandanten (z. B. Buchführungsunterlagen, Rechnungen) und/oder

  • für Mandanten (z. B. Steuerbescheide, Schreiben des FA).

Zu den Dokumenten in diesem Sinne gehören auch die in einem Rechenzentrum gespeicherten Daten.

Nicht zu den Dokumenten ist diesem Sinn gehören dagegen:

  • die Korrespondenz mit Mandanten,

  • Dokumente, die der Mandant bereits in Ur- oder Abschrift erhalten hat, und

  • zu internen Zwecken gefertigte Arbeitspapiere.

Für das Zurückbehaltungsrecht ist es erforderlich, dass das Herausgabeverlangen des Mandanten sowie der Honoraranspruch des Steuerberaters auf „demselben rechtlichen Verhältnis“ beruhen. In Rspr. und Lit. ist insoweit nicht eindeutig geklärt, ob es ausreicht, dass der Honoraranspruch aus demselben Mandat stammt, oder ob sich der Honoraranspruch aus der konkreten Angelegenheit ergeben muss, auf die sich die zurückbehaltenen Dokumente beziehen.

In der Rspr. zum Zurückbehaltungsrecht bei Rechtsanwälten hat der BGH [9] entschieden, dass es auf die konkrete Angelegenheit ankommt und Unterlagen nicht wegen offener Gebührenforderungen aufgrund anderer Aufträge desselben Mandanten zurückbehalten werden dürfen. Auch für das Zurückbehaltungsrecht bei Steuerberatern an Dokumenten nach § 66 Abs. 3 StBerG nimmt die unterinstanzliche Rspr. überwiegend an, dass Dokumente nur zurückbehalten werden dürfen, soweit die Gebührenansprüche konkret aus der Steuerberatertätigkeit hervorgehen, in deren Zusammenhang die Unterlagen zum Steuerberater gelangten (enge Konnexität).

Nach älterer Rspr. des BGH [10] zum Zurückbehaltungsrecht für Steuerberater reichte es für das Zurückbehaltungsrecht hingegen aus, wenn irgendein Honoraranspruch aus demselben Mandatsverhältnis offen war (weite Konnexität). Auch wenn Letzteres nach wie vor gut vertretbar ist, empfiehlt die BStBK als sicheren Weg beim Zurückbehalten von Dokumenten, dass nur solche zurückbehalten werden, die mit den offenen Forderungen in einem unmittelbaren Zusammenhang stehen (enge Konnexität) [11].

Bei vorsichtiger Herangehensweise könnten in unserem Fall also die Lohnunterlagen für 2022 herausgegeben werden; die Dokumente betreffend den Jahresabschluss 2022 könnten hingegen zurückbehalten werden.

Was ist die „Mittelgebühr“?


Nach § 11 StBVV muss der Steuerberater für jede einzelne Angelegenheit die angemessene Gebühr unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der beruflichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen bestimmen. In der Praxis wird stattdessen häufig die „Mittelgebühr“ angesetzt. Bei dieser handelt es sich nicht um eine in der StBVV enthaltene Gebührenart. Die „Mittelgebühr“ steht für den mittleren Gebührensatz i. R. der von der StBVV vorgegebenen Gebührenspanne. Sie errechnet sich durch eine Addition der Mindest- und Höchstgebühr dividiert durch 2 (Mittelgebühr = [Mindestgebühr + Höchstgebühr] : 2). Beispielsweise beträgt die „Mittelgebühr“ für die Erstellung eines Jahresabschlusses nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a StBVV 25/10.

Eine allgemeine Vermutung, dass die „Mittelgebühr“ stets die „angemessene“ Gebühr ist, stellt die StBVV nicht auf. Gleichwohl orientieren sich große Teile der Praxis an ihr. Dies hängt mit der Rspr. der Obergerichte [12] zusammen, wonach die „Mittelgebühr“ gerechtfertigt ist, wenn es sich um eine Angelegenheit von durchschnittlicher Bedeutung sowie durchschnittlichem Umfang und Schwierigkeitsgrad handelt. In diesem Fall kann der Steuerberater ohne weiteren Vortrag die „Mittelgebühr“ beanspruchen. Grundsätzlich ist der Steuerberater nach der Rspr. [13] nur dann darlegungs- und ggf. beweispflichtig, wenn er mehr als die „Mittelgebühr“ fordert. Hält der Mandant den Ansatz der „Mittelgebühr“ für zu hoch, muss er darlegen und beweisen, dass die in Rechnung gestellten Leistungen nur unterdurchschnittlich schwierig und umfangreich waren.

Inwiefern dürfen Steuerberater von der StBVV abweichen?


§ 64 StBerG besagt, dass Steuerberater an eine Gebührenordnung gebunden sind. Die insoweit angesprochene Gebührenordnung ist die StBVV. Es ist nach allgemeiner Auffassung aber trotz der Bindungswirkung des § 64 StBerG zulässig, dass Steuerberater ganz oder teilweise von der StBVV abweichen. So kann z. B. eine Abrechnung nach Zeit (s. Frage 28) anstatt nach Gegenstandswert, eine Abrechnung mit Pauschalen oder mit einem Mehrfachen der StBVV usw. vereinbart werden. Dazu müssen allerdings bestimmte Voraussetzungen eingehalten werden.

Eine Vereinbarung über eine höhere oder niedrigere Vergütung, als dies die StBVV vorsieht, muss in Textform (§ 126b BGB) (s. Frage 31) erfolgen. In der Vereinbarung sind Art und Umfang des Auftrags zu bezeichnen. Zudem muss das Dokument als Vergütungsvereinbarung oder in vergleichbarer Weise (z. B. Honorarvereinbarung) bezeichnet, von anderen Vereinbarungen, mit Ausnahme der Auftragserteilung, deutlich abgesetzt und nicht in der Vollmacht enthalten sein (§ 4 Abs. 1 StBVV). In der Regel bietet es sich an, die Vergütungsvereinbarung in einem separaten Dokument zu erstellen.

In außergerichtlichen Angelegenheiten kann auch eine niedrigere als die gesetzliche Vergütung vereinbart werden (§ 4 Abs. 3 StBVV). Für diese gelten die genannten Formerfordernisse entsprechend. Eine niedrigere als die gesetzliche Vergütung muss in einem angemessenen Verhältnis zur Leistung, zur Verantwortung und zum Haftungsrisiko des Steuerberaters stehen (s. hierzu auch Frage 26).

Welche „freien Berufe“ kennen Sie? Welche Kombination der Zusammenarbeit mit Steuerberatern kann aus Ihrer Sicht sinnvoll sein?


Die „freien Berufe“ haben im Allgemeinen auf der Grundlage besonderer beruflicher Qualifikation oder schöpferischer Begabung die persönliche, eigenverantwortliche und fachlich unabhängige Erbringung von Dienstleistungen höherer Art im Interesse der Auftraggeber und der Allgemeinheit zum Inhalt. Dazu gehören u. a.: Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Heilpraktiker, Kranken-gymnasten, Hebammen, Heilmasseure, Diplom-Psychologen, beratende Volks- und Betriebswirte, Ingenieure, Architekten, Handelschemiker, Lotsen, hauptberufliche Sachverständige, Journalisten, Bildberichterstatter, Dolmetscher, Übersetzer, Wissenschaftler, Künstler, Schriftsteller, Lehrer und Erzieher.

Naheliegende Kombinationen können sich vor allem für spezialisierte Steuerberater ergeben. So kann für auf die Beratung von Heilberufen spezialisierte Steuerberater ein Zusammenschluss mit Ärzten ebenso sinnvoll sein wie ein Zusammengehen einer auf Erbschaftsteuer spezialisierten Kanzlei mit einem Bewertungssachverständigen. Die in der Praxis am häufigsten anzutreffende Kombination ist die aus Steuerberatern und beratenden Betriebswirten [15], insbesondere da die betriebswirtschaftliche Beratung ein Zukunftsfeld für Steuerberater darstellt. Ebenfalls möglich kann die gemeinsame Berufsausübung mit Familienangehörigen sein, die einen freien Beruf ausüben, aber keine Steuerberater sind.

Bei der Jahresabschlusserstellung stellt der Steuerberater die bilanzielle Überschuldung einer GmbH fest. Ergeben sich daraus Pflichten für den Steuerberater?


Bei Erstellung des Jahresabschlusses haben Steuerberater den Mandanten auf das Vorliegen eines möglichen Insolvenzgrundes gem. §§ 1719 InsO und sich daran anknüpfende Pflichten hinzuweisen, wenn entsprechende Anhaltspunkte offenkundig sind und sie annehmen müssen, dass dem Mandanten die mögliche Insolvenzreife nicht bewusst ist. Dies ergibt sich aus § 102 StaRUG, der die Rspr. des BGH umsetzt, wonach der mit der Erstellung eines Jahresabschlusses für eine GmbH beauftragte Steuerberater den Mandanten auf einen möglichen Insolvenzgrund und die daran anknüpfende Prüfungspflicht des Geschäftsführers hinzuweisen hat. [20]

Eine bilanzielle Überschuldung ist für sich genommen zwar kein Insolvenzgrund, gibt jedoch Anlass, eine insolvenzrechtliche Überschuldung zu prüfen. Der Steuerberater muss deshalb den Mandanten darauf hinweisen, dass von diesem zu prüfen ist, ob die bilanzielle Überschuldung auch eine Überschuldung i. S. des Insolvenzrechts darstellt, und somit eine Insolvenzantragspflicht der Geschäftsleitung nach sich zieht (§ 15a InsO). Eine solche Prüfung kann durch Erstellung eines Überschuldungstatus oder durch eine Fortbestehensprognose erfolgen. Ohne Vorlage eines positiven Überschuldungsstatus oder einer Fortbestehensprognose darf der Steuerberater den Jahresabschluss der Gesellschaft grundsätzlich nicht mehr unter Fortführungsaspekten aufstellen; vielmehr hat dann eine Bilanzierung mit Zerschlagungswerten zu erfolgen.

Gibt es einen eigenen „EU-Haushalt“?


Die EU hat einen eigenen „Haushalt“ (Art. 310 ff. AEUV). Es gibt mehrjährige Finanzrahmen (MFR) von fünf bis sieben Jahren. Die Jahreshaushaltspläne werden innerhalb der Grenzen der MFR aufgestellt.

Der EU-Haushalt wird durch folgende Einnahmequellen finanziert:

  • „Eigenmittel“ (Art. 311 AEUV), d. h.

    • traditionelle „Eigenmittel“ wie Zölle sowie auf dem Mehrwertsteueraufkommen und dem Bruttonationaleinkommen (BNE) basierende Beiträge der Mitgliedstaaten,

    • neue „Eigenmittel“ wie Einnahmen aus der Abgabe auf nicht recycelte Kunststoffabfälle („Plastiksteuer“ als „Kunststoff-Eigenmittel“) [16] und perspektivisch [17] einem Anteil an Einnahmen aus dem EU-Emissionshandelssystem und dem CO2-Grenzausgleichssystem (s. Frage 20), einem Anteil an den Residualgewinnen multinationaler Unternehmen, die i. R. der OECD/G20-Vereinbarung den Mitgliedstaaten neu zugewiesen werden (Erste Säule; engl.: Pillar One; s. Frage 15) sowie Eigenmittel, die auf Grundlage eines statistischen Indikators an Unternehmensgewinne anknüpfen (bis Einführung von BEFIT [s. Frage 15]),

  • Einnahmenüberschuss der EU (aus dem Haushalt der vorangehenden Haushaltsperiode) und

  • andere Quellen (z. B. Geldbußen bei Verstößen gegen das EU-Wettbewerbsrecht sowie Steuern auf Dienstbezüge).

Die „Plastiksteuer“ ist – zumindest noch – keine „Steuer“, sondern eine Methode zur Ermittlung der Beiträge der Mitgliedstaaten zum EU-Haushalt. [18] Die Einwegkunststoffabgabe kann wegen der Zuordnung des Aufkommens zum Einwegkunststofffonds (s. Frage 20) nicht zur Refinanzierung der „Plastiksteuer“ verwendet werden.

Zur Beseitigung von Folgen der COVID-19-Pandemie wurde mit „NextGenerationEU“ ein schuldenfinanziertes Instrument im Umfang von 750 Mrd. € beschlossen. [19]

Kann die EU weitere Staaten als Mitgliedstaaten aufnehmen und können Mitgliedstaaten austreten?


Sie kann weitere Staaten aufnehmen (Art. 49 EUV)

„Beitrittskandidaten“ sind derzeit Albanien, Bosnien und Herzegowina, Montenegro, Nordmazedonien, Serbien, die Türkei, die Ukraine und Moldau, potenzielle Beitrittskandidaten Georgien und Kosovo. Aus Solidarität mit der Ukraine hat die EU neben dem Beitrittskandidatenstatus Sanktionspakete gegen Russland sowie Belarus verabschiedet. Diese enthalten Maßnahmen gegen Einzelpersonen und die Wirtschaft sowie diplomatische Maßnahmen.

Umgekehrt können Mitgliedstaaten aus der EU austreten (Art. 50 EUV). Zum 31.1.2020 trat das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland (UK) aus („Brexit“). [20] Es gibt ein ausführliches Handels- und Kooperationsabkommen aus Dezember 2020 („weicher Brexit“), das mit dem Austrittsabkommen aus Oktober 2019 das Verhältnis von EU und UK regelt. Durch das Nordirland-Protokoll soll eine EU-Außengrenze zwischen Nordirland und Irland vermieden werden, um die Wirtschaft zu schützen und das Karfreitagsabkommen (Belfaster Abkommen) aufrechtzuerhalten, durch das damals ein bürgerkriegsähnlicher Identitäts- und Machtkampf zwischen Katholiken und Protestanten beendet wurde. Die vereinbarten Kontrollen von Waren, die aus dem übrigen UK nach Nordirland gelangen, waren Gegenstand heftiger Kontroversen zwischen EU und UK. Im Februar 2023 haben sich die EU und das UK auf verschiedene Maßnahmen zur Umsetzung des Nordirland-Protokolls geeinigt.

Unterscheiden Sie zwischen „Supranationalität“ des EU-Rechts und „Anwendungsvorrang“ des EU-Rechts! Was besagt der „Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung“? Erläutern Sie den „Grundsatz der Subsidiarität“!


Supranationalität“ bedeutet, dass Rechtsakte der EU in den Mitgliedstaaten ohne deren Mitwirkung verbindlich sind (autonome Rechtsetzung der EU).

Das EU-Recht hat „Anwendungsvorrang“ (nicht „Geltungsvorrang“), d. h., es ist vorrangig vor dem Recht der Mitgliedstaaten (einschließlich dem Verfassungsrecht) anzuwenden. Dies ist vom Grundgesetz anerkannt (Art. 23 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG). Das polnische Verfassungsgericht sieht dies in einer äußerst umstrittenen Entscheidung v. 7.10.2021 [25] jedoch anders, weshalb die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen eingeleitet [26] hat.

Demgegenüber hat die EMRK (s. Frage 1) als völkerrechtlicher Vertrag lediglich den Rang eines einfachen Gesetzes (Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG). Wegen der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes sind seine Grundrechte jedoch „im Lichte der EMRK“ [27] auszulegen.S. 98

Nach dem „Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung“ wird die EU nur innerhalb der Grenzen der Zuständigkeiten tätig, die die Mitgliedstaaten in den (Gründungs-)Verträgen (s. Frage 5) übertragen haben (Art. 4 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 EUV). Eine Kompetenzwidrigkeit („ultra vires“) wird vom EuGH i. R. seiner Kompetenz zur Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Verträge festgestellt (Art. 19 Abs. 1 UAbs. 1 Satz 2 EUV). Grundsätzlich hat der EuGH etwa auf der Grundlage eines „Vorabentscheidungsersuchens“ (s. Frage 19) die Kompetenz zur Entscheidung über die Auslegung der Verträge sowie die Gültigkeit und die Auslegung der Handlungen der Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union (Art. 19 Abs. 1 UAbs. 1 Satz 2 und Abs. 3 Buchst. b EUV, Art. 267 Abs. 1 AEUV). Nach Auffassung des BVerfG darf es ausnahmsweise selbst die Kompetenzwidrigkeit annehmen, wenn die Auslegung des EuGH „methodisch schlechterdings nicht mehr vertretbar“ ist. [28] In der Folge hat die Bundesregierung gegenüber der EU Zusagen gemacht (u. a. Bekräftigung und Anerkennung der Grundsätze der Autonomie, des Vorrangs, der Wirksamkeit und der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts sowie die Anerkennung der Autorität des EuGH). Trotz der Unabhängigkeit von Richtern (Art. 97 Abs. 1 GG) und des BVerfG (§ 1 Abs. 1 BVerfGG) war das BVerfG [29] im Urteil zum Instrument „NextGenerationEU“ (s. Frage 1) tatsächlich zurückhaltend und hat trotz erheblicher Zweifel an der Kompetenzwahrung zu Gunsten des Unionsrechts entschieden, weil „keine offensichtliche Überschreitung des geltenden Integrationsprogramms der EU“ gegeben sei.

Nach dem „Grundsatz der Subsidiarität“ (auch: „Subsidiaritätsprinzip“) wird die EU in den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen von den Mitgliedstaaten weder auf zentraler noch auf regionaler oder lokaler Ebene ausreichend verwirklicht werden können (Art. 5 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 EUV).

Welche Rechtsakte zur Harmonisierung des (Steuer-) Verfahrensrechts bestehen und wie wurden sie in deutsches Recht umgesetzt?


Das (Steuer-)Verfahrensrecht wird durch folgende Richtlinien (Grundlage: Art. 113 und 115 AEUV) harmonisiert:

  • Amtshilferichtlinie (Richtlinie 2011/16/EU), umgesetzt insbesondere im EUAHiG und in der AO (z. B. §§ 138a ff. und §§ 138d ff. AO) sowie in weiteren Gesetzen wie dem Plattformen-Steuertransparenzgesetz (PStTG) [38],

  • Beitreibungsrichtlinie (Richtlinie 2010/24/EU), umgesetzt im EUBeitrG,

  • Streitbeilegungsrichtlinie (Richtlinie 2017/1852), umgesetzt im EU-Doppelbesteuerungsabkommen-Streitbeilegungsgesetz (EU-DBA-SBG) [39],

  • Schiedsübereinkommen (Übereinkommen 90/436/EWG; auch: Schiedskonvention oder Schiedsabkommen), das durch ein Zustimmungsgesetz i. S. des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG „umgesetzt“ wurde, und

  • Zusammenarbeits-Verordnung betreffend die Mehrwertsteuer (Verordnung 904/2010), die als Verordnung unmittelbar gilt.

Durch eine Änderung [40] der Amtshilferichtlinie wird der Informationsaustausch in Bezug auf alternative Zahlungs- und Investitionsmittel – wie Kryptowerte und E-Geld – geregelt („DAC 8“; Anwendungsbeginn ab 2026).

Bereichsspezifische Vorgaben für das (Steuer-)Verfahrensrecht sind in Rechtsakte mit überwiegend materiell-rechtlichen Regelungen eingebettet. So enthält die MwStSystRL trotz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten im Bereich des Umsatz-/Mehrwertsteuerrechts Vorgaben für Aufzeichnungspflichten für Zahlungsdienstleister (Art. 243a ff.; Umsetzung durch § 22g UStG mit Wirkung ab 2024). Die Informationen werden über das Zentrale Elektronische System für Zahlungsinformationen (Central Electronic System of Payment Information; CESOP) mit anderen Staaten ausgetauscht.

Welche Rechtsakte zur Harmonisierung des Steuerrechts der Mitgliedstaaten werden gegenwärtig diskutiert?


Viele Reformbestrebungen der EU auf dem Gebiet des Steuerrechts basieren auf dem „Aktionsplan für eine faire und einfache Besteuerung zur Unterstützung der Aufbaustrategie“ aus 2020. [46] Dieser ist Teil des Maßnahmenpakets „Faire und einfache Besteuerung“ und enthält 25 Einzelmaßnahmen. [47]

Frühere Reformvorhaben werden nicht weiterverfolgt, etwa die Einführung einer Gemeinsamen (konsolidierten) Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (G[K]KB; engl.: Common [Consolidated] Corporate Tax Base, C[C]CTB). [48] Die Kommission hat stattdessen einen Richtlinienentwurf [49] vorgelegt, um die Ankündigung in der Mitteilung „Unternehmen in Europa: ein Rahmen für die Unternehmensbesteuerung“ („Business in Europe: Framework for Income Taxation“, BEFIT) [50] umzusetzen. Es sollen einheitliche Vorschriften für die Gewinnermittlung bei bestimmten Unternehmensgruppen (BEFIT-Gruppen) mit einer gerechteren Aufteilung der Steuerhoheit zwischen den Mitgliedstaaten geschaffen werden. Für Kleinstunternehmen sowie kleine und mittlere Unternehmen soll nach einem weiteren Richtlinienentwurf [51] ein hauptsitzbasiertes Steuersystem eingeführt werden.

Neben umfassenden Änderungen soll die missbräuchliche Nutzung von Briefkastenfirmen für Steuerzwecke durch Änderung der ATAD-Richtlinie verhindert werden („ATAD III“). [52] Ferner wurde eine Richtlinie [53] zur Harmonisierung der Regelungen für Verrechnungspreise vorgeschlagen. Zudem liegt ein Richtlinienvorschlag [54] für schnellere und sicherere Verfahren für die Entlastung von überschüssigen Quellensteuern vor. Dagegen wurden die Bemühungen zur Schaffung eines Freibetrags zur Reduzierung von Verschuldungsanreizen (debt-equity bias reduction allowance; DEBRA) [55] aufgeschoben.

Im Zuge der Rücknahme von Vorschlägen zur Besteuerung der Digitalwirtschaft [56] hat sich die EU zur Umsetzung der Vereinbarungen auf OECD-/G20-Ebene („Zwei-Säulen-Modell“; engl.: „Two-Pillar Solution“) [57] bekannt. [58] Zur Umsetzung der globalen Mindeststeuer („Säule Zwei“; engl.: „Pillar Two“) innerhalb der EU wurde bereits die Mindestbesteuerungsrichtlinie beschlossen (s. Frage 12).

Gelten die Grundfreiheiten und die weiteren Garantien auch für das Steuerrecht? Wann ist eine Beeinträchtigung des Gewährleistungsgehalts der Grundfreiheiten durch nationales Steuerrecht gerechtfertigt? Nennen Sie zwei neuere EuGH-Entscheidungen zur Anwendung der Grundfreiheiten auf Regelungen des deutschen Steuerrechts!


Die Grundfreiheiten (s. Frage 9) gelten für steuerrechtliche Regelungen, obwohl die EU insoweit keine umfassende Harmonisierungskompetenz hat. Der EuGH hat dadurch eine „negative Integration“ oder „stille Harmonisierung“ des nationalen Steuerrechts über den Umweg des Primärrechts forciert. Auch die weiteren Garantien wie das allgemeine Diskriminierungsverbot und das allgemeine Freizügigkeitsrecht (s. Frage 9) gelten für das Steuerrecht.

Der EuGH hat für das Steuerrecht anerkannt, dass eine Beeinträchtigung des Gewährleistungsgehalts der Grundfreiheiten nicht nur aufgrund ausdrücklich geregelter (für das Steuerrecht ohnehin nicht passender) Rechtfertigungsgründe gerechtfertigt sein kann, sondern auch aufgrund ungeschriebener zwingender Gründe des Allgemeinwohls. Voraussetzung ist, dass ein legitimes Ziel verfolgt und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt wird. Ein zwingender Grund des Allgemeinwohls kann sein:

  • Kohärenz des Steuersystems,

  • Territorialitätsprinzip und Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis,

  • Bekämpfung der Steuerflucht,

  • Gefahr doppelter Verlustberücksichtigung,

  • Wirksamkeit steuerlicher Kontrollen oder

  • Missbrauchsvermeidung und Verhinderung der Steuerumgehung.

Auf keinen Fall kann eine Beeinträchtigung der Grundfreiheiten mit Steuermindereinnahmen gerechtfertigt werden.

Zwei EuGH-Entscheidungen zur Anwendung der Grundfreiheiten auf Regelungen des deutschen Steuerrechts:

  • Rs. Finanzamt B/W AG: [59] Auf Vorlage des BFH verneint der EuGH eine Pflicht der Bundesrepublik DeutschlandS. 101 aus der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) zur Berücksichtigung von „finalen“ Betriebsstättenverlusten, wenn Gewinne und Verluste einer ausländischen Betriebsstätte aufgrund eines DBA freizustellen sind. Zwar soll nach deutschem Recht eine Ungleichbehandlung von (zu berücksichtigenden) inländischen und (nicht zu berücksichtigenden) ausländischen Betriebsstättenverlusten gegeben sein. Jedoch soll es an der objektiven Vergleichbarkeit fehlen, wenn aufgrund der abkommensrechtlich vereinbarten Freistellungsmethode Gewinne und Verluste ausländischer Betriebsstätten nur im Betriebsstättenstaat besteuert werden dürfen. Damit soll bereits keine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit vorliegen, so dass eine Rechtfertigung nicht erforderlich ist. Bemerkenswert ist, dass der EuGH bei Freistellung ausländischer Betriebsstätteneinkünfte auf der Grundlage unilateraler Regelungen eine Berücksichtigung finaler Verluste weiterhin für möglich hält [60].

  • Rs. X GmbH & Co. KG/Finanzamt Bremen: [61] Auf Vorlage des FG Bremen hat der EuGH entschieden, dass eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) durch Dokumentationspflichten wie diejenigen aus § 90 Abs. 3 AO gerechtfertigt ist, weil diese den effektiven Gesetzesvollzug und damit die Wahrung der ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten ermöglichen. Auch die Befugnis der Finanzbehörden zur Schätzung wie nach § 162 Abs. 1 und 3 AO sowie zur Festsetzung eines Zuschlags wie nach § 162 Abs. 4 AO bei Verletzung von Dokumentationspflichten soll gerechtfertigt sein.


Inwiefern betreibt die EU – neben den Mitgliedstaaten – Umwelt- und Klimaschutz durch das Steuer-/Abgabenrecht? Wie wirken entsprechende Maßnahmen?


er „Europäische Grüne Deal“ („European Green Deal“) [65] ist eine „Wachstumsstrategie, mit der die EU zu einer fairen und wohlhabenden Gesellschaft mit einer modernen, ressourceneffizienten und wettbewerbsfähigen Wirtschaft werden soll“. Sie dient der Bewältigung klima- und umweltbedingter Herausforderungen, indem u. a. die Netto-Treibhausgasemissionen bis 2030 um mind. 55 % gegenüber 1990 („Fit für 55-Paket“) und bis 2050 auf Null („Neuer Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft“) reduziert werden sollen.

Die vielfältigen Maßnahmen sind teilweise dem Steuer-/Abgabenrecht zuzuordnen. Beispiele:

  • Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom: Die Energiebesteuerungsrichtlinie [66] verpflichtet die Mitgliedstaaten, Verbrauchsteuern auf Energieerzeugnisse und elektrischen Strom zu erheben. Sie beschränkt sich nicht – wie andere Richtlinien – darauf, bestehende Steuern der Mitgliedstaaten zu harmonisieren, sondern sie verlangt von Mitgliedstaaten die Erhebung solcher Steuern (mit Mindeststeuersätzen). Die Richtlinie wurde durch das Energiesteuergesetz (EnergieStG) und das Stromsteuergesetz (StromStG) umgesetzt. Durch die Besteuerung des Verbrauchs der Steuergegenstände wird die damit verbundene CO2-Emission belastet.S. 102

  • Bepreisung von CO2-Emissionen im EU-Emissionshandelssystem (EU-EHS; engl.: EU Emissions Trading System, EU ETS): Das EU-EHS wurde durch die Emissionshandelsrichtlinie [67] etabliert, die durch das Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz (TEHG) umgesetzt wurde. Unternehmen benötigen für Emissionen (z. B. bei der Stromerzeugung oder in Sektoren wie der Eisen- und Stahlverhüttung) Emissionszertifikate, die kostenlos zugeteilt, versteigert oder von anderen Unternehmen erworben werden können. Die kostenlose Zuteilung soll schrittweise abgeschafft werden. Mit der Seeschifffahrt (ab 2024) und den Sektoren Gebäude und Verkehr (ab 2027) sollen weitere Bereiche in einem EU-EHS II erfasst werden. Die Einnahmen sollen (teilweise) in den Innovationsfonds, in den Modernisierungsfonds bzw. in den (neuen) Klimasozialfonds [68] für den sozialen Ausgleich fließen (zur Eigenmitteleigenschaft s. u. und Frage 1). Dafür wurde eine Richtline zur Änderung der Emissionshandelsrichtlinie [69] erlassen. Das EU-EHS wird durch das Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG) ergänzt. Danach sind Emissionszertifikate erforderlich für Emissionen aus bestimmten Brennstoffen (§ 2 Abs. 1 BEHG; z. B. ursprünglich in den Sektoren Wärme und Verkehr).

  • Bepreisung von CO2-Emissionen im CO2-Grenzausgleichssystem (Carbon Border Adjustment Mechanism, CBAM): Durch das CBAM soll auf der Grundlage der CBAM-Verordnung [70] die Verlagerung von CO2-Emissionen („Carbon Leakage“) verhindert werden, die Folge der Verlagerung von energieintensiver Produktion in Länder mit weniger strengen Emissionsauflagen sein kann. EU-Einführer müssen für eingeführte Waren Emissionszertifikate kaufen. Das CBAM wird seit 1.10.2023 zunächst in bestimmten Sektoren angewendet, wobei der Erwerb von Emissionszertifikaten erst ab 2026 erforderlich ist.

  • Vermeidung von Einwegkunststoffprodukten: Die Einwegkunststoffrichtlinie [71] regelt insbesondere die Kostentragung i. R. der sog. erweiterten Herstellerverantwortung und zielt u. a. auf die Vermeidung bestimmter (Einweg-) Kunststoffprodukte. Zur Umsetzung wird die Einwegkunststoffabgabe eingeführt (ab 2026), die in den Einwegkunststofffonds eingezahlt wird. Sie kann wegen der Zweckbindung nicht zur Refinanzierung der „Plastiksteuer“ (s. Fragen 1 und 10) verwendet werden.

Das Aufkommen aus dem EU-EHS, dem EU-EHS II und dem CO2-Grenzausgleichssystem könnte künftig (teilweise) zu den Eigenmitteln der EU gehören (s. Frage 1).

Die Steuerpolitik soll eine entscheidende Rolle beim Übergang zu einem umweltfreundlicheren und nachhaltigeren Wachstum einnehmen. Allerdings kann das Steuer-/Abgabenrecht nur finanzielle Anreize setzen. Anders als bei konkreten Verhaltensvorgaben durch Regulierung wird durch Lenkungssteuern/-abgaben wie zum Umwelt-/Klimaschutz das angestrebte Ziel nicht in jedem Fall erreicht. Steuer-/Abgabenpflichtige können sich durch Zahlung der Steuer/Abgabe vom intendierten Verhalten (z. B. Reduktion von CO2Emissionen) „freikaufen“, wenn sie dies wollen und sich leisten können.

Welche Kritikpunkte gibt es an der Aussagekraft des BIP?


olgende Kritikpunkte an der Aussagefähigkeit des BIP sind zu nennen:

  • Das BIP an sich beinhaltet keine Aussage darüber, auf wie viele Köpfe es verteilt wird, und wie gerecht oder gleichmäßig diese Verteilung ist.

  • Im Rahmen des BIP werden nur die im offiziellen Wirtschaftssektor getätigten Transaktionen erfasst. Dies bedeutet, dass Aktivitäten, wie z. B. die Fürsorgearbeit zuhause oder die Aktivitäten von Kindern i. R. der Pflege ihrer pflegebedürftigen Eltern, nicht erfasst werden. Ebenso wenig werden „schwarze“ Transaktionen berücksichtigt, wie z. B. Schwarzarbeit.

  • Weiterhin sagt das BIP nichts über die Art der produzierten Güter und Dienstleistungen aus. So erhöht ein zunehmender Absatz von Zigaretten und Alkohol das BIP genauso wie ein zunehmender Verkauf von Bio-Lebensmitteln.

  • Das BIP setzt an den Marktpreisen von Gütern an, die Verzerrungen aufweisen können. So könnten Produzenten auf die Idee kommen, die Lebensdauer ihrer Produkte durch Einbau minderwertiger Komponenten bewusst zu beschränken. Konstante Preise und Umsätze in einer Periode vorausgesetzt, würde das BIP davon unbeeinflusst bleiben bzw. über die zusätzlichen Umsätze mittelfristig sogar steigen.

  • Das BIP ist eine Stromgröße, die nicht das jeweilige Ausgangsniveau berücksichtigt. Nach Zeiten von Naturkatastrophen oder Kriegen wächst das BIP naturgemäß wesentlich stärker, was indes nicht impliziert, dass in dieser Zeit der Wohlstand besonders ausgeprägt ist.

Fazit: Es gibt eine Vielzahl von Kritikpunkten am BIP als Indikator von Wohlstand und Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft, jedoch existiert zurzeit noch kein besserer Indikator.

Welches Urteil hat das BVerfG 2023 zum Nachtragshaushalt 2021 gesprochen?


Das BVerfG hat mit Urteil v. 15.11.2023 [3] den Nachtragshaushalt 2021 als verfassungswidrig eingestuft. Geplant war ursprünglich, hierdurch eine einst für das Jahr 2021 aufgrund der Corona-Krise erteilte, aber nicht benötigte Kreditermächtigung in den Klima- und Transformationsfonds zu überführen und für spätere Haushaltsjahre zu verwenden. Das dem Nachtragshaushalt 2021 zugrunde liegende Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 ist nun jedoch nichtig, d. h. rechtlich gesehen nicht existent. Damit drohte eine Finanzierungslücke von 60 Mrd. €.

Das BVerfG begründete die Verfassungswidrigkeit insbesondere wie folgt:

  • Der Gesetzgeber habe den notwendigen Veranlassungszusammenhang zwischen der festgestellten NotsituationS. 105 und den ergriffenen Krisenbewältigungsmaßnahmen nicht ausreichend dargelegt.

  • Zudem widerspreche die zeitliche Entkoppelung der Feststellung einer Notlage (2021) vom tatsächlichen Einsatz der Kreditermächtigungen den Verfassungsgeboten der Jährlichkeit und Jährigkeit. Die faktisch unbegrenzte Weiternutzung von notlagenbedingten Kreditermächtigungen in nachfolgenden Haushaltsjahren ohne Anrechnung auf die „Schuldenbremse“ bei gleichzeitiger Anrechnung als „Schulden“ im Haushaltsjahr 2021 ist demzufolge unzulässig.

  • Ferner verstoße die Verabschiedung des Zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes 2021 nach Ablauf des Haushaltsjahres 2021 gegen den Haushaltsgrundsatz der Vorherigkeit.


Erläutern Sie den Begriff der „Schuldenbremse“ im aktuellen Kontext!


Nach Art. 115 Abs. 2 Satz 1 GG sind Einnahmen und Ausgaben grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen. Dies bedeutet aber nicht, dass gar keine Schulden gemacht werden dürfen. Vielmehr darf nach Art. 115 Abs. 2 Satz 2 GG die nicht-konjunkturbedingte Nettokreditaufnahme des Bundes pro Jahr nicht mehr als 0,35 % des BIP betragen. Von der Regelung ausgenommen sind extreme Notlagen, wie Naturkatastrophen oder gravierende Rezessionen. Der Bundestag darf eine solche Ausnahme unter bestimmten Voraussetzungen mit einfacher Mehrheit beschließen (Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG). Im Zuge der Corona-Pandemie wurde die „Schuldenbremse“ ausgesetzt.

Als Reaktion auf das BVerfG-Urteil v. 15.11.2023 initiierte die Bundesregierung einen Nachtragshaushalt 2023, den der Bundestag am 15.12.2023 beschlossen hat. Ein Nachtragshaushalt ist eine nachträgliche Veränderung eines bereits beschlossenen Etats. Voraussetzung war wiederum, dass der Bundestag eine „außergewöhnliche Notlage“ erklärt und die „Schuldenbremse“ erneut ausgesetzt wird. Es war das vierte Mal in Folge. Hintergrund des Nachtragshaushalts 2023 ist der Wirtschaftsstabilisierungsfonds („Doppelwumms“), der Ende 2023 ausgelaufen ist. Auch hier wurde vom Bundestag eine „außergewöhnliche Notlage“ für das Jahr 2022 festgestellt; die Kreditermächtigungen galten aber gleichermaßen für das Folgejahr 2023. Durch den Nachtragshaushalt mitsamt Beschluss einer „Notsituation“ auch für 2023 soll der Haushalt 2023 nachträglich rechtlich abgesichert werden. Aus Sicht der Bundesregierung liegt die Notsituation in der vom Krieg in der Ukraine verursachten Energiekrise und ihren Folgen begründet. Diese entziehe sich der Kontrolle des Staates und beeinträchtige die staatliche Finanzlage erheblich.

Des Weiteren wird eine Reform oder Abschaffung der „Schuldenbremse“ im Grundgesetz diskutiert. Dies wäre rechtlich zwar möglich, allerdings benötigt man für eine Verfassungsänderung eine 2/3-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat, was eine hohe Hürde darstellt

Warum ist eine „asymmetrische Informationsverteilung“ problematisch und welche Gegenmaßnahmen kann der Staat ergreifen?


Eine der Grundannahmen des vollkommenen Marktes ist die „Informationstransparenz“, also dass alle Marktteilnehmer den gleichen Informationsstand haben. Bei „asymmetrischer Informationsverteilung“ hingegen hat i. R. eines Geschäfts eine Partei einen Informationsvorsprung (private Information) gegenüber der anderen.

Dies kann volkswirtschaftlich sinnvolle Projekte verhindern. Es treten „Moral Hazard“ und „Adverse Selection“ auf:

  • „Moral Hazard“ beschreibt das Phänomen, dass nach Vertragsabschluss die besser informierte Partei ihren Informationsvorsprung ausnutzt und sich nicht nach dem Sinn und Zweck des Vertrags verhält, diesen jedoch auch nicht verletzt.

  • Bei der „Adverse Selection“ werden Informationsasymmetrien von Marktteilnehmern mit einem schlechten Risikoprofil (hohes Risiko) ausgenutzt. Sie schließen bspw. im Wissen um ihr höheres Risiko bessere Versicherungen ab oder nehmen Kredite bei einer Bank auf. Dies ist für sie günstig, da die von der Versicherung oder Bank berechnete Risikoprämie mangels Kenntnis über das tatsächliche Risikoprofil auf ein durchschnittliches Risiko ausgelegt ist. Bei Kenntnis hätte die Versicherung hingegen die Verträge entweder nicht oder nur zu einem höheren Preis abgeschlossen. Somit verbleiben letztlich nur die schlechten Risiken als Nachfrager im Markt.

Der Staat kann dem entgegentreten, indem er die Informationsverteilung zwischen Anbietern und Nachfragern durch Regulierungsmaßnahmen (bspw. Einführung von Gütesiegeln oder Mindestqualitätsstandards) beeinflusst.

Inwiefern benötigt das „externe Rechnungswesen“ Erkenntnisse aus dem „internen Rechnungswesen“?


Das „externe Rechnungswesen“ benötigt die Ergebnisse der Kostenrechnung für die Bewertung von Vorräten an halbfertigen und fertigen Erzeugnissen sowie selbsterstellten Vermögensgegenständen des Anlagevermögens. Ein wichtiges Instrument des „internen Rechnungswesens“ ist dabei der „Betriebsabrechnungsbogen“ (BAB) aus der Kostenstellenrechnung, der in Tabellenform die Kosteninformationen für die Kostenträgerrechnung aufbereitet. Zunächst werden die einzelnen betrieblichen Kostenstellen spaltenweise aufgeführt, beginnend mit den Hilfskostenstellen, anschließend mit den Hauptkostenstellen. Dabei ist es das erste Ziel des BAB, die innerbetrieblichen Leistungen zu verrechnen, d. h. die Gemeinkosten der Hilfskostenstellen müssen auf die Hauptkostenstellen verteilt werden. Zeilenweise werden die verschiedenen Kostenarten aufgeführt, beginnend mit den Einzelkosten, anschließend mit den primären und danach den sekundären Gemeinkosten. Auf dieser Grundlage werden als weiteres wichtiges Ziel des BAB die Kalkulationssätze rechnerisch ermittelt, um das Verhältnis zwischen Einzel-und Gemeinkosten festzustellen. Diese Kalkulationssätze werden anschließend im Rahmen der Kostenträgerrechnung zur Verrechnung der Gemeinkosten der Hauptkostenstellen verwendet.

Das „externe Rechnungswesen“ verwendet den BAB für die Bestimmung der Herstellungskosten (§ 255 Abs. 2 HGB), allerdings nach zahlreichen Korrekturen, um den gesetzlichen Anforderungen bei der Bestandsbewertung zu entsprechen (v. a. die Herausrechnung der kalkulatorischen Kosten sowie der Vertriebskosten, die handels- und steuerrechtlich nicht einbezogen werden dürfen).

Was ist Anlagendeckungsgrad?

StB hat in seiner Bilanz Anlagendeckungsgrad von 200 % - ist das gut?

Kennziffer zur Beurteilung der finanziellen Verhältnisse eines Unternehmens. Wird das Anlagevermögen durch Eigenkapital und eventuell auch durch langfristig zur Verfügung stehendes Fremdkapital mindestens zu 100 % gedeckt, so spricht man von einem stabilen Unternehmen. Der Deckungsgrad sollte nicht unter 100 % liegen.

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Die Idealforderung besagt, dass das Anlagevermögen voll durch Eigenkapital, das dem Unternehmen unbegrenzt zur Verfügung steht, finanziert sein soll (Deckungsgrad A). Diese Forderung hatte in früheren Jahren bei relativ geringem Anlagevermögen und guter Eigenkapitalausstattung ihre Berechtigung. Heute ist sie für den Durchschnitt der Unternehmen nicht erfüllbar. Der Deckungsgrad B entspricht eher den heutigen Anforderungen; er fordert, dass neben dem Eigenkapital auch langfristiges Fremdkapital zur Finanzierung von langfristigem Vermögen herangezogen werden kann. Teilweise wird auch der Deckungsgrad C ermittelt, der davon ausgeht, dass nicht nur langfristiges Anlagevermögen, sondern auch langfristig gebundenes Umlaufvermögen (eiserne Bestände) langfristig finanziert sein sollten. Diese Forderung ist inhaltlich sinnvoll, aber wenig praktikabel, weil das langfristig gebundene Umlaufvermögen für den externen Abschlussanalytiker schwer zu ermitteln ist. Allgemein ist bei Anwendung dieser Kennzahl Vorsicht geboten, da sinnvolle Grenzwerte nicht generell vorgegeben werden können

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Alina P.

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