Wichtiges
Entscheidend für Abgrenzung zwischen Fahrlässigkeit und Vorsatz: Beim Vorsatz entscheidet sich der Täter für den Erfolg
Grund für Fahrlässigkeitsdelikte: Zurückbleiben hinter Sorgfaltspflichten
Strafbarkeit nur (+), wenn sie normiert ist, § 15 StGB
Worum handeltes sich bei den Fahrlässigkeitsdelikten?
h.M.: Fahrlässigkeit ist die ungewollte Verwirklichung des gesetzlichen TB durch eine pflichtwidrige Vernachlässigung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt.
Im Einzelfall nähere Konkretisierung erforderlich
Gibt keine Legaldefinition
Kennzeichen: Verletzung einer Sorgfaltspflicht und darüber hinaus folgende unvorsätzliche Herbeiführung des Erfolgs
Kein Versuch, keine Teilnahme (Einheitstätergedanke)
Objektive Vorhersehbarkeit
= Welche Sorgfalt wird verlangt
Objektiver Maßstab: Kein Abstellen auf dem Täter, sondern vielmehr objektiver Maßstab ex ante in der Lage des Täters und aus dem Verkehrskreis des Täters
Verkehrskreis des Täters: ggfs. besondere Sorgfaltspflichten für bestimmte Personengruppen
Bewusste und unbewusste Fahrlässigkeit
Unbewusst fahrlässig handelt der Täter, wenn er bei einem bestimmten Tun oder Unterlassen die gebotene Sorgfalt außer Acht lässt und infolgedessen den gesetzlichen TB verwirklicht, ohne dies zu erkennen.
Der Täter sieht den Erfolgseintritt also nicht voraus
Bewusst fahrlässig handelt der Täter, wenn er es für möglich hält, dass er den gesetzlichen TB verwirklicht, aber pflichtwidrig darauf vertraut, dass er ihn nicht verwirklichen werde
Unterscheidung hat i.d.R. keine Auswirkungen
Grad der Fahrlässikeit:
Unterscheidung zwischen einfacher Fahrlässigkeit und Leichtfertigkeit
Leichtfertig handelt der Täter, wenn er die gebotene Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße verletzt.
= Täter handelt entgegen den Anforderungen, die jedem ohne weiteres einsichtig sind
= entspricht der groben Fahrlässigkeit im Zivilrecht
= ist eine besondere Kategorie der Fahrlässigkeit
Wird in bestimmten Normen vorausgesetzt:
§ 138 III StGB
§ 178 StGB
§ 251 StGB
§ 261 VI StGB
§ 264 V StGB
§ 306c StGB
§ 308 III StGB
Worum handelt es sich bei der Fahrlässigkeit?
Fahrlässigkeit ist eine eigenständige und vom Vorsatz unabhängige Unrechts- und Schuldform
Somit: Regeln des AT, die Vorsatz voraussetzen, sind nicht anwendbar
Regelungen zu Irrtümern
z.B. Tatbestandsirrtum gem. § 16 StGB beim Fahrlässigkeitsdelikt ausgeschlossen ➔ Tatbestandsirrtum kann aber gerade zu einer Fahrlässigkeitsstrafbarkeit führen, § 16 I 2 StGB
Regelungen zum Versuch gem. §§ 22 ff. StGB
Grund: Kennzeichnend für den Versuch ist der Wille zur Verwirklichung einer Tat, der im Tatentschluss zum Ausdruck kommt
Regelungen zur Beteiligung, §§ 25 ff. StGB
Mittelbare Täterschaft, Mittäterschaft und Teilnahme nicht möglich
Arg.: §§ 26, 27 StGB setzen eine vorsätzliche rechtswidrige Haupttat voraus
Nur Nebentäterschaft möglich
Jeder Täter muss die Merkmale des Fahrlässigkeitsdelikts selbst vollständig verwirklicht haben
Zurechnung der Tatbeiträge wie bei § 25 II StGB findet gerade nicht statt
Wie kann das fahrlässige Erfolgsdelikt herbeigeführt werden?
Fahrlässiges Erfolgsdelikt kann durch aktives Tun und durch Unterlassen herbeigeführt werden
Abgrenzung schwierig ➔ Bei Fahrlässigkeitsdelikten geht es stets um Sollensanforderungen, die nicht erfüllt werden ➔ hier kann man nicht ständig ein Unterlassen annehmen
z.B. Mindestabstand, den Autofahrer von Radfahrern halten müssen
Ein aktives Tun liegt vor, wenn der Täter den Unrechtserfolg durch eine bestimmte, in ihrem Handlungsvollzug sorgfaltswidrige Tätigkeit verursacht hat.
Ein Unterlassen liegt vor, wenn der Täter einen bestimmten Unrechtserfolg trotz Handlungspflicht nicht verhindert hat und diese Untätigkeit ihrerseits auf einer Sorgfaltswidrigkeit beruht.
Abgrenzung im Einzelnen nach dem Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit
Bsp.: LKW-Fahrer F überholt den Radfahrer R mit einem zu geringen Sicherheitsabstand. R gerät unter die Hinterreifen des LKW und verstirbt.
Überholen mit zu geringem Seitenabstand und Überrollen des Radfahrers = aktives Tun
Mittäterschaft bei Fahrlässigkeitsdelikten
Ist nicht möglich => gemeinsamer Tatentschluss fehlt
Fahrlässiges Zusammenwirken ist nur in Form der Nebentäterschaft möglich
Schema
A. Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung / Körperverletzung gem. § 222 / 229 StGB (z.B.)
TB
Eintritt des tatbestandlichen Erfolges
Kausalität zwischen Handlung und Erfolg
Objektive Sorgfaltspflichtverletzung
Objektive Zurechnung
ggfs. obj. Strafbarkeitsbedingungen
Rechtswidrigkeit
Schuld
Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe; Absehen von Strafe
Prozessvss.
Fahrlässigkeitsdelikte gibt es in Form der Erfolgs- und Tätigkeitsdelikte
Vss. bei den Erfolgsdelikten: Eintritt des Erfolgs durch ein vom Willen beherrschtes oder beherrschbares Verhalten, also ein Tun oder Unterlassen
z.B. Tod/Körperverletzung des Opfers (§ 222/§229)
Erfolgseintritt durch aktives Tun oder
Erfolgseintritt durch Unterlassen:
a. Handlungsmöglichkeit
b. Erforderlichkeit
c. Garantenstellung
d. Entsprechungsklausel
Abgrenzung zwischen aktivem Tun und Unterlassen nach der sog. Formel vom Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit
= Abgrenzung wie bei den Vorsatzdelikten
=> Beim schlichten Tätigkeitsdelikt
Beim schlichten Tätigkeitsdelikt: Schwerpunkt des Fahrlässigkeitsvorwurfs liegt in der Verwirklichung des Unrechtstatbestands durch das im Gesetz umschriebene Verhalten
Probleme i.R.d. Erfolgszurechnung entfallen
Bsp.:
§ 161 I StGB
§ 316 II StGB: Fahren im fahruntüchtigen Zustand
Nach der Äquivalenztheorie ist für den Erfolg jede Handlung gleichermaßen kausal, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele.
Ausweitungen durch Äquivalenztheorie werden erst i.R.d. objektiven Zurechnung korrigiert
Beim Unterlassen: hypothetische Kausalität
Hinzudenken von Umständen, die den Erfolg verhindert hätten, wenn die Handlung nicht stattgefunden hätte, ist zulässig
z.B. rettender Krankenwagen, der durch den Täter fahrlässig blockiert wurde
Bei einem „Klimakleber“-Fall ansprechen
Anders als das Hinzudenken anderer hypothetischer Kausalverläufe, die den Taterfolg herbeiführen würden => nicht zulässig
=> BGH
BGH: Täterhandeln ist im Rahmen von § 222 StGB auch dann kausal, wenn ein später handelnder Dritter durch ein auf denselben Erfolg gerichtetes Tun vorsätzlich zu dessen Herbeiführung beiträgt, sofern er nur dabei an das Handeln des Täters anknüpft, dieses also die Bedingung seines eigenen Eingreifens ist.
Der Erfolg bleibt dann zurechenbar
Obj. Sorgfaltspflichtverletzung
Prüfung, ob der Täter die im Verkehrs erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen hat
Objektiv sorgfaltspflichtwidrig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt.
Durch die Handlung muss das erlaubte Risiko überschritten werden
Inhalt, Art und Maß der Sorgfaltspflicht müssen ermittelt werden
=> Inhalt der Sorgfaltspflicht
Orientierung an der Gesamtrechtsordnung
Spezielle Rechtsvorschriften wie z.B. StVO, StVG, Unfallverhütungsvorschriften, Betriebsordnungen, etc.
§ 24a StVG: 0,5-Promille-Grenze ➔ wer einen PKW führt und gegen diese Grenze verstößt, begeht eine objektive Sorgfaltspflichtverletzung
„Klimakleber“-Fall:
§ 1 II StVO verbietet es, andere Verkehrsteilnehmer unmittelbar zu behindern
ggfs. Verstoß gegen § 18 IX StVO => wenn die Aktion auf der Autobahn stattfindet
Aus der Verkehrssitte herrührende Verhaltensmaßregeln, die für den Verkehrskreis des Täters gelten
z.B. Sportregeln, Jagdregeln, Regeln der ärztlichen Kunst
Insb. der Beruf kann eine Sorgfaltspflicht begründen
z.B. Sicherungspflicht eines Arztes, der andere Patienten vor einem aggressiven Patienten schützen muss ➔ Beschützer- und Bewachergarant
Abwägung der Schadenswahrscheinlichkeit und der Schadensintensität, falls keine Regeln bestehen
Sorgfaltsanforderungen umso höher, je höher das Risiko und je höher der zu erwartende Schaden
Vertrauensgrundsatz
Vertrauensgrundsatz: Nach allgemeiner Auffassung braucht sich derjenige, der selbst die gebotene Sorgfalt beachtet darauf vertrauen, dass sich seine Mitmenschen ebenfalls sorgfaltsgerecht verhalten, sofern sich das Gegenteil nicht deutlich erkennen lässt oder aus anderen Gründen eine erhöhte Sorgfalt geboten ist.
Grund: Jedem Verhalten ist ein gewisser Grad an Gefährlichkeit inne, der aber als Ausdruck der sozialen Adäquanz akzeptiert wird
Insb. im Straßenverkehr
Jeder Verkehrsteilnehmer darf sich grds. darauf verlassen, dass sich die anderen Verkehrsteilnehmer genusao wie er selbst an die Verkehrsregeln halten
(-): bei besonderer Gefährlichkeit der Situation ➔ z.B. gefährliche Kreuzung
(-): Wenn mit einem verkehrswidrigen Verhalten zu rechnen ist ➔ z.B. spielende Kinder am Straßenrand
u.A. bei Operationen oder sonstigen Heilbehandlungen
Beteiligte Fachärzte dürfen grds. auf die fehlerfreie Mitwirkung von Kollegen anderer Fachrichtungen vertrauen
Gilt nur solange, wie keine ernsthaften Zweifel an der Ordnungsmäßigkeit der anderen Ärzte bestehen
=> Art und Maß der anzuwendenden Sorgfalt
Art und Maß der anzuwendenden Sorgfalt richten sich nach den Anforderungen, die bei objektiver Betrachtung einer Situation ex ante an einen besonnenen und gewissenhaften Menschen in der konkreten Lage und sozialen Rolle des Handelnden zu stellen sind.
P.: Sonderfähigkeiten und -kenntnisse der individuellen Person, die auch über die Fähigkeiten und Kenntnisse des jeweiligen Verkehrskreises hinausgehen
h.M.: Individualisierung nach oben (+) ➔ Sonderfähigkeiten und -kenntnisse sind zu berücksichtigen
Arg.: Größeres individuelles Leistungsvermögen verpflichtet bereits auf objektiver Ebene zu größerer Umsicht
z.B. Täter wusste, dass es sich um eine besonders gefährliche Kreuzung handelt
z.B. Arzt mit speziellen Ausbildungen und Fertigkeiten muss diese auch einsetzen und sich nicht auf die Anwendung solcher Fähigkeiten beschränken, über die ein Durchschnittsarzt verfügt
P.: Individualisierung nach unten? ➔ bei individuellen Defiziten
h.M.: (-)
kann höchstens auf Ebene der Schuld berücksichtigt werden
Obj. Vorhersehbarkeit
=> Definition
Objektive Vorhersehbarkeit ist gegeben, wenn aus der Sicht ex ante für einen besonnenen und gewissenhaften Menschen aus dem Verkehrskreis und in der Situation des Täters der Eintritt des Erfolgs nach allg. Lebenserfahrung nicht so sehr außerhalb der Wahrscheinlichkeit gelegen hat, dass man mit ihm nicht zu rechnen brauchte.
Somit: Nach der Tat gewonnene Erkenntnisse bleiben unberücksichtigt
=> Sonstiges
Der Eintritt des tatbestandlichen Erfolges in seiner konkreten Gestalt und der Kausalverlauf müssten objektiv vorhersehbar gewesen sein.
Erneut ist Sonderwissen zu berücksichtigen
Grds. genügt es, wenn der Erfolg in seinem Endergebnis vorhergesehen werden konnte
Grds. muss nicht der Geschehensablauf als solcher vorhergesehen werden, es sei denn dass der Verlauf so sehr außerhalb aller Lebenserfahrung lag, dass niemand mit diesem Erfolg zu rechnen brauchte
atypische Kausalverläufe sollen ausgeschlossen werden
Beim fahrlässigen Begehungsdelikt statt objektiver Vorhersehbarkeit des Erfolgs: Erkennbarkeit der Tatbestandsverwirklichung
=> Beim „Klimakleber“-Fall
Die aus einer Blockade resultierende Verzögerung der Einsatzkräfte durch andere Verkehrsteilnehmer liegt nicht so sehr außerhalb aller Lebenswahrscheinlichkeit, dass ein vernünftiger und umsichtiger Mensch nicht mit dem Todeserfolg rechnen konnte => Gefährlichkeit der Handlung ist erkennbar
Obj. Zurechnung
Die objektive Zurechenbarkeit des sorgfaltswidrig herbeigeführten Erfolgs ist nur dann gegeben, wenn der konkrete tatbestandliche Erfolg bei sorgfaltsgerechtem Verhalten vermeidbar gewesen wäre und der Erfolgseintritt gerade auf der Verwirklichung von Gefahren beruht, die nach dem Schutzzweck der verletzten Norm verhütet werden sollten.
= Pflichtwidrigkeitszusammenhang + Schutzzweck der Norm
=> Pflichtwidrigkeitszusammenhang
Pflichtwidrigkeitszusammenhang: Im konkret eingetretenen Erfolg müsste sich gerade die vom Täter geschaffene Gefahr realisiert haben.
Nach der Vermeidbarkeitstheorie ist der eingetretene Erfolg dem Täter nur dann objektiv zurechenbar, wenn feststeht, dass er bei gehöriger Sorgfalt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entfallen wäre.
P.: Welche Anforderungen sind an die Vermeidbarkeit zu stellen?
h.M.: Für die Unvermeidbarkeit genügt bereits die ernsthafte Möglichkeit, dass Erfolg auch bei sorgfaltsgemäßem Handeln eingetreten wäre
Arg.: Pflichtwidrigkeitszusammenhang (Art. 6 II EMRK)
a.A.: Risikoerhöhungslehre
Für das Vorliegen des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs kommt es darauf an, ob das Verhalten des Täters zu einer das erlaubte Maß übersteigenden Gefahrerhöhung geführt hat.
Somit: Pflichtwidrigkeitszusammenhang bereits (+), wenn die Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts bei sorgfaltsgerechtem Verhalten geringer gewesen wäre
(-): Führt dazu, dass Verletzungsdelikte contra legem in Gefährdungsdelikte umgewandelt werden
(-): Schränkt den Grundsatz in dubio pro reo unangemessen zulasten des Täters ein
P.: Verhalten im Straßenverkehr ➔ Wo setzt man an?
Grds. Prüfung der Zurechenbarkeit eines verkehrswidrigen Verhalten erst mit Eintritt der konkreten kritischen Verkehrslage, die unmittelbar zu dem schädigenden Ereignis geführt hat
P.: Welches Verhalten ist verkehrsgerecht?
e.A.: Bei einem betrunkenen Fahrer, der sich an die Höchstgeschwindigkeit gehalten hat und der in der konkreten Situation auch nüchtern den Unfall nicht abwenden hätte können: Pflichtwidrigkeitszusammenhang (-)
Rspr.: Autofahrer, der entgegen § 316 StGB am Straßenverkehr teilnimmt, muss den alkoholbedingten Beeinträchtigungen Rechnung tragen und seine Geschwindigkeit entsprechend herabsetzen
Arg.: Gebot ergibt sich aus § 3 I 1, S.2 StVO ➔ Geschwindigkeit ist auch den persönlichen Fähigkeiten anzupassen
Arg.: Käme nicht nur darauf an, ob ein nüchterner Fahrer den Unfall hätte vermeiden können, sondern auch darauf, ob der Erfolg bei im Übrigen gleichem SV, aber mit angepasster Geschwindigkeit, auch eingetreten wäre
Insoweit hier nicht die Trunkenheit unmittelbar ursächlich, sondern der Verstoß gegen § 3 I 1, S. 2 StVO
Arg. BGH: Die wegen persönlicher Mängel unzulässige Teilnahme am Straßenverkehr könne nicht anders beurteilt werden als die infolge mangelhafter Bremsen oder abgefahrener Reifen unzulässige Teilnahme
(-): BGH fragt nicht nach rechtmäßigem Alternativverhalten, sondern ersetzt eine Sorgfaltspflichtverletzung (Fahren im fahruntüchtigen Zustand) durch eine andere (Fahren mit einer dem fahruntüchtigen Zustand nicht angepassten Geschwindigkeit)
(-): Begründung der Sorgfaltspflicht aus § 3 StVO, die Geschwindigkeit anzupassen, steht in einem klaren Widerspruch zu dem nach § 316 StGB bestehenden Verbot für den angetrunkenen Fahrer, überhaupt zu fahren
=> Schutzzweck der Norm
Schutzzweck der Norm: Der Erfolgseintritt muss gerade auf der Verwirklichung von Gefahren beruhen, die nach dem Schutzzweck der verletzten Norm verhütet werden sollten.
Nur wenn die verletzte Sorgfaltsnorm gerade dazu dient, Erfolge wie den eingetretenen zu verhindern, wird überhaupt ein rechtlich relevantes Risiko geschaffen
=> Fall: T fährt mit 60 km/h durch eine geschlossene Ortschaft, in der eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 50 km/h gilt. Plötzlich springt der 10jährige O hinter einem parkenden LKW auf die Straße und wird von T tödlich erfasst. Auch wenn T die zulässige Geschwindigkeit von 50 km/h gefahren wäre, hätte er den O nicht rechtzeitig gesehen. Strafbarkeit gem. § 222 StGB?
P.:Objektive Zurechnung
T hätte bei Einhalten der Höchstgeschwindigkeit den Unfallort erst später erreicht ➔ Pflichtwidrigkeitszusammenhang somit (+)
Allerdings liegt der Sinn der Geschwindigkeitsbegrenzung und somit ihr Schutzzweck nicht darin, dass ein Autofahrer einen Ort erst später erreicht.
Sondern: Soll anderen Verkehrsteilnehmern ein gefahrloses Überqueren der Straße ermöglichen
Schutzzweckzusammenhang somit (-)
Strafbarkeit des T gem. § 222 StGB (-)
=> Fallgruppen, die die objektive Zurechnung ausschließen:
Selbstgefährdung
Rechtmäßiges Alternativverhalten
Verhalten Dritter
Fahrlässig handelnder Nebentäter
Selbstgefährdung:
Freiverantwortliche Selbstgefährdung lässt die objektive Zurechnung entfallen
Grund: Straftatbestände sollen nach ihrem Schutzzweck den Rechtsinhaber vor Eingriffen Dritter bewahren und ihn nicht vor sich selbst schützen
Wer lediglich die eigenverantwortliche Selbstgefährdung anderer fahrlässig veranlasst, ermöglicht oder fördert, kann, wenn sich das mit der Selbstgefährdung eingegangene Risiko verwirklicht, nicht schon deshalb gem. §§ 222 / 229 StGB bestraft werden
Gilt nicht, wenn der Dritte das Risiko aufgrund überlegenen Wissens besser erfasst
Fall: T und O haben bereits einiges an Alkohol konsumiert. Zusätzlich hat O Valiumtabletten eingenommen. Irgendwann holt T ein Heroiengemisch aus der Tasche, dass sich er und O spritzen. T wusste, dass O bereits Erfahrung mit Rauschgift hatte. O wird ohnmächtig. Wiederbelebungsversuche des T bleiben erfolglos. Aus Angst vor der Polizei ruft T nicht den Notarzt und hofft, dass schon alles wieder gut werde.
Strafbarkeit des T gem. § 222StGB wegen Übergabe des Heroins?
Freiverantwortliche Selbstgefährdung des O ➔ somit keine objektive Zurechenbarkeit
Überlegenes Wissen des T (-) ➔ O hatte Rauschgifterfahrung
§ 222 StGB (-)
Strafbarkeit des T nach §§ 222, 13 I StGB durch Unterlassen, indem er keinen Notarzt gerufen hat
Rufen des Notarztes = objektiv erforderliche Rettungshandlung
Garantenstellung des T?
Garantenstellung aus der freundschaftlichen Beziehung (-)
Beim Rauschgiftkonsum ist eine Gefahrgemeinschaft abzulehnen (-)
Garantenstellung aus Ingerenz?
h.Lit.: (-)
Arg.: Eigenverantwortliche Selbstgefährdung beim Rauschgiftkonsum begründet gerade kein pflichtwidriges Vorverhalten
Strafbarkeit nach §§ 222, 13 I StGB (-)
Rspr.: (+)
Arg.: Garantenstellung aus Ingerenz wegen dem Verstoß gegen § 28 BtMG
Arg.: Straflosigkeit des Vorverhaltens aufgrund der Selbstschädigung ändere daran nichts
Strafbarkeit nach §§ 222, 13 I StGB (+)
P.: Die vom Arzt überwachte Einnahme von Drogen als nicht anerkannte Therapiemethode.
BGH: grds. auch freiverantwortliche Selbstgefährdung
Außer: Der Arzt hat kraft überlegenen Fachwissens das mit dem Drogenkonsum verbundene Risiko besser erfasst
Außer: Der Patient war infolge einer bereits bestehenden Intoxikation zu einer Risikoabwägung nicht mehr in der Lage
= Fehlen des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs
Dazwischentreten Dritter kann ggfs. den Zurechnungszusammenhang unterbrechen
Wenn sich nicht die vom Täter geschaffene Gefahr, sondern ein neues, vom Dritten erzeugtes Risiko im Erfolg realisiert hat
Setzt vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalte des Dritten voraus
P.: wenn der gleiche Erfolg auch durch das fahrlässige Verhalten eines Dritten herbeigeführt worden wäre (= sog. Reserveursache)
h.M.: Schließt weder die Kausalität des pflichtwidrigen Verhalten des Ersttäters noch die objektive Zurechnung des tatbestandlichen Erfolgs aus
Kausalität (+), weil es allein auf den Erfolg in seiner konkreten Gestalt ankommt
Objektive Zurechnung (+), weil das Berufen auf einen durch eine andere Ursache eingetretenen Erfolg nicht den Zusammenhang zwischen dem tatsächlich eingetretenen konkreten Erfolg und der Sorgfaltspflichtverletzung aufheben kann
P.: Vorsätzliches Dazwischentreten Dritter ➔ Fall: Jäger T kommt in eine Gaststätte, in der die Stimmung bereits aggressiv ist und lässt sein Gewehr in der Garderobe stehen. Als sich ein Streit anbahnt verlässt T das Lokal, ohne an das Gewehr zu denken. Der an der Schlägerei beteiligte D sieht das Gewehr und erschießt O.
Strafbarkeit des T gem. § 222 StGB?
Tun oder Unterlassen? ➔ Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit liegt darin, dass T überhaupt eine entsicherte Waffe mitbringt und in die Garderobe stellt ➔ Tun
Objektiv sorgfaltswidriges Unterlassen (+)
Lässt das vorsätzliche Verhalten des D die objektive Zurechnung entfallen?
e.A.: Vorsätzliches Verhalten eines Dritten durchbricht den Zurechnungszusammenhang
a.A.: Grds. dürfe jeder auf das rechtsgetreue Verhalten Dritter vertrauen
Objektive Zurechnung nur, wenn Anhaltspunkte für eine geplante Straftat oder Tatgeneigtheit Dritter gegeben sind
Hier: wegen aggressiver Stimmung objektive Zurechnung (+)
h.Lit.: Objektive Zurechnung grds. (+)
Objektive Zurechnung nur (-), wenn das Dazwischentreten nach den allgemeinen Kriterien objektiv nicht vorhersehbar war
P.: Bei einem nicht vorsätzlich dazwischengetretenen Dritten
Differenzierung danach, ob der Täter nach den Umständen des Falls mit diesem Geschehensablauf noch zu rechnen brauchte
Fahrlässig handelnde Nebentäter können ihre Verantwortlichkeit für den von ihnen herbeigeführten Taterfolg nicht mit dem Hinweis auf das pflichtwidrige Verhalten des anderen von sich weisen
= sog. Doppelkausalität / kumulative Kausalität
Im Fall der kumulativen Kausalität ist von mehreren Ursachen, die zwar alternativ, aber nicht kumulativ hinweggedacht werden können, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele, jede erfolgsursächlich.
Fall: A und B fahren jeweils einen Kleinbus mit Passagieren. Wegen dem starken Nebel orientieren sich beide am Mittelstreifen und missachten somit das Rechtsfahrgebot aus § 2 II StVO. Es kommt zu einem Frontalzusammenstoß, bei dem Passagiere verletzt werden.
= kumulative Kausalität
Der Erfolg wird beiden Tätern zugerechnet
Im Unfall hat sich genau die Gefahr realisiert, die durch den Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot geschaffen wurde.
Anwendung des Vertrauensgrundsatzes (-)
A und B haben sich jeweils gem. § 229 StGB strafbar gemacht
=> Fall: Ausweichverhalten des Opfers, das zum Tod führt
Hier kann eine Strafbarkeit gem. § 222 StGB vorliegen, selbst wenn § 227 I StGB (in Form des erfolgsqualifizierten Versuchs) nicht vorliegt
Grund: Bei dem gefahrspezifischen Zurechnungszusammenhang bei § 227 I StGB geht es darum, ob sich die deliktsspezifische Grundgefahr der Körperverletzung verwirklicht hat
Bei § 222 StGB kommt es auf die Verwirklichung der Sorgfaltspflichtverletzung im tatbestandlichen Erfolg an
Bei Angriffshandlungen in Richtung des Opfers ist nach allg. Lebenserfahrung mit Ausweichreaktionen und daraus resultierenden weiteren Verletzungen zu rechnen
=> „Klimakleber“-Fall: Wenn Rettungswagen nicht durchkommt, weil die Autofahrer keine Rettungsgasse bilden, die Klimaaktivisten die Fahrbahn aber rechtzeitig hätten räumen können
Todeserfolg wäre nicht eingetreten, hätte der Aktivist sich sorgfaltskonform verhalten
Somit: Nach herrschender Vermeidbarkeitstheorie und der Risikoerhöhungslehre gleichermaßen Pflichtwidrigkeitszusammenhang (+)
Schutzzweckzusammenhang?
§ 18 IX 1 StVO soll unmittelbare Gefahren für den Autobahnverkehr verhindern
Bei Aktion auf der Autobahn
§ 1 II StVO ist weiter formuliert => erfasst sämtliche Beeinträchtigungen im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr
Im Zusammenspiel mit anderen Vorschriften der StVO: Schutzzweckzusammenhang (+)
P.: Abgrenzung von Verantwortungsbereichen
Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs durch die anderen Aktivisten?
Weil für eine Blockade immer mehrere Personen erforderlich sind
(-): Aktivisten kleben sich gleichzeitig und nicht nachträglich auf die Straße
(-): Handlung der anderen Aktivisten führt nicht allein unmittelbar den Taterfolg herbei
Sondern: Täter ist mit den übrigen Aktivisten gemeinsam verantwortlich => Dazwischentreten Dritter (-)
Unterbrechung durch die anderen Verkehrsteilnehmer, die keine Rettungsgasse bilden?
Pflichtwidrigkeit ihres Verhaltens ergibt sich aus § 323c II StGB und § 11 II StVO
Verhalten der Autofahrer ist besonders sorgfaltswidrig und stellt damit grob fahrlässiges Verhalten dar
Die gegen § 11 II StVO verstoßenden Stauteilnehmer schaffen ein neues Risiko
Aktivisten haben zwar die Gefahr des Staus bewirkt
Aber: Fehlen einer Rettungsgasse ist nicht auf sie zurückzuführen
Dürfen nach dem Vertrauensgrundsatz auf das sorgfaltskonforme Handeln der anderen verlassen
Grundsatz gilt nicht, wenn der Dritte erkennbar tatgeneigt ist
Aber: Dafür gibt es i.d.R. keine Anhaltspunkte
Somit: Durchbrechung des Zurechnungszusammenhangs (+) => Strafbarkeit der Klimaaktivisten gem. § 222 StGB (-)
Wie beim Vorsatzedelikt
Grds. sind auch i.R.d. Fahrlässigkeitsdelikte die allgemeinen Rechtfertigungsgründe anzuwenden
=> P.: Einverständliche Fremdgefährdung
Bei § 229 StGB
Bei obj. Zurechnung i.d.R. zuvor prüfen, ob eine freiverantwortliche Selbstgefährdung vorlag
Bei § 229 StGB:
h.M.: Auch fahrlässige Körperverletzungen sind einwilligungsfähig
Als potenzielles Opfer einer Fahrlässigkeitstat kann man i.d.R. nicht vorher ausdrücklich in den Körperverletzungserfolg einwilligen
Kommt nur darauf an, ob der später Verletzte in das Gefährdungsrisiko eingewilligt hat
Anwendung des § 228 StGB: Opfer darf sich nicht eine konkreten Lebensgefahr oder der konkreten Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung aussetzen
Bei Fahrlässigkeitsdelikten aber zurückhaltendere Anwendung
Wichtig: Kommt bei der Bewertung auf den Zeitpunkt der Tat an => unabhängig von den später tatsächlich eingetretenen Folgen
Bei § 222 StGB
Möglichkeit einer Einwilligung in eine lebensgefährdende Fremdgefährdung?
Frühere Rspr.: (-)
Arg.: Gedanke des § 216 StGB => keine Dispositionsbefugnis
Aber: Hat dann die Pflichtwidrigkeit des Verhaltens verneint
a.A.: Geht nur um die Einwilligung in die lebensgefährdende Handlung und nicht in den tatbestandlichen Erfolg
§ 216 I StGB betrifft nur die Einwilligung in den tatbestandlichen Erfolg
Deshalb: Rechtfertigende Wirkung der Einwilligung auch bei tödlichem Ausgang
Der eher zufällige Ausgang des Geschehens kann die Wirksamkeit der Einwilligung nicht berühren
Wichtig:
Einwilligung muss sich auf die konkret lebensgefährdende Handlung beziehen
Prüfen, ob der Einwilligung § 228 StGB entgegen steht
(+) bei dem bewussten Eingehen einer konkreten Lebensgefahr
=> P.: Ist im Rahmen von Rechtfertigungsgründen beim fahrlässigen Delikt ein subjektives Rechtfertigungselement (= Rechtfertigungswille) zu fordern?
(-): Gerade im Fall der unbewussten Fahrlässigkeit denkt der Täter typischerweise nicht an die Verwirklichung eines Verletzungserfolgs ➔ selbst wenn eine objektive Rechtfertigungslage gegeben ist, würde ihm i.d.R. das subjektive Rechtfertigungselement fehlen
(-): Im Tatbestand ist i.d.R. kein Handlungsunrecht verwirklicht, welches durch das Erfordernis eines subjektiven Rechtfertigungselement kompensiert werden müsste
Fall: A macht Schussübungen im Wald. Dabei dreht er sich plötzlich um und schießt auf einen bestimmten Baum, den er sich vorher ausgesucht hatte. Ohne es zu erkennen, erschießt er B, der sich neben dem anversierten Baum in einem Busch versteckt hielt und den A gerade aus einem Hinterhalt töten wollte.
§ 212 StGB mangels Tötungsvorsatz (-) ➔ Allenfalls Strafbarkeit gem. § 222 StGB:
TB des § 222 StGB (+)
Typische Gefahr, welche bei unkontrollierten Schussübungen im Wald entsteht, hat sich realisiert
Rechtfertigung des A durch Notwehr gem. § 32 StGB?
Angriff des B ➔ Notwehrlage (+)
Tötung des B war auch erforderlich und geboten
P.: Kein Notwehrwille des A
Ist nach h.M. auch nicht erforderlich
Arg.: Im TB des § 222 StGB ist kein Handlungsunrecht verwirklicht, dass durch das Erfordernis eines subjektiven Rechtfertigungselement kompensiert werden müsste
Strafgrund des § 222 StGB ist allein der Todeserfolg ➔ hier war der Tod des B kein Unrecht, weil nur so das Leben des A gerettet werden konnte
Somit: Strafbarkeit gem. § 222 StGB (-)
=> Allgemein
Fahrlässigkeitsschuld (+), wenn der Täter nach seinen persönlichen Fähigkeiten und dem Maß seines individuellen Könnens imstande war, die objektive Sorgfaltspflichtverletzung zu erkennen und die sich daraus ergebenden Sorgfaltsanforderungen zu erfüllen
Bei fahrlässigen Erfolgsdelikten müssen der tatbestandliche Erfolg und der Kausalverlauf in wesentlichen Zügen subjektiv vorhersehbar gewesen sein
=> Prüfungsschritte
Schuldfähigkeit
Für die Merkmale Schuldfähigkeit und Unrechtsbewusstsein (s.u.) gilt das gleiche wie für die Vorsatztat
Subjektive Sorgfaltspflichtverletzung
(a) Subjektive Vorhersehbarkeit des Erfolgseintritts
Hier: Beachtung von Sonderwissen und Sonderunfähigkeit des Täters
(b) Subjektive Vermeidbarkeit
Unrechtsbewusstsein
Fehlen von Entschuldigungsgründen
Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens (str.)
=> Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens (str.)
= besonderer Entschuldigungsgrund
Relevant bei der Feststellung der Unzumutbarkeit: Interessenlage beim Täter + Schwere der drohenden Rechtsgutsverletzung
Je bedeutender das Rechtsgut und je größer die Gefahr, desto eher ist dem Täter eine Preisgabe seiner eigenen Interessen zuzumuten.
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