Grundparadigma der Mehrfach- / Doppelaufgabe
Idee:
Probanden führen entweder zwei+ Aufgaben gleichzeitig, oder eine der beiden Aufgaben allein durch.
Der Vergleich von Doppel- versus Einzelaufgabenperformanz bemißt den Effekt / die Effizienz der Verarbeitung
Beispiel 1: Paradigma der Doppelaufgabe
Stimulus: Zahlenreihe aus drei Ziffern
Aufgaben:
Task 1 (T1): Addition: Ist die dritte Ziffer die Summe der ersten beiden Ziffern? Antwort: Tastendruck
T2: Multiplikation: Multiplizieren Sie die erste und die dritte Ziffer! Antwort: verbale Wiedergabe
Beispiel 1: Ergebnis
Ergebnis: Starke Leistungseinbußen bei Ausführung der Doppelaufgabe vs. Einzelaufgaben
Interpretation: Durchführung einer Aufgabe behindert die Durchführung der anderen
Beispiel 2: Paradigma der Doppelaufgabe
Stimuli: Buchstabe für Aufgabe 1 (T1) Ton für Aufgabe 2 (T2)
Task 1 (T1): Position des Buchstabens (rechts, mitte links) Antwort: Tastendruck
T2: Identifikation der Tonhöhe (tief, mittel, hoch) Antwort: verbale Wiedergabe einer assoziierten Zahl (1,2,3)
Beispiel 2: Ergebnis
Ergebnis: Kleine Leistungseinbußen bei Ausführung der Doppelaufgabe vs. Einzelaufgaben Interpretation: Durchführung einer Aufgabe behindert die Durchführung der anderen nicht.
Überblick Faktoren und Theorien
Wieso interferieren manche Aufgaben, andere nicht?
Schwierigkeit als Leistung-Ressourcen Funktion
Wichtige theoretische Unterscheidung:
• Ressourcenlimitation: Leistung durch vorhandene Ressourcen beschränkt
• Datenlimitation: Leistung durch vorhandene Informationen beschränkt
Leistungsveränderung bei Doppelaufgaben
Performance-OperatingCharacteristic (POC)
Erfasst Leistung einer Aufgabe als Funktion der Leistung in einer anderen Aufgabe
Beobachtungen / Vorhersagen:
• Wenn beide Aufgaben ressourcenlimitiert, erfolgt Ausgleich der Leistung
• Wenn eine Aufgabe datenlimitiert ist, hat die andere weniger Einfluss
• Ressourcenanforderungen sind nicht additiv (Kosten der Zweifachtätigkeit)
—> Akt der Aufgabenteilung zieht selbst Ressourcen ab
Kahneman, 1973: Theorie zentraler Kapazitätsressourcen
Aufmerksamkeit ist eine limitierte, energetisierende (Allzweck-) Ressource
• Kann flexibel unterschiedlichen Tätigkeiten zugeordnet werden
• Umfang kann (leicht) in Abhängigkeit von Anstrengung und Motivation variieren
Leistungseinbußen unter Mehrfachaufgabenbedingung sind durch begrenzte zentrale Kapazität/Ressourcen bestimmt
• Wenn zwei Aufgaben zusammen mehr Ressourcen benötigen als vorhanden, muss es zu Leistungseinbußen kommen
—> Leistungseinbuße ist von der Aufgabenschwierigkeit abhängig:
• Zwei gleichzeitig ausgeführte Aufgaben behindern sich umso stärker, je ressourcenabhängiger sie sind
Limitationen der Zentralen Kapazitätstheorie
Verdacht der Zirkularität der Theorie:
Keine von der Messung unabhängige Definition des Kapazitäts- oder Ressourcenbegriffs
• Beide werden durch Maß an Interferenz in Doppelaufgabenbedingungen bestimmt
—> Kapazität und Aufgabenschwierigkeit sollten unabhängig bestimmt werden
Begriffliche Unschärfe:
Es fehlt eine nähere Erklärung, was genau zentrale Kapazität ist
Erklärung empirischer Befunde:
Erklärt den Effekt von Aufgabenschwierigkeit auf Doppelaufgabenkosten, nicht aber Effekte von Aufgabenähnlichkeit oder Übung
Aufgabenähnlichkeit Segal & Fusella (1970)
Paradigma
Aufgabe 1: Signaldetektion (auditiv oder visuell)
Aufgabe 2: Mentale Vorstellung (auditiv oder visuell)
Interpretation
Leistung wird durch Aufgabenähnlichkeit bestimmt
Wickens (1984): Theorie multipler Ressourcen
Hauptannahme: Es gibt mehrere, separate Ressourcen
—> Gleichzeitige Ausführung zweier Aufgaben führt in dem Maße zu Leistungseinbußen, in dem sie…
• die gleiche Stimulusmodalität involvieren (z.B. visuelle versus auditive Enkodierung)
• die gleichen Verarbeitungsstadien beanspruchen (z.B. frühe vs. späte Prozesse)
• auf gleiche Gedächtniskodes zugreifen (räumlich vs. verbal)
• gleiche Antwortmodalität bedingen (verbal vs. manuell)
Pros & Cons der Theorie Multipler Ressourcen
PROs
Praktische Relevanz
Einfaches Modell, das in der industriellen Praxis potentiell auftretende Störungen schnell vorhersagt
CONs
Unterscheidung kognitiver Ressourcen
Die Grobeinteilung von Ressourcen reicht nicht aus, um kognitive Flexibilität zu erklären
Zeitliche Dimension
Die zeitliche Dimension von kognitiven Prozessen wird nicht beachtet
Zeitliche Aspekte: Psychologische Refrakturperiode
Paradigma: Zwei Hinweisreize werden in schneller Abfolge gegeben.
Aufgabe: So schnell wie möglich auf beide Reize reagieren.
Ergebnis: Reaktionszeit auf Reiz 2 hängt von Zeitverzögerung zwischen Reiz 1 und 2 ab
—> Engpass (bottleneck): Verarbeitung eines Reizes muss abgeschlossen sein, bevor die Verarbeitung des zweiten beginnen kann (serielle Verarbeitung)
Salvucci and Taatgen, 2008; 2011: Threaded cognition
Annahmen
• Gedankengänge (für Handlungsziele) werden als Prozessströme (threads of processing) konzeptualisiert
• Threads haben eine zeitliche Dimension: Dauer
• Threads können parallel aktiviert sein
• Annahme, dass eine Ressource zu einem Zeitpunkt nur von einem Prozess genutzt werden kann
Doppelaufgabeninterferenz
Aufgabeninterferenz tritt auf, wenn verschiedene Threads dieselbe Ressource zum selben Zeitpunkt benutzen
Pros & Cons zur Threaded cognition - Theorie
Beherzigt Befunde zur zeitlichen Abhängigkeit von Doppelaufgabeninferenz
Brücke zur neuronalen Implementation
Macht explizite Vorhersagen über involvierte Hirnareale
Erklärung empirischer Befunde
Erklärt Übungseffekte nicht.
Übungseffekte: Strobach et al. 2013
Experiment: Probanden übten Doppel- und Einzelaufgaben (auditiv, visuell) „exzessiv“ (5000 Durchgänge) in mehreren Sitzungen
Ergebnis: Leistungen in der Doppelaufgabe verbessern sich über die Zeit
Interpretation: Prozesse wurden „automatisiert“ (versus vorher „kontrolliert“)
Intuitives Beispiel: Lesen und Schreiben
Shiffrin & Schneider (1977) Automatische vs. kontrollierte Verarbeitung
Kontrollierte Prozesse: wann
Wann treten kontrollierte Prozesse auf?
• Der Kontext für die Handlungen ist neuartig
• Eine besonders schwierige Handlung ist auszuführen
• Es sollen Fehler vermieden werden
• Eine Handlungsoption muss gegen eine andere automatischere Handlung durchgesetzt werden
• Mehrere Handlungen müssen koordiniert werden (z.B. Doppelaufgaben)
Kontrollierte Prozesse: wie
Wie erfolgt Kontrolle?
• Kontrolle erfolgt durch exekutive Prozesse: Metakognitive Prozesse, die andere kognitive Prozesse (z.B. Wahrnehmung, Gedächtnis) kontrollieren bzw. deren Zusammenspiel optimieren
Schneider & Shiffrin (1977) Paradigma
Paradigma Kombination einer Gedächtnis- mit einer Suchaufgabe Es werden nacheinander zwei Displays präsentiert mit jeweils 1 bis 4 Items
Schneider & Shiffrin (1977) unabhängige Variablen
Schneider & Shiffrin (1977): Kritische Manipulation - Konsistente Zuordnung
Konsistente Zuordnung
Targets (und Gedächtnismenge) versus Distraktoren sind konsistent Konsonanten oder Ziffern zugeordnet
Beispiel
Gedächtnismenge enthält nur Ziffern
—> Taget im display set ist daher auch immer eine Ziffer
Distraktoren in Displaymenge nur Konsonanten
—> Target und Distraktoren kamen damit aus unterschiedlichen Kategorien
Schneider & Shiffrin (1977): Kritische Manipulation - Variable Zuordnung
Variable Zuordnung
Targets (und Gedächtnismenge) und Distraktoren kommen aus einer Kategorie (immer nur Konsonanten oder nur Ziffern)
Gedächtnismenge enthält nur Konsonanten
Distraktoren in Displaymenge sind auch Buchstaben
—> Target und Distraktoren kamen damit aus derselben Kategorie
Schneider & Shiffrin (1977): Ergebnisse
Variierende Zuordnung: Reaktionszeiten steigen mit der Größe der Gedächtnis- und Displaymenge
Konsistente Zuordnung: Reaktionszeiten relativ unabhängig von Gedächtnismenge (memory set size) und Displaymenge (frame size)
Interpretation:
Variierende Zuordnung => Serielle, kontrollierte Abgleichprozesse Konsistente Zuordnung => Parallele, automatische Prozesse, entstanden durch Übung in der Unterscheidung Buchstaben vs. Zahlen
Shiffrin & Schneider (1977): Entstehung automatischer Prozesse
Hypothese: Übung führt zu Automatisierung
Idee: Konsistente Zuordnung mit zwei Mengen, die zu Beginn des Experimentes nicht automatisch unterscheidbar sind
Shiffrin & Schneider (1977): Ergebnisse
Herausforderungen an den klassischen Ansatz
1. Keine Tätigkeiten erfüllen alle Kriterien für automatische Prozesse
2. Fragwürdig ob automatische Prozesse wirklich einzelne Kriterien strikt erfüllen: Gar keine Aufmerksamkeit/Kontrolle, keine Ressourcen?
3. Abgrenzung automatische vs. kontrollierte Prozesse unvollständig
Dekompositionaler Ansatz: Moors & De Houwer 2005
Aufmerksamkeit und Handlungen
Aufmerksamkeit (Selektion) erfolgt im Rahmen von Handlungen und Zielen.
Häufig führen wir mehr als eine Handlung auf einmal aus.
Fragen:
Welche Rolle spielt Aufmerksamkeit im Kontext mehrerer Handlungen?
Wie gut lassen sich zwei oder mehrere Handlungen kombinieren?
Relevanz:
—> Praktisch: Ergonomie, Arbeits- und Organisationspsychologie
—> Theoretisch: wichtiger Kontext zur Erforschung von Steuerung und Grenzen der Aufmerksamkeit
Zuletzt geändertvor 3 Monaten