Paulusbriefe im Licht antiker Briefliteratur
Antike Briefe funktionieren theoretisch nach einem gemeinsamen Schema:
1. Präskript = Absender (superscriptio), Adressaten (adscriptio), Eingangsgruß (salutatio)
„X an Y, sei gegrüßt/Friede und Gnade sei mit dir“
2. Proömium = Danksagung [+ briefliche Selbstempfehlung] (thematisiert Verhältnis Absender und Adressat)
„Ich danke für ???; was ein Glück sind wir beide so gute Freunde“
3. Briefcorpus → Inhalt
4. Schlussparänese = Mahnungen, evtl. Angaben über Zukunftspläne, Segenswunsch
„Sei brav, bald komme ich wieder, sei gesegnet und behütet“
5. Postskript = Grüße an andere, Grüße von anderen, Gruß des Absenders (sog. Eschatokoll)
„Viele Grüße an deine Oma von mir; Grüße auch von meiner Oma an dich; es grüßt den Y sein guter Freund X“
Paulusbriefe allgemeine Fakten
Das Eschatokoll des Paulus ist zu einem längeren Segenswunsch erweitert gegenüber antiken Briefen
Paulus nutzt nicht immer alle Teile der antiken Briefliteratur
ACHTEN SIE DARAUF! Ein ausgelassenes Proömium könnte Zeichen eines wütenden oder frustrierten Paulus sein
→ bei der Lektüre überlegen: Hat Paulus das vergessen oder wollte er das absichtlich nicht sagen?
Bitte merken Sie sich: Die Briefe im NT bestehen, ganz wie in ihrer Umwelt, aus unterschiedlichen Teilen; diese müssen Sie grob benennen können
Das antike Briefformular
(1) Präskript mit Absender- und Adressatenangabe sowie Eingangsgruß:
„Absender an Adressat. Gnade sei mit euch und Friede von Gott
unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus“
(2) Eulogie/Lobpreis (kann entfallen):
„Gepriesen sei Gott …“
(3) Proömium:
Danksagung oder Selbstempfehlung (nicht im Gal!)
(4) Briefkorpus:
Thematischer Teil, meist zweigeteilt in einen dogmatischen und einen
paränetischen Abschnitt
(5) Briefschluss/Postskript:
verschiedene Grüße; Schlusswunsch (teilweise mit vorangehender
Schlussparänese)
Insbesondere für den Gal wird erwogen, ob sich Paulus darin nicht stärker an die Form der antiken Rede anlehnt, als an die des antiken Briefes!
Pseudepigraphie
Schriften, die unter dem Namen eines Autors verfasst sind, aber nicht von diesem stammen
Pseudepigraphie gibt es
1. MIT Autorfiktion (Nachahmung des Autors – z.B. Tit)
2. OHNE Autorfiktion (keine Nachahmung des Autors – z.B. Hebr)
In der Antike bei prominenten Autoren (Pseudo-Platon; Weisheit Salomos)
Entsprechend gibt es ‚Paulusbriefe‘ – die nicht von Paulus sind
Kol; Eph; 2Thess; 1+2Tim; Tit [Hebr]
Warum Ps-Epigraphie? Um Autorität zu ‚leihen‘ in Zeiten der Unsicherheit?
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Zuletzt geändertvor 4 Monaten