Die negative Aufgabe der Politik: Zurückhaltung
Bedeutung der Politik für das Glücksstreben:
Alle Menschen sind jederzeit auf der Suche nach Glück. Dabei ist die Frage welche Aufgabe die Politik bei diesem Glücksstreben spielt viel diskutiert.
Negative und positive Aufgaben der Politik:
Unterschieden werden kann zwischen einer „negativen“ und einer „positiven“ Aufgabe der Politik in Bezug auf das Glücksstreben. Die „negative“ Aufgabe könnte beispielsweise darin bestehen, das Streben nach Glück nicht zu behindern, während die „positive“ Aufgabe darin bestehen könnte, aktiv Bedingungen zu schaffen, die das Glücksstreben fördern.
Erwartungen an die Politik in den 1960er und 1970er Jahren:
In diesen Jahrzehnten erwarteten viele Bürger, dass politische Reformen und Veränderungen der gesellschaftlichen Strukturen zu größerem Glück führen würden. Diese Erwartungen wurden jedoch oft enttäuscht, was zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der Rolle der Politik führte.
Enttäuschungen und Ursachen:
Erwartungen zu hoch, die Planung und Durchführung mangelhaft oder ist es generell falsch, von der Politik Glück zu erwarten?
Rückzug und Protest der Jugend:
Eine spätere Generation zog sich aus der offiziellen Politik zurück und suchte persönliches Glück in kleineren, direkteren Lebensräumen. Gleichzeitig gab es jedoch auch Proteste und Forderungen nach besseren Lebensbedingungen, Umweltschutz und gerechten Rahmenbedingungen für die Globalisierung. Dies zeigt ein paradoxes Verhalten: einerseits Rückzug, andererseits hohe Erwartungen an die Politik.
Geschichte und Grundrechte:
Die Geschichte von Hiob kann als Beispiel für den Konflikt um das Recht auf Glück angesehen werden.
Die amerikanische Unabhängigkeitserklärung, die das Recht auf „pursuit of happiness“ (Streben nach Glück) als Grundrecht anerkennt, ist ebenfalls Teil dieser Diskussion.
Wichtig ist hier die Unterscheidung, dass es nicht um ein Recht auf Glück selbst, sondern um das Recht, danach zu streben, geht.
Glück als innere Erfahrung:
Als Beispiel für Glück als apolitisches Prinzip kann das Märchen „Hans im Glück“ verwendet werden. Dieses lehrt, dass wahres Glück von inneren Faktoren abhängt und nicht von äußeren Bedingungen. Das Glück liegt im Inneren des Menschen, im Bezirk der eigenen Macht, und ist somit unabhängig von äußeren Mächten oder Umständen, einschließlich der Politik.
Apolitisches Glück:
Die Aussage des Märchens impliziert, dass Politik weder das Glück fördern noch schaden kann. Glück ist demnach eine innerliche Angelegenheit und somit apolitisch.
Epikur und die Ataraxie:
Der griechische Philosoph Epikur vertrat die Ansicht, dass wahres Glück in der „Windstille der Seele“ (Ataraxie) liegt, also in einem Zustand frei von körperlichem Schmerz und seelischer Aufregung. Epikur betonte, dass das Streben nach Glück im eigenen Handeln und Denken liegt und man sich von den Aufregungen des politischen Lebens fernhalten sollte, um diese innere Ruhe zu bewahren.
Kant und das Recht auf persönliche Glückssuche:
Kant betrachtet das Streben nach Glück als persönliche Angelegenheit, wobei jeder Mensch das Recht hat, seinen eigenen Weg zum Glück zu wählen. Kant lehnt eine „väterliche Regierung“ ab, die den Bürgern vorschreibt, was sie tun sollen, um glücklich zu sein. Dies führe zu einem Despotismus.
Popper und die Gefahr der politischen Glückssuche:
Karl Popper argumentiert ähnlich wie Kant, dass der Versuch, Menschen durch Politik glücklich zu machen, gefährlich ist. Er sieht darin die Gefahr, dass eine Regierung versucht, ihre eigenen Werte und Vorstellungen von Glück anderen aufzuzwingen, was zu totalitären Regimen führen kann.
Utilitarismus und das politische Glück:
Im Gegensatz zu den oben genannten Positionen sieht der Utilitarismus, insbesondere Jeremy Bentham, die Aufgabe der Politik darin, das größtmögliche Glück für die größtmögliche Anzahl von Menschen zu fördern. Hier wird Glück als ein zentrales Ziel des Staates angesehen.
Sozialstaatlichkeit und Wohlfahrtsstaat:
Moderne Entwicklungen wie der Sozialstaat und Wohlfahrtsstaat setzen ebenfalls auf die Förderung des öffentlichen Wohlergehens als Staatsziel. Dabei geht es um mehr als nur rechtliche Rahmenbedingungen; es geht auch um soziale Gerechtigkeit und das allgemeine Wohl.
Kritische Theorie und wahres Glück:
Vertreter der Kritischen Theorie sehen eine Verantwortung bei der Politik für das Glück der Bürger. Herbert Marcuse betont, dass wahres Glück nur durch eine vernünftige und gerechte Gesellschaftsordnung möglich ist. Er kritisiert moderne Gesellschaften dafür, dass sie zwar neue Genussmöglichkeiten bieten, aber gleichzeitig die Fähigkeit der Menschen einschränken, diese zu genießen und dadurch glücklich zu sein.
Bestimmung von Politik:
Empirische Bestimmungen
Politics: Politik als staatliche Aktivitäten wie internationale Verträge, Wahlkämpfe, das Wirken von Parteien und Verbänden.
Politik wird in diesem Sinne als politisches Handeln verstanden, als Politics.
Government: Hier wird unter Politik die institutionellen Strukturen und Regeln, in denen politische Aktivitäten stattfinden, einschließlich Regierung, Verwaltung, Gerichtsbarkeit, Polizei und Militär verstanden.
In diesem Sinne ist Politik die Struktur und Grundordnung eines Gemeinwesens, also das Government.
Gesellschaftliches Subsystem: Politik wird als ein spezifisches gesellschaftliches System betrachtet, das sich von anderen wie Wirtschaft oder Wissenschaft unterscheidet.
Normativ-kritische Perspektive:
Politik wird hier im Hinblick auf moralische Ziele und die Verpflichtung auf politische Gerechtigkeit definiert.
Diese Bestimmung ist nicht mehr beschreibend, sondern widmet sich den Zielen und Zwecken des politischen Handelns.
Definition von Glück:
Glück wird in zweierlei Hinsicht betrachtet:
Glücklichsein: Ein Zustand der Zufriedenheit und Erfüllung, nach dem alle Menschen streben.
Glück haben: Ein zufälliges Ereignis, das positive Folgen hat. Der Text fokussiert auf die erste Bedeutung.
Es gibt viele unterschiedliche Vorstellungen davon, was Glück ausmacht. Diese hängen von individuellen Wünschen, Bedürfnissen, Persönlichkeitsstrukturen und Lebensumständen ab.
Vielfalt der Glücksvorstellungen:
Es gibt keine einheitliche Definition von Glück, da es viele verschiedene Vorstellungen darüber gibt, was Glück ist und wie es erreicht werden kann. Eine Politik, die versucht, eine bestimmte Glücksvorstellung zu fördern, könnte andere ausschließen und wäre somit potenziell totalitär.
Bspw. der Utilitarismus verpflichtet die Politik nicht auf eine bestimmte Glücksidee, sondern fordert die Berücksichtigung der Vielfalt der Glückserwartungen.
Konflikte durch das Streben nach Glück:
Das Streben nach Glück kann zu Konflikten führen, da für einige Glückserwartungen Ressourcen, Positionen und Anerkennung notwendig sind, diese aber nur begrenzt zur Verfügung stehen.
Andere Glücksvorstellungen setzen einen Vorrang vor anderen Menschen voraus. bspw. Reichtum bedeutet deutlich mehr Geld als andere Menschen zu haben. Dies führt zu einem Wettkapf zwischen Menschen mit dem gleichen Glücksvorstellungen
Die positive Aufgabe der Politik: Konfliktlösung
Politische Zurückhaltung:
Eine Politik, die sich dem Glück der Menschen verpflichtet fühlt, muss diese Vielfalt anerkennen und den Menschen die Freiheit lassen, ihr eigenes Glück zu definieren und zu verfolgen. Es ist nicht die Aufgabe der Politik, eine bestimmte Vorstellung von Glück durchzusetzen.
Konflikte im Glücksstreben:
Das Streben nach Glück kann zu Konflikten führen, wenn unterschiedliche Wünsche und Bestrebungen der Menschen miteinander kollidieren. Zum Beispiel können materielle Güter, Anerkennung oder bestimmte Lebensstile begrenzt sein, was zu Konkurrenz und Konflikten führen kann.
Eine positive Aufgabe der Politik ist es, solche Konflikte zu erkennen und zu lösen. Dies geschieht durch das Recht und den Staat, die dafür sorgen müssen, dass solche Konflikte gerecht gelöst werden, anstatt sie dem Zufall oder der Macht des Stärkeren zu überlassen.
Einschränkung der Freiheit:
Die Freiheit, sein eigenes Glück zu verfolgen, sollte nicht unbegrenzt sein. Wenn das Streben eines Einzelnen in die Freiheit oder das Glücksstreben eines anderen eingreift, muss es Einschränkungen geben. Diese Einschränkungen sind notwendig, um sicherzustellen, dass jeder die Möglichkeit hat, sein eigenes Glück zu suchen, ohne dass es zu unüberwindbaren Konflikten kommt.
Prinzip der politischen Gerechtigkeit:
Die wechselseitige Einschränkung der Handlungsfreiheit, die nach allgemeinen und gleichen Grundsätzen vorgenommen wird, bildet das höchste Prinzip der politischen Gerechtigkeit. Dieses Prinzip dient als Maßstab für die positive Aufgabe der Politik im Umgang mit dem Glücksstreben der Menschen.
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Höchstes Prinzip der politischen Gerechtigkeit:
Das höchste Prinzip lässt sich in mittlere Prinzipien aufgliedern, darunter fallen insbesondere die Menschenrechte. Diese sind in drei Kategorien unterteilt:
Persönliche Freiheitsrechte
Politische Mitwirkungsrechte
Sozial- und Kulturrechte
Staatszielbestimmungen:
Die Realisierung der oben genannten Menschenrechte entspricht den drei grundlegenden Zielen eines Staates:
Rechtsstaat
Demokratie
Sozialstaat
Freiheitsrechte und ihre Bedeutung:
Die persönlichen Freiheitsrechte bieten den rechtlichen Rahmen, in dem die Bürger ohne Furcht vor staatlicher oder privater Willkür ihr Glück suchen können. Dazu gehören grundlegende Rechte wie das Recht auf körperliche Unversehrtheit, Eigentum und Meinungsfreiheit. Diese Rechte schaffen einen öffentlich-geschützten Lebens- und Freiraum, in dem individuelle Lebensentwürfe verwirklicht werden können.
Aufgaben des Sozialstaats:
Der Sozialstaat hat die Aufgabe, die materiellen und sozialen Rahmenbedingungen zu schaffen, die es den Menschen ermöglichen, ein gutes Leben zu führen. Dazu gehört:
Absicherung bei Krankheit, Arbeitslosigkeit, Invalidität und Alter
Wirtschaftliche und soziale Maßnahmen
Geschichtlicher Hintergrund und Entwicklung des Sozialstaats:
Die Entstehung des modernen Sozialstaats ist eine Reaktion auf die sozialen Probleme, die mit der Industrialisierung einhergingen, wie z.B. schlechte Lebens- und Arbeitsbedingungen.
Die Einführung von Sozialversicherungen war ein erster notwendiger Schritt, um den Menschen ein Mindestmaß an Sicherheit und Lebensqualität zu garantieren.
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Freiheits- und Mitwirkungsrechte:
Eine Politik, die sich ernsthaft um die Anerkennung der persönlichen Freiheitsrechte und der politischen Mitwirkungsrechte bemüht, muss sicherstellen, dass die Grund- und Rahmenbedingungen gegeben sind, die diese Rechte überhaupt ermöglichen.
Funktion des Sozialstaats:
Der Sozialstaat übernimmt die Aufgabe, die materiellen, natürlichen und sozialen Bedingungen zu gestalten, die notwendig sind, damit Menschen ein lebenswertes Leben führen können. Dazu gehören Maßnahmen wie:
Wirtschafts- und Konjunkturpolitik: Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und Förderung des Wirtschaftswachstums.
Umweltpolitik: Schutz der natürlichen Umwelt und Reduzierung von Verschmutzung und Lärm.
Stadtplanung: Schaffung von Grünanlagen, Spielplätzen und lebensfreundlichen Stadtteilen.
Bildungspolitik: Gewährleistung von Chancengerechtigkeit und Förderung intellektueller sowie kreativer Fähigkeiten.
Diese Maßnahmen sollen die Rahmenbedingungen schaffen, die für persönliches Glück und Selbstverwirklichung notwendig sind. Die Politik kann das Glück nicht direkt herstellen, aber sie kann Hindernisse beseitigen und Bedingungen für ein erfülltes Leben schaffen.
Kosten und Herausforderungen des Sozialstaats:
Finanzielle Kosten: Jedoch erfordert ein Sozialstaat auch hohe Ausgaben, die durch Steuern finanziert werden. Diese finanziellen Belastungen können das persönliche Glücksstreben beeinträchtigen, da ein großer Teil des Einkommens an den Staat zurückfließt.
Eingriffe in die Freiheit: Mit der Ausweitung der staatlichen Aufgaben und Befugnisse kann es zu einem Substanzverlust der Freiheitsrechte kommen. Je mehr der Staat eingreift, desto mehr könnte das persönliche Glücksstreben durch staatliche Regelungen beeinflusst werden. Dies könnte die Freiheit der Menschen einschränken, ihr Glück nach eigenen Vorstellungen zu suchen.
Die Vervollkommnung des Sozialstaates führt zu einer Verstaatlichung des freien Glücksstreben.
Wie könnte die Lösung für dieses Problem aussehen?
Minimalstaat vs. Sozialstaat:
Der Minimalstaat (oder „Nachtwächterstaat“) beschränkt sich auf grundlegende Aufgaben wie den Schutz vor Gewalt und Diebstahl sowie die Durchsetzung von Verträgen. Er lässt den Bürgern weitgehend freie Hand bei der Verfolgung ihres Glücks, schützt jedoch vor den negativen Auswirkungen staatlicher Eingriffe.
Im Gegensatz dazu versucht der Sozialstaat, durch umfassende soziale Maßnahmen das Glück für alle Bürger zu gewährleisten, insbesondere auch für die weniger privilegierten. Diese Maßnahmen sind notwendig, um soziale Ungerechtigkeiten zu mildern und jedem Bürger die Möglichkeit zu geben, sein Glück zu verfolgen.
Dilemma des modernen Staates:
Somit steht der moderne Staat vor einem Dilemma: Wenn er seine sozialen Verpflichtungen erfüllt und damit die Bedingungen für persönliches Glück verbessert, könnte er gleichzeitig die Freiheit der Bürger einschränken. Es gibt kein festes Maß dafür, wie viel der Staat tun sollte oder darf. Der „Zuviel oder Zuwenig“-Ansatz erfordert eine Balance, die zwischen zu wenig staatlichem Eingreifen und zu viel staatlicher Kontrolle navigiert.
Philosophische Orientierung:
Die Philosophie kann eine Orientierung bieten, indem sie Konzepte wie die „Lehre von der Mitte“ (nach Aristoteles) hervorhebt. Diese Lehre betont, dass ein ausgewogenes Maß zwischen Übermaß und Mangel gefunden werden muss. Politische Entscheidungen sollten stets durch Überlegung und Vernunft geleitet werden, um ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Freiheit und sozialer Verantwortung zu gewährleisten.
Die Grenzen und Gefahren der politischen Einflussnahme
Zurückhaltung: Die Politik soll den Menschen die Freiheit lassen, selbst zu entscheiden, worin sie ihr Glück suchen.
Konfliktlösung: Gleichzeitig muss die Politik Konflikte lösen, die entstehen, wenn unterschiedliche Vorstellungen von Glück miteinander kollidieren. Diese Konflikte sollen nach Gerechtigkeitsprinzipien geregelt werden. Die Idee ist, ein Gleichgewicht zu finden, das den unterschiedlichen Bedürfnissen und Erwartungen gerecht wird.
Ressourcenknappheit: Ein zentrales Problem ist die begrenzte Verfügbarkeit von finanziellen und persönlichen Ressourcen. Die Zusammenfassung aller Bedürfnisse und Ansprüche aller Bürger übersteigt selbst das Äußerste der Ressourcen. Wenn zu viele Ressourcen in einem Bereich investiert werden, bleibt für andere wichtige Bereiche weniger übrig.
Beispielsweise kann eine starke Fokussierung auf das Gesundheitswesen zulasten von Bildung oder Umweltschutz gehen.
Abwägung und Optimierung: Die Politik steht vor der Herausforderung, eine abgewogene und optimierte Verteilung der Ressourcen zu gewährleisten.
Mehrdimensionale Abwägung: Innerhalb eines einzelnen Bereichs wie der Wirtschaftspolitik gibt es mehrere Ziele (z.B. Bekämpfung von Arbeitslosigkeit, Inflation und Förderung von Wirtschaftswachstum), die gleichzeitig berücksichtigt werden müssen. Das Verfolgen eines Ziels erschwert oft die Verwirklichung anderer Ziele.
Suboptimierung: Ein weiteres Problem ist die Suboptimierung, bei der sich politische Entscheidungen nur auf bestimmte, leicht messbare Aspekte konzentrieren, während wichtigere, schwer präzisierbare und nicht quantifizierbare Ziele vernachlässigt werden.
Beispiel Bildungspolitik: In der Bildungspolitik ist es einfacher, klare Daten zu Schüler- und Lehrerzahlen oder zu baulichen Aspekten der Schulen zu erfassen. Diese geben aber weniger genau die Qualität einer Bildungspolitik wieder als Aspekte wie Chancengerechtigkeit, persönliche Förderung oder die Vermittlung von intellektuellen und sozialen Fähigkeiten. Dies führt zu einer Suboptimierung, bei der bestimmte Teilaspekte verbessert werden, während das Gesamtsystem oder wichtige qualitative Dimensionen vernachlässigt werden.
Arnold Gehlen und die Hintergrunderfüllung: Gehlen beschreibt „Hintergrundserfüllung“ als den Zustand, bei dem bestimmte Bedürfnisse oder Ansprüche, deren Befriedigung durch institutionelle Regelungen gesichert ist, in den Hintergrund des Bewusstseins treten. Menschen setzen sich weniger mit diesen Bedürfnissen auseinandersetzen, weil sie als bereits erfüllt oder sicher gelten.
Friedrich Tenbruck - Wirkung auf den Befriedigungswert: Aufbauend auf Gehlen stellte der Soziologe Friedrich Tenbruck fest, dass wenn ein Bedürfnis als weitgehend gesichert betrachtet wird, verliert es an dringlicher Bedeutung und Befriedigungswert. Es wird zur Routine, und die Befriedigung erfordert keine besondere Aufmerksamkeit oder Energie mehr. Daher wird die regelmäßige Befriedigung dieses Bedürfnisses weniger im subjektiven Glückdempfinden aus. Stattdessen gewinnen unsichere, überraschende oder seltene Befriedigungen an Bedeutung und werden als besonders wertvoll empfunden.
Politische Einflussnahme auf das Glück: Da die Politik oft darauf abzielt, Bedürfnisse zu befriedigen und Sicherheit zu schaffen (z.B. durch soziale Sicherungssysteme), führt diese Sicherheit dazu, dass die Bedürfnisse, die durch die Politik befriedigt werden, an Glückswert verlieren. Die Politik kann dann nicht mehr direkt das Glück herstellen, da das Glück stets durch die unsicheren und überraschenden Aspekte des Lebens beeinflusst wird.
Erwerb des Glücks: Gehlen weist darauf hin, dass der Erwerb oft mehr als erfüllend oder belohnend empfunden wird als deren Besitz.
Lustbetontheit des Erwerbs: Gehlen erweitert das Konzept, indem er argumentiert, dass der Erwerb von Neuem oder Seltenem oft als besonders lustbetont empfunden wird. Das „Neuartige“ oder „Außergewöhnliche“ zieht unsere Aufmerksamkeit an und wird als besonders wertvoll wahrgenommen.
Politisches Glück: Das Streben nach politischen Zielen und der Kampf um deren Erreichung haben eine hohe Glückswirkung, während die Verwirklichung dieser Ziele als weniger erfüllend empfunden wir
Definition: Der Begriff „hedonische Diskontierung“ beschreibt das Phänomen, dass in fortgeschrittenen Industriegesellschaften trotz steigernder Produktivität und Lebensstandarderhöhungen die tatsächliche Verbesserung des Wohlstands nicht immer zu einer proportionalen Steigerung des Glücks führt.
Ursache: Die Erwartungen der Menschen steigen mit dem Wohlstand und den Verbesserungen der Lebensverhältnisse. Diese Inflation steigt oft schneller als die realen Verbesserungen, was dazu führt, dass Menschen sich weniger glücklich fühlen, obwohl sie objektiv gesehen besser gestellt sind.
Folgen der Erwartungsinflation: Selbst wenn Einkommen und soziale Einrichtungen verbessert werden, kann das Glücksempfinden sinken. Gehlen beschreibt dieses Phänomen als “Katerstimmung des Angebotsüberflusses”.
Politische Implikationen: Eine dem Glück der Menschen verpflichtete Politik muss darauf achten, nicht zu viele oder unrealistische Erwartungen zu wecken, sondern sollte ihre eigene Bedeutung für das menschliche Glück, auch öffentlich, niedrig einschätzen.
Politik als Möglichkeitserbringer: Die Politik kann lediglich die Möglichkeiten für individuelles Glück bereitstellen, nicht jedoch das Glück selbst herstellen. Durch die Bereitstellung von bspw. Einkommensverbesserungen, Arbeitszeitverkürzungen, erweiterte Bildungsangebote oder Mitbestimmung am Arbeitsplatz wird nicht direkt Glück hergestellt.
Selbstverwirklichung: Glück wird als ein Prozess der Selbstverwirklichung betrachtet, bei dem jeder Mensch für sich selbst herausfinden und umsetzen muss, was für ihn persönlich Glück bedeutet. Ob jemand sein Glück in Freundschaften, wissenschaftlicher Forschung, künstlerischer Tätigkeit oder anderen Bereichen findet, liegt in der Verantwortung des Einzelnen.
Die politischen Maßnahmen wie bspw. Arbeitszeitverkürzungen schaffen Globallage von Nutzungsmöglichkeiten, also Bedingungen, unter denen die Individuen dann in Eigenverantwortung ihr Glück suchen können.
Hans Christoph Buch - Ironie der staatlichen Verordnung von Glück: Der Text zitiert einen Kommentar von Hans Christoph Buch, der die Absurdität eines Systems anprangert, das Glück durch offizielle Plaketten verordnet. Diese Kritik verdeutlicht die Unmöglichkeit und Lächerlichkeit, dass der Staat Glück „verordnen“ kann.
Glück als normativ-kritischer Maßstab: Die Politik kann Bedingungen schaffen, die den Menschen und Gruppen verschiedene Chancen auf ein glückliches Leben bieten. Diese Bedingungen sind jedoch nur indirekt mit dem Glück verbunden.
Illusionäre und gefährliche Erwartungen: Die Vorstellung, dass Politik das Glück direkt herstellen kann, ist illusionär und gefährlich. Eine solche Erwartung könnte zu einer Despotie führen, bei der individuelle Freiheiten und persönliche Besonderheiten durch eine uniformierende politische Steuerung eingeschränkt werden. Es würde die Vielfalt der Glücksmöglichkeiten und individuellen Wünsche ignorieren und damit die Freiheit und Autonomie jedes Einzelnen bedrohen.
Kant - oder: Darf der Staat die Bürger zum Glück zwingen?
In seiner Moralphilosophie unterscheidet Kant zwischen einem empirisch bedingten Willen und einem reinen bzw. vernünftigen Willen.
Empirisch bedingter Wille: Dieser Wille basiert auf dem Prinzip der Selbstliebe oder Glückseligkeit. Er ist von äußeren Bedingungen geprägt, die den Willen beeinflussen, weswegen Kant ihn Kant auch als Heteronomie bezeichnet.
Reiner oder vernünftiger Wille: Dieser Wille orientiert sich an Prinzipien der Selbstgesetzlichkeit des Willens, der Autonomie. Dieser Wille strebt nicht nach Glück als Hauptziel, sondern folgt dem Prinzip der moralischen Pflicht.
Ablehnung des Glücks als Prinzip: Kant lehnt es ab, das persönliche Glück als den letzten Bestimmungsgrund für moralisches Handeln zu nehmen. Glück als letztes Ziel würde die Moral auf egoistische Motive reduzieren und den rein moralischen Wert der Handlungen gefährden.
Pflicht zur Förderung des Glücks anderer: Trotz seiner Ablehnung des Glücks als moralisches Prinzip, betont Kant die moralische Pflicht, sich um das Wohlergehen anderer Menschen zu kümmern. In seinen Werken wie der "Grundlegung zur Metaphysik der Sitten" und der "Metaphysik der Sitten" formuliert Kant Pflichten, die darauf abzielen, das Glück und Wohlbefinden der Mitmenschen zu fördern.
Die Unterscheidung zwischen empirisch und vernünftig setzt Kant in seiner Staats- und Rechtsphilosophie fort.
Empirische Seite des Rechts: Diese bezieht sich auf das soziale Wohlergehen und die Glückseligkeit der Bürger. Es geht darum, wie das Recht dazu beitragen kann, das allgemeine Wohl zu fördern, aber nicht das individuelle Glück direkt zu garantieren.
Vernünftige Seite des Rechts: Dies ist das Prinzip der politischen Gerechtigkeit. Ein gerechtes Rechtssystem basiert auf allgemeinen, für alle gleichen Grundsätzen und sichert die Freiheit jedes Einzelnen, indem es die grundsätzlich unbegrenzte Handlungsfähigkeit soweit einschränkt, dass die Verträglichkeit mit dem Freiheitsstreben anderer gesichert ist.
Recht und Glück: Kant argumentiert, dass ein Rechtsstaat sich nicht nach dem Glück der Bürger ausrichten sollte, weil Glück im Gegensatz zum Recht nicht rein vernünftig ist und zudem empirisch unbestimmt. Verschiedene Menschen haben unterschiedliche Auffassungen von Glück, die sich auch im Laufe des Lebens ändern können. Daher kann kein allgemeingültiger Rechtsgrundsatz auf Glück basieren.
Despotie durch Glücksverordnung: Kant warnt davor, dass der Versuch, Glück durch Gesetz zu verordnen, zu Despotie führen kann. Ein Staat, der das Glück seiner Bürger direkt kontrollieren möchte, könnte autoritär werden und die Freiheit der Menschen einschränken, was zu Rebellion führen kann.
Wohlfahrtsstaat vs. Rechtsstaat: Kant erkennt an, dass der Staat Aufgaben hat, die über das bloße Setzen von Gesetzen hinausgehen. Er akzeptiert wohlfahrtsstaatliche Maßnahmen, jedoch nicht als Hauptzweck des Staates. Diese Maßnahmen sollten dazu dienen, das Gemeinwohl zu sichern und nicht als primäre Zielsetzung der Gesetzgebung gelten.
Empirische Notwendigkeit: Kant gibt zu, dass die Erweiterung des Wohlfahrtsstaates auf Basis praktischer Notwendigkeiten und politischen Gegebenheiten nicht grundsätzlich abzulehnen ist. Die Notwendigkeit solcher Maßnahmen kann nur empirisch festgestellt werden und hängt von den konkreten Umständen ab.
Marcuse - oder: Das Problem des wahren Glücks
Ziel der Kritischen Theorie: Die Kritische Theorie, die unter anderem durch Herbert Marcuse geprägt wurde, strebt eine Gesellschaft an, in der Unterdrückung und Ausbeutung in wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Strukturen überwunden sind. Das Ideal ist eine repressionsfreie Gesellschaft, in der die Menschen nach dem Prinzip „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen“ leben. Dieses Prinzip impliziert eine umfassende Befriedigung der Bedürfnisse und eine vollständige Entwicklung der individuellen Fähigkeiten.
Definition von Glück: In dieser idealen Gesellschaft besteht Glück zum einen in der Befriedigung aller unmittelbaren Bedürfnisse und zum anderen in der Erfüllung der Bedürfnisse, die aufgrund einer umfassenden Entwicklung der individuellen Fähigkeiten entstehen. Solange diese umfassende Entwicklung nicht erreicht ist, können die unmittelbaren Bedürfnisse und Interessen der Menschen nicht als wahres Maß für Glück angesehen werden.
Wahre vs. falsche Interessen: Marcuse unterscheidet zwischen wahren und falschen Interessen und dem entsprechend auch zwischen wahrem und falschem Glück.
Gefahr des Despotismus: Hier besteht die Gefahr, dass die Unterscheidung zu einem Despotismus führen könnte, bei dem vorgeschrieben wird, was Menschen als Glück empfinden sollten. Genau vor diesem Despitismus hatte Kant gewarnt.
Jedoch soll nach Marcuse niemand zu einem bestimmten Glück gezwungen werden.
Verkümmerung der Fähigkeiten: Marcuse argumentiert lediglich, dass die bestehenden ökonomischen und politischen Verhältnisse die Fähigkeiten der Menschen einschränken oder verkümmern lassen. In einer kapitalistischen Gesellschaft haben nur bestimmte Gruppen Zugang zu den vollen Möglichkeiten, die eine Steigerung der Produktivkräfte bietet. Das bedeutet, dass nicht alle Menschen von den Fortschritten der Gesellschaft profitieren, was zu einer Ungleichheit führt.
Klassenstruktur und Unfreiheit: Die Klassenstruktur der Gesellschaft trägt zur Unfreiheit bei, da sie Individuen in Klassen unterteilt, die ungleiche Zugänge zu Genussmöglichkeiten haben. Dies führt dazu, dass die Menschen nicht in der Lage sind, die Möglichkeiten, die ihnen objektiv zur Verfügung stehen, vollständig zu nutzen. Die Diskrepanz zwischen dem, was möglich ist, und dem, was tatsächlich verwirklicht wird, zeigt eine Diskrepanz in der Glücksverwirklichung auf.
Normative Definition von Glück: Normativ wird Glück als Zustand der vollständigen Befriedigung aller Bedürfnisse verstanden. Es wird nicht akzeptiert, dass bestehende Bedürfnisse und deren Befriedigung als endgültig angesehen werden. Es wird gefragt, ob die Bedürfnisse so gestaltet sind, dass sie die subjektiven und objektiven Möglichkeiten der Individuen erfüllen können.
Empirische Analyse der Gesellschaft: Empirisch wird die Gesellschaft durch eine Klassengesellschaft erklärt, die bestimmte Strukturen und Ungleichheiten aufweist. Die normativen Vorstellungen vom Glück können unabhängig von der empirischen Analyse der Klassengesellschaft betrachtet werden. Sodass die Definition des Glücks akzeptiert, aber die empirische Analyse der Gesellschaft verworfen werden könnte.
Ähnlichkeiten mit Kant: Marcuses Vorstellung vom wahren Glück ist nicht weit von Kants Prinzip der politischen Gerechtigkeit entfernt. Marcuse stimmt mit Kant darin überein, dass echtes individuelles Interesse das Interesse an Freiheit ist und dass echte individuelle Freiheit nur in Verbindung mit allgemeiner Freiheit möglich ist.
Gesellschaftliche Veränderungen: Auch ohne die marxistische Analyse zu akzeptieren, bleibt die Frage, ob Veränderungen im Arbeitsprozess und in den menschlichen Beziehungen neue Glücksmöglichkeiten eröffnen könnten. In diesem Fall wären gesellschaftliche Veränderungen erstrebenswert und würden zumindest teilweise in die Verantwortung der Politik fallen.
Popper - oder: Leidvermeidung und Stückwerk-Technologie
Lösung für gesellschaftliche und politische Fragen durch wissenschaftliche Methoden
Widerstand gegen totale Systemkritik: Popper wendet sich gegen eine totale Systemkritik, die darauf abzielt, die Gesellschaft vollständig nach einem idealen Modell umzugestalten. Der Grund für diese Ablehnung ist die Erfahrung der katastrophalen Folgen totalitärer Regime im 20. Jahrhundert.
Charakteristische Punkte seiner rationalen und humanen Gesellschaftspolitik:
Verzicht auf Verwirklichung politischer Ideale
Forderung nach einer Stückwerktechnologie
Gefährlichkeit des Glücksversprechens: Popper hält den Versuch, Menschen durch politische Maßnahmen glücklich zu machen, für besonders problematisch, weil dies zu großen und oft destruktiven Eingriffen in das Leben der Menschen führen kann. Historische Beispiele wie religiöse Kriege und die Inquisition zeigen, dass der Versuch, „Seelen zu retten“ oder Glück zu erzwingen, oft zu Unterdrückung und Gewalt führt.
Moralische Pflicht vs. private Sphäre: Popper betont, dass es unsere Pflicht ist, den Bedürftigen zu helfen, aber nicht unsere Pflicht, andere Menschen glücklich zu machen. Das Streben, andere Menschen zwanghaft glücklich zu machen, führt zu einem Einbruch in ihre private Sphäre. Die Aufgabe der Politik sollte es sein, Leiden und Ungerechtigkeit zu bekämpfen, nicht jedoch, individuelle Vorstellungen von Glück zu erzwingen.
Glücklich machen als Aufgabe von Freunden:
Das Privileg für das Glück anderer zu Sorgen hat nur der enge Kreis der Freunde. Und nur die weil man sich derer entledigen kann.
Voraussetzung für Stückwerktechnologie
Schrittweise Verbesserung: Popper schlägt vor, gesellschaftliche Probleme durch schrittweise und gezielte Maßnahmen (Stückwerktechnologie) zu lösen, anstatt auf ein utopisches Ideal hinzuarbeiten.
Vorteile der Stückwerktechnologie: Popper argumentiert, dass solche ad-hoc-Lösungen praktikabler und weniger riskant sind als der Versuch, einen idealen Staat zu schaffen. Ein schrittweises Vorgehen erlaubt es, Probleme in überschaubaren Einheiten zu behandeln, und minimiert das Risiko von Fehlentwicklungen. Dadurch finden sie auch mehr Zustimmung bei der Mehrheit der Menschen.
Begrenzte Anwendbarkeit: Während die Stückwerktechnologie Vorteile bietet, ist sie nicht ohne Probleme. Poppers Ansatz sollte nicht verabsolutiert werden.
Zwar gewinnen viele politische Planung durch die Versprechung der Beseitigung von Mängeln erst ihre Durchsetzungskraft. Aber ein Mangel wird ja immerhin erst durch die Vorstellung einer Alternative deutlich.
Somit handelt es sich bei der Beseitigung von Mängeln nicht um konkurrierende Aufgaben, sonder mehr um verschiedene Gesichtspunkte des gleichen Interesses.
Stückwerktheorie - Verknüpfung der Probleme: Ausschließlich Einzelprobleme und deren schrittweise Beseitigung ist illusionär. Die Probleme in der Gesellschaft sind oft miteinander verknüpft. Beispielsweise können Maßnahmen in der Bildungspolitik Auswirkungen auf andere Bereiche wie die Wirtschaftspolitik haben. Eine schrittweise Lösung einzelner Probleme ohne Berücksichtigung dieser Verknüpfungen kann zu einer Verschlechterung der Gesamtlage führen.
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