Buffl

Deliktsrecht

SP
von Sebastian P.

Sonderfall: Produkthaftung


Besteht eine mittelbare Produzentenhaftung nach § 823 Abs. 1 BGB?


(Hersteller H-GmbH stellt PKW her. Vertragshändler V kauft diesen und verkauft ihn an K. Gebrauchsanweisung und Nachbesserungsgarantie der H-GmbH werden K übergeben.  Gaspedal kaputt. K kann nicht bremsen und Schaden am PKW von 5.000 €. Ansprüche K gegen H-GmbH?)

Der H-GmbH könnte das in Verkehr bringen eines fehlerhaften Produktes bzw. das Unterlassen der Prüfung auf Mangelfreiheit vorzuwerfen sein. Das in Verkehr bringen hat jedoch nicht unmittelbar zu einer Rechtsgutverletzung geführt, sondern erst durch Hinzutreten weiterer Umstände. Insofern handelt es sich um eine mittelbar schädigende Handlung. Da in derartigen Fällen der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit nur schwer abzugrenzen ist, ist zur Vermeidung von zufälligen Ergebnissen eine solche ebenso wie ein Unterlassen nur zurechenbar, sofern eine Verkehrssicherungspflicht verletzt ist.

Nach den Grundsätzen der Produzentenhaftung sind einem Hersteller vier produktionsbezogene Verkehrssicherungspflichten auferlegt:

(1) Konstruktionspflicht (Phase im Ingenieurbüro)

= Produkte müsse nach dem Stand der Technik entworfen sein

→ in der Regel alle Produkte fehlerhaft

(2) Fabrikationspflicht

= Produkte müssen so gestaltet sein, dass menschliches Fehlverhalten und Fehlfunktionen der Maschine korrigiert werden können, z.B. geschultes Personal, Überwachung und Endkontrolle

→ in der Regel einzelnes fehlerhaftes Produkt, sog. Montagsauto

(3) Instruktionspflicht

= der Hersteller muss den Verbraucher vor den Gefahren warnen, die aus der Verwendung des Produkts entstehen

(4) Produktbeobachtungspflicht

= Der Hersteller muss sich nach Auslieferung der Ware über Gefahrenlagen bei Verwendung informieren

§ 826 BGB


Liegt im VW-Skandal ein Schaden vor? Liegt eine Sittenwidrigkeit? Sind Nutzungen im Wege der Vorteilsanrechnung zu berücksichtigen?

I. Schaden

1. Mangelbedingter Minderwert (+) (aber das würde nur dazu führen, dass man den mangelbedingten Minderwert ersetzt bekommt, nicht aber eine Rückzahlung des Kaufpreises)

2. „Rufschädigung“: str., jedenfalls keine Rückabwicklung

3. Vertragsschluss als Schaden (Belastung mit einer ungewollten Verbindlichkeit): Geht nur über die Lehre des subjektiven Schadenseinschlags; hier: Es wurde vorgetragen, dass man einen Beitrag zur Umwelt leisten wollte, was man gerade wegen Abgaswerten nicht mehr tue; Die Einbuße des Käufers  bestehe nicht darin, ein mangelbehaftetes Fahrzeug erhalten zu haben, sondern in dem auf falschen Vorstellungen über die Eigenschaften basierenden Eingriffs in die Vertragsfreiheit: der Schaden besteht somit darin, dass K durch einen ungewollten Vertragsschluss eine Leistung erhalten hat, die für seine Zwecke – umweltfreundliches Fahren – nicht voll brauchbar war. daher Schaden (+)

II. Täuschung: Keine unmittelbare Täuschung bei § 826 BGB erforderlich

III. Sittenwidrigkeit (+): Profitgier durch Senkung Herstellungskosten; Täuschung Allgemeinheit; Belastung Umwelt durch Nichteinhaltung Abgaswerte; Kein Beitrag zur Aufklärung seitens VW-AG (Exkurs: Sofern Kauf erst nach Bekanntwerden Dieselskandal erfolgt, liegt eine sittenwidrige Schädigung nicht vor, weil dann eine Arglosigkeit des Käufers fehle)

IV. Vorsatz § 31 BGB analog (Zurechnung); keine Schädigungsabsicht/Stofflgleichheit wie bei § 263 StGB

V. Rechtsfolge: Schadensersatz

1. Rückabwicklung: Rückzahlung des Kaufpreises (Schadenskompensation nach § 251 BGB)

2. Grundsatz der Vorteilsanrechnung (Sinn und Zweck des Schadensrechtes): Nutzungen

a) tvA: (–);

Arg.: Keine Vorteilsanrechnung bei vorsätzlich sittenwidriger Schädigung;

Arg.: K erlangt den Vorteil der Nutzung von V, nicht von der VW-AG (schädigendes Verhalten ist nicht kausal für Vorteil);

Arg.: § 817 S. 2 BGB analog

Arg.: bei Verbrauchern kein Nutzungsersatz § 475 Abs. 3 S. 1 BGB

b) h. M. (+)

kein Sanktionsgedanke im BGB

VW-AG tritt an die Stelle des V

§ 817 S. 2 BGB ist auf BerR beschränkt

§ 475 Abs. 3 S. 1 BGB betrifft Nacherfüllung, ansonsten muss Verbraucher aber ganz normal Nutzungen ersetzen

Gesamtschuld (§§ 421 ff. BGB): Gleichstufigkeit der Haftung


Wie ist die Gesamtschuld von der cessio legis und von § 255 BGB abzugrenzen?

Die Haftung der Schuldner müsste gleichstufig sein. Daran fehlt es, wenn einer der Schuldner von vornherein als Letztverantwortlicher haftet. Ob dies der Fall ist, ist durch eine wertende Betrachtung des Einzelfalls zu ermitteln.


1. Cessio legis: Gleichstufigkeit (–): Es steht vorherein fest, dass der Schuldner nur vorläufig haftet und der andere letztverantwortlich ist.


2. Abgrenzung zu § 255 BGB

Gleichstufigkeit liegt in Abgrenzung zu § 255 BGB vor, wenn einer der Schuldner bei wertender Betrachtung im Einzelfall nicht von vornherein als Letztverantwortlicher haftet

§ 255 BGB dient dazu, eine doppelte Begünstigung des Eigentümers zu vermeiden und soll dem leistenden Schuldner einen vollständigen Rückgriff auf den Letztverantwortlichen ermöglichen. Dann muss aber  auch feststehen, dass nur dieser vollständig haften soll. Anderenfalls bieten die flexibleren Möglichkeiten der Gesamtschuld die bessere Alternative.


→ Objektive betrachtet gleiche Tatbeiträge (auch wenn sie ggf. subjektiv unterschiedlich sind): Gleichstufigkeit (+)

→ Objektiv betrachtet ungleiche Beiträge: Gleichstufigkeit (–), § 255 BGB (+)


Ein Tatbeitrag liegt bereits vor, wenn er nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele. Wenn ein gutgläubiger Erwerber eine Sache von einem Dieb weiterveräußert, hat er einen Tatbeitrag geleistet. § 421 ff. BGB finden Anwendung. Da ihm subjektiv aber nichts vorwerfbar ist, haftet er im Innenverhältnis nach § 421 ff. BGB wohl zu 0 %. Insofern können die §§ 421 ff. BGB das gleiche Ergebnis erzielen wie § 255 BGB, aber sie müssen es halt nicht! Eine flexible Lösung ist möglich

Gesamtschuld (§§ 421 ff. BGB): Rechtsfolgen


Was ist das Problem bei § 423 BGB im Verhältnis zu den anderen Gesamtschuldnern? Auf welche Art und Weise ist ein Erlass wirksam?

I. Grundgedanke

→ grundsätzlich steht es jedem Gläubiger nach Belieben frei, mit seinem Schuldner einen Erlass nach § 397 BGB zu vereinbaren

→ in der Gesamtschuldsituation ist jedoch zu beachten, dass durch den Erlass gegenüber einem Gesamtschuldner keine Benachteiligung der anderen Gesamtschuldner eintreten darf

→ diese Benachteiligung ergibt sich daraus, dass jeder der Gesamtschuldner gegenüber dem Gläubiger in Höhe von 100 % haftet und erst nach dieser „Vorleistung“ von den übrigen Gesamtschuldnern Ausgleichung verlangen kann

→ ist jedoch einer der Gesamtschuldner aus der Haft entlassen, so wird diese Ausgleichsmöglichkeit zu Lasten des „vorleistenden“ Gesamtschuldners negativ beeinträchtigt

→ der Erlass ist daher (richtet man sich allein nach dem Wortlaut) nur gegenüber allen Gesamtschuldnern oder aber gar nicht möglich


II. Anwendungsfälle

1. Gesamtwirkung

Der Gläubiger vereinbart mit einem Gesamtschuldner den Erlass und beide vereinbaren, dass damit das gesamte Gesamtschuldverhältnis aufgehoben wird (=befreiende Wirkung gegenüber allen)

2. Einzelwirkung

Der Gläubiger macht gegenüber einem der Schuldner deutlich, dass er ihn nicht mehr in Anspruch nehmen wird. Er „entlässt“ ihn jedoch nicht aus der Haftung, den dadurch würde ein späterer Innenregress gem. § 426 Abs. 1 S. 1 BGB des anderen Gesamtschuldners vereitelt. Daher hat der privilegierte Gesamtschuldner jetzt eine Einrede gegen den Gläubiger und kann sich seiner Inanspruchnahme durch den Gläubiger verweigern; er haftet jedoch weiterhin normal nach § 426 Abs. 1 S. 1 BGB gegenüber dem anderen Gesamtschuldner

3. Beschränkte Gesamtwirkung

Der Gläubiger entlässt einen der Gesamtschuldner vollständig aus der Haftung und verzichtet gleichzeitig gegenüber dem anderen Gesamtschuldner auf seine Forderung in der Höhe, in der der verbleibende Gesamtschuldner von dem entlassenen Gesamtschuldner im Zahlungsfall nach § 426 Abs. 1 S. 1 BGB Regress erlangt hätte. So ergibt sich rechnerisch trotz vollständiger Entlassung des einen Gesamtschuldners kein Nachteil für den verbleibenden Gesamtschuldner

Gesamtschuld (§§ 421 ff. BGB): Gestörte Gesamtschuld


Was ist eine gestörte Gesamtschuld?

Eine gestörte Gesamtschuld liegt vor, wenn eine Gesamtschuld nur deshalb nicht entsteht, weil einer der potentiellen Gesamtschuldner aufgrund einer gesetzlichen oder vertraglichen Haftungsprivilegierung nicht haften.


Es geht hier darum, ob ein nicht privilegierter Schuldner (S1) einen Regressanspruch nach § 426 Abs. 1 S. 1 BGB gegen einen privilegierten Schuldner (S2) hat, obwohl mangels “Gleichstufigkeit”/mehrerer Schuldner gerade keine Gesamtschuld besteht.


Fallkonstellation (ausführlich Skript 1. Examen)

(1) Privilegierung nach § 1664 Abs. 1, § 1359 BGB: § 426 Abs. 1 S. 1 BGB (–), weil Unterlaufen Schutz der Gemeinschaft (Art. 6 Abs. 1 GG)

(2) Vertragliche Privilegierung: § 426 Abs. 1 S. 1 BGB (+), weil sonst ertragliche Privilegierung einen unzulässigen Vertrag zu Lasten Dritter darstellt

(3) Gesetzlicher Privilegierung außer § 1664 Abs. 1, § 1359 BGB: § 426 Abs. 1 S. 1 BGB (–), aber Anspruch Gläubiger → S1 ist um Anteil S2 zu kürzen


Begründung: Eine Privilegierung hat stets die ratio, den Privilegierten gegenüber dem Gläubiger besser zu stellen. Will man diese Privilegierung umsetzen, so muss am Ende der Gläubiger den wirtschaftlichen Nachteil tragen. Ist also ein Schuldner gegenüber dem Gläubiger privilegiert, so verlangt die ratio legis der Privilegierung, dass der Anspruch des Gläubigers gegen den verbleibenden Schuldner gekürzt werden muss. Würde dies nicht geschehen, so hätte letztlich der verbleibende Schuldner als Folge der Privilegierung den wirtschaftlichen Nachteil zu tragen. Dies wäre ungerecht, weil er ja gerade außerhalb der ratio der Privilegierungsnorm steht

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Sebastian P.

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