Wirtschaftsethik - Wirtschaftsrecht
Aufstieg der Ökonomie: In der modernen Welt ist die Ökonomie zur wichtigsten politischen Leitwissenschaft aufgestiegen. Dies bedeutet, dass wirtschaftliche Überlegungen und Prinzipien oft den Ton in politischen Entscheidungen angeben. Früher hatten andere Disziplinen wie Philosophie, Theologie und Rechtswissenschaft diese Rolle inne.
Philosophisches Interesse an Ökonomie: Mit dem Aufstieg der Ökonomie haben auch Philosophen begonnen, sich stärker für wirtschaftliche Fragen zu interessieren. Ihr Interesse ist oft ethisch motiviert, das heißt, sie wollen die Wirtschaftsprozesse normieren, auf Gerechtigkeit verpflichten und sicherstellen, dass sie dem einzelnen Menschen zuträglich sind.
Regulierbarkeit der Wirtschaft: Die Vorstellung, dass die Wirtschaft leicht reguliert werden kann, hat sich als naiv erwiesen. Die Einsicht der Moderne und besonders seit Hegel ist, dass die Wirtschaft ein komplexes System ist, das sowohl eine grundlegende menschliche Lebensäußerung als auch einen Raum für Freiheitserfahrungen darstellt.
Recht statt Ethik als normative Instanz: Hegel zeigt, dass das angemessene normative Bezugssystem für die Wirtschaft nicht die Ethik, sondern das Recht ist. Während ethische Reflexionen über die Handlungen der Wirtschaftsteilnehmer sinnvoll sind, reicht eine rein ethische Normierung nicht aus. Ein Beispiel ist der "ehrliche Kaufmann", der im Laufe der Zeit nicht nur rechtlich, sondern auch moralisch verantwortlich geworden ist.
Ausführlicher?
Defizienz der ethischen Perspektive: Die ethische Perspektive ist unzureichend, weil in ökonomischen Beziehungen niemand nur Subjekt (Handelnder), sondern immer auch Objekt (Behandelter) ist. Diese duale Rolle zeigt sich im Paradox des Marktes, wie von Mandeville und Smith beschrieben.
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Versuche, die Wirtschaft ausschließlich ethisch zu normieren, wären ähnlich wie der Versuch, eine lebendige Sprache nur nach logischen Regeln zu reformieren.
Objektive Anerkennungsordnung des Rechts: Das Recht bietet eine objektive Ordnung der Anerkennung, die unabhängig von den Intentionen der einzelnen Akteure funktioniert. Es reflektiert das kollektive Bewusstsein und die Kultur einer Gemeinschaft und sorgt für die Koexistenz der Individuen innerhalb dieser Gemeinschaft.
Recht als "sehendes Auge": Das Recht kann als eine Art "sehendes Auge" betrachtet werden, das über die wirtschaftlichen Tugenden und Laster der Individuen hinausgeht und eine unsichtbare Hand lenkt, die die Wirtschaft regelt.
Philosophische Reflexion: Der Text schlägt vor, dass die Philosophie in aktuellen wirtschaftlichen Fragen nicht nur auf ethische Strategien setzen sollte. Stattdessen sollte sie eine fundamentale Reflexion über einen wünschenswerten rechtlichen Rahmen der Wirtschaft einbeziehen. Dies könnte helfen, die Wirtschaft effektiver und gerechter zu regulieren.
Autoren und Ansätze der Wirtschaftsethik
Erster Gebrauch des Begriffs "Wirtschaftsethik": Der Begriff wurde erstmals von Ignaz Seipel, einem österreichischen Moraltheologen und Politiker, verwendet.
Bekanntheit durch Max Weber: Max Weber popularisierte den Begriff durch seine Arbeit "Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen", die ab 1916 in mehreren Teilen erschien. Weber verwendete den Begriff jedoch nicht normativ, sondern im Rahmen seiner "verstehenden Soziologie", die darauf abzielt, das Handeln der Menschen durch das Verstehen ihrer Motivationen und Bedeutungen zu erklären.
Normative Komponente: In den 1920er Jahren bekam der Begriff "Wirtschaftsethik" eine normative Komponente. Vertreter der katholischen Soziallehre und der evangelische Theologe Georg Wünsch begannen, ethische Prinzipien auf wirtschaftliche Fragen anzuwenden. Beispiele hierfür sind Arbeiten zu "Börsenmoral".
Versöhnung von Naturrechtsdenken und Ökonomie: Es kam zu einer Versöhnung zwischen dem Denken des Naturrechts und der modernen Ökonomie, besonders durch den Wiener Theologen und Naturrechtslehrer Johannes Messner. Diese Versöhnung betont die Möglichkeit des Staates, gemeinwohlorientiert auf das Wirtschaftsgeschehen einzuwirken.
Literaturflut in den 1980er Jahren: Ab den 1980er Jahren erlebte die Wirtschaftsethik einen enormen Anstieg an Publikationen.
Einfluss der amerikanischen "Business Ethics": Impulse aus der amerikanischen "business ethics" kamen auf, die oft weniger ethisch und mehr ökonomisch bestimmt waren. Hier wurde Ethik als ein Faktor des Geschäftserfolgs betrachtet („it pays to be moral“).
Anknüpfung an klassische Ethik: Im deutschsprachigen Raum entwickelten sich Theorien, die auf klassischen philosophischen Ethiken basieren. Bedeutende Vertreter sind Karl Homann, Peter Ulrich und Peter Koslowski.
Weitere wichtige Autoren: Auch andere Nachkriegsautoren wie Hans Lenk, Josef Wieland und Walter Chr. Zimmerli trugen zur Etablierung und Ausdifferenzierung der Wirtschaftsethik bei.
Amartya K. Sen: Der indische Wohlfahrtstheoretiker Amartya Sen betont das Ideal, reale Freiheitschancen für immer größere Schichten der politischen Gemeinschaft zu eröffnen.
Amitai Etzioni: Der Ansatz von Amitai Etzioni, der besagt, dass Menschen nicht nur eigennützig handeln, sondern auch durch konkrete Moralität motiviert sind, ergänzt die klassische Ökonomie um die Dimension der Sozialpflichtigkeit des ökonomischen Handelns.
Arbeitsgebiete aktueller Wirtschaftsethik
Modell der „angewandten Ethik“: Wirtschaftsethik wird oft als angewandte Ethik verstanden. Das bedeutet, dass allgemeine ethische Prinzipien auf spezifische Bereiche der Wirtschaft übertragen werden. Die Herausforderung besteht darin, diese Prinzipien korrekt auf die spezifischen Bedingungen der Wirtschaft anzuwenden.
Problem der Stringenz und Spezifikation: Ein zentrales Problem ist, wie strikt und genau diese allgemeinen ethischen Prinzipien auf konkrete Situationen angewendet werden können. Eine einfache Ableitung ethischer Inhalte ist schwierig, und eine rein situationsbezogene Ethik ist philosophisch nicht befriedigend.
Unternehmerethik: Hier geht es um die ethischen Kriterien für Entscheidungen im unternehmerischen Handeln. Entscheidungen sollten nicht nur unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten getroffen werden, sondern auch ethische Überlegungen berücksichtigen, insbesondere wenn sie Auswirkungen auf andere Menschen haben.
Managerethik und Mitarbeiterethik:
Managerethik: Entscheidungen von Managern betreffen die gesamte Unternehmensgemeinschaft und die darin verbundenen Individuen.
Mitarbeiterethik: Mitarbeiter sind auch ethisch verantwortlich und erhalten Vertrauen, das über rechtliche Bindungen hinausgeht.
Kants Kategorien der Freiheit: Unternehmer, Manager und Mitarbeiter können Kants Kategorien der Freiheit als Orientierungshilfe nutzen:
Entspricht das Handeln einem subjektiven Willen, einer objektiven Vorschrift oder einem absoluten Prinzip der Freiheit?
Handelt es sich um eine Aktion, eine Unterlassung oder eine Ausnahme?
Betrifft das Handeln andere in ihrer Persönlichkeit oder in ihrem Zustand, oder das wechselseitige Verhältnis?
Ist das Handeln moralisch erlaubt, Pflicht oder pflichtwidrig, oder eine vollkommene Pflicht?
Institutionenethik: Unternehmensethik bezieht sich auf institutionelle Aspekte und die Konstitution einer überindividuellen Identität im Handeln. Unternehmen entwickeln oft Leitbilder und Ethikkodizes, um ihre ethischen Standards zu zeigen.
Corporate Social Responsibility (CSR): Unternehmen zeigen ihre Verantwortung gegenüber der Gesellschaft durch gemeinnützige Aktivitäten wie Stiftungen. Wichtig ist jedoch, dass die ethische Praxis eines Unternehmens in der Solidität seiner Arbeit besteht und nicht nur in formalen Ethikausschüssen oder Marketingmaßnahmen.
Wirtschaftspolitik und Recht: Wirtschaftspolitik versucht, die Lebensäußerungen des Wirtschaftens mit dem rechtlichen Leben eines Volkes zu verbinden. Die Ethik der Wirtschaftspolitik stellt sicher, dass die Sphäre des Wirtschaftens nicht das Recht dominiert und umgekehrt.
Kompetenz der Wirtschaftsethik: Die Arbeit der Wirtschaftsethik besteht darin, die pluralen Sinnhorizonte des menschlichen Lebens zu verstehen und zu ordnen, ohne dass Wirtschaft oder Recht übermäßig dominiert.
Zwei Modelle philosophischer Ethik
Integrationswissenschaft: Philosophische Ethik wird oft als eine integrative Wissenschaft betrachtet, die verschiedene ethische Ansätze und Disziplinen zusammenführt. Dies ist besonders relevant in Zeiten, in denen das „Andere“ oder „Fremde“ als ethische Herausforderung erkannt wird. Integration als Konzept hat eine lange Tradition in der Philosophie, die bis zu PLATON zurückreicht.
Platon: PLATON sah das größte Gut für ein Gemeinwesen darin, was den Staat zusammenhält und zu einer Einheit macht, während das größte Übel das ist, was den Staat spaltet und in viele Teile zerlegt. Diese Idee wurde von der stoischen Ethik weiterentwickelt, die den Zustand der moralisch-praktischen Übereinstimmung auf eine kosmische Ebene ausdehnte.
Historische Entwicklung: Auch im Mittelalter und in der frühen Neuzeit finden sich Modelle der Integration, etwa im rationalen Naturrecht oder bei Denkern wie MACHIAVELLI und HOBBES. Im 20. Jahrhundert wird das Thema in verschiedenen Ansätzen weitergeführt, etwa in der verfassungsrechtlichen Integrationslehre von Rudolf SMEND, der Diskursethik oder dem Kommunitarismus.
Individuation statt Integration: Ein alternativer Ansatz zur integrativen Ethik betont die Individuation und die radikale Emanzipation des Einzelnen. Hier geht es darum, das authentische Sein gegen externe Einflüsse und systemische Zwänge zu verteidigen. Dieser Ansatz ist besonders im 19. und 20. Jahrhundert prominent geworden.
Vertreter dieses Ansatzes:
KIERKEGAARD: Fokussiert auf das Problem des Einzelnen und die individuellen Nuancen gegen die Massenexistenz.
NIETZSCHE, ADORNO, HEIDEGGER: Kritisierten die Verflachung des Individuellen durch gesellschaftliche Zwänge und betonten die Bedeutung der individuellen Freiheit und Autonomie.
LEVINAS: Thematisiert die Phänomenologie des Fremden und die ethische Bedeutung des Anderen.
Kantischer Freiheitsbegriff: KANT spielt eine zentrale Rolle in diesem Autonomiemodell. Er betont, dass vernünftiges Handeln autonom und unabhängig von teleologischen oder pragmatischen Einbettungen sein muss. Seit KANT findet ethisches Handeln in einer Art „ontologischer Einsamkeit“ statt, was die radikale Freiheit des Einzelnen betont.
Polarität der Modelle: Die beiden Ansätze – Integration und Autonomie – stehen in einer systematischen Polarität zueinander. Während die integrative Ethik auf Einheit und Übereinstimmung abzielt, betont die Autonomiemodell die individuelle Freiheit und die Distanzierung von systemischen Zwängen.
Plädoyer für integrative Ethik: Trotz der Bedeutung der individuellen Freiheit und Autonomie plädiert der Text für eine philosophische Ethik, die auch die integrativen Aspekte ernst nimmt. Dies bedeutet, dass ethisches Handeln zwar die individuelle Autonomie respektieren muss, aber dennoch im Kontext eines größeren, integrierenden Denkens stattfinden sollte.
Beispiel: Integrative Wirtschaftsethik nach Peter Ulrich: Der Text erwähnt die von Peter Ulrich entwickelte „Integrative Wirtschaftsethik“ als ein Beispiel für ein integratives Modell, das wirtschaftliches Handeln philosophisch normiert. Dieser Ansatz wird vorgestellt und mit möglichen Alternativen verglichen.
Aspekte der Konkurrenz von Autonomie und Integration in der Ethik - Kant und Hegel (56-)
Unverzichtbarkeit und Schwierigkeit: Kants praktische Philosophie ist unverzichtbar für ein modernes Selbstverständnis, aber sie stellt ein schwer lösbares Dilemma dar: Man muss sich zwischen Freiheit und äußeren Zielen, Autonomie und dem äußeren Guten entscheiden – es gibt keine dritte Möglichkeit (tertium non datur).
Wunsch nach Erweiterung: Viele würden gerne einige persönliche oder moralische Ziele in Kants strikte Ethik „einschmuggeln“, um sie angenehmer und lebensnaher zu gestalten, vielleicht sogar um sie mit Elementen eines guten Lebens zu erweitern.
Integrative Ethik: Krämer schlägt vor, Kants „Pflichtenethik“ um eine „Strebensethik“ zu erweitern, die sich an antiken eudämonistischen und teleologischen Modellen orientiert. Dies soll Kants abstrakte Ethik um eine alltagsnähere, lebenspraktische Komponente bereichern.
Erste vs. Zweite und Dritte Person: Krämer argumentiert, dass Kants Ethik eine „Ethik der zweiten und dritten Person“ ist, weil sie sich mit den Ansprüchen der Gesellschaft an das Individuum befasst. Demgegenüber sieht Krämer in der Strebensethik eine „Ethik der ersten Person“, die sich mit den individuellen Interessen und dem Selbstsorge des Einzelnen beschäftigt.
Missverständnis von Kants Ansatz: Der Text argumentiert, dass Krämer Kants Ethik missversteht, da Kant gerade darauf abzielt, ein freiheitliches Ich zu schaffen, das sich seiner Würde bewusst ist und nicht durch äußere Bestrebungen bestimmt wird.
Mehrdimensionalität der Ethik: Wenn additive Modelle wie Krämers nicht helfen, stellt sich die Frage, ob eine „ethische Mehrdimensionalität“ berechtigt ist. Dies würde bedeuten, dass wir uns nicht nur als erste Person (individuell) verstehen, sondern auch als zweite und dritte Person (gesellschaftlich).
Kritik an Kants Dualismus: Hegel kritisiert, dass Kant einen Dualismus zwischen der moralischen Pflicht und der Natur aufrechterhält, was zu einer endlosen Kasuistik in der angewandten Ethik führt.
Freiheit und Sittlichkeit: Hegel argumentiert, dass Kants Ethik die Freiheit nicht vollständig realisiert, weil sie weder das Objekt der Pflicht noch die Motivation des moralischen Handelns ausreichend bestimmt. Er sieht in der konkreten gelebten Praxis und in der Institutionalisierung (z.B. Ehe, Familie, Staat) eine Möglichkeit, diese Lücke zu schließen.
Rationale Lebensformen: Die Freiheit sollte in rationalen Lebensformen verwirklicht werden, was bedeutet, dass ethische Fragen in den Kontext gelebter menschlicher Beziehungen gestellt werden.
Gemeinwohldiskurs: Eine integrative praktische Philosophie sollte einen Diskurs über das Gemeinwohl etablieren, der die Vielfalt der Lebensformen anerkennt und versucht, eine interne Ordnung der Anerkennung und Hierarchisierung der Lebensformen zu schaffen.
Grundmodelle der Wirtschaftsethik und der Ansatz der „Integrativen Wirtschaftsethik“
Historische Wurzeln:
Platon und Aristoteles: Die Diskussion über Sinn, Gefahren, Funktion und Grenzen des Wirtschaftens hat eine lange Geschichte und wurde bereits in den Schriften von PLATON (Nomoi) und ARISTOTELES (Politik) behandelt. Diese frühen Philosophien haben das Wirtschaften in Bezug auf sittliche (moralische) Zwecke und individuelle Tugenden und Laster betrachtet.
Orientierungsrahmen:
Der frühere Orientierungsrahmen der Wirtschaftsethik konzentrierte sich auf die Beziehung zwischen Wirtschaft und moralischen Zielen sowie auf die Tugend- und Lasterlehre in Bezug auf das wirtschaftende Individuum.
Frühneuzeitliche Veränderungen:
Naturzustand und Markt: In der frühneuzeitlichen Gesellschaft wurde der Markt als eine neue Form des Naturzustands angesehen, in dem traditionelle Tugenden und Laster keinen Platz mehr hatten. Hier dominierte die ökonomische Rationalität (Klugheit), die nicht mehr unbedingt den sittlichen Zwecken diente, sondern oft in eigener Sache handelte.
Mandeville: Bereits bei Bernard MANDEVILLE wurde diese Dialektik des Marktes erkannt, wo das individuelle Eigeninteresse (oft als Laster betrachtet) zu allgemeinem Wohlstand führen konnte.
Neue Aufgaben der Wirtschaftsethik:
Fichte und Hegel: Die praktische Philosophie, insbesondere bei FICHTE (Geschlossener Handelsstaat) und HEGEL (Kritik der bürgerlichen Gesellschaft), erkannte eine neue Integrations- oder Befriedungsaufgabe. Diese Aufgabe wurde umso dringlicher, als die Versprechungen von Adam SMITHs „natural system of liberty“ (das freie Marktsystem) nicht unbedingt den erwarteten Wohlstand der Nationen brachten.
Industrielle Revolution und Kultur:
Mit den industriellen Revolutionen traten neue Probleme in den Vordergrund, die eine Rückeroberung des "Naturzustands" des Marktes durch Kultur und Sitte erforderlich machten. Das heißt, es musste eine Balance gefunden werden zwischen der natürlichen Dynamik des Marktes und den kulturellen und sittlichen Werten der Gesellschaft.
Gegenwärtige Perspektiven:
In der heutigen Zeit, die durch eine zunehmende „Ökonomisierung“ des Denkens und Handelns gekennzeichnet ist, hat die Wirtschaftsethik einen neuen Zugang und eine neue Relevanz gewonnen. Dabei geht es darum, wie die Wirtschaftsethik auf die durch den Markt induzierten neuen Naturzustände reagiert und diese in einen kulturell und sittlich akzeptablen Rahmen integriert.
Wirtschaftsethischer Dualismus
Unangetastete Sphäre des Ökonomischen:
Eigenständige Rationalität: Der Ansatz der angewandten Ethik lässt die Sphäre des Ökonomischen unangetastet, weil diese Sphäre ihre eigene Rationalität besitzt und zu erwünschten Ergebnissen wie Wertschöpfung führt.
Vermeidung von Interventionen: Jede Intervention von außen könnte diese Ergebnisse beeinträchtigen, weshalb Eingriffe in die ökonomische Sphäre vermieden werden.
Regulierung und ethische Mindeststandards:
Regelung der Marktteilnehmer: Es besteht das Bedürfnis, nicht nur das Verhältnis der Marktteilnehmer als Partner und Konkurrenten zu regeln, sondern auch die negativen Auswirkungen oder das Versagen der Märkte für die Betroffenen im Sinne ethischer Mindeststandards abzufedern.
Heterogenität der Rationalitäten:
Unbewältigte Heterogenität: Das Hauptproblem dieses Modells ist, dass die ethische Rationalität und die Marktrationalität grundsätzlich heterogen (unterschiedlich) bleiben und nicht miteinander harmonisiert werden.
Effizienz der Implementierung: Diese Heterogenität wirkt sich negativ auf die Effizienz der Implementierung ethischer und rechtlicher Standards im Marktgeschehen aus.
Wahrnehmung von Interventionen:
Unzureichende und willkürliche Grenzziehungen: Ethische Interventionen werden oft als nie ausreichend und gleichzeitig als willkürliche Beschneidungen der Freiheit empfunden.
Doppelrolle der Wirtschaftsakteure: Wirtschaftsakteure werden in eine Doppelrolle gezwungen, was zu einer nicht gelösten Selbstentfremdung führt. Sie leben in zwei Welten (ethische und ökonomische), zwischen denen die Verbindung schwer zu erkennen ist.
Wirtschaftsmonismus
Überwindung des Dualismus: Im Gegensatz zum ersten Modell, bei dem Ethik von außen in die ökonomische Sphäre eingeführt wird, soll in diesem zweiten Modell die Ethik direkt aus der ökonomischen Rationalität fließen. Der strukturelle Dualismus (das Trennen von Ethik und Ökonomie) wird hier überwunden.
Normen des Marktes: Die Normen des Marktes werden in ihrer idealen Form als die Grundlage aller praktischen Normativität betrachtet. Moral ist somit kein Eingriff in den Markt, sondern ein Subsystem des Marktes.
"It pays to be moral": Diese einfache Version, die besagt, dass moralisches Verhalten sich finanziell auszahlt, ist problematisch.
Marktkonformität in allen Lebensbereichen: Der ökonomistische Imperativ, wie er von Autoren wie Karl Homann vertreten wird, fordert marktkonformes Verhalten in allen Lebensbereichen. Diese Ansicht verspricht eine integrative Lösung für das Gemeinwohl durch einen umfassenden gesellschaftlichen Interessenausgleich.
Grundsatzkonflikt:
Willkürfreiheit vs. sittliche Autonomie: Dieses Modell betont die Freiheit von Willkür im Wirtschaftsgeschehen, gerät aber in Konflikt mit dem Konzept der sittlichen Autonomie. Es setzt keine echte moralische Autonomie voraus, sondern ersetzt sie durch ein „brutum arbitrium“ (willkürlicher Wille), das vom Markt geprägt wird und als Moral gilt.
Identität und Subjektivität:
Erziehung zur Marktkonformität: Subjekte erhalten ihre Identität vom Markt und werden dazu erzogen, sich selbst objektiv nach Marktkriterien zu bewerten (z.B. Markttauglichkeit, Leistungsbemessung).
Verdinglichtes Bewusstsein: Dieses Modell führt letztlich zu einem verdinglichten Bewusstsein, bei dem das Selbstverständnis der Subjekte durch die Marktkriterien definiert wird.
Konkrete Folgen:
Ausverkauf differenzierter Lebenswelten: Die Folge ist ein Ausverkauf und eine Nivellierung der vielfältigen Lebenswelten zugunsten des ökonomischen Monopols, was zu einer weltweiten Vereinheitlichung und Verlangweiligung des Lebens führt.
Regression der menschlichen Selbstauslegung: Dies kann auch eine Rückentwicklung der bereits erreichten Standards menschlicher Selbstinterpretation bedeuten.
Globalisierung: Viele Probleme der Globalisierung sind mit diesem Totalanspruch der Märkte auf das Leben verbunden. Märkte versuchen, alle Aspekte des Lebens zu dominieren, was negative Auswirkungen auf die Vielfalt und Tiefe menschlicher Erfahrungen hat.
Ulrichs “Vernunftethik des Wirtschaftens”
Integration von ökonomischer Rationalität und ethischer Vernunft:
Peter Ulrich versucht, die ökonomische Rationalität und die ethische Vernunft nicht einfach äußerlich zu verbinden oder eine der beiden Perspektiven in die andere aufzulösen.
Stattdessen möchte er das ökonomische Handeln als das Handeln verantwortungsvoller Subjekte verstehen, die sich ihrer Bedingungen bewusst sind und sich an ethischen Grundsätzen orientieren.
Transformation des Marktes:
Ulrich strebt eine Transformation des Marktes von einem kulturell vermittelten Naturzustand zu einem kultivierten Zustand an.
Im ökonomischen Kontext sollen sich die Akteure als Bürger begegnen, die sich bereits vorökonomisch anerkennen und verstehen, nicht als Gegner in einem „ökonomischen Krieg aller gegen alle“.
Vertikale Integration:
Diese Integration ist vertikal, basierend auf ethischen Grundsätzen, die das Fundament des Gemeinwesens und aller ökonomischen Handlungen bilden sollen.
Diese Grundsätze beschränken das ökonomische Handeln nicht nur, sondern orientieren es auch auf Ziele jenseits der bloßen Gewinnmaximierung.
Normativer Unterbau:
Ulrichs Wirtschaftsethik dient als „normativer Unterbau“ für eine „sozialökonomische Rationalität“, wobei er Anleihen bei der Diskursethik von Jürgen Habermas nimmt.
Diese ökonomische Rationalität soll sich normativ rechtfertigen und nicht nur ökonomische Prinzipien anwenden.
Mangelnde Realitätsnähe:
Der Text kritisiert, dass Ulrichs Ansatz möglicherweise nicht der realen Dynamik der Ökonomie gerecht wird.
Die Ökonomie ist nicht nur eine Lebensäußerung, sondern auch eine Lebensmacht, die tief im vorreflexiven Lebensvollzug verwurzelt ist und deren Stabilität auf der Erfahrung von Willkürfreiheit und der Macht der Klugheit basiert.
Unterschiedliche Selbstbehauptung:
Ökonomische und moralische Selbstbehauptung sind zunächst nicht dasselbe, weder auf individueller noch auf kollektiver Ebene.
Staaten und Gesellschaften, die sich zwar moralisch, aber nicht ökonomisch erhalten können, scheitern letztlich.
Notwendigkeit eines neuen Modells:
Eine wahrhaft integrative Wirtschaftsethik müsste die Ökonomie nicht nur unter ethische Reflexion subsumieren, sondern eine Komplementarität von Wirtschaft und Ethik denken.
Es geht darum, die Logik beider Bereiche zu respektieren und ihre sachgerechte Koordination zu ermöglichen, ohne die imperialen Ansprüche einzelner Perspektiven zu verstärken.
Koordinativ-integrative Wirtschaftsethik:
Der Text schlägt vor, statt einer vertikalen Subsumtion eine „koordinativ-integrative Wirtschaftsethik“ zu entwickeln.
Diese Ethik würde die Pluralität der Perspektiven anerkennen und deren sachgerechte Koordination als integrative Aufgabe der Philosophie verstehen.
Integration sollte sich an den konkreten Integrationspotenzialen gelebter Freiheit orientieren und die Polarität der Grundmodelle in eine Dynamik der Freiheitsrealisierung übersetzen.
Koslowskis „Ethische Ökonomie“
Vermittlung von Ökonomie und Ethik:
Peter Koslowski ist ein Wirtschaftsphilosoph, der sich um die Integration von Ökonomie und Ethik bemüht.
Er versucht, die beiden Bereiche so zu verbinden, dass sie eine tragfähige Einheit bilden.
Dualismus von Notwendigkeit und Freiheit:
Koslowski stellt fest, dass in der Neuzeit ein Dualismus zwischen dem „Reich der Notwendigkeit“ (Ökonomie) und dem „Reich der Freiheit“ (Ethik) entstanden ist.
Dieser Dualismus löst sich in der Postmoderne zunehmend auf, was zu einer umfassenderen „Erhellung der Handlungsorientierungen des Menschen“ führt.
Grund für diese Entwicklung sieht er in der Entdeckung der “Nebenwirkungen” des menschlichen Wirtschaftens und der “Wiederentdeckung des Menschen” in der Ökonomie und Ethik der Ökonomie.
Bedeutung des menschlichen Faktors:
In der postindustriellen Wirtschaft ist die Beachtung des menschlichen Faktors und ein anthropologischer Standpunkt besonders wichtig.
Die Psychologie spielt eine entscheidende Rolle beim Verständnis des Wirtschaftsgeschehens, da wirtschaftliches Handeln oft auf psychologischen Erwartungen basiert.
Koordination von Ökonomie und Ethik:
Koslowski betont, dass die Koordination von Ökonomie und Ethik sinnvoll ist und bereits in der Tradition vorhanden war.
Er erweitert die traditionellen ethischen Konzepte von Selbst- und Nächstenliebe um die Gottesliebe, was eine umfassendere Perspektive auf die Integration von Wirtschaft und Ethik ermöglicht.
Gefangenendilemma als Beispiel:
Koslowski verwendet das Gefangenendilemma, um zu zeigen, dass ethisches Verhalten zu besseren Ergebnissen führen kann als rein ökonomisches Verhalten.
Gefangenendilemma: Zwei Gefangene in U-Haft, Einzelzellen, gemeinsames Verbrechen, schweigen beide dann geringe Strafe, redet einer dann Kronzeugenregelung/ anderer 15, reden beide dann je 10
Das Dilemma zeigt, dass kooperatives Verhalten (Schweigen) zu einem besseren Ergebnis führt als egoistisches Verhalten (Reden), was die Überlegenheit ethischer Motivation über ökonomischen Verhalten (hier der Eigennutz) illustriert.
Formale und praktische Integration:
Koslowski sieht nicht nur eine formale, sondern auch eine inhaltliche Integration von Ethik und Ökonomie vor.
Er bezieht sich dabei auf eine Einheit von Pflichten-, Tugend- und Güterethik, die eine umfassende Bewertung menschlicher Handlungen ermöglicht.
bspw. ist ein Brückenschlag zwischen persönlicher Gerechtigkeit (Tugend) und Qualität öffentlicher Ordnung möglich
Somit kombiniert er
Ethik und Kulturphilosophie:
Koslowski betrachtet das Wirtschaften aus einer kulturphilosophischen Perspektive, ohne dabei die normative Dimension aus den Augen zu verlieren.
Er schlägt vor, dass ethisches Wirtschaften alle Aspekte einer Handlung berücksichtigt: Zweck, Ergebnis, Mittel, Umstände und Nebenwirkungen.
Die Habdlung ist nach den Bestimmungen der Ethik gut, wenn sie in all diesen Punkten der Natur der Sache entspricht.
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