Buffl

HG5 VL Konzepte der Globalisierung

JK
von J K.

Erläutern Sie die Geschichte des Begriffs „Globalisierung“!

  • Begriffsgeschichte nicht (nur) semantisch, sondern Rekonstruktion der Geschichte des Prozesses eingebettet in weiteren gesellschaftlichen Kontext

    • Identische Begriffe können die Bedeutung wechseln/zeitgleich unterschiedlich verstanden werden —> keine semantische Konstanz Frage: Was war wann damit gemeint?

  • „globus“ (lat.): „Kugel“, „Haufe“

  • „globe“ (engl.): seit ca. 400 Jahren Etablierung im anglophonen Raum (im Zuge des heliozentrischen Weltbildes Kopernikus)

    • Frage nach der Verortung der Menschen in der Welt bzw. im Universum

  • „global“ (engl.): ändert seine Bedeutung von „sphärisch“ zu „weltumfassend“

  • um 1930: „globalization“ taucht in der anglophonen Literatur verschiedentlich auf

  • um 1940: „globalize“ wird als Verb gebräuchlich (Auftreten der Verbform als Marker für wichtigen dynamischen Prozess, Substantiv (z. B. Globus) eher für Zustand)

  • 1951: „globalization“ taucht erstmals in einem Wörterbuch auf (Webster’s Third New International Dictionary of the English Language Unabridged)

  • In den 1960er Jahren: Entwicklung von zwei Debattenstränge in Bezug auf das heutige Verständnis von Globalisierung (begriffliche Ebene)

    • Globalisierung als ökonomielastiger Prozess: Weltweite ökonomische Verflechtung (Stichwort Wirtschaft & Globalisierung)

    • Globalisierung als politiklastiger Prozess: im Zusammenhang mit internationalen politischen Verflechtungen (Stichwort Politik & Globalisierung)

    • Neuere Ebene/Ausrichtung: Globalisierung als Prozess der Auflösung eines territorialisierten, lokalisierten Kultur(en)verständnisses (Stichwort Kultur & Globalisierung)

  • ab 1980: „globalization“ wird in der wissenschaftlichen Literatur populär à Etablierung des Begriffs, wie er heute (häufig) verwendet wird

  • zweite Hälfte der 90er Jahre: Mainstreamverwendung des Begriffs „Globalisierung“ in der (sozial)wissenschaftlichen Literatur

Geographie & Globalisierungsforschung:

  • Erst spät (seit 2000ern) Verbindung von Geographie und Globalisierungsforschung

  • Vernachlässigung der historische Bedeutung des Fachs Geographie

  • Vernachlässigung der Rolle der Sozialwissenschaftler*innen als „Wahrheitsgeber*innen“ für gesamtgesellschaftliche Wahrnehmung von Phänomenen —> durch in der Rezeption stattfindende Zustimmung oder Ablehnung von Theorien und Modellen


Welche Bedeutungsveränderungen erfuhr der Kulturbegriff zwischen dem 18. und dem 20. Jahrhundert?

Kulturbegriff in der Funktion zur Schaffung von Ordnung und Einheiten

  1. Jh.

    • Abgrenzung “Mensch” bzw. “Gesellschaft” von “Natur” und “Religion”

    • Verbindung zu “Bildung” und “Erziehung” im Zuge der Aufklärung

    • menschliche Produktion von Geschichte abgegrenzt von Religions- und Naturgeschichte

    • dynamisches, prozesshaftes Verständnis von “Kultur” —> als die Entwicklung von Menschen und Gesellschaften


      ab ca. 1815

    • zunehmende Verwendung als Charakteristikum von Kollektiven: Ausweitung vom Individuum auf Kollektive (Völker, Staaten, …)

    • gleichzeitig Ausweitung auf weitere Bereiche (Erziehung, Landwirtschaft, …) bzw. auf alle “menschlichen Hervorbringungen” —> Etablierung als allumfassender Begriff, der alles beschreibt, was menschliche Existenz hervorbringt

    • Übergang von der dynamischen “Kultivierung” auf das statische Ergebnis “Kultur” —> “Einfrieren” des Begriffs

  2. Jh.

    • Kulturbegriff etabliert sich als Ausdruck des kolonialen Überlegenheitsgefühls des Westens

    • Vorstellung einer unilinearen Entwicklung zur “Zivilisiertheit” bzw. “Kultiviertheit” in Abgrenzung zu “Wildheit” bzw. “Barbarei”

    • Aufgabe des Abendlandes/Europas “Kultur” und “Zivilisation” “in die Welt zu bringen”

    • hierarchisierender Kulturbegriff

  3. Jh.

    • Alltagssprache: zunehmende Unterscheidung von “Kultur” (als Sphäre des Geistigen, früher praktischer landwirtschaftlicher Begriff) und “Zivilisation” (als materiell-technische Einheit)

    • wissenschaftlich: “Kultur” als Gesamtheit menschlicher Hervorbringungen (symbolisch und materiell)

    • parallel dazu besteht der normativ-bildungbürgerliche Kulturbegriff weiter


Inwiefern verändert Distanz durch die „Schrumpfung der Welt“ ihre Qualität?

  • Fähigkeit der Vernetzung in der Welt: soziale Netze können in kürzerer Zeit über weitere Strecken entstehen und bestehen

  • Prozess der Neuordnung der Welt geht immer mit Änderungen bestehender Prozesse einher

  • Beispiel: “In 80 Tagen um die Welt”, Jules Verne, Mitte 19. Jh. —> andere Qualität von Distanz als heute

  • “Schrumpfung der Welt” geht einher mit Innovationen von Verkehrs-Infrastrukturen und der Fähigkeit von Infrastrukuren Raum zu überbrücken

    • 1869 Öffnung des Suez-Kanals und erste Eisenbahnstrecke Ost-West-Verbindung in Amerika

  • (Globalisierungsprozesse können aber auch gestoppt/rückgängig gemacht werden, z. B. Abschaffung von Überschall-Flugzeugen)

  • Raum bzw. Distanz haben ihre Qualität verändert

    • Vergleich zu mittelalterlichen Karten (Übertragung der Erfahrung der Reise in die kartographische Darstellung, z. B. eine überdimensionale Darstellung von Flüssen, deren Überwindung ein Risiko/Hindernis war)

    • Raum als solcher wird weniger erlebbar (z. B. Gefühl von Geschwindigkeit im ICE oder (Nicht)Wahrnehmung von Tages- und Nachtzeiten im Flugzeug)

    • Distand wird eher in Zeit gemessen/wahrgenommen, statt in Strecke (z. B. Entfernung nach LA sind 11h)

    • vollständige Auflösung/Gleichzeitigkeit von Zeit und Raum im virtuellen Raum bzw. Internet

    • Ergebnis: Veränderung des Wesens von Sozialem im Verhältnis zu Raum und Zeit

  • Hinweis: Darstellung als allumfassende Phänomene bzw. Prozesse ist homogenisierend —> Abkehr von eurozentrischer Weltanschauung, betrifft nicht alls Menschen überall auf der Welt in gleichem Maße


Nennen Sie empirische Beispiele, die deutlich machen, wie sich die vor-globale geographische Perspektive von den „Geographies of Circulation“ als Perspektive unterscheidet!

  • “Geographies of Circulation” als Perspektive auf Forschungsfelder der Geographie (als wissenschaftliche Antwort/Reaktion auf Globalisierungsprozesse)

  • Veränderung des traditionell geographischen Blicks und der Frage “Was ist wo und warum?” hin zu “Was bewegt sich wie (und wo) und warum?”

  • Bedeutung von Mobilisierung und Infrastrukturen nimmt zu —> Funktion zur Ermöglichung von Zirkulation

    • in Form von

      • Logistik, z. B. Transportgeschwindigkeit von Standard-Containern

      • Verteilung, z. B. Kabel, Satelliten

  • in den 1960ern Modernisierungstheorien und -schübe (enorme Infrastruktur-Innovationen)

  • Blick auf mobilisierende Infrastrukturen der Mobilisierung werden heute auch kritisch/problematisierend betrachtet —> nicht nur positive Mobilität, z. B. Mobilwerdung der Tropenmücke oder von CO2

  • Beispiel: “Brain Drain” —> Phänomen der Abwanderung hochqualifizierter Arbeitskräfte aus dem Globalen Süden

    • Abwerden in den Globalen Norden und gleichzeitig Annahme der Entwicklungshemmung im Globalen Süden

    • Kritik daran z. B. in “Die neuen Argonauten” von AnnaLee Saxenian

      • Beobachtung: Leben im Pendelzustand im Silicon Valley, kein dauerhafter räumlicher Wechsel —> stattdessen “Brain circulation”

      • Möglichkeit der Entwicklungschancen und des skill sharings durch Erwerben von Kompetenzen/Aufbau von Netzwerken und Transport dieser in die Herkunftsländer

—> Mobilisierung und die damit zusammenhängende “Schrumpfung von Distanz” wird durch die Perspektive der “Geographies of Circulation” anders wahrgenommen: nicht mehr als Entwicklungshemmnis, sondern als Chance

  • Beispiel “Zollkontrollen - Nationalstaatliche Grenzen werden verwisscht durch globalen Zirkulationsraum

    • Etablierung globaler Standards für möglichst freie Mobilisierung von Waren

    • Möglichkeit der Reaktivierung vorheriger (nationaler) Standards, z. B. während der Corona-Pandemie

—> Aufrechterhalten der Zirkulation als neues politisches, soziales und ökonomisches Ziel


Was verstehen Sie unter „global sense of place“ (Massey) als einem Place-Konzept, das Globalisierungsbedingungen angemessen ist?

  • Müssen wir den Begriff „place“ aufgeben (im Zuge von Globalisierungsprozessen) oder können Merkmale eines „global sense of place“ etabliert werden? (analog zu Kulturbegriff)

  • Massey: links-marxistische, politökonomische Denktradition

  • gleichnamige Publikation “A Global Sense of Place”, Doreen Massey, 1991

    • Place-Konzept war schon immer problematisch

    • Identifikation einer Verschärfung der Problematik durch Globalisierungsprozesse

    • Notwendigkeit der Infragestellung des Konzepts

  • Beispiel von Massey: Kritische Reflektion subjektiv emotionale aufgeladener Orte unter wissenschaftlichen Kriterien

    • “my local shopping center”

    • zwei Komponenten

      • Wiedergabe ihrer subjektiven Impressionen (Place als emotionaler Nahraum)

      • Kriterien der Merkmale des Lokalen bestimmt durch nicht-lokale Faktoren (zum Beispiel Anschluss zu Autobahn prägt den Ort)

    • Versuch die eigene, unmittelbare Wahrnehmung einzuordnen in angemessene Formate von Globalisierungsprozessen und place-Konzepten

  • Formulierung von Masseys Verständnis eine “global sense of place”:

  • Place als Knoten eines Netzwes, definiert durch spezifische Ströme von globalen Dingen, die sich an dieser Stelle überschneiden —> keine lokalisierten Phänomene, sondern zirkulierende Elemente, die aufeinandertreffen und den Kern eines Ortes bilden

    • Ort als Ergebnis globaler Strömungen

    • Dynamisierung des Orts-Verständnisses: Für Verständnis eines Ortes ist ein globales Verständnis notwendig


Was verstehen Sie unter Kreativwirtschaftspolitik? In welchem Kontext ist sie entstanden?

Fallstudie: Kreavivwirtschaftspolitik (Beispiel für Mobilität von Politik)

  • Ausgangspunkt der global-lokalen Kreativwirtschaftspolitik ist trotz vielseitiger Kritik: “The Rise of the Creative Class”, Richard Florida

    • Frage: Haben wir (der Globale Norden) ein ökonomisches Entwicklungsproblem?

    • Florida geht davon aus, dass die post-fordistischen, post-industriellen Staaten des Globalen Norden ein fundamentales Wirtschaftsproblem haben, das möglicherweise bewirkt, dass Wirtschaftswachstum zukünftig nicht mehr möglich sein wird

  • Ausgangsanalyse: Produktion im Globalen Norden wird immer teurer, dahei kein Aufbau/Ausbau eines auf Produktion basierenden Wirtschaftsmodells möglich —> Verlagerung in den Globalen Süden

  • Kritik: Entstehung von smart cities, Industrie 4.0, Verschmelzung von Industrie und Dienstleistung legt nahe, dass eher eine Transformation des verarbeitenden und produzierenden Gewerbes om Globalen Norden stattfindet, statt eine Auflösung/vollständige Verlagerung in den Globalen Süden

  • Lösung (nach Florida): Konzentration auf Innovation und Kreativität (um vermeintliches Fehlen von Produktion auszugleichen)

  • Folge: in Regionen des Globalen Nordens (im Sinne nationaler Strategien, nicht globaler/internationaler) entsteht eine globale Konkurrenz um “high potentials”

  • Vorgehensweise/empirische Messung seiner These: Zahlen des Wirtschaftswachstums können zeigen, dass es Indikatoren gibt, die einen Zusammenhang von kreativen Köpfen und Wirtschaftswachstum geben kann (z. B. in Form der Anzahl von Patenten, die angemeldet werden)

  • Warum werden manche Regionen zu dynamischen Wirtschaftsräumen?

    • Korrelation von High Potentials und kreativem Milieu (ausgezeichnet durch hohen Freizeitwert und kulturelle Offenheit)

  • Ergebnis: Modell regionaler/kommunaler Entwicklung (nach der Annahme: jobs follow people)

    • Wirtschaftswachstum korreliert mit High Potentials

    • High Potentials korrelieren mit Innovativität und Kreativität

    • Innovativität und Kreativität korrelieren mit kreativem Milieu

  • nach dieser Annahme entstehen neue Aufgaben für die WIrtschaftsförderung, z. B. Förderung von Kultur

  • Kritik an Florida betreffen

    • Empirie und Methode (z. B. Ermittlung des gay index)

    • RIsiko der Elitenförderung

    • inhaltliche Kritik

    • Instrumentalisierung von Kunst und Kultur als wirschaftliche Zwecke

    • neoliberaler Charakter (Überhöhung des kreativen Subjekts und der Responsibilisierung)

  • (vorsichtige) Anknüpfungen an These von Florida: Was sind heute relevante Standortfaktoren? Wie muss die Standortpolitik städtischer Wirtschaftsförderung aussehen?

  • Auswirkungen auf Stadtpolitik: Hinwendung des Blicks zum offenen, kreativen Milieu

    • z. B. in Form von Beauftragungen städtischer Kreativwirtschaftsberichte (auch in FFM als Auftragsarbeit am humangeographischen Institut (dort nur Bestandsaufnahme ohne tiefere kritische Betrachtung oder Strategieansätzen)


Erläutern Sie, inwiefern einer politischen Strategie gleichzeitig unterschiedliche Rationalitäten des Regierens zugrunde liegen können?

Wie übersetzt sich die (pseudo)wissenschaftliche These Florias in die Praxis und Politik?

  • Notwendigkeit von Netzwerken und Consulting (z. B. durch Erstellen von Kreativwirtschaftsberichten in der Wissenschaft)

  • Was ist die Problembeschreibung? Regionen des Globalen Nordens müssen etwas für ihren Wirtschaftswachstum tun —> reine Annahme, aber Wissenschaft beeinflusst Politik (Prozess einer Problematisierung)

Vorgehensweise der Anwendung

  • Bestandsaufnahme (z. B. Kreativwirtschaftsberichte)

  • Formulierung einer Stratgie

  • Entwicklung und Entscheidung von Governance-Instrumenten

  • Implementierung der Politik

  • Evaluation

4 Säulen der Kreativwirtschaftspolitik (in DE)

  • Kreativität zunehmend als individuelle Kapazität —> Stimulation der Bereitschaft zur Kreativität notwendig (aber auch immer als unternehmerische Subjekte)

  • Kreativität ist das Ergbenis eines bestimmten Milieus, das gepflegt werden muss

  • Kreativität kommt auch von außen —> internationale Bekanntheit ist notwendig (Leuchtturmpolitik)

  • Bestimmte “Infrastrukturen” sind notwendig, für die Anziehung kreativer Köpfe

Beispiel einer konkreten Implementierung (Übersetzung einer Idee in die reale Politik) in Frankfurt

  • Orientierung an lokalen Bedürfnissen und Phänomenen

  • Leerstand von zweitklassigem Wohnraum in der Stadtentwicklung hemmend —> Raummangel und Finanzierungsschwierigkeiten von Start-Ups, dadurch Blockade von Entwicklung

  • Politische Antwort: Veröffentlichung “Frankfurter Programm zur Förderung des Umbaus leerstehender Räume für Kreative. Richtlinien für Vergabe von Bauzuschüssen”, 2010

    • Zusammenarbeit von Wirtschaftsförderung, Stadtplanungsamt und Kulturdezernat (verschiedene Interessensschwerpunkte —> dadurch Abschwächung der jeweiligen Anforderungen, “Verwässerung” durch Kompromisse)

  • Ergebnis: RADAR als ausführende Institution der Richtlinie, bestehend aus Leuten aus der Kunstbranche (Standort: Basishaus, Gutleutviertel)

    • höhere Autorität als Einzelpersonen

    • Anfrage von Leerstand bei Eigentümer*innen für temporäre oder dauerhafte Nutzung durch Künstlerinnen



Inwiefern ist das Beispiel der Aussiedler/Spätaussiedler aus dem ehemaligen Ostblock typische für das Spannungsfeld „Migration und Identität“ unter Globalisierungsbedingungen?

Beispiel 1: Bewegung in den 1990ern in Form eines Zuzugs in die BRD von Aussiedlern (deutscher Abstammung aus einem Staat der ehemaligen Sowjetunion)

  • Grundlegende Veränderung des Migrationsgeschehens in der BRD

  • Zeitraum von etwa zehn Jahren (1988-1999)

  • Anstoß einer gigantischen politischen Debatte: nicht nur Zunahme und Intensivierung einer bestehenden Migration, sondern komplett neue Form der Migration

  • Unterschied/Besonderheit: keine Identiät/Heimat an dem Ort, von dem sie kommen —> keine national und identiäre Anbindung an den Ursprungsort (eigentliche nationalstaatliche Logik)

  • Beispiel: Das russlanddeutsche “Haus der Heimat” in Nürnberg

    • Forschungsperspektive auf Identitätsformatierung und -infragestellung von Russlanddeutschen

    • in Russland als Deutsche wahrgenommen (teilweise seit mehreren Generationen dort)

    • Migrationserfahrung: Als Aussiedler in Deutschland als Russen/Ausländer wahrgenommen

    • tiefgreifende Auswirkungen auf Kategorien und Identitäten

    • “keine Russin”, “keine Deutsche” —> Identität geprägt durch Negativbezeichnung

    • von Migrationsschock zu Angehörigkeit zu zwei Nationalitäten als “Russlanddeutsche” (Nationalkonzept bis dahin eigentlich als exklusiv verstanden)

    • Verbindungen zu Herkunftsregionen bleiben erhalten, Bezeichnung als “Bürger zweier Welten” —> aber nicht als erster Zustand (zeitliche Komponente), sondern als Ergebnis eines Prozesses der Erfahrung der zweifachen Absprache einer eindeutigen Identität

    • aber keine einheitliche Erfahrung, sondern immer subjektiv

    • Kritik: Lassen sich die Auseinandersetzungen mit den Migrationserfahrungen in diesem Forschungsrahmen sinnvoll erfassen? —> tendiert zu einer vereinfachenden Einordnung in Prozenten (“70% deutsch, 30% russisch” bzw. “mehr oder weniger integriert”)


Erläutern Sie das Konzept „Third Space“ sowohl theoretisch-konzeptionell wie auch anhand eines empirischen Beispiels!

  • Homi Bhabha (Literaturwissenschaftler), “The Location of Culture” —> postkoloniale Perspektive auf Identität und Migration

  • Feststellung wichtiger Rahmenbedingungen als aus einer postkolonialen Konfiguration heraus entstanden, lassen sich aber auch als Rahmenbedingungen der Globalisierung wahrnehmen

  • Überschneidung: Kritisches Nachdenken über die Verbindung von Identiätsbildungsprozessen und räumlichen Kategorien (Kolonien, Globaler Norden/Süden, usw.)

  • Haben die, in der Globalisierung zunehmenden, Begegnungen mit “dem Anderen” dazu geführt, dass binäre Zuschreibung viel stärker grundsätzlich in Frage gestellt werden müssen und auch stärker in Frage gestellt werden?

    • Eröffnung eines neuen Diskursraum, in dem Fragen der Identität neu behandelt werden können —> “Third Space”

    • Als Kritik an binärem Ordnungssystem in z. B. “deutsch” bzw. “russisch” —> nicht mehr Globalisierungssituation angemessen

    • positiver Blick auf globales Migrationsgeschehen und damit zusammenhängende Änderungen der Identitätsbildung (durch Netzwerke gebildet, anstatt binär konstituiert)

„[A space that] … challenges our sense of the historical identity of culture as a homogenizing, unifying force, authenticated by the originary past, kept alive in the national tradition of the people.” (Homi Bhaba. 1994. The Location of Culture. London: Routledge.)

An indeterminate, fluid, mutable, liminal space that is neither dominated by one group or another. It … refers to a space positioned in between the colonizer and colonized characterized by hybridity in which translation and negotiation can happen. Here, the conjunction of colonizer and colonized space produces a space that is productive of new possibilities, creating new cultural meanings and inclusionary politics.” („Third Space“ in: Castree, Noel, Rob Kitchin und Alisdair Rogers. 2013. A Dictionary of Human Geography (online version). Oxford)


Erläutern Sie das Konzept des „transnationalen/globalen sozialen Raums“ anhand der sog. „neuen Argonauten“!

Beispiel 2: Rückkehr aus den USA nach Taiwan von 1976 bis 1997

  • basiert auf dem Buch von AnnaLee Saxenian “Die neuen Argonauten” über das Silicon Valley

  • Anstoß einer Debatte über veränderte Migrationsmuster und damit verbundenen Vergemeinschaftungs- und Vergesellschaftungsmustern

  • Saxenian stellt fest, dass ausländische, hochqualifizierte Arbeitskräfte, die aus dem Globalen Süden kommen und in den Globalen Norden migrieren, auch im Silicon Valley eine entscheidende Rolle spielen —> als “die neuen Argonauten”

  • Kritik an Idee des “brain drain”: Beobachtung, dass eine erhebliche Zahl an Personen eine gewisse Zeit in den USA verbringt und dann zurückkehrt in die Herkunftsländer im Globalen Süden —> “globale Pendler”/dauerhaft auf der Reise

  • Bewegung in wissensintensiven Milieus und remigrieren temporär mit gezielter Intention, in der Herkunftsregion Unternehmen zu gründen —> Etablierung/Institutionalisierung und Stabilisierung neuer Arten multipler Verbindungen bzw. transnationalen Netzwerken zwischen unterschiedlichen Regionen in der Welt durch die Migration der neuen Argonauten

  • Entwicklungsökonomisch werden dadurch drei große Entwicklungshemmnisse für den Globalen Süden reduziert bzw. überwunden

    • Globaler Süden ist nicht mehr von “high tech knowledge” abgeschnitten

    • Globaler Süden ist nicht mehr von Risikokapital abgeschnitten (globalen “high tech Regionen”

    • Globaler Süden nicht mehr ohne Zugang zu globalen Märkten

  • Identifikation von Zielländern nach Saxenian (Auswahl): Taiwan, China, Indien, Israel, Mexiko, Philippinen

  • Neue Argonauten als “Globalisierungs-Kombinierer”

    • Talentpools

    • Netzwerke

    • Kostenvorteile

      • Kollektivitätskompetenz (Fähigkeit aufgrund bestimmter Kenntnisse und Praktiken, neue Kontakte herzustellen)

„The existence of a network of technologists with strong ties to global markets and the linguistic and cultural skills to work in their home country is proving to be a more efficient and compelling way to overcome the limitations of distance.“ (Saxenian, AnnaLee. 2006. The New Argonauts Regional: Advantage in a Global Economy. Cambridge, Mass. S. 14)

 

„Silicon Valley’s role as the dominant technology centre will most likely continue to diminish. This does not imply decline, rather that it will become one of many nodes in a more open and distributed global network of differently specialised and complementary regional economies.“ (Saxenian, AnnaLee. 2006. The New Argonauts Regional (Word Into Action). Washington: IMF/World Bank. S. 110.)


Verallgemeinerung der Annahmen von Saxenian über das Silicon Valley:

  • Betrachtung von transnationalen sozialen Räumen (bereits 10 Jahre früher bei Ludger Pries (Soziologe))

  • Wie können neue Formen von sozialem Zusammenhalt in diesem Austausch entstehen und bestehen?

„…relativ dauerhafte, auf mehrere Orte verteilte bzw. zwischen mehreren Flächenräumen sich aufspannende verdichtete Konfigurationen von sozialen Alltagspraktiken, Symbolsystemen und Artefakten. Sie sind […] in verschiedenen Territorien bzw. locales verankert, die wiederum in andere sozialräumliche Einheiten – z.B. von nationalen Container-Gesellschaften – eingewoben sind.” (Pries, Ludger. 2008: 195.)


Was meint Latour, wenn er von der „Tyrannei der Geographie“ spricht?

  • Historischer, traditioneller Raumbegriff: Raum ist das, was die physische Distanz zwischen Menschen und Lebewesen und Dingen entstehen lässt —> Lage-Distanz-Relation

  • in der Geographie lange Zeit einziger Raumbegriff —> Kritik: “Tyrannei der Geographie”, nach Latour

„The difficulty we have in defining all associations in terms of networks is due to  the prevalence of geography. It seems obvious that we can oppose proximity and connections. However, geographical proximity is the result of a science – geography –, of a profession – geographers –, of a practice – mapping system, measuring, triangulating. Their definition of proximity and distance is useless for  ANT [Actor-Network-Theory] – or should be included as one type of connections, one type of networks as we will see below. All definitions in terms of surface and  territories come from our reading of maps drawn and filled in by geographers. Out of geographers and geography, ‘in between‘ their own networks, there is no such  thing as a proximity or a distance which would not be defined by connectibility. […] The notion of network helps us to lift the tyranny of geographers in defining space and offers us a notion which is neither social nor ‘real‘ space, but associations.“ (Latour, Bruno. 1996. On actor-network theory: A few clarifications. In: Soziale Welt 47 (1996, 4). S. 369-381.)

  • Befreiung von der Tyrannei der Geographie notwendig, durch Topologie des Raumverständnis des Netzwerks


Author

J K.

Informationen

Zuletzt geändert