Unter einer Theorie wird allgemein ein System von aufeinander bezogenen, begründeten Aussagen verstanden. Theorien sind auf die Erklärung von in der Wirklichkeit regelmäßig beobachtbaren Phänomenen und auf die Bestimmung der ihnen zugrunde liegenden Gesetzmäßigkeiten ausgerichtet. Sie transportieren bestimmte Annahmen über die Wirklichkeit. Grundelement der wissenschaftlichen Theorie ist die „theoretische Aussage“ (Mayntz 2009:12). Diese stellt auf einer abstrakt verallgemeinernden Ebene einen kausalen Zusammenhang zwischen bestimmten Voraussetzungen oder Rahmenbedingungen auf der einen Seite und bestimmten regelmäßig erkennbaren Ereignissen oder Wirkungen auf der anderen Seite her. Politikfeldanalytisch gesprochen stellt sie die Verbindung zwischen dem zu erklärenden Phänomen Y (der abhängigen Variable) und einer oder mehreren erklärenden (unabhängigen) Variablen (X1, X2, X3….) her.
Wissenschaftliche Theorien allgemein dienen also nicht in erster Linie der Beschreibung von Ereignissen oder Erscheinungen, sondern der Aufdeckung von regelmäßig auftretenden Wirkungszusammenhängen zwischen ihnen, und damit der Erklärung
Neben Theorien stehen der sozialwissenschaftlichen Forscherin noch weitere Analyse-Instrumente zur Verfügung, nämlich: theoretisch eingebettete analytische Rahmen, Modelle und Konzepte oder Begriffe. Alle zusammen können unter den Generalbegriff des „theoretischen Ansatzes“ subsumiert werden (Schubert & Bandelow 2009:7). Gegenüber diesen Ansätzen zeichnet sich die Theorie durch ihre relativ hohe Erklärungsreichweite und große Verallgemeinerungsfähigkeit aus. Allerdings ist die Trennung nicht immer ganz einfach, denn Theorien integrieren Konzepte und Modelle, und analytische Rahmen beziehen sich auf Theorien. In der forschungspraktischen Anwendung gestaltet sich daher gerade der Übergang von der Theorie zum analytischen Rahmen oder Modell fließend.
Ein analytischer Rahmen ist zugleich abstrakter und konkreter als eine Theorie. Mit Blick auf bestimmte beobachtete Strukturen oder Situationen (re-)kombiniert er Aussagen mehrerer unterschiedlicher Theorien. Analytische Rahmen dienen damit auch dazu, Theorien in ihrer Erklärungskraft und mit ihren unterschiedlichen Erklärungsgegenständen zu vergleichen. Ostrom beschreibt den spezifischen Nutzen der Entwicklung und Verwendung von analytischen Rahmen für solche oder ähnliche sozialwissenschaftliche Forschungsvorhaben wie folgt: „The development and use of a general framework helps to identify the elements and relationships among the elements that one needs to consider for (institutional) analysis. Frameworks organize diagnostic and prescriptive inquiry. They provide the most general list of variables that should be used to analyze all types of institutional arrangements. Frameworks provide a metatheoretical language that can be used to compare theories. They attempt to identify the universal elements that any theory relevant to some kind of phenomena would need to include.”
Mit Hilfe eines solchen analytischen Rahmens kann sich die Forscherin, die sich im konkret beobachteten Fall über die Ursachen von Phänomenen (z. B. Politikwandel) noch unschlüssig ist, dem mitunter sehr ausdifferenzierten Spektrum unterschiedlicher, ggf. zusammenwirkender Erklärungsfaktoren annähern und den vermutet erklärungsmächtigsten Faktor näher beleuchten, ohne jedoch den Blick von vornherein nur auf diesen Faktor konzentrieren zu müssen. Insgesamt dienen analytische Rahmen als semi-abstrakte, theoriefundierte Hilfskonstrukte (Heuristiken) für die Untersuchung von bestimmten Forschungsgegenständen, über deren (kausale) Zusammenhänge und innere Dynamiken sich die (Policy-) Forscherin erst ordnende Klarheit verschaffen muss
Ein Modell wiederum ermöglicht im Unterschied zum analytischen Rahmen nicht eine Perspektivenerweiterung gegenüber der Theorie, sondern eine Perspektivenschärfung. Modelle sind „Darstellungen spezifischer Situationen“ (Sabatier 2007:323) in der beobachteten Wirklichkeit. Sie sind näher am jeweiligen empirischen Erkenntnisgegenstand als Theorien oder analytische Rahmen: „Die Entwicklung und Verwendung von Modellen erlaubt konkrete Aussagen über konkrete Situationen. (…) Häufig ist die Entwicklung eines (Erklärungs-) Modells für ein konkretes empirisches Problem das Ziel des Forschungsprozesses.” Da Modelle jeweils nur einen bestimmten Teilbereich der Wirklichkeit erfassen wollen, dienen sie der Reduzierung von Komplexität. Damit wird allerdings auch deutlich, dass Modelle im Unterschied zu Theorien und analytischen Rahmen eben lediglich für einen eng begrenzten Ausschnitt der Wirklichkeit Erklärungskraft beanspruchen können und wollen: „The development and use of models [involves to] make precise assumptions about a limited set of parameters and variables“
Theorien, analytischen Rahmen und Modellen ist schließlich der Gebrauch von Konzepten gemeinsam. Dabei handelt es sich um „Begriffe bzw. begriffliche Unterscheidungen sowie die damit verbundenen inhaltlichen Überlegungen“
Aufgrund ihrer Eigenschaft als verallgemeinerungsfähige Aussagensysteme erlauben Theorien für eine Vielzahl von mehr oder weniger ähnlichen, jedoch voneinander unabhängigen Untersuchungsfällen unter ansonsten gleichen Rahmenbedingungen die Formulierung von hypothetischen Antworten auf bestimmte Forschungsfragen zu kausalen Wirkungszusammenhängen von beobachteten Phänomenen. Theorien ermöglichen damit das Reduzieren von Komplexität, die Identifikation von kausalen Zusammenhängen (Erklären) und auch Projektionen in die Zukunft. Zugleich beanspruchen Theorien, anders als analytische Rahmen oder Modelle, völlige innere Logik oder Kohärenz. Ein Ziel wissenschaftlicher Theoriebildung ist also die Herstellung möglichst vollständiger Kohärenz oder innerer Geschlossenheit des jeweiligen Aussagengebäudes. Dabei beanspruchen wissenschaftliche Theorien jedoch nicht, „unumstößliche Wahrheiten“ zu präsentieren. Vielmehr sind sie darauf angelegt, widerlegt oder „falsifiziert“ zu werden
Makro-Level-Ansätze: Dies sind in der Regel Theorien von großer Reichweite, die entweder deduktiv abgeleitet oder induktiv gewonnen wurden und die Erklärung aller sozialen Phänomene innerhalb ihres weiten, jeweils ganze Regierungs- oder Regelsysteme umfassenden Bezugskreises erlauben. Dabei variieren sie je nachdem, ob sie hier bestimmte soziale Strukturen (z. B. soziale oder politische Interaktionssysteme: Neo-Institutionalismus, Systemtheorie), bestimmte Kollektive oder Gruppen (z. B. soziale Klassen oder Organisationen: Marxismus, Pluralismus, Korporatismus) oder auch Individuen (z. B. politische, ökonomische oder administrative Entscheidungsträger: Rational Choice, Public Choice) als Untersuchungseinheiten in den Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses stellen.
Meso-Level-Ansätze: Hier handelt es sich um Theorien, theoretische Ansätze oder auch analytische Rahmen von „mittlerer Reichweite“ (Merton 1968), für deren Gültigkeit – im Unterschied zu Makro-Level-Ansätzen – eine größere Zahl vorab bestimmter Rahmenbedingungen zutreffen muss. Diese Ansätze beziehen sich auf ein bestimmtes Teilsystem von umfassenderen Regierungs- oder Regelsystemen (z. B. das Gesundheitswesen oder andere „staatsnahe Sektoren“ innerhalb der nationalen Regierungssysteme (Mayntz & Scharpf 1995). Dabei verbinden sie (z. B. der akteurzentrierte Institutionalismus) akteurbezogene und strukturelle Aspekte zu einer Untersuchungseinheit (z. B. zu einem Policy-spezifischen Verhandlungssystem). Mit Blick auf diese empirisch verankerte, semi-abstrakte Untersuchungseinheit sind sie auf andere, vergleichbare Fälle oder Teilsysteme übertragbar.
Für die Policyforschung ist besonders wichtig die Unterscheidung von zwei Typen von Theorien (Wenzelburger & Wolf 2015), die in der positivistischen Policyforschung von Bedeutung sind: Die Theorien der (vergleichenden) Staatstätigkeitsforschung haben recht unterschiedliche Wurzeln, aber ihnen ist der Anspruch gemeinsam, dass mit ihren Kernfaktoren (z.B. Parteiendifferenz oder Machtressourcen) Policies oder mit Policies zusammenhängende Parameter in der echten Welt (Arbeitslosenzahlen, Gewinne aus der Veräußerung öffentlichen Besitzes; Luftqualitätswerte etc.) erklären können. Sie werden daher – meist mit großer Fallzahl und quantitativen Methoden – als konkurrierende Erklärungsfaktoren konzipiert und überprüft, wobei die politischen Prozesse meist im Dunklen bleiben.
Hingegen sind kombinierte Erklärungsansätze gerade darauf ausgerichtet, Policies über die Analyse derjenigen politischen Prozesse, die zu ihrer Entstehung geführt haben, zu erklären. Diese Ansätze benennen hierfür relevante Faktoren und konzipieren ihr Zusammenspiel.
Der gemeinsame Kern verschiedener „Richtungen“ der sozioökonomischen Theorieschule besteht in der Annahme, dass Staatstätigkeit eine mehr oder minder unvermittelte „Reaktion auf gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklungen und auf hierin wurzelnde Funktionsprobleme politischer Gemeinwesen“ darstellt. Die Existenz und die Gestaltung politischer Maßnahmen erscheinen damit letztlich als Resultat objektiver sozialer und ökonomischer Parameter und ihres Wandels
Solche Parameter sind beispielsweise das Wirtschaftswachstum und der volkswirtschaftliche Entwicklungsstand, die Verteilung von materiellen Ressourcen (Armut und Reichtum) innerhalb von nationalen Gesellschaften, gesellschaftliche Bedarfslagen, der Wandel der Arbeitsgesellschaft und der technologische Fortschritt sowie der demografische Wandel einschließlich des Wandels sozialer Lebensformen (z. B. Familie). Weitere Faktoren, die bislang weniger Beachtung gefunden haben, sind (globale) Prozesse der Migration und sozialräumlichen Segregation, die globale digitale Revolution, Umweltschäden, der Klimawandel und die Verknappung bestimmter natürlicher Ressourcen sowie öffentliche Finanzkrisen und Sparzwänge (Austerität). Diese globalen Einflussfaktoren weisen große Überschneidungen mit der Internationalisierungshypothese (vgl. unten) auf und müssen ggf. in Zusammenhang mit dieser betrachtet werden
Auch wenn diese Ansätze teilweise ideengeschichtlich schon recht alt sind (s.u.) und sich von ihren Grundannahmen her und in ihren ideologischen Wurzeln auch sehr stark unterscheiden, so liegt ihre Gemeinsamkeit darin, dass sie die soeben angeführten Faktoren als die entscheidenden Einflussgrößen auf staatliche Policy-Entscheidungen verstehen. Dabei können grundsätzlich zwei theoretische Zugänge zur sozioökonomischen Argumentation unterschieden werden, erstens ein krisentheoretischer und zweitens ein entwicklungstheoretischer Zugang
Der krisentheoretische Argumentationsstrang beruht auf der Annahme, dass das kapitalistische Wirtschaftssystem aufgrund inhärenter Widersprüche krisenanfällig ist. Der Staat ist in diesem Zusammenhang bestrebt, durch sein Handeln das Ausbrechen von Krisen (z. B. revolutionäre soziale Proteste der Arbeiterschaft gegen Ausbeutung) abzuwenden und die kapitalistische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, die auf beständiges Wachstum angelegt ist, zu schützen. Aus diesem Grund wiederum folgt der Staat in seiner Interventions- und Regulierungstätigkeit grundsätzlich den Interessen der Kapitalseite, so dass politische Maßnahmen von diesen Interessen determiniert werden
Auch die Vertreterinnen des entwicklungstheoretischen Strangs der sozioökonomischen Theorieschule nehmen grundsätzlich an, dass das staatliche Handeln durch die wirtschaftliche Entwicklung vorbestimmt ist. Sie teilen dabei allerdings nicht die Auffassung, wonach die Staatstätigkeit und das Beschließen politischer Maßnahmen in erster Linie als „Krisenverhinderungsmechanismus“ zu sehen seien. Vielmehr argumentieren sie, dass mit der wirtschaftlichen Entwicklung und gesellschaftlichen Modernisierung immer neue, regulierungsbedürftige ökonomische und soziale Probleme entstünden. Wirtschaftswachstum und sozialer Fortschritt bedingen aus dieser Perspektive eine beständige gesellschaftliche Komplexitätssteigerung, die gleichsam automatisch staatliches Handeln hervorbringt (John 2012:90). Wachstum und sozialer Fortschritt führen also – so lautete z. B. eine These von Zöllner (1963) – „alternativlos“ zur Anpassung politischer Maßnahmen und vor allem zur Steigerung der staatlichen Sozialausgaben
Ein früher Vertreter dieser Variante der These von der sozioökonomischen Determination der Staatstätigkeit ist der Ökonom Adolph Wagner (1835-1917). Er formulierte 1892 in seinem Werk „Grundlegung der politischen Ökonomie“ die Prognose, dass die öffentlichen Aufgaben und Ausgaben kontinuierlich wachsen – eine Annahme, die als Wagner‘sches Gesetz steigender Staatsquoten bekannt wurde. Dem Wagner’schen Gesetz zufolge gewinnt der Staat im Zuge des technischen Fortschritts und der damit verbundenen volkswirtschaftlichen Entwicklung bei der Produktion von öffentlichen Vorsorge- und Fürsorgeleistungen gegenüber privaten Akteuren beständig an Bedeutung. Dies wiederum drückt sich in einem kontinuierlichen Wachstum der absoluten Staatsausgaben und der Staatsquote (d. h. des Ausgabenanteils aller öffentlichen Haushalte am Bruttoinlandsprodukt) aus. Das Wagner’sche Gesetz besteht also, kurz gesagt, in der These, dass bei anhaltender wirtschaftlicher Entwicklung automatisch oder regelmäßig die Regelungsaktivitäten des Staates und die Staatsausgaben steigen
Jüngere Untersuchungen, die dieser Theoriefamilie zugerechnet werden können, behandeln sozioökonomische Rahmenbedingungen nicht mehr als Einflussgrößen, die staatliches Handeln und öffentliche Sozialpolitiken alleine determinieren. Vielmehr weisen etwa Francis G. Castles oder – im deutschsprachigen Forschungskontext – Jens Alber und Herbert Obinger auf das komplexe Zusammenwirken der sozioökonomischen Bedingungen mit weiteren Einflussfaktoren hin. Insbesondere institutionelle Faktoren, das Alter des sozialen Sicherungssystems und Pfadabhängigkeit, aber auch nationale Beschäftigungsstruktur oder kulturelle Faktoren spielen hier eine Rolle. Die Faktorenkombination spielt im Übrigen auch bei der Analyse der Staatstätigkeit in anderen Politikfeldern eine bedeutende Rolle.
Außerdem verschiebt sich die Perspektive der Forschung, die am Wirken von exogenen Einflussfaktoren staatlichen Handelns interessiert ist, sowohl mit Blick auf die abhängige als auch auf die unabhängige/n Variable/n. Neben der Frage nach dem Ausbau und in jüngerer Zeit auch der Konsolidierung oder dem Rückbau der traditionell umverteilenden Sozialpolitiken interessiert auf der Seite der abhängigen Variablen nunmehr verstärkt die Entstehung neuer Politiken (z. B. Demografiepolitik, Fertilitätspolitik) im Zusammenhang mit dem Auftreten neuer sozialer Phänomene oder geänderter Probleme. Auf der Seite der unabhängigen Variable/n werden dabei neben der klassischen sozioökonomischen Erklärungsvariable Wirtschaftswachstum weitere Faktoren wie der demografische Wandel, der Wandel von Arbeitsgesellschaft und Familienstrukturen oder auch der Faktor Staatsverschuldung bzw. Austerität wichtiger. Allgemein wird die sozioökonomische Situation und Entwicklung in einem Land heute eher als eine wichtige generelle Rahmengröße des politischen Entscheidens behandelt, weniger als determinierender Faktor.
Kritik: Hierbei wiegt insbesondere der grundsätzliche Einwand gegen frühere Arbeiten schwer, dass die Annahme einer quasi automatischen Wirkung der sozioökonomischen Rahmenbedingungen auf die Staatstätigkeit den Blick für das Politische an öffentlichen Policy-Entscheidungen verstelle. Die Bedeutung von interessengeleitetem im Gegensatz zu rein problemorientiertem Entscheiden oder auch von politischem Unternehmertum oder symbolischer Politik würden dadurch übersehen (ebd.). Ein zentraler Kritikpunkt ist außerdem, dass sich Ansätze der sozioökonomischen Theorieschule vor allem dazu eignen, konvergente Policy-Entwicklungen in strukturell unterschiedlichen Staaten zu untersuchen, wohingegen Policy-Unterschiede bei gleichen oder ähnlichen sozioökonomischen Entwicklungsbedingungen im internationalen oder interregionalen Vergleich nicht erklärt werden können. Dieses Defizit hängt damit zusammen, dass sozioökonomische Theorien wichtige Einflussfaktoren des politischen Entscheidungsprozesses wie Institutionen, Interessen und Akteurskonstellationen systematisch ausblenden
Die zentrale Annahme des Machtressourcenansatzes lautet: die Inhalte politischer Maßnahmen werden geprägt durch die Einflussnahme widerstreitender gesellschaftlicher Interessengruppen. Aufgrund strukturell bedingter Machtasymmetrien zwischen den Gruppen verfügen diese über unterschiedliche Möglichkeiten, erfolgreich Einfluss auf politische Entscheidungen und deren Ergebnisse auszuüben. Der Machtressourcenansatz lenkt die Aufmerksamkeit damit – anders als die Theorien der sozioökonomischen Determination – auf endogene Einflüsse von politischen Maßnahmen und Staatstätigkeit, konkret auf den Einflussfaktor „gesellschaftliche Interessenvermittlung“
Traditionell haben sich Vertreterinnen des Machtressourcenansatzes für den konfliktgeladenen Gegensatz von Arbeit und Kapital in modernen kapitalistischen Industriegesellschaften interessiert. Dabei geht es um den Einfluss, den diese beiden Gruppen, vertreten durch Gewerkschaften und Arbeitgeberorganisationen, jeweils auf die staatliche Wirtschafts- und Sozialpolitik nehmen. Grundlegend für die diversen Theorien im Spektrum des Ansatzes ist die Überlegung, dass diese zentralen Interessengruppen über bestimmte Machtressourcen verfügen und diese – von Staat zu Staat unterschiedlich effektiv – nutzen, um die politische Agenda und die Ergebnisse (Output) des politischen Entscheidungsprozesses im Sinne ihrer Interessen zu beeinflussen. Die wesentliche Machtressource der Arbeitgeberinnen im kapitalistischen Staat ist das Eigentum an den Produktionsmitteln
Allgemein führen Vertreterinnen des Machtressourcenansatzes die variierende Einflussmacht gesellschaftlicher Interessengruppen auf wenigstens sechs „Ressourcen“ zurück: Organisationsfähigkeit einer Gruppe (Mitgliederstärke, gesellschaftliche Verankerung, Kohärenz der Organisation), Konfliktfähigkeit (Verfügung über eigene finanzielle Ressourcen, über politische Druckmittel), Mobilisierungsfähigkeit (Fähigkeit zur raschen und massenhaften Mobilisierung der Mitglieder der je vertretenen Gruppe im Konfliktfall), parlamentarische und außerparlamentarische Präsenz (Zugang zu politischen Entscheidungsträgern in Regierung und Opposition, personell-funktionale Verflechtung, Vernetzung mit anderen Interessengruppen, Zugang zu den Medien), Regierungsbeteiligung der Gruppe (Zugang zur Regierung und der höheren Ministerialverwaltung) und soziale Absicherung der Gruppenmitglieder gegenüber dem Druck des Marktes (Fähigkeit zur dauerhaften Interessenvertretung, unabhängig von wirtschaftlichen Subsistenzsorgen)
Für die zuletzt genannte Machtressource hat Gøsta Esping-Andersen, einer der zentralen Vertreter des Ansatzes, im spezifischen Kontext der Untersuchung der gewerkschaftlichen Einflusskapazitäten auf wohlfahrtsstaatliche Politik den Begriff der „Dekommodifizierung“ geprägt. Dieser bezeichnet das Ausmaß, in dem Menschen aufgrund der Existenz sozialer Rechte und einer entsprechenden sozialen Absicherung in einem Wohlfahrtsstaat davon unabhängig sind, ihre Arbeitskraft als „Ware“ („commodity“) auf dem Arbeitsmarkt „verkaufen“ zu müssen#
Wie bei der sozioökonomischen Theoriefamilie lassen sich auch bei der Machtressourcentheorie im Wesentlichen zwei Varianten unterscheiden: Eine liberale und eine klassentheoretisch kritische Variante.
Die liberale Variante wurzelt ursprünglich in der Kritik der modernen Demokratieforschung am Pluralismus. Die Kernannahme der pluralistischen Theorie der Interessenvermittlung, lautet: Alle gesellschaftlichen Gruppen besitzen grundsätzlich gleiche Zugangschancen zu den politischen Entscheidungsträgern und der Bürokratie und befinden sich mithin in einem Machtgleichgewicht oder einer ausgewogenen Wettbewerbssituation
In seinem Buch „The Rise and Decline of Nations“ (1982) hielt Olson der Gleichgewichtsthese der Pluralisten entgegen, dass sich in entwickelten Demokratien mit zunehmendem Alter des politischen Systems immer dichtere, durchsetzungsfähigere Koalitionen der Vertreterinnen von gleichgerichteten Partikularinteressen bildeten, die wirksamer auf staatliches Handeln – in diesem Fall die Wirtschaftspolitik – Einfluss nehmen könnten als andere Gruppen. Der Staat werde dabei mehr und mehr zum „Gefangenen“ derartiger „Verteilungskoalitionen“ ("distributional coalition", Olson 1982:57; Olson hatte hier insbesondere die Arbeitnehmerinteressen und Gewerkschaften im Blick) und reagiere mit mehr Regulierung. Dies wiederum trage zur Steigerung der Komplexität des politischen Gemeinwesens und zu seiner Bürokratisierung bei, was letzten Endes negative innovations- und wachstumshemmende Konsequenzen für die Volkswirtschaft insgesamt habe
Die kritische Variante des Machtressourcenansatzes hat ihre Ursprünge in den klassentheoretischen Werken von Karl Marx und der Klassensoziologie Max Webers. Beide argumentieren in ihren Arbeiten, dass sich die Staatstätigkeit aus dem Wirken und der Durchsetzung von ganzen gesellschaftlichen Klassen, die ihrerseits schlagkräftige Organisationen gegenüber der Politik ausbilden, erklären ließen. Die betreffenden Klassen und/oder Gruppen – im Fokus stehen hier ebenfalls die Arbeiterklasse und die Seite der Kapitalvertreterinnen – verfügten, von Staat zu Staat variierend, über bestimmte Machtressourcen (z. B. privilegierter Zugang von Gewerkschaften zu Regierung und/oder Opposition in Staaten mit starken Linksparteien) und könnten sich daher eher als die konkurrierenden Klassen (und Interessengruppen) mit ihren Vorstellungen und Politikzielen gegenüber den politischen Entscheidungsträgern durchsetzen.
Die Stärke des Machtressourcenansatzes liegt darin, Eine zentrale Schwäche des Ansatzes liegt in seiner verengten Perspektive auf bestimmte Akteure oder Interessengruppen (Arbeitgeberorganisationen, Gewerkschaften). Bereits innerhalb der Sozialpolitikforschung erscheint die Perspektivenverengung des Ansatzes auf Arbeitgeber und Gewerkschaften kritikwürdig. Im Machtressourcenansatz ist z. B. der heute wichtige Interessensgegensatz zwischen „Insidern“ und „Outsidern“ des Arbeitsmarktes, also den Arbeitnehmerinnen, die in einem sog. Normalarbeitsverhältnis beschäftigt sind, einerseits und den Stelleninhaberinnen im Rahmen der sog. atypischen Beschäftigung (geringfügige Beschäftigung, befristete Beschäftigung, Teilzeitarbeit, Leih- und Zeitarbeit) sowie den (Langzeit-) Arbeitslosen andererseits lange Zeit vernachlässigt worden.
Darüber hinaus ist insbesondere zu kritisieren, dass sich der Machtressourcenansatz in seiner kritischen Variante im Wesentlichen auf die Erklärung von Sozialpolitik beschränkt und damit andere Politikbereiche mit ihren spezifischen Interessengruppenkonstellationen vernachlässigt.
Dabei weisen auch jenseits der Konfliktlinie von Arbeit versus Kaptal gesellschaftliche Gruppen in vielen Bereichen erhebliche Machtasymmetrien auf. Und diese Machtasymmetrien führen häufig dazu, dass bestimmte Gruppen einen größeren Einfluss auf politische Maßnahmen haben, als andere. Diese Unterschiede werden in anderen Bereichen als der Sozialpolitik jedoch in der Regel von anderen Forschungsrichtungen als der Policyforschung thematisiert.
Aus der Perspektive der Parteiendifferenztheorie sind der Beschluss und der Zuschnitt politischer Maßnahmen in erster Linie das Ergebnis der jeweiligen parteipolitischen Zusammensetzung der Regierung. Im Unterschied zum Machtressourcenansatz stellt dieser Ansatz also nicht auf Organisationen der gesellschaftlichen Interessenvermittlung ab, sondern auf die politischen Parteien und ihre zentrale Funktion bei der politischen Gestaltung.
Dabei ist die erste grundlegende Annahme der Parteiendifferenztheorie, dass sich Parteien in ihren Policypositionen systematisch (also nicht nur zufällig oder gelegentlich) unterscheiden, und zwar sowohl, weil sie unterschiedliche ideologische Wurzeln haben, als auch, weil sie sich um unterschiedliche Wählerinnenklientele bemühen.
Zweitens wird angenommen, dass sich diese Unterschiede, wenn bestimmte Parteien die Regierung bilden, auch in den von der Regierungsmehrheit im Parlament beschlossenen Policies niederschlagen. Demnach sollten sich also die beschlossenen Regelungen in bestimmten Politikfeldern systematisch danach unterschieden, welche Parteien regieren. So sollten beispielsweise linke Parteien eher umverteilende Maßnahmen beschließen und mit staatlichen Investitionen die Wirtschaft ankurbeln, während konservative und liberale Parteien bei der Umverteilung eher zurückhaltend sein, die Staatsausgaben begrenzen und wirtschaftliches Wachstum durch Deregulierungs- und Liberalisierungsmaßnahmen zu erreichen versuchen sollten.
Damit einher geht drittens die Annahme, dass es nach einem Wechsel in den Regierungsparteien auch zu einem Policywandel kommen sollte. Dieser Wandel von Politikinhalten im Anschluss an Regierungswechsel sollte in Ländern mit Mehrheitswahlrecht und Zwei-Parteien-System (die in der Regel zu Ein-Parteien-Regierungen führen, Prototyp UK) radikaler ausfallen als in Ländern mit Mehrparteiensystem und Koalitionsregierungen
Hinter diesen Zusammenhängen können im Wesentlichen die folgenden kausale Mechanismen stecken: beim Vote-Seeking orientieren sich Parteien an der Regierung in ihren Policy-Entscheidungen so an den Präferenzen ihrer Wählerschaft, dass sie wie gewählt werden – und dann auch politische Ämter besetzen können (Vote- oder Office-seeking). Beim Policy-Seeking wird angenommen, dass sich Parteien an ihren ideologischen Wurzeln orientieren und daher bestimmte Projekte durchsetzen wollen
Überdies stellte sie auch die bis dato verbreitete rationalistische Annahme der ökonomischen Theorie der Demokratie in Frage, die Parteien ausschließlich als Wählerinnenstimmen-Maximierer (Vote-Seeker) auffasste (Downs 1957). Während Downs annahm, dass diese Orientierung an der Wählerinnenstimmenmaximierung ggf. von hergebrachten Zielen der Partei wegführen würde kann Hibbs’ Parteiendifferenzlehre zufolge das Wiederwahlinteresse von Parteien in Regierungsverantwortung gerade als ein wichtiger Grund dafür gesehen werden, dass parteipolitische Akteure gerade nicht „leichtfertig“ von ihren inhaltlichen Kernpositionen abweichen; auch zum Zweck der Wiederwahl versuchen sie, die Präferenzen ihrer Kernwählerinnenschaft in ihren Politiken so weitgehend wie möglich zu berücksichtigen.
Tufte nahm an, dass die Staatstätigkeit vor allem von drei zentralen Faktoren bestimmt sei, nämlich erstens der volkswirtschaftlichen Gesamtsituation zum Wahlzeitpunkt, zweitens der parteipolitischen Färbung der Regierung und drittens dem Wahlterminkalender. Ein zentrales neues Element in Tuftes Variante der Parteiendifferenztheorie war die Vorstellung des politisch-elektoralen Konjunkturzyklus. Demnach hängen die Wirtschaftspolitik und die makroökonomische Performanz eines Landes von den konjunkturellen Rahmengrößen zum Zeitpunkt von Wahlen und der dann wahrgenommenen wirtschaftspolitischen Bilanz der Regierungspartei/en ab: „As goes politics, so goes economic policy and performance.
Tufte ging keineswegs von einer voll ausgeprägten wirtschaftspolitischen Steuerungsfähigkeit des parteipolitisch regierten Staates aus, sondern wies ausdrücklich auch auf die „Grenzen der politischen Kontrolle“ (Tufte 1978:138) hin. Diese sah er z. B. in fachlich-sachlichen Wissensdefiziten der Politik und der Wählerinnen gegenüber der Wirtschaft, Konflikten zwischen politisch einflussreichen Interessengruppen außerhalb der Parteien oder auch in der Tatsache eines nur lückenhaften regulativen Überbaus über privatwirtschaftliches Handeln (Tufte 1978). Schon für die ursprünglichen Vertreter der Parteiendifferenztheorie spielten also Zusammenhänge der Parteipolitik mit anderen Einflussgrößen des politischen Entscheidungsprozesses eine Rolle.
Grundlegend sind dabei die folgenden Überlegungen von Bedeutung: Erstens erschien die Parteiendifferenztheorie immer schon etwas „institutionenblind“. Heute gibt es vielfältige konzeptionelle Überlegungen, die darauf abzielen, dass Parteieneffekte durch Institutionen vermittelt werden oder von diesen abhängen können, und auch Anwendungsformate, die dies mit unterschiedlichen Methoden herausarbeiten
Zweitens beruht die Parteiendifferenztheorie auf der Annahme, dass das Parteiensystem entlang der zentralen gesellschaftlichen Konfliktlinien organisiert ist. So ist etwa die heute noch bedeutsame Konfliktlinie zwischen Markt und Staat traditionell im Wesentlichen auf der Rechts-Links-Achse im Parteiensystem abgebildet. Daher lautet eine traditionelle Erwartung in Anwendung der Parteiendifferenztheorie zur Erklärung insbesondere von wirtschafts- und sozialpolitischen Maßnahmen, dass sich die Parteien systematisch in ihren Positionen (und Politiken) der sozialen Umverteilung unterscheiden
Demgegenüber stellen Gingrich & Häusermann in einem Langzeitvergleich (1970-2012) des Wahlverhaltens in 15 europäischen Staaten einen „middle-class shift“ fest. Sie beobachten, dass sich die Wählerinnenschaften insbesondere der linken Parteien in den untersuchten Staaten wandeln und dabei insbesondere der Anteil von Angehörigen der Arbeiterklasse abnimmt, während der von Angehörigen der Mittelschicht zunimmt; zugleich beobachten sie, dass auch rechte Parteien den Sozialstaat zunehmend unterstützen
Hingegen nimmt die neue Parteientheorie an, dass sich Parteiprogramme wandeln, wenn sich die Wählerinnenschaft und ihre Wünsche ändern (s.o.). Demnach könnten alle Parteien mit anspruchsvollen Umweltpolitiken aufwarten, sofern die Wählerinnenschaft intensiv danach verlangt.
Dabei unterscheiden sich die verschiedenen Ansätze (vom Rational-Choice-Institutionalismus über den historischen Institutionalismus bis hin zum normativ-soziologischen Institutionalismus – in jüngerer Zeit kam noch der diskursive Institutionalismus hinzu) erheblich: sie beruhen auf unterschiedlichen Verständnissen davon, was überhaupt Institutionen sind, wie sich Akteure in institutionellen Kontexten verhalten und wie Institutionen letztlich auf politische Ergebnisse wirken
Gemeinsam ist ihnen im Grunde nur, dass sie Institutionen für den wichtigsten Einflussfaktor auf politische Prozesse und deren Ergebnisse halten (Peters 2019:237). Aus dieser Heterogenität erklärt sich auch die enorme Bandbreite an Anwendungen. So existiert neben Studien, die den Einfluss ganzer politischer Institutionensysteme auf die Staatstätigkeit und öffentliche Politik untersuchen eine ganze Reihe von Studien, die sich mit den Policy-Effekten bestimmter institutioneller Aspekte oder Teilstrukturen im Rahmen ausgewählter Regierungssysteme oder auch im Vergleich befassen
Schließlich lassen sich noch Studien identifizieren, die das Augenmerk weniger auf ganze Institutionensysteme oder bestimmte einzelne institutionelle (Teil-) Strukturen richten, als vielmehr auf die Freiräume oder Beschränkungen von Regierungshandeln – abgebildet am Grad der Reformfähigkeit von Staaten – im Rahmen bestimmter Policy-spezifischer institutioneller Arrangements.
Vetospieler-Theorie: Mit seinem 1995 entwickelten Vetospieler-Theorem wollte George Tsebelis erklären, warum in manchen politischen Systemen gravierende Politikwechsel häufig, in anderen jedoch selten sind. Unter Politikwechsel versteht Tsebelis dabei den Austausch oder Wandel politisch-inhaltlicher Ziele und Instrumente (policy change). Die Fähigkeit politischer Systeme zum Politikwechsel oder ihre Reformfähigkeit stellt also Tsebelis’ abhängige Variable dar (ebd.). Er geht von der Annahme aus, dass die von Regierungssystem zu Regierungssystem unterschiedlich ausgeprägte Kapazität zur (radikalen) Reform sich über die je nach Politikfeld institutionell unterschiedlichen Möglichkeiten von so genannten Vetospielern zur Einflussnahme auf die politische Entscheidungsfindung erklären lässt.
Als Vetospieler bezeichnet Tsebelis all diejenigen individuellen oder kollektiven Akteure, deren Zustimmung für den Wandel von Policies oder eine Veränderung des politisch-inhaltlichen Status quo notwendig ist. Die Eigenschaft von Akteuren als Vetospieler variiert je nach Politikfeld und Policy-spezifischem Institutionen-Arrangement. Dabei existieren nach Tsebelis prinzipiell zwei Typen von Vetospielern: erstens institutionelle Vetospieler („institutional veto players“) – sie beziehen ihre Veto- oder Einspruchsmacht aus ihrer formalen Verfasstheit und Verankerung innerhalb des politisch-administrativen Systems (z. B. Regierung, Parlamente, Fraktionen, Verwaltungen, Verfassungsgericht etc.); und zweitens (partei-) politische Vetospieler („partisan veto players“) – sie beziehen ihre (nicht notwendig formale) Vetomacht aus ihrer Funktion als legitime Vertreter bestimmter Politikinteressen (z. B. Parteien).
In seinem Aufsatz „Decision Making in Political Systems: Veto Players in Presidentialism, Parliamentarism, Multicameralism and Multipartyism“ stellt Tsebelis die Hypothese auf, dass die Fähigkeit eines politischen Systems zum Politikwechsel in einem bestimmten Politikfeld in dreierlei Weise durch die Variable Vetospieler beeinflusst wird. Demnach hängt die politisch-inhaltliche Reformfähigkeit eines Staates ab von:
der Anzahl der Vetospieler in dem betreffenden Politikfeld; hierbei wird angenommen: je mehr Vetospieler, desto geringer die Fähigkeit zum Politikwechsel;
der Kongruenz zwischen unterschiedlichen Vetospielern im selben Feld, d. h. ihrer inhaltlichen Nähe oder Übereinstimmung in politischen Sachfragen; in diesem Zusammenhang nimmt Tsebelis an: je geringer die Kongruenz, desto geringer die Fähigkeit zum Politikwechsel, und
von der inneren Kohäsion der Vetospieler (bei kollektiven Akteuren), d. h. ihrem inneren Zusammenhalt bzw. der interessenbezogenen, politisch-ideologischen und normativen Homogenität/Heterogenität ihrer Mitglieder, wobei gilt: je homogener ein bestimmter kollektiver Vetospieler, desto geringer die Fähigkeit zum Politikwechsel, sofern gleichzeitig eine hohe Inkongruenz zwischen den unterschiedlichen kollektiven und individuellen Vetospielern herrscht (Tsebelis 1995:293)
Alle drei Elemente der Variable Vetospieler, also ihre Anzahl, die Kongruenz zwischen ihnen und die innere Kohäsion der einzelnen kollektiven Vetospieler, sind im Zusammenhang politikfeldanalytischer Untersuchungen von Bedeutung. So zeigt Tsebelis mit der Unterscheidung verschiedener Merkmalsausprägungen, dass diese zentrale unabhängige Variable in seinem Theorem nicht für sich alleine stehen kann. Vielmehr wird sie in ihrer Erklärungskraft für das Phänomen Politikwechsel erst dann vollständig erkennbar, wenn weitere Erklärungsfaktoren mitberücksichtigt werden, die mit dem institutionellen Faktor Vetospieler verbunden sind (z. B. das Spektrum politischer Positionen und Zielauswahlen zu einem bestimmten Policy-Problem, die normative Einstellung der individuellen Mitglieder eines kollektiven Akteurs). Zugleich werden über die Berücksichtigung der verschiedenen Ausprägungen der Variable Vetospieler Institutionen als Erklärungsfaktoren für Politikwandel sichtbar. Denn hierüber wird die Eingebundenheit der relevanten Akteure innerhalb eines Politikfelds in eine bestimmte Struktur formaler und informeller Regeln am Policy-Beispiel deutlich
Ein Vorteil des Vetospieler-Theorems besteht in seiner guten Anwendbarkeit in international vergleichenden, quantitativ wie auch qualitativ angelegten Studien. Im internationalen Vergleich wird die Erklärungskraft des Ansatzes besonders deutlich, weil hiermit die Anzahl der Vetospieler und damit die Dichte der „Einspruchskoalitionen“ in einzelnen Staaten einander gegenübergestellt werden. Dabei – und hierin liegt eine Schwäche des Ansatzes – sollte sich die Forscherin allerdings nicht dazu verleiten lassen, zu einfache Rückschlüsse zu ziehen – eine hohe Zahl von Vetospielern ist noch nicht notwendig ein Beleg für die mangelnde Reformfähigkeit eines Staates oder „Reformstau“
Bei der Nutzung des Vetospieler-Theorems müssen – dies wurde oben schon angedeutet – neben dem institutionellen Erklärungsfaktor stets weitere Faktoren berücksichtigt werden; insbesondere muss das Augenmerk dabei auf die Frage gerichtet sein, wie Akteure sich in institutionellen Settings verhalten und ob sie gegebene Regeln tatsächlich einhalten. Schließlich – und auch dies stellt eine Schwäche des Vetospieler-Theorems dar – sind die Merkmalsausprägung Kongruenz und Kohäsion der Variable Vetospieler schwer operationalisierbar (Schmidt & Ostheim 2007:71). Damit jedoch lassen sich wesentliche Annahmen des Ansatzes in Bezug auf die Überschneidung von Akteursinteressen in institutionellen Arrangements nur schwer empirisch überprüfen
Problematisch ist allerdings, dass institutionalistische Ansätze bei der Erklärung von Policy-Wandel schwach sind – Institutionen verhindern in der Tendenz Wandel eher. Im Bereich der (vergleichenden) Kapitalismus- und Wohlfahrtsstaatsforschung sehen sie Wandel vor allem i. S. eines Auf- oder Ausbaus der Staatstätigkeit vor. Rück- oder Abbau von Staatstätigkeit kann hiermit hingegen nicht hinreichend erklärt werden (vgl. Thelen & Streeck 2005). Daher hat die politisch-institutionalistisch argumentierende Policy-Forschung institutionelle Faktoren in der Vergangenheit zumeist als Erklärungsfaktoren für die Beharrung bestimmter Policies wahrgenommen.
Politische Institutionensysteme wurden dabei als das von der Vorgängerregierung übernommene, regelhaft verfestigte politische Erbe interpretiert. Oder aber sie wurden als „Sicherheitsnetze“ z. B. für bürokratische Akteure dargestellt, und es wurde argumentiert, dass solche Akteure allenfalls unter der Einwirkung hohen externen Drucks oder Zwangs mit Wandel reagieren. Dabei wurde argumentiert, dass in diesem Fall auch kein abrupter, vollständiger Wandel zu erwarten sei, sondern vielmehr ein schrittweiser oder „inkrementeller“ Wandel, der in eine pfadabhängige Weiterentwicklung von Institutionen münde
Die Internationalisierungshypothese lenkt die Aufmerksamkeit der Policy-Forscherin weg von endogenen Einflussfaktoren der Staatstätigkeit hin zum globalen und/oder supranationalen Umfeld staatlichen Handelns und öffentlicher Politik. In ihrem Zentrum steht die Annahme, dass die Staatstätigkeit zunehmend vom Wandel der internationalen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Konstellationen beeinflusst wird. Dabei werden sowohl direkte als auch indirekte Wirkungen internationaler, transnationaler und supranationaler Einflusskräfte16 auf nationale Politik, Gesellschaft und Volkswirtschaft betrachtet. Insbesondere diejenigen Vertreterinnen der Internationalisierungshypothese, die das Hauptaugenmerk auf die Dynamiken der „Globalisierung“ (Schirm 2006) legen, überschneiden sich in ihrer Argumentation mit der sozioökonomischen Theorieschule, aber auch mit dem „Neo-Institutionalismus“
Allgemein kann bei der politikfeldanalytischen Überprüfung der Internationalisierungshypothese zwischen zwei Wirkungsebenen unterschieden werden, nämlich:
Prozessen des inter- oder transnationalen, grenzüberschreitenden politischen Entscheidens oder „Policy-Making“ (vgl. Zürn 1998); neben formaler Regulierung durch internationales Recht spielen hier auch Ansätze zur freiwilligen Regulierung durch private, teils national, meist jedoch transnational oder international agierende Akteure und Interessengruppen in bestimmten Politikfeldern (z. B. Umwelt- und Sozialpolitiken: internationale Umweltstandards und Sozialstandards) eine Rolle (vgl. Töller 2011);
Prozessen der Anpassung oder des Wandels nationaler Politikinhalte aufgrund von internationalen Einflüssen sowohl i. S. von indirektem Anpassungsdruck als auch von Anpassungszwang.
Der „Globalisierungs“-orientierte Zweig der politikfeldanalytischen Internationalisierungsforschung beschäftigt sich mit der Frage nach den Wirkungen der internationalen Verflechtung von nationalen Ökonomien, Gesellschaften und Politik-Arenen auf (nationales) Regierungshandeln und öffentliche Politiken. Mit dem Begriff der „Globalisierung“ bezeichnen Sozialwissenschaftlerinnen dabei weitgehend übereinstimmend die Einflüsse, die von der Öffnung nationaler Waren- , Dienstleistungs- und Finanzmärkte sowie der Intensivierung der grenzüberschreitenden globalen Güter- und Finanztransaktionen auf nationalstaatliches Handeln ausgehen (vgl. Schirm 2006:13). Verbreitete Indikatoren hierfür sind das Außenhandelsvolumen eines Staates sowie die Höhe der privaten Auslandsinvestitionen
Hier gilt David R. Cameron als ein früher Vertreter der Globalisierungsthese. In seiner internationalen quantitativ-vergleichenden Studie der Entwicklung des öffentlichen Sektors in achtzehn westlichen Wohlfahrtsstaaten (1978) stellte er fest, dass neben weiteren, überwiegend endogenen Variablen (Parteienkonkurrenz und parteipolitische Färbung der Regierung, nationales Steuersystem, institutionelles Arrangement der Regierung, gesamtwirtschaftliches Wachstum) insbesondere der Grad der internationalen Öffnung der heimischen Volkswirtschaft – gemessen am Außenhandelsvolumen – die Entwicklung des öffentlichen Sektors in den Untersuchungsstaaten beeinflusst habe und dabei positiv mit dem Wachstum desselben korreliere
Der zentrale Schluss, den Cameron aus dieser Beobachtung zog, lautet: (Kleine) Staaten mit offener Volkswirtschaft büßen (eher als [große] Staaten mit relativ geschlossener Volkswirtschaft) die Fähigkeit zur Steuerung der heimischen Wirtschaft und zur sozialen Absicherung der Bevölkerung ein. Denn die Konkurrenzsituation mit ausländischen Unternehmen, der die nationalen Unternehmen durch die grenzüberschreitende Marktöffnung ausgesetzt sind (u. U. geringeres Regulierungsniveau, geringere Steuern und Abgaben, geringere Löhne), zwingt Regierung und gesellschaftliche Interessengruppen im Bereich der Wirtschafts- und Sozialpolitik zum Verzicht auf den Einsatz bestimmter politischer Steuerungsinstrumente und zur Verfolgung einer moderaten Lohnpolitik. Das Wachstum des öffentlichen Sektors wird in diesem Zusammenhang als eine Art Abwehrreaktion des Staates interpretiert
Im Mittelpunkt der politikfeldanalytischen Europäisierungsforschung stehen die Effekte der europäischen Integration auf nationale Policies. Der Begriff der „Europäisierung“ steht in diesem spezifischen Forschungskontext vorrangig für die Rückwirkungen des europäischen Integrationsprozesses auf nationales (regionales, lokales) Handeln und politisches Entscheiden in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU).
Für die Politikfeldforschung sind hier drei unterschiedliche Mechanismen von Interesse, die mit den Begriffen der positiven und der negativen Integration sowie der indirekten Effekte bezeichnet worden sind. Aufgrund des Mechanismus der „positiven Integration“, also der freiwilligen Übertragung nationalstaatlicher Entscheidungskompetenzen auf die europäische Ebene im Laufe des europäischen Integrationsprozesses seit den 1950er Jahren und der harmonisierten Regelung von Materien auf der europäischen Ebene (Scharpf 1999; 2008), bildet die EU heute eine eigene, die mitgliedstaatlichen Regierungssysteme überspannende und integrierende Mehrebenenregierungs- und damit Regulierungsstruktur. Hier findet die Gestaltung grenzübergreifender Policies in beinahe allen relevanten Feldern öffentlicher Politik statt.
Zugleich wirkt innerhalb der EU auch der Mechanismus der „negativen Integration“, also des Abbaus von nationalen Regulierungsschranken ökonomischen Handelns im gemeinsamen Binnenmarkt der die autonome nationale Handlungsfähigkeit empfindlich einschränkt. Hinzu kommt schließlich noch der Integrationsmechanismus der indirekten Effekte. Diese gehen von bestimmten europäischen Regelungen oder Standards auf nationale Politiken aus. Das klassische Beispiel hierfür sind die Maastricht-Defizit-Kriterien, die sich auf die nationale öffentliche Haushaltswirtschaft in all ihren Teilbereichen (z. B. auch den Sozialversicherungen) auswirken
Mit der Internationalisierungshypothese kann der in vielen Politikfeldern unbestreitbare Bedeutungszuwachs internationaler (globaler und europäischer) Rahmenbedingungen für die Entscheidungen über nationale Policies erfasst werden (man denke z. B. an die Wirtschaftspolitik, die Finanzmarktregulierung, die Sozialpolitik, die Umweltpolitik und den Klimaschutz). Zugleich besitzt die Internationalisierungshypothese an sich nur eine eingeschränkte Erklärungskraft. Das Problem liegt bei der schwierigen empirischen Überprüfbarkeit der Hypothese. Vor diesem Hintergrund ist es empfehlenswert, die Internationalisierungshypothese mit anderen Ansätzen (z. B. politisch-institutionalistischen Theorien, der Parteiendifferenzlehre, der Pfadabhängigkeitsthese) zu kombinieren und damit auf konkrete, nationale oder internationale Entscheidungskontexte oder -situationen „herunterzubrechen“
Ungeachtet der Frage, ob dies im Einzelfall konzeptionell und methodisch gelingt, liegt ein zentrales Defizit der Internationalisierungsansätze darin, dass sie die kausalen Mechanismen des tatsächlichen Einflusses internationaler Ereignisse, Prozesse, Beziehungsmuster und Regelungen auf nationale Politiken nicht offen legen. Selbst im Fall des häufig relativ greifbaren EU-Einflusses ist es schwierig, eindeutige Belege für Europäisierungswirkungen auf nationale Politiken zu finden. Weil die nationalen Regierungen der Mitgliedstaaten in der Regel an den Policy-Entscheidungen der EU beteiligt sind und sich mit ihren nationalen Policy-Interessen in der europäischen Politikarena in unterschiedlichem Maße durchsetzen können, aber auch, weil die nationalen Verwaltungen, die für die Implementation europäischer Policies zuständig sind, großen Einfluss auf die Umsetzung der europäischen Beschlüsse in den Mitgliedstaaten ausüben (vgl. Hustedt et al. 2014), bleibt das tatsächliche Ausmaß der Europäisierung sogar in den Feldern umstritten, in denen die EU die Rechtsetzungskompetenz innehat und Rechtsakte von unmittelbarer Gültigkeit in den Mitgliedstaaten setzt
Ein direkter kausaler Zusammenhang zwischen internationalen und/oder europäischen Einflüssen einerseits und nationalem Policy-Wandel andererseits lässt sich also häufig schwer herstellen. Auf ihrem Weg in nationale öffentliche Politiken werden internationale Einflussfaktoren durch das Wirken der politischen Institutionen eines Staates und der Policy-Akteure gefiltert und dabei nicht selten abgemildert, manchmal aber auch verschärft (was in der Europäisierungsforschung als „gold-plating“ bezeichnet wird). Ein Grund für den Hang zur Abmilderung externer Vorgaben ist u. a. das routinierte Festhalten von staatlichen und nicht-staatlichen Policy-Akteuren an bestimmten, aus der Vergangenheit ererbten Politikinhalten sowie Policy-spezifischen Verfahren und institutionellen Settings.
Die Theorieansätze der Pfadabhängigkeit und des Politikerbes nehmen genau dies, die Beobachtung, dass öffentliche Politiken eine „Geschichte“ haben, zum Ausgangspunkt ihrer Argumentation. Im Kern beruhen diese Ansätze auf der folgenden These: Politik, die hier und heute gemacht wird, wird durch vergangene Policy-Entscheidungen und „ererbte“, also von den Vorgängerregierungen übernommene Politikinhalte, -verfahren und -strukturen beeinflusst.
Im Hintergrund dieser These stehen unterschiedliche empirische Beobachtungen und theoretische Überlegungen. Erstens kann grundsätzlich nicht davon ausgegangen werden, dass individuelle und darüber vermittelt auch kollektive politische Akteure – Regierungen, Bürokraten, Interessengruppen und andere nicht-staatliche Akteure etc. – in den meisten Handlungssituationen zu vollständig informiertem und vollständig rationalem Handeln in der Lage sind. Akteure treten in politische Handlungs- und Koordinationssituationen in der Regel unter den Voraussetzungen eingeschränkter Information und „begrenzter Rationalität“ („bounded rationality“; Simon 1957; 1972) ein. Das heißt, sie sind eingeschränkt durch individuelle kognitive Grenzen, normative Vororientierungen, den expliziten oder impliziten Einfluss ihrer sozialen Umgebung und übernommenes Erfahrungswissen. In diesem Kontext stellt das „Andocken“ der eigenen Handlungsorientierungen an vorgefundene Inhalte oder Verfahren oder auch die Verteidigung bereits durchgesetzter Interessen eine Quelle von Sicherheit bei der Interaktion und Koordination mit anderen Akteuren dar
Zweitens ist insbesondere in reifen Demokratien die (neue) Politikgestaltung von vorn herein bis zu einem gewissen Grad vorbestimmt. Denn mit dem Beschluss von bestimmten Politikinhalten in der Vergangenheit schufen Vorgängerregierungen zugleich auch „Fakten“: Bestimmte rechtsverbindliche Pflichten des Staates gegenüber den Bürgern oder auch gegenüber gesellschaftlichen Gruppen oder anderen Staaten, die von den nachfolgenden Regierungen nicht ohne weiteres ignoriert werden können. Dies gilt z. B. für soziale Rechte, wie die staatliche Garantie der Pension von öffentlichen Bediensteten
Hieraus ergibt sich eine dritte Überlegung. Gerade in komplexen demokratischen Wohlfahrtsstaaten ist es unwahrscheinlich, dass neu gewählte Regierungen ein Interesse an der radikalen Veränderung von Politiken haben, wobei allerdings angenommen werden darf, dass die Veränderungsbereitschaft von Feld zu Feld variiert. Generell spricht gegen die Annahme radikaler Politikwechsel die Überlegung, dass die Übernahme von Politikinhalten oder die Fortsetzung ererbter öffentlicher Politiken mit Rationalisierungsgewinnen verbunden ist. Je länger eine bestimmte Politik verfolgt wird, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass hier Handlungsroutinen entstanden sind und Institutionen geschaffen wurden, die sich nur um den Preis hoher Transaktionskosten abwandeln lassen. Paul Pierson spricht in diesem Zusammenhang von ansteigenden Gewinnen („increasing returns“) durch eingeübte Praxis und teils institutionalisierte Handlungsmuster oder -routinen
Vergangene Policy-Entscheidungen wirken also – folgt man den Vertreterinnen der Theorien des Politikerbes – immer auch als Weichenstellungen für gegenwärtige oder künftige Politik. Dabei lassen sich auch hier wieder zwei Varianten der Theorie unterscheiden. Die erste Theorievariante ist eng mit dem Konzept der „Pfadabhängigkeit“ verbunden, die zweite Variante mit der Idee der politischen „Erblast”.
Vertreterinnen der ersten Variante der Politikerbe-Theorie, z. B. Pierson, sind grundsätzlich von der Wandlungsfähigkeit öffentlicher Politiken überzeugt, gehen dabei allerdings – wie soeben erklärt wurde – davon aus, dass Policy-Wandel nicht oder selten radikal verläuft. Nach dieser Vorstellung beschreibt die Entwicklung öffentlicher Politiken vielmehr einen kontinuierlichen „Pfad“, der für die Akteure in einem Politikfeld im Rahmen von späteren Problembearbeitungsprozessen als historisch vorgegebene Orientierungsmarke wirkt . Dabei wird allerdings keineswegs angenommen, dass das Vergangene das Zukünftige determiniert. Wichtig für die Pfadabhängigkeitstheorie ist jedoch die Überlegung, dass plötzliche Politikwechsel oder Pfadsprünge eher die Ausnahme darstellen.
Demgegenüber wird Policy-Wandel als inkrementeller, also schrittweiser Prozess betrachtet, der sich durch hohe Stabilität in bestimmten inhaltlichen Grundpositionen auszeichnet. Man könnte diese Interpretation der Politikerbe-Hypothese als strukturbezogene oder auch als institutionalistische Interpretation bezeichnen („Historischer Institutionalismus“): Die aus einem kontinuierlichen Entwicklungsprozess übernommenen und in seiner Verlängerung fortgeschriebenen Policies wirken, ähnlich wie Institutionen, handlungsstrukturierend auf das Verhalten politischer Akteure.
Unter ganz besonderen Bedingungen, wie z. B. der Einwirkung „externer Schocks“ (Pierson 2000) oder „Krisen“ oder auch, wenn sich neue Informationen auf der politischen Agenda durchsetzen, kann diese Stabilität von Policy-spezifischen Handlungs- und Entscheidungsverläufen mehr oder weniger abrupt unterbrochen werden. Darauf weisen z. B. Frank R. Baumgartner, Bryan D. Jones und James L. True hin, die als Vertreter des Punctuated-Equilibrium-Ansatzes bekannt geworden sind. Baumgartner und Jones (1993; 2002) sowie True, Jones und Baumgartner (2007) nutzen für ihre Analyse der Policyentwicklung nicht das Bild des Pfades, sondern das des Gleichgewichts („equilibrium“). Sie beschreiben die Entwicklung politischer Maßnahmen als mehr oder weniger stabilen Prozess der Informationsverarbeitung im politischen System unter Bedingungen begrenzter Rationalität der entscheidenden Akteure.
Im Regelfall sei die Politikentwicklung stabil, weil politische Entscheidungsträger in modernen Demokratien – aufgrund ihrer begrenzten Rationalität und der Fülle an zu verarbeitenden Informationen – das Policy-Making zu weiten Teilen an eine Vielzahl von „Bürokraten-Experten-Zirkeln“ auslagern (müssten).Diese institutionalisierten Zirkel wiederum stünden ihrerseits in einem Gleichgewichtsverhältnis, wenn es darum gehe, mit Informationen und Policy-Vorschlägen auf das politische Agenda Setting Einfluss zu nehmen und zur Entscheidungsfindung durchzudringen. Unter diesen Bedingungen der parallelen Informationsverarbeitung („parallel processing“) durch komplexe institutionell abgesicherte Akteurs-Zirkel mit dem „Monopol“ für das politische Agenda Setting in einem bestimmten Policy-Bereich („policy monopoly“) sei das Policy-Making insgesamt über lange Zeitperioden hinweg stabil
In dem Moment jedoch, wo es neuen Akteuren (z. B. Interessengruppen, Oppositionsparteien, den Medien) gelänge, mit ihren Interessen oder Themen in einen bestimmten Bereich vorzudringen und für ein bestimmtes Thema Aufmerksamkeit zu erzeugen, werde der Gleichgewichtsverlauf der Policyentwicklung – True, Jones und Baumgartner sprechen auch von „negative feedback effects“ (2007:160) – durchbrochen („punctuated equilibrium“). Dann komme es zu tatsächlicher Politikentwicklung i. S. der Konzeption, Formulierung und des Beschlusses von zusätzlichen, neuen Policy-Maßnahmen („positive feedback effects“). Wandel i. S. der inhaltlichen Abweichung von früheren Politiken oder auch ihrer inhaltlichen Verstärkung oder Verschärfung, etwa durch die Mehrproduktion entsprechender Regelungen, kann aus dieser Theorieperspektive dann durchaus radikal verlaufen
Eine andere Wendung oder zweite Variante der Politikerbe-Theorie kommt von Richard Rose und Philip L. Davies. Sie begreifen die aus der Vergangenheit übernommenen Politiken weniger als neutrales, grundsätzlich wandelbares Entscheidungserbe, sondern vielmehr als öffentlichen Policy-Nachlass, der weiteren Policywandel quasi alternativlos vorbestimmt („Inheritance […] Without Choice“; 1994). Ostheim und Schmidt verwenden in diesem Zusammenhang den Begriff der „Erblast“. Diese Perspektive stellt sich den Politikprozesses als einen dynamischen, durch unterschiedliche und im Zeitverlauf wechselnde Machtkonstellationen und dominierende Interessen geprägten Prozesses vor. Rose und Davies ziehen aus der Überlegung, wonach gegenwärtige Regierungen in ihrem Handeln durch die Entscheidungen der Vorgängerregierungen je nach Politikfeld mehr oder weniger stark determiniert sind, den Schluss, dass der politische Handlungsspielraum gegenwärtiger Policy-Akteure weitreichend eingeschränkt sei. Allerdings ließe sich hieraus auch die Erwartung formulieren, dass gegenwärtige Regierungen oder andere Akteure – in der Erwartung oder gar dem Wissen der deterministischen Wirkung ihres Tuns – politische Entscheidungen als strategisches Instrument einsetzen
Dass die Politikerbe-Theorien auf die Existenz einer Vorgeschichte der meisten Policies und die anzunehmende Rückwirkung dieser Vorgeschichte auf gegenwärtige oder künftige Entscheidungen verweisen, ist eine generelle Stärke dieser Theorien. Hiermit ist allerdings auch die Gefahr einer im Einzelfall zu weit gehenden Determinismus-Vermutung verbunden. Das Politikerbe wurde in der Vergangenheit häufig vor allem als ein reformhemmender Faktor konzipiert. Dass das aus früheren Handlungs- und Entscheidungssituationen übernommene Politikerbe unter bestimmten Umständen gerade als reformtreibender Faktor wirken kann, wurde hingegen vernachlässigt. Gerade mit Blick auf die oben angesprochene Rahmenbedingung der öffentlichen Verschuldung (vgl. oben: sozioökonomische Theorieschule) dienen frühere Policy-Entscheidungen heute bei politischen Reformvorhaben, z. B. im Bereich der Sozialpolitik, häufig als Negativmodelle, von denen sich eine Regierung und mitunter auch die Opposition bewusst abzugrenzen sucht.
Anders als die klassischen Theorien der vergleichenden Staatstätigkeitsforschung, die sich dadurch auszeichnen, dass sie jeweils eine zentrale unabhängige oder erklärende Variable in den Mittelpunkt stellen – sozioökonomische Rahmenbedingungen, Machtressourcen von gesellschaftlichen Interessengruppen, Parteienkonkurrenz und –differenz, Institutionen oder das Politikerbe früherer Regierungen –, betrachten der Institutional Analysis and Development Framework (IAD) verschiedene Erklärungsfaktoren in Kombination
Insgesamt handelt es sich beim IAD um einen Ansatz, der mehrere unterschiedliche Erklärungsvariablen für die beobachtbaren Ergebnisse (Output) und Wirkungen (Outcome) kollektiven Handelns auf einer metatheoretischen Ebene zu einem einheitlichen, disziplinäre Sprachgrenzen übergreifenden Analyserahmen verbindet: „The IAD framework is thus a general language about how rules, physical and material conditions, and attribute of community affect the structure of action arenas, the incentives that individuals face, and the resulting outcomes“
Im Zentrum des IAD steht – neben dem oben erläuterten Akteurskonzept – ein ausdifferenziertes Verständnis des Institutionenbegriffs. Ostrom definiert „Institutionen“ im Sinne des Ansatzes zunächst allgemein als „Regeln“, die das kollektive Handeln von Menschen in regelmäßig wiederkehrenden Interaktionssituationen organisieren (Ostrom 2007:23). Regeln sind dabei alle bekannten und von den Betroffenen anerkannten „Vorschriften“, die von dazu legitimierten Akteuren, ggf. auch unter Anwendung von Zwang, durchgesetzt werden können (also z. B. Gesetze, Ordnungen etc.). Darüber hinaus wird kollektives Handeln nicht nur durch formale und/oder informelle, legitim von Dritten durchsetzbare Regeln strukturiert, sondern auch auch durch „Normen und Strategien“, die die betroffenen Individuen verinnerlicht haben
Zentral in diesem Zusammenhang ist nun die Differenzierung zwischen formal gültigen, durchsetzbaren Regeln („rules-in-form“) und tatsächlich angewendeten Regeln („rules-in-use“) (ebd.). Hinter dieser wichtigen Differenzierung stecken zwei für den IAD grundlegende Überlegungen, nämlich erstens die Idee, dass die Anwendungsarena von bestimmten Institutionen oder Regeln bedeutend ist für den Charakter, die allgemeine Bekanntheit und die Gültigkeit oder Durchsetzungsfähigkeit eben dieser Institutionen oder Regeln; und zweitens, dass die Regeln einer breiteren, allgemeineren Anwendungsarena auf die Regeln und die Regelsetzung (kollektives Handeln) in einer begrenzteren, spezifischeren Anwendungsarena zurückwirken. Wollte man den Institutionenbegriff des IAD und die Unterscheidung zwischen „rules-in-form“ und „rules-in-use“ z. B. auf das reguläre Handeln oder die Tätigkeit der Bundesregierung anwenden, so könnte man das Grundgesetz als die „rules-in-form“, die Geschäftsordnung der Bundesregierung als die spezifischen, anwendungsbezogenen Regeln des kollektiven Handelns innerhalb dieser „Organisation Bundesregierung“ („rules-in-use“ I) und die Tagesordnung einer bestimmten Kabinettssitzung sowie die den teilnehmenden Kabinettsmitgliedern bekannte Art und Weise der Sitzungsleitung durch die Bundeskanzlerin oder ihre Stellvertreterin als „rules-in use“ II fassen.
An diesem Beispiel werden auch sogleich die drei Arenen, in denen nach der Vorstellung des IAD Regeln existieren bzw. aufgestellt werden, erkennbar, nämlich (vgl. Ostrom 2007:27): erstens die „constitutional arena“, in der auf einer allgemeinen Ebene Regeln darüber formuliert werden, welche individuellen und/oder kollektiven Akteure an einer bestimmten kollektiven Handlungs- oder Entscheidungssituation, z. B. der Beschlussfassung über eine öffentliche Politik, teilnehmen dürfen; zweitens die „policy-“ oder „collective choice“-Arena, in der die Regeln des kollektiven Handelns in Bezug auf ein konkretes Problem gefasst, also z. B. konkrete Beschlüsse über die öffentliche Bearbeitung eines Problems in einem bestimmten Politikfeld, wie etwa der Umweltpolitik oder der Sozialpolitik, gefasst werden; und drittens die „action arena“, in der die Regeln, die in den beiden anderen Arenen festgelegt wurden, in spezischen Handlungssituationen ausgelegt und angewendet werden und in der es mithin um die praktische Bearbeitung und/oder die Lösung von konkret gegebenen kollektiven Problemen durch bestimmte, zu einem bestimmten Zeitpunkt betroffene Akteure geht.
Für die Anwendung des IAD im Rahmen der Policyforschung ist zunächst zu betonen, dass der Ansatz das Zustandekommen bestimmter Policies oder auch von Policy-Wandel im Kern auf die institutionellen Rahmenbedingungen von Akteurshandeln (in bestimmten Handlungssituationen) zurückführt. Dem IAD-Ansatz zufolge befinden sich die unterschiedlichen, an einem politischen Entscheidungsprozess beteiligten Akteure in einer gemeinsamen Handlungsarena (collective action arena). Hier sind sie bei jeder zu treffenden Policy-Entscheidung dem Wirken von bestimmten (konstitutionellen) Regeln unterworfen (z. B. im Feld der Gesundheitspolitik sind dies die sozialen Rechte im Grundgesetz sowie alle in der Bundesrepublik geltenden Rechtsvorschriften zur Strukturierung der Bundesgesetzgebung in diesem Feld) und finden sich zugleich in einer bestimmten Entscheidungs- oder kollektiven Handlungssituation wieder.
Von der Policyforscherin kann der Ansatz des IAD zur Untersuchung von politischen Entscheidungen in unterschiedlichen Politikfeldern eingesetzt werden. Dabei können – je nach Forschungsinteresse – der Policy-Output, also die in Regelform gegossenen Politikinhalte, oder auch der Policy-Outcome, also die Wirkungen der jeweiligen Politik auf das Handeln von Akteuren in konkreten Anwendungssituationen und damit die (Nicht-) Lösung des zugrunde liegenden kollektiven Handlungsproblems, im Mittelpunkt stehen. Der Blick durch die Brille des IAD auf den Policy-Output entspricht dem „Kerngeschäft“ der Policyforschung, dem Erklären des Zustandekommens von Politikinhalten und Policy-Wandel; der Blick durch die IAD-Brille auf den Policy-Outcome ermöglicht zudem einen Beitrag zur Evaluationsforschung als stark praxisorientiertem, auf die Politikberatung abzielendem Teilbereich der Policy-Forschung
In jeder erneuten Entscheidungs- oder Handlungssituation (z. B. die Entscheidung über die Regulierung der Arzneimittelpreise zum Zeitpunkt x0 und die Entscheidung über die Bekämpfung des Ärztemangels in ländlichen Regionen zum Zeitpunkt x1) wirken sowohl die situationsbedingt spezifische Wahrnehmung der physischen und materiellen Bedingungen des Entscheidungsgegenstands (wir würden das Problemstruktur nennen), als auch normative Faktoren (Gerechtigkeitsvorstellungen der beteiligten Akteure, Interessen, Handlungsorientierungen etc.) und schließlich die Existenz bestimmter bekannter Regeln (Gesetze, Vorschriften etc.), die es anzuwenden oder zu beachten gilt („rules-in use“), auf die Akteure ein. So ergibt sich ein situationsspezifisches Interaktionsmuster (actions situations), das letztlich die Ergebnisse der jeweiligen Entscheidung bestimmt
Gleichgültig welches Ziel man verfolgt, ist es wichtig, hier nochmals festzuhalten, dass der IAD für die Policyforschung häufig erst dann anwendbar wird, wenn man die hier aufgeführten Erklärungsfaktoren mit Hilfe unterschiedlicher einschlägiger Theorien für die Untersuchung von Entscheidungssituationen über bestimmte Politiken konkretisiert hat. Außerdem muss das spezifische Akteurskonzept des IAD stets bedacht werden. Es hat methodische Konsequenzen, denn generalisierbare Aussagen über die Wirkung von Institutionen auf das Verhalten und Handeln von Akteuren können auf Basis des IAD erst dann getroffen werden, wenn eine Vielzahl gleicher oder ähnlicher Handlungssituationen mit Hilfe des Analyserahmens untersucht und im Ergebnis miteinander verglichen wird.
Der Ansatz wurde in der Policyforschung seit den 1990er-Jahren gelegentlich genutzt (z.B. Zahariadis 1996), erfuhr aber in den letzten Jahren eine enorme Rezeption und Revision.
Kurz: Nach Kingdon kommt es bekanntlich dann zum Policy-Wandel, wenn ein Problem auf die Agenda gelangt (Problem-Strom), in der Ursuppe eine zum Problem passende Lösung schwimmt (Policy-Strom) und sich durch Veränderungen im politischen Raum entsprechende Möglichkeiten ergeben (Politics-Strom). Allerdings ist dies nur der Teil des Ansatzes, der die Strukturen abbildet. Hinzu kommen bestimmte Akteure, diese werden von Kingdon als „Policy-Entrepreneure“ bezeichnet. Dies sind wichtige Personen oder Gruppen von Personen, welche a) Probleme hervorheben, b) diese mit von ihnen präferierten Policies verbinden und c) Position innehaben, die Durchsetzung dieser Policies zu bewirken. Diese Gelegenheitskonstellationen halten aber nicht ewig, sondern irgendwann ist die Gelegenheit auch wieder vorbei; deshalb spricht Kingdon auch vom „windows of opportunity“ (Gelegenheitsfenster).
Kingdon vergleicht Regierungssysteme mit „organisierten Anarchien“, die durch die Darstellung von formalen Regeln und Organisationszusammenhängen nur unzureichend beschrieben werden können. Innerhalb dieser Regierungssysteme gibt es drei Ströme, die sich relativ unabhängig voneinander fortbewegen: den Problems-Strom, den Policy-Strom und den Politics-Strom. Den Problems-Strom beschreibt Kingdon als das konkurrierende Nebeneinander einer ganzen Reihe von potentiellen Problemen, die grundsätzlich alle auf die politische Agenda gelangen könnten. Das Auftauchen eines bestimmten Problems auf der Agenda wird aus der Perspektive des MS-Ansatzes insbesondere möglich durch die signifikante Veränderung bestimmter sozioökonomischer Erfolgs- oder eben Problem-Indikatoren (hier übersetzen Zahlen wie Arbeitslosenquoten oder Meinungsumfragen komplexe Materien in einfache Botschaften; Kingdon 2003:90ff.) oder durch „focusing events“ wie Krisen (z. B. ein Flugzeugabsturz oder eine Umweltkatastrophe), die die öffentliche Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Problem lenken. Auslöser des Agenda settings kann aber auch die (negative) Evaluation früherer Politikentscheidungen sein
Den Policy-Strom bezeichnet Kingdon auch als „politische Ursuppe“ (Kingdon 2003:116ff.): hierin „schwimmen“ zahlreiche denkbare Lösungen, und dies zum Teil auch völlig unabhängig von der Existenz konkreter Probleme. Die potentiellen Lösungen wiederum werden fleißig produziert von Fachpolitikerinnen, Bürokratinnen, Expertinnen und Think-Tanks, so dass ein kontingentes Angebot existiert und grundsätzlich sehr unterschiedliche Policies denkbar sind. Allerdings muss sich eine Policy durch bestimmte Eigenschaften auszeichnen, um im gegebenen Moment tatsächlich Eingang in den Politikformulierungsprozess zu finden. So muss sie normativ akzeptabel und technisch realisierbar sein, und es muss gewährleistet sein, dass der mit ihr verbundene Problemlösungsvorschlag ohne allzu große Widerstände implementiert werden kann.
Der dritte Strom ist der Politische oder Politics-Strom, der insbesondere die öffentliche Meinung („national mood“), die Macht von gesellschaftlichen Organisationen sowie politische Mehrheiten und politische Ideologien enthält
Ein Thema kommt dann auf die Agenda, wenn die Ströme gekoppelt werden, wenn also zum gleichen Zeitpunkt ein drängendes Policyproblem im Problemstrom, eine geeignete Policy im Policystrom ist und sich Veränderungen im Politics-Strom (etwa durch Wahlen oder den Druck mächtiger organisierter Interessen) ergeben. Genauer betrachtet ist die Reife aller drei Ströme eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung. Eine Kopplung wird wahrscheinlicher, wenn sich in einem der Ströme ein sogenanntes Policy-Window öffnet. Ein Policy-Window ist „an opportunity for advocates of proposals to push their pet solutions, or to push attention to their special problems“. Es kann sich insbesondere im Problemstrom oder im Politics-Strom öffnen. So kann sich ein Fenster im Problemstrom öffnen, wenn bestimmte Kennzahlen oder ein Unfall ein bestimmtes Problem – sehr kurz – in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses katapultieren.
Ein Fenster im Politics-Strom kann sich durch eine Wahl und infolgedessen einen Regierungs-oder Personalwechsel öffnen. Schließlich spielen Policyentrepreneure (jede Art von individuellen oder korporativen Akteuren) eine Rolle, die zunächst ihr Projekt im Policy-Stream vorwärtsbringen und dann, wenn sich ein Agenda-Fenster öffnet, versuchen, die Lösung mit den anderen beiden Strömen zu koppeln: „Entrepreneurs must be not only persistent but also skilled at coupling. They must be able to attach problems to their solutions and find politicians who are receptive to their ideas“ (Herweg et al. 2017), wobei Kingdon selbst davor warnt, Entrepreneure als „superhumanely clever“ zu stilisieren. Policyentrepreneure versuchen im Grunde fortwährend, Ströme zu koppeln, aber dies gelingt eher, wenn sich in einem der Ströme Fenster öffnen
Gerade diese Perspektive auf politische Prozesse lassen den MSA für die Policyforschung als durchaus attraktiv erscheinen, weil er zahlreiche relevante Faktoren enthält und dabei kein mechanistisches Politikverständnis transportiert, sondern Politik als dynamisch-prozesshaft und konfliktgeladen – und eben auch in gewissem Maße als zufällig – beschreibt. Allerdings war lange Zeit umstritten, ob dieser erklärtermaßen für die USA entwickelte Ansatz auch für europäische (in der Regel parlamentarische) Regierungssysteme verwendbar ist; zweitens wurde bezweifelt, dass die drei Ströme tatsächlich unabhängig voneinander sind; drittens schließlich ist zu Recht kritisiert worden, dass Institutionen in diesem Ansatz keine relevante Größe sind. Außerdem zeichnet sich der MS-Ansatz durch eine Überbetonung der Bedeutung individueller gegenüber korporativen Akteuren (z. B. politische Parteien) aus. Und schließlich ist dem Ansatz eine gewisse A-Historizität zu Eigen. Historische Pfade gegebener Policies und ihre gegenwärtige Nachwirkung werden hier kaum berücksichtigt.
Im Hinblick auf das zu erklärende Phänomen bezieht sich Kingdons Modell in erster Linie auf die Phase der Agendasetzung. Bereits 1992 schlug Zahariadis vor, das Modell auf „Agenda Setting“ und „Decision Making“ auszudehnen. Diese Idee griffen Herweg, Huß und Zohlnhöfer in ihrem Beitrag auf mit dem Anliegen, Agendasetzung und Entscheidungsfindung als zu erklärende Phänomene zu unterscheiden. Während es bei der (von Kingdon in seinem Ansatz adressierten) Agendasetzung darum geht, ein Thema in der Konkurrenz mit vielen anderen Akteuren und Themen durchzusetzen, gehe es bei der Entscheidungsfindung darum, eine Mehrheit für einen bestimmten Entwurf zu bekommen. Damit nähmen von der Phase der Agendasetzung zur Entscheidungsfindung die Anzahl der Akteure ab und die Relevanz institutioneller Rahmenbedingungen zu.
Entsprechend unterscheiden Herweg et al. Gelegenheitsfenster, die es erlauben, ein bestimmtes Thema auf die Agenda zu setzen („agenda windows“), die einen entsprechenden Kopplungsprozess („agenda coupling“) erfordern, von solchen, die es erlauben, Policies zu entscheiden („decision windows“), die ebenfalls einen spezifischen Kopplungsprozess („decision coupling“) voraussetzen. Allerdings öffnet sich ein Agendafenster aufgrund von Veränderungen im Problemstrom oder im Politics-Strom, während sich das Entscheidungsfenster infolge von Veränderungen im Policystrom öffnet. Auch wenn beide separat behandelt werden, hängen sie zusammen: Wenn eine Agendasetzung gelingt, liegt ein Vorschlag für eine Maßnahme vor und öffnetsich ein Entscheidungsfenster. Das Ergebnis einer erfolgreichen Entscheidungskopplung ist der Beschluss einer Maßnahme. „The main question during decision coupling is how to build the necessary majorities to adopt a proposal that has already been coupled to a specific problem during agenda setting“ (Herweg et al. 2017:31). Hier sind dann institutionelle Entscheidungsregeln von Bedeutung, und der Politics-Strom erweist sich als dominant
Die Frage, wie genau sich die Ströme koppeln bzw. wie sie gekoppelt werden können, wird allgemein als in der Grundlage von Kingdon zu wenig spezifiziert kritisiert (z.B. Blum 2018; Dolan 2019; Jones et al. 2016; Zahariadis 1996). Mit seiner Studie zur Privatisierung von British Rail (Zahariadis 1996) wollte Zahariadis das Kingdon-Modell nicht nur anwenden, sondern auch genauer klären, unter welchen Umständen es zu einer Kopplung kommt – ein Gesichtspunkt, der in dem Modell nicht ausreichend adressiert werde. Zahariadis unterscheidet Kopplungsarten danach, in welchem Strom sich ein Fenster öffnet.
Während ein Gelegenheitsfenster im Problemstrom eher zu einem „consequential coupling“ führt (eine Lösung für ein Problem finden), führt ein Fenster im Lösungsstrom eher zu einem „doctrinal coupling“ (ein Problem für eine Lösung suchen) (Herweg et al. 2017:27; Zahariadis 1996:406 f.). Die Unterscheidung der Kopplungsarten ist aber nicht nur begrifflicher Art. Fenster, die sich im Problemstrom öffnen, sind nur recht kurz offen. Auch wenn hier eine Lösung für ein Problem gesucht wird, ist es wahrscheinlich, dass eine Kopplung mit einer bereits bestehenden Lösung erfolgt (Herweg et al. 2017:27). Ackrill und Kay führten in ihrer Studie über die Zuckermarktreform der EU eine weitere Kopplungsart ein, das „Commissioning“. Während bei doctrinal und consequential coupling Entrepreneure politischen Entscheidern ihre Lieblingspolicies „verkaufen“, beschreibt commissioning eine Situation, in der sich im Problem- oder Politikstrom ein Fenster öffnet und politische Entscheider aktiv nach einer Lösung für ein Problem suchen, anstatt diese von Entrepreneuren serviert zu bekommen
Weil im präsidentiellen System der USA die politischen Parteien bei Weitem nicht dieselbe Rolle spielen wie in den (europäischen) parlamentarischen Systemen, spielen diese im MSA Kingdon’scher Prägung keine zentrale Rolle. Für die Anwendbarkeit des MSA auf parlamentarische Systeme ist es daher wichtig, die Rolle von Parteien im Modell besser auszubuchstabieren. Auch wenn insgesamt sowohl die Parteienbindung der Wähler als auch die ideologische Konsistenz der Parteien abnehmen, sind Parteien immer noch diejenigen Instanzen, die in parlamentarischen Systemen über die Akzeptabilität von politischen Maßnahmen entscheiden (Herweg et al. 2015:439). Dieses Ziel, Parteien in den MSA zu integrieren, verfolgen Herweg, Huß und Zohlnhöfer ebenfalls in ihrem 2015 publizierten Beitrag. Sie unterscheiden zwischen den Policyexperten der Parteien, welche Mitglieder der Policycommunitys im Policystrom sein dürften und als solche in ihren Parteien bestimmte Policies vorantreiben, und Parteiführern, welche bei der Verbreitung von Policies im Politics-Strom u. a. die öffentliche Stimmung und die Konstellation der Interessenvertretungen berücksichtigen
Im Hinblick auf den Problemstrom argumentieren die Autorinnen, dass sich ein Fenster im Problemstrom umso wahrscheinlicher öffnet, je eher ein Problem die Wiederwahl von Politikern gefährden kann. Im Hinblick auf den Politics-Strom formulieren sie die Annahme, dass Parteien sich eher für eine Policy einsetzen werden, die zu „ihren“ Themengebieten („issue areasthey own“) gehört, bei den Wählern beliebt ist und die von einflussreichen Verbänden zumindest nicht angegriffen wird. Unpopuläre oder gegen Verbändeinteressen laufende Maßnahmen werden von Politikern nur dann unterstützt, wenn sie als ein Weg verstanden werden, um Probleme zu lösen, die ihre Wiederwahl gefährden können. Im Hinblick auf den Policystrom schließlich nehmen sie an, dass Maßnahmen von einer Partei eher beschlossen werden, wenn sie zu ihrer Parteiideologie passen
Wie bereits angesprochen liegt eine wirklich gravierende Schwäche des MSA in seiner weitgehenden Ausblendung (oder allenfalls implizite Behandlung) von Institutionen nicht aufgefangen werden kann. Zohlnhöfer et al. argumentieren, dass die Notwendigkeit, Institutionen in den MSA einzuführen, insbesondere auch dann entsteht, wenn man neben der Phase der Agendasetzung die Phase der Entscheidungsfindung gesondert analysiert und wenn man den MSA auf andere Systeme als das US-amerikanische anwendet. Zohlnhöfer et al. möchten in ihrem Beitrag den Effekt formaler Institutionen im Prozess der Entscheidungsfindung in den MSA einführen, wobei sie Institutionen zunächst recht eng (in Anlehnung an Tsebelis) als Vetopositionen verstehen.
Es liegt auf der Hand, dass Institutionen eine besondere Rolle für die Entscheidungsfindung über Policies spielen, insofern hier die Entscheidungsregeln für das Zustandekommen einer Entscheidung festgelegt sind. In einem typischen parlamentarischen System im Westminster-Stil kann man davon ausgehen, dass für eine Maßnahme, die die Hürde der Agendasetzung genommen hat, auch eine parlamentarische Mehrheit besteht. Im deutschen System, das mit einigen Bremsen für die Mehrheitsdemokratie nicht ganz dem Westminster-Modell entspricht, ist gleichwohl die Rede von der „Kanzlermehrheit“. Hier kann der Bundesrat (allgemein: zweite Kammern) den Beschluss einer Policy gefährden. Auch in stärker fragmentierten parlamentarischen Systemen kann diese Mehrheit kritisch sein und überdies davon abhängen, wer für das Projekt steht. Besonders wenn eine Mehrheit nicht sicher ist, spielen Entrepreneure eine wichtige Rolle. Diese können verschiedene Strategien (Pakethandel, Zugeständnisse oder Manipulation) anwenden, um Mehrheiten herzustellen. Eine interessante Anwendung der adaptierten MSA-Variante stellt Zohlnhöfers Analyse der Hartz-Reformen von 2002 dar
Wichtige Elemente des Ansatzes:
Veränderung von Erfolgs- oder Problemindikatoren (Problem-Strom)
Ereignisse, die öffentliche Aufmerksamkeit erzeugen (Problem-Strom)
Evaluation früherer Politikentscheidungen (Problem-Strom)
Vorhandensein der Idee in der Policy-Ursuppe (Policy-Strom)
Vorhandensein einer bestimmten öffentlichen Meinung (Politics-Strom)
Vorhandensein gesellschaftlicher Mächte bzw. einer politischen Mehrheit (Politics-Strom)
Vorhandensein einer politischen Ideologie (Politics-Strom)
Vorhandensein und Spielraum von Policy-Entrepreneuren
Der Ansatz eigendynamischer politischer Prozesse (AEP) wurde von Böcher und Töller zunächst zur Erklärung von Instrumentenwahl und Instrumentenwandel in der Umweltpolitik und dann allgemein zur Erklärung des Zustandekommens von umweltpolitischen Maßnahmen entwickelt. Er wurde zwar ausgehend von Besonderheiten umweltpolitischer Entscheidungsprozesse gedacht und in diesem Kontext inzwischen vielfach angewendet. Er ist aber keinesfalls auf die Analyse von Umweltpolitik beschränkt, sondern kann auch zur Analyse anderer Politikfelder verwendet werden.
Den Ausgangspunkt der Entwicklung dieses Ansatzes stellte die Beobachtung dar, dass in der Umweltpolitikforschung (jedenfalls der späten 1990er- und frühen 2000er-Jahre) zwei Ansätze vorherrschten, um die Entstehung von Entscheidungen in der Umweltpolitik im Allgemeinen und die Auswahl bestimmter Instrumente im Besonderen zu erklären: Besonders verbreitet war ein Ansatz, den die Autoren als „naiven Instrumentalismus“ bezeichneten: Demnach wählen administrative und politische Akteure aus einem Instrumen-tenkasten(„Toolbox“)dasjenige Instrument aus,das für die Erreichung eines politisch definierten Ziels geeignet erscheint. Damit wurden politische Prozesse zumindest implizit als schrittweise, sachrationale Problemlösungsprozesse gedeutet.
Die zweite Variante, die in der Umweltpolitikforschung einflussreich war (und ist), ist eine Rational-Choice-Sichtweise. Demnach wählen rational handelnde politische Akteure diejenigen Instrumente aus, die ihrem Interesse an Wählerstimmenmaximierung am besten entsprechen. Beide Sichtweisen haben jedoch wenig mit dem zu tun, was Böcher und Töller in ihrer bisherigen empirischen Forschung vorfanden: Zwar kann die Rational-Choice-Sichtweise wichtige Hinweise auf umweltpolitische Interessenkonflikte geben. Aber sie überbetont die Rationalität von Akteuren, und sie kann – ohne die Berücksichtigung anderer Faktoren als nur die der Maximierung von Eigeninteressen – auch insbesondere den seit den späten 1990er-Jahren tatsächlich vorfindbaren Wandel von Umweltpolitiken nur schlecht erklären. Der naive Instrumentalismus hingegen übersieht die politische Brisanz umweltpolitischer Entscheidungen und die große Rolle, die Macht und Ideologien bei der politischen Debatte über umweltpolitische Instrumente spielen
Die Autorinnen trafen zwei wichtige Entscheidungen für die Entwicklung ihres Analyseansatzes: Zum einen sollte dieser nicht einen einzelnen Erklärungsfaktor in den Mittelpunkt stellen, sondern politische Prozesse über das Zusammenspiel verschiedener Faktoren analysieren. Zum anderen sollte diesem Ansatz ein Prozessverständnis zugrunde liegen, das politische Prozesse weder als reine Interessenaggregation noch als schrittweise sachrationale Problemlösung konzipiert. Ihr Prozessverständnis ist stark beeinflusst von (aber nicht identisch mit) dem Garbage-Can-Ansatz. Demnach sind politische Prozesse „[…] a collection of choiceslooking for problems; issues and feelings looking for decision situations in which they might be aired; solutions looking for issues to which they might be the answer; and decision-makerslooking for work“
Böcher und Töller definieren einen an Kiser und Ostrom angelehnten Erklärungsrahmen, der jedoch auch einige Unterschiede bzw. Weiterentwicklungen enthält. Institutionen, Problemstrukturen, Alternativen, Akteure und situative Faktoren als die fünf zentralen Faktoren interagieren miteinander und bestimmen den Verlauf des politischen Prozesses und dessen Ergebnis. Im Mittelpunkt des Ansatzes steht Akteurshandeln (denn nur Akteure können handeln). Was Handlungen in diesem so gerahmten Prozess antreibt, ist aber kein statischer, immer gleicher übergeordneter Antrieb (wie Problemlösung oder Interessendurchsetzung). Vielmehr beeinflusst die Eigendynamik der einzelnen Faktoren die jeweilige Handlungsmotivation von Akteuren, die dann als konkrete politische Handlung zum Tragen kommt. Als eigendynamisch kann man soziale Prozesse bezeichnen, „wenn sie sich – einmal in Gang gekommen oder ausgelöst – aus sich selbst heraus und ohne weitere Einwirkungen weiterbewegen und dadurch ein für sie charakteristisches Muster produzieren und reproduzieren“ (Mayntz & Nedelmann 1987:648 f.). Bezogen auf Akteure heißt das, dass „die Akteure die sie antreibenden Motivationen im Prozessverlauf selbst hervorbringen und verstärken“
In Böchers und Töllers Ansatz beschränkt sich Eigendynamik jedoch nicht auf Akteure. Vielmehr können alle benannten Faktoren eigendynamische Entwicklungen durchlaufen, wobei natürlich das Handeln im engeren Sinne den Akteuren vorbehalten bleibt. Eigendynamik ist für Böcher und Töller „das Gegenkonzept zur Problemlösung“: Akteure verhalten sich in politischen Prozessen so, wie es ihrer eigenen Dynamik entspricht, also z.B. geleitet von Interessen an bestimmten, profilierungsfähigen Problemen und Politiken. Instrumente werden so behandelt, wie es ihrer eigenen Dynamik entspricht: nicht sachrational als technisches Mittel zur Erreichung eines Ziels, sondern auch (oder vor allem) nach ideologischen und interessengeleiteten Gesichtspunkten; Probleme verhalten sich eigendynamisch, insofern die Auswahl relevanter Probleme etwa mit der Profilierungsmöglichkeit für Akteure oder mit dem Vorhandensein einfacher oder gut vermittelbarer Lösungen zu tun hat. Institutionen entwickeln eigene Dynamiken, indem sie nicht nur zielgerichtete Anpassungs-, sondern auch eigenwillige Ausweichreaktionen provozieren. So werden Policies erzeugt, jedoch nicht zwangsläufig im Sinne einer Problemlösung, der ein linearer Politikprozess vorausgeht
Die Faktoren Problemstrukturen und Institutionen wirken auf dabei grundlegend strukturierend auf den politischen Prozess und das Handeln der Akteure. Der Faktor der Problemstrukturen fasst zusammen, was Ostrom mit den physischen Bedingungen sowie mit der Gemeinschaft (Adressaten von Policies) meint, beschreibt aber darüber hinausgehend die Eigenschaften von Problemen und wie sich diese auf den politischen Prozess auswirken. In der Umweltpolitik (und auch in anderen Politikfeldern) gibt nicht die Schwere einer (ökologischen) Sachlage den Ausschlag dafür, ob etwas als Problem definiert wird. Wichtige Anlässe, über die umweltpolitische Probleme definiert werden, sind vielmehr zum einen wissenschaftliche Erkenntnisse, die die Existenz vieler Umweltprobleme (von den Gesundheitsgefahren durch Asbest und PCP über die Ozonzerstörung durch FCKW und die Klimaschädlichkeit von CO2-Emissionen bis hin zur Feinstaub- und NO2-Problematik) überhaupt erst bekannt machen und auf die politische Agenda bringen
Die Beispiele zeigen, dass sowohl Unfälle und Katastrophen als auch wissenschaftliche Erkenntnisse von Akteuren aufgegriffen und aktiv thematisiert werden müssen. Damit dies geschieht, müssen sich Probleme für eine politische Profilierung der Akteure eignen. Je komplizierter aber die Problemstruktur und je stärker die Betroffenheit manifester gesellschaftlicher Interessen, „desto weniger neigen die politischen Handlungsträger dazu, diese Themen überhaupt aufzugreifen. Komplizierte Probleme lassen sich nicht so gut öffentlich kommunizieren und erschweren das Übermitteln klarer Botschaften über die eigenen Organisationsziele“ .
Überdies ist für die Definition von Problemen entscheidend, ob es für diese Probleme eine Lösung gibt. Probleme ohne Lösungen (oder ohne einfache Lösungen) sind politisch nicht gut zu vermitteln. Ein Beispiel sind die persistenten Umweltprobleme, also diejenigen Probleme, die z.T. lange Zeit unthematisiert blieben, weil bei ihnen die herkömmlichen, sektoralen, technikorientierten Mittel nicht greifen. Probleme, die zu ihrer Behebung eine umfassende Veränderung von Lebensstilen erfordern (man denke an die Themen Abfallvermeidung oder Mobilität), werden eher nicht thematisiert. Die politische Definition von Problemen verläuft aber nicht sachrational, sondern widersprüchlich und eigendynamisch. So werden wissenschaftliche Erkenntnisse häufig nur dann von politischen Akteuren aufgenommen, wenn sie sich von ihnen Vorteile im politischen Prozess erhoffen.
Neben den Bedingungen der Problemdefinition spielen aber auch die Problemeigenschaften eine wichtige Rolle. Etwa ob ein Problem offensichtlich ist und von allen wahrgenommen werden kann oder ob es von der Vermittlung der Wissenschaft (wie der Klimawandel) oder der Erfassung an Messstationen (wie die NO2-Immissionen) abhängt, kann die politische Chance, das Problem anzugehen, beeinflussen. Auch ist wichtig, ob das Problem bereits in der Gegenwart negative Folgen erzeugt, die unmittelbar spürbar sind, oder ob – wie beim Klimawandel – dessen negative Wirkungen erst langfristig eintreten. Darüber hinaus kann auch die Frage eine Rolle spielen, ob es sich bei den Auswirkungen einer Technik oder eines Verfahrens um ein Gesundheitsproblem einer definierbaren Gruppe von Menschen handelt oder ob der mögliche Schaden nicht zugeschrieben werden kann
Institutionen im Sinne von Entscheidungskompetenzen und Verfahrensregeln sind von zentraler Bedeutung, insofern sie festlegen, wer über was in welchem Verfahren entscheidet. Für umweltpolitisches Entscheiden sind etwa Kompetenzen, wie sie im Grundgesetz und auch im EU-Vertrag zugewiesen sind, ebenso wichtig wie beispielsweise die Zuweisung der Zuständigkeit („Federführung“) für bestimmte Themen in die Kompetenzen bestimmter Ministerien. Auch Institutionen „verhalten“sich im politischen Prozess eigendynamisch: Sie rufen nicht nur lineare Anpassungsreaktionen im Sinne von mehr oder weniger ausgeprägter „Compliance“ (Regelbefolgung) hervor. Vielmehr gibt es häufig Ausweichreaktionen, um die institutionell bedingten Einschränkungen von Akteurshandeln zu umgehen. Beispiele finden sich in der Umweltpolitik der 1980er und 1990er Jahre, aber auch in anderen Phasen, in anderen Politikfeldern und auf anderen territorialen Ebenen
Auf der Basis institutioneller Rahmenbedingungen und der Problemstruktur handeln Akteure. Was die (individuellen, kollektiven oder korporativen) Akteure betrifft, so gehen Böcher und Töller davon aus, dass die Akteure weder völlig rationale Nutzenmaximierer noch rein altruistische Problemlöser sind. Vielmehr kann Akteurshandeln grundsätzlich sowohl durch Interessen zweckrational(allerdings auf der Basis von „BoundedRationality“) im Sinne von Machterwerb und Machterhaltung als auch durch kognitive und normative Überzeugungen wertrational geleitet werden. Parteipolitisch gesteuertes Akteurshandeln beispielsweise ist eine Mischung aus beidem. Ob im Einzelfall zweckrationales oder wertrationales Handeln zum Tragen kommt, ist zum Beispiel von der politischen Problemstruktur abhängig: Produziert die Problemstruktur einen reinen Verteilungskampf, bei dem es darum geht, dass bestimmte Gruppen nur auf Kosten anderer gewinnen können (redistributive Politik), liegt es nahe, dass insbesondere zweckrationales Handeln dominiert. Geht es dagegen um die Diskussion von politischen Alternativen, bei denen Kosten- und Nutzenverteilung noch nicht klar sind, kann wertrationales Handeln stattfinden
Böcher und Töller betonen im AEP zwei weitere Einflussfaktoren, die weder im AZI noch im IAD Framework enthalten sind: alternative Maßnahmen und situative Faktoren. Diese Faktoren können sich im politischen Prozess als relevant erweisen, müssen es aber nicht.
Alternative Maßnahmen als Erklärungsfaktor beschreiben den Umstand, dass die Wahl politischer Maßnahmen nicht nur das Ergebnis von Akteurshandeln ist, welches von Institutionen und Problemeigenschaften strukturiert wird, sondern immer auch Resultat der Wahl oder Verwerfung möglicher anderer Maßnahmen. Der Faktor alternative Maßnahmen beinhaltet die Instrumente, die der Politik theoretisch zur Verfügung stehen, macht aber darauf aufmerksam, dass aus dieser Bandbreite längst nicht alle auch am Ende politisch ausgewählt werden können. Eigendynamik kann in diesem Kontext bedeuten, dass Instrumente eben nicht – wie häufig unterstellt – im Hinblick auf ihr Potenzial zur Erreichung bestimmter Ziele diskutiert werden, sondern im Hinblick auf ihre ideologischen oder politischen Merkmale. Gerade in der Umweltpolitik ist die Verwendung von Maßnahmen oft stark ideologisch aufgeladen, sie werden aufgrund ihrer Interventionsintensität oder ihrer symbolischen Wirkung befürwortet oder abgelehnt. Beispielsweise lehnten Umweltverbände und Grüne ökonomische Instrumente lange Zeit ab, weil diese umweltschädliches Verhalten nicht verbieten, sondern vielmehr zum Gegenstand betriebswirtschaftlichen Kalküls machen
Schließlich zeigt sich in der Umweltpolitik, dass situative Faktoren eine Rolle für den Verlauf politischer Prozesse und für deren Ergebnisse spielen können. Diese können zum einen themenspezifische situative Faktoren sein. So führen, wie oben ausgeführt, Atomunfälle dazu, dass Atomkraft aufgrund der sichtbar gewordenen Risiken kritisch eingeschätzt und ggf. eingeschränkt oder abgeschafft wird. Generell können plötzliche Ereignisse politische Akteure unter Druck setzen, etwas zu tun („do something“, Grossman 2012), ohne dass das notwendigerweise ein akut gewordenes Problem wirklich lösen kann.
Der Ansatz ist – ähnlich wie der IAD, der ihn wesentlich inspiriert hat – recht allgemein gehalten und bedarf bei der Anwendung auf den Einzelfall der Konkretisierung, etwa was konkret die Problemstruktur ausmacht, welche Institutionen von Belang und welche Akteure wichtig sind. Während in der Anwendung die ersten drei Faktoren (Problemstruktur, Institutionen und Akteure) in empirischen Fallstudien meist gut gelingen, bereiten die Faktoren alternative Maßnahmen und situative Faktoren mitunter Schwierigkeiten. Während es tatsächlich der Fall ist, dass situative Faktoren nicht immer eine Rolle spielen, geht es bei den alternativen Maßnahmen Böcher und Töller darum, den Blick auch darauf zu lenken, dass es oft eine Vielzahl theoretisch denkbarer Maßnahmen gibt, die dann aber aufgrund z.B. institutioneller Faktoren wie dem Verfassungsrecht gar nicht im politischen Prozess zum Zuge kommen. Es setzen sich dann mitunter schlechter wirksamere Instrumente im politischen Prozess durch, allerdings nicht, weil die politischen Akteure hier ausschließlich Nutzenmaximierung betreiben, sondern weil sie gar keine wirkliche Auswahl unter allen denkbaren Instrumentenalternativen treffen können, sondern nur unter denjenigen, die am Ende wichtige institutionelle Filter passieren können. Bei der Anwendung des AEP in Fallstudien können unterschiedliche Techniken angewendet werden, um besser bestimmen zu können, welche Faktoren wirklich einen kausalen Effekt auf das Ergebnis haben
Obwohl jedes Forschungsprojekt sein eigenes Forschungsdesign aufweist, lassen sich vier unterschiedliche Typen unterscheiden, in die die meisten Designs eingeordnet werden können
Der erste Typ ist die Einzelfallstudie. Sie basiert, wie der Name schon sagt, auf einem einzigen Fall, welcher detailliert untersucht wird. Ein Beispiel hierfür ist die Analyse des Gesetzgebungsverfahrens der sogenannten „Hartz-Gesetze“ zur Reformierung des Arbeitsmarktes. Die Studie analysiert den Einfluss verschiedener Faktoren auf die letztendliche Gestaltung des Reformpaketes anhand dieses einen Falls. Ein sehr wichtiger Bestandteil des Forschungsdesigns ist hier die Auswahl des einen Falles, der untersucht wird. Das Ziel der Untersuchung ist ja, den Einfluss der unabhängigen Variablen auf die Gestaltung der Gesetze abzuschätzen um Hinweise zu bekommen, welche Variablen möglicherweise überhaupt keinen Einfluss haben und welche Variablen „verdächtig“ sind, tatsächlich etwas die Gesetzesänderungen herbeizuführen. Basierend auf dieser Untersuchung könnte ein Anschlussprojekt dann versuchen, stärker zu generalisieren, d.h. die Anzahl der Fälle oder die Zahl der Variablen zu erhöhen. Einzelfallstudien können sich auf eine politische Einheit wie z.B. die EU, ein Land oder auch eine Gemeinde beziehen („Warum hat sich die Rentenpolitik in Frankreich geändert?“), aber auch Wandel oder Zustand eines bestimmten Politikfeldes („Warum wurde die Umweltpolitik in Spanien dezentralisiert?“) thematisieren oder einzelne Politikinstrumente oder Maßnahmen untersuchen („Warum wurde die Wohngeldformel geändert?“). Hervorzuheben ist, dass Einzelfallstudien auf jeden Fall ihre Berechtigung besitzen. Denn selbst wenn sie deskriptiv sind, systematisieren und strukturieren sie den untersuchten Fall und bieten Ansatzpunkte für spätere vergleichende Analysen. Eine Forscherin, die z.B. Energiepolitik in mehreren Ländern vergleichend untersuchen möchte, profitiert von Darstellungen anderer Kolleginnen, die sich die Mühe gemacht haben, dies entscheidenden Elemente der Energiepolitik in verschiedenen Einzelfallstudien zu beschreiben. Auf Basis von Einzelfallstudien sind aber auch Erklärungen möglich – dafür muss die Einzelfallstudie in ein klares theoretisches Gerüst eingebettet werden. So genügt ja eigentlich ein Fall, um eine Theorie zu widerlegen, die Analyse weiterer Fälle zu inspirieren oder zumindest Rückmeldung zur Passgenauigkeit der verwendeten Konzepte oder Methoden zu geben. Sie sind aus verschiedenen Perspektiven vorteilhaft, weil sie der Forscherin etwa Raum geben, komplexe Variablen zu verwenden, alternative Operationalisierungen auszuprobieren oder sogar neue Hypothesen zu entwickeln. Einzelfallstudien, die ohne theoretische Orientierung angegangen werden (frei nach dem Motto: „ich schaue mich mal um, mal sehen, was ich so finde“) sind bestenfalls gute Materialsammlungen, aber keine Studie, auf deren Basis man erklärende Aussagen machen kann
Der zweite Typ – ein häufig verfolgtes prototypisches Design – ist der Vergleich mit niedrigen Fallzahlen. Dieser reicht vom Paarvergleich bis zu einer nicht genau definierten Größenordnung, die etwa bei 10-15 Fällen liegen dürfte. Auch die Zahl der in die Untersuchung einbezogenen Variablen ist auf mittlerem Niveau. Damit ist die Forscherin in der Lage, eine begrenzte Zahl von Hypothesen mit einer begrenzten Zahl von Fällen zu testen und dadurch zumindest wahrscheinlichkeitsbasierte Aussagen darüber anzustellen, wie die Phänomene zusammenhängen könnten, wenn man alle Fälle betrachten würde. Beispielsweise könnte ein Forschungsprojekt Reformen in der Arbeitsmarktpolitik in Deutschland und dem Vereinigten Königreich (Paarvergleich) untersuchen mit dem Ziel, herauszufinden, ob mit theoretischen Ansätzen des Politikerbes die Reformintensität erklärt werden kann. Eine andere Forschungsfrage könnte die Politik der frühkindlichen Bildung in Deutschland, Griechenland, Polen und Schweden (vier Fälle) untersuchen vor dem Hintergrund unterschiedlicher Wohlfahrtsstaatssysteme untersuchen. Beliebt sind auch Vergleiche innerhalb bestimmter geographischer Regionen (z.B. Untersuchung zur Gewässerreinhaltung der Schwarzmeeranrainer) oder von Ländern, die aufgrund des Erkenntnisinteresses in eine bestimmte Kategorie gezählt werden (z.B. Antidiskriminierungspolitik von ethnisch stark diversen Staaten). Der Auswahl von Fällen und Variablen kommt bei diesen Designs eine entscheidende Bedeutung zu; denn von der Auswahl können die Ergebnisse der Studie und damit auch die Prognosen für die Grundgesamtheit sowie die Möglichkeiten zur Generalisierung der Befunde abhängen (siehe hierzu den Abschnitt weiter hinten). Grundsätzlich ist schon ein Paarvergleich geeignet, Hypothesen zu testen und zu falsifizieren. Je mehr Fälle im Sinne des strukturierten Vergleichs einbezogen sind, desto stärker können generelle Aussagen getroffen werden
Der dritte Typ ist das Design mit mittlerer Fallzahl, die üblicherweise zwischen 15 und 50 Fällen liegt (die Unterscheidung zwischen niedriger und mittlerer Fallzahl ist nicht trennscharf). Dieses Design geht noch stärker vom Einzelfall weg und stärker hin zu einer generalisierten Erklärung des zu untersuchenden Phänomens. Dabei lässt sich beobachten, dass die Forscherin mit steigender Fallzahl mehr Aufwand betreiben muss, um eine konsistente Messung der Variablen in allen Fällen (im Sinne von Vergleichbarkeit) sicher zu stellen und damit weniger Ressourcen investieren kann, um die Besonderheiten des einzelnen Falles zu erfassen. Klassisch für diesen Typ wäre z.B. die Untersuchung von Maßnahmen zur Erreichung von Energieeffizienz beim Wohnungsbau in allen EU-Mitgliedsstaaten (derzeit 27 Fälle) oder Regulierungen zum Besitz von Schusswaffen in den US-Bundesstaaten (50 Fälle). Typische eingesetzte Methoden sind hier einerseits die klassische deskriptive Statistik (z.B. Mittelwertvergleiche) oder auch für solche Designs eigens entwickelten Methoden wie die Qualitativ-komparative Analyse . Designs mit mittlerer Fallzahl zielen i.d.R. schon nicht mehr auf Stichproben, sondern auf die Gesamtheit aller Fälle, die für diese Fragestellung sinnvoll ist – die EU hat nur 27 Mitgliedsstaaten, deshalb kommt kein Design mit noch mehr Fällen in Betracht. Damit ist die Forscherin möglicherweise schon auf dem für die Fragestellung und das Erkenntnisinteresse höchstmöglichen Niveau an Generalisierung angekommen, ist aber durch die in der realen Welt existierenden Fälle methodisch limitiert.
Der vierte Typ beinhaltet alle Untersuchungen mit einer großen Anzahl von Fällen (üblicherweise ab 50 Fällen aufwärts; hier ist keine trennscharfe Unterscheidung mit Typ 3 möglich). Tendenziell werden hier alle möglichen Fälle oder zumindest große Stichproben verarbeitet und mit den entsprechenden Methoden (i.d.R. inferenzstatistischen Verfahren) ausgewertet. Ein Beispiel aus der Policy-Forschung ist der Vergleich zu Determinanten der Haushaltskonsolidierung in den deutschen Bundesländern, in dessen Rahmen 240 Fälle untersucht werden konnten, da alle Etats der 16 Bundesländer über 15 Jahre hinweg ausgewertet wurden. Insgesamt bedeuten höhere Fallzahlen, dass die Analyse auf deutlich sichereren Füßen steht als bei den anderen Designs, was die Generalisierbarkeit betrifft. Am Ende geht es darum, das zu erklärende Phänomen möglichst erschöpfend zu erklären, um auf dieser Basis auch Prognosen machen zu können. So können Wagschal und Wenzelburger ihr Modell verwenden, um auf der Basis von bekannten Werten auf den unabhängigen Variablen (Koalitionsregierungen, Wahljahr, SPD-Beteiligung an der Landesregierung, Nettokreditaufnahme etc.) Prognosen für Konsolidierungsperformanz zu errechnen – wobei sie selbst auf Limitationen des Modells hinweisen. Designs mit großer Fallzahl sind zudem geeignet, abweichende Fälle („Ausreißer“) zu identifizieren, die nicht der allgemeinen Erklärung folgen – hier könnten dann Einzelfallstudien folgen, um die Besonderheiten dieser „Ausreißer“ zu erforschen
Stellt man sich die vorhandenen Analysemethoden der Politikwissenschaft auf einem Kontinuum zwischen Verstehen und Erklären bzw. zwischen qualitativ und quantitativ vor, dann nimmt die qualitativ-komparative Analyse (QCA) eine Mittelstellung ein. Diese von Charles Ragin (1987)
eingeführte Methode erfreut sich wachsender Beliebtheit im Fach und insbesondere in der Po-
licyforschung (für einen – durch die Zeit inzwischen jedoch etwas überholten – groß angelegten Vergleich über verschiedene Forschungsprojekte, bei denen QCA im Einsatz war, siehe Rihoux et al. 2011). Ziel der Methode ist eine Kombination der Vorteile der variablenzentrierten Perspektive der quantitativen Methoden und der fallorientierten Perspektive der qualitativen Methoden.
QCA basiert auf der Booleschen Algebra, die mit binären Elementen und logischen Verknüpfungen zwischen den Elementen arbeitet
Die zentrale Idee hinter der Methode ist, eine Kombination von Faktoren zu identifizieren, die ein bestimmtes Ergebnis hervorbringt. Hierfür werden die Bestimmungsfaktoren und das Ereignis selbst in mehreren Fällen vergleichend analysiert. Die Anwendung der Methode liefert am Ende der Analyse Aussagen wie „damit das Ergebnis X eintritt, müssen die Bedingungen A und B gegeben sein“ oder „damit das Ergebnis X eintritt, muss entweder Bedingung A oder die Bedingungen B und C gegeben sein“. Man sieht, worauf die Logik der Methode hinausläuft: Es wird ein Zustand oder Ergebnis definiert, welcher/welches untersucht werden soll (z.B. „Stattfinden einer Reform der Rentenpolitik“) und die Bedingungen, von denen die Forscherin vermutet, dass sie erfüllt sein müssen, um den Zustand zu erreichen bzw. das Ereignis auszulösen.
Danach werden die Daten für beide Bereiche (Bedingungen und Ergebnis) über die Fälle erhoben und mittels logischer Kombinatorik (dies wird weiter unten noch erläutert) analysiert. Die QCA arbeitet damit nicht probabilistisch wie die statistischen Ver-
fahren – diese sind wahrscheinlichkeitsbasiert und schätzen statistische Effekte wie z.B. Regressionskoeffizienten im Rahmen von bestimmten Wahrscheinlichkeitskorridoren (vgl. Abschnitt 3.5.2). Vielmehr basiert die QCA auf einer deterministischen Logik, d.h. sie möchte Konfigurationen (Kombinationen von Bedingungen) identifizieren, die definitiv – d.h. ohne Ausnahme – zu den definierten Ereignissen führen.
Bei QCAs werden dabei notwendige und hinreichende Bedingungen unterschieden: Notwendige Bedingungen sind solche, die zwingend (!) vorliegen müssen, damit das Ergebnis eintritt (z.B. ist der Besitz einer Zeitung die notwendige Bedingung
dafür, sie lesen zu können). Dies bedeutet, dass das Ereignis auf keinen Fall eintreten kann,
wenn die Bedingung nicht vorliegt (man kann die Zeitung nicht lesen, wenn sie nicht da ist).
Hinreichende Bedingungen sind solche, die zwar notwendig sind, aber eben nicht genug, um das Ereignis zu erzielen. Es genügt nicht, wenn die Zeitung auf dem Küchentisch liegt, man selbst aber keine Zeit zum Lesen hat. In diesem Fall kann man sagen, dass die Existenz der Zeitung eine notwendige Bedingung für das Lesen der Zeitung ist, aber keine hinreichende Bedingung. Ähnliche Konfigurationen begegnen uns auch in der Policyforschung, z.B. könnte man sich fragen, ob die Regierungsbeteiligung einer sozialdemokratischen Partei eine notwendige oder eine hinreichende Bedingung für bestimmte Politikinhalte darstellt. Die QCA hilft, notwendige und hinreichende Bedingungen durch die Analyse zu unterscheiden.
Die Methode eignet sich besonders für mittlere Fallzahlen (etwa 15-25, gelegentlich mehr Fälle),
also genau für die Anzahl von Fällen, die für makro-quantitative Verfahren zumeist zu klein und
für qualitativ-vergleichende Analysen zu groß ist (sie passt wunderbar zum Forschungsdesign-
Typ 3, vgl. Abschnitt 3.3.3). Für die klassische Variante von QCA werden sowohl das Ereignis als
auch die potentiellen Bestimmungsfaktoren binär kodiert, d. h. es sind auf jeder Variablen nur
zwei Ausprägungen möglich, nämlich „trifft zu“ (= 1) und „trifft nicht zu“ (= 0).
Dieser Abschnitt stellt nur die Grundlagen der klassischen Variante von QCA („crisp-set“ QCA) dar. Seit der Einführung durch Ragin wurde QCA in zwei wesentliche Richtungen weiterentwickelt. Zum einen sind inzwischen mehrere Ausprägungen bei Bedingungen und Outcome möglich, die entweder nominal skaliert sein können („multivalue QCA“) oder sogar quasi-metrisch („fuzzy set QCA“). Zudem tendieren die Auswertungsmöglichkeiten bei „fuzzy sets“ zumindest graduell von streng deterministischen Charakter der QCA weg in Richtung probabilistischer Analysemethoden
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