Funktionen der schulischen Leistungsbewertung (nach Tröster)
Pädagogische Funktionen
Optimierung von Lernprozessen: Hilft Lernverhalten zu verbessern und Unterrichtsgestaltung anzupassen
Sozialisierungsfunktion: Vermittlung des Leistungsprinzips, Vergleich mit Mitschülern, Vorbereitung auf das gesellschaftliche Leistungsprinzip
Rückmeldefunktion: Information über den Leistungsstand, Stärken und Schwächen
Motivierungsfunktion: Anreiz durch gute Noten, Motivation durch schlechte Noten, um Lernbemühungen zu steigern
Disziplinierungsfunktion: Einsatz von Noten zur Korrektur von Fehlverhalten, rechtlich nicht statthaft
Didaktische Funktion: Unterstützung bei der Unterrichtsgestaltung und Förderung auf Basis von Leistungsbewertungen
Berichtsfunktion: Information an Eltern über Leistungsstand und Lernfortschritte
Evaluationsfunktion: Überprüfung des Unterrichtserfolgs und Identifikation von Lernlücken
Gesellschaftliche Funktionen
Selektion und Allokation: Regelung des Zugangs zu höheren Bildungsgängen, Absicherung, dass leistungsfähige Schüler gefördert werden
Berechtigungsfunktion: Zertifizierung von Leistungen für den Übergang in weiterführende Bildungseinrichtungen
Kontrollfunktion: Überprüfung schulpolitischer und pädagogischer Maßnahmen auf Basis von Noten
Zusammenwirken der pädagogischen und gesellschaftlichen Funktionen
Schwierigkeit, allen Funktionen gerecht zu werden: Konflikt zwischen pädagogischen und gesellschaftlichen Funktionen
Bewertung von Lernergebnissen
Objektivierbarkeit
Objektivität abhängig von der Art der Leistung: Konvergentes vs. divergentes Denken
-> konvergent: bereits erlerntes nach vorgegebenen Regeln der Logik und Rationalität effizient auf Probleme zu beziehen, um die bestmögliche Lösung zu finden
-> divergent: Divergentes Denken bedeutet, sich offen, unsystematisch und experimentierfreudig mit einem Thema oder Problem zu beschäftigen
Bewertung nach unterschiedlichen Bezugsnormen: Soziale, sachliche und individuelle Bezugsnorm
Bezugsnormen der schulischen Leistungsbewertung
Soziale Bezugsnorm: Vergleich mit der Leistung der Bezugsgruppe (Klasse)
Individuelle Bezugsnorm: Bewertung von Lernfortschritten im Vergleich zu früheren Leistungen
Sachliche Bezugsnorm: Bewertung basierend auf festgelegten Kompetenzzielen
Diagnostische Instrumente
Fragebogen FEBO (Fremd- und Eigenbeurteilungsbogen) zur Erfassung von Lern- und Verhaltensmerkmalen
Kombination von Selbst- und Fremdeinschätzungen
Ziel: umfassendes Bild der Schülerleistung und -entwicklung
Kriterien der Benotung von Schulleistungen
Objektivität: Unabhängigkeit der Bewertung von äußeren Einflüssen, jedoch oft eingeschränkt durch individuelle Unterschiede in der Bewertungspraxis
Reliabilität: Konsistenz der Benotung bei wiederholter Bewertung, oft problematisch durch variierende Urteile der Lehrkräfte
Validität: Grad der Übereinstimmung zwischen Note und tatsächlicher Leistung, insbesondere prognostische Validität für den weiteren Bildungserfolg
Schulische Benotungspraxis
Hodgepodge Grading
Hodgepodge Grading: Vermischung verschiedener Bewertungsaspekte (Leistung, Anstrengung, Verhalten)
Notenvergabe berücksichtigt oft mehr als nur die Schulleistung, z.B. pädagogische Absicht zur Unterstützung des Lernprozesses
Auswirkungen der schulischen Leistungsbeurteilung auf die Lernenden
Beeinflussung des schulischen Selbstkonzepts: Positive oder negative Selbstwahrnehmung, Motivation & Lernverhalten basierend auf den erhaltenen Noten
Big-Fish-Little-Pond-Effekt: Wahrnehmung der eigenen Fähigkeiten im Vergleich zu anderen beeinflusst das Selbstkonzept und die Motivation
Auswirkungen von Leistungsgruppierungen auf das Selbstkonzept: Leistungsstarke Gruppen können das Selbstkonzept schwächen, während leistungsschwächere Gruppen es stärken
positives Feedback = motivierend, negatives Feedback = Angst, geringes Selbstwertgefühl
Veränderung des Selbstkonzepts nach dem Schulformwechsel: Übergang von der Grundschule zur weiterführenden Schule kann das Selbstkonzept negativ beeinflussen
Bezugsnormen und Lernmotivation
Unterscheidung zwischen sozialer, individueller und kriterialer Bezugsnorm
Soziale Bezugsnorm vergleicht Schülerleistungen untereinander, was zu Konkurrenz und potenzieller Demotivation führen kann
Individuelle Bezugsnorm fokussiert sich auf die persönliche Leistungsentwicklung eines Schülers, was motivationsfördernd wirkt
Kriteriale Bezugsnorm orientiert sich an festen Standards oder Lernzielen
Tröster empfiehlt den Einsatz individueller Bezugsnormen zur Stärkung der Lernmotivation und positiven Selbstwahrnehmung, da sie persönliche Fortschritte betonen, unabhängig vom Leistungsniveau anderer Schüler
Studie
Hintergrund
Diktate sind eine gängige Praxis zur Überprüfung der Rechtschreibfähigkeit, trotz Kritik seit den 1970er Jahren
Kritikpunkte: mangelnde Lerneffekte, psychischer Stress, ineffizient im Vergleich zu alternativen Methoden
Widerstand gegen Abschaffung von Diktaten, vor allem durch traditionelle Einstellungen und die Disziplinarfunktion
Fragestellung und Hypothesen/ Ziel der Studie
Untersuchung der Objektivität bei der Korrektur und Bewertung von Diktaten
Hypothesen:
H1: Lehrkräfte stimmen bei der Fehleranzahl und der Notengebung überein
H2: Abweichungen der Beurteilung vom Original des Klassenlehrers sind minimal
H3: Kontextdiktate beeinflussen die Beurteilung eines Diktats
H4: Geschlecht der Lehrkraft beeinflusst die Bewertung
H5: Dienstalter beeinflusst die Bewertung
H6: Unterrichtserfahrung im Fach Deutsch beeinflusst die Bewertung
H7: Schulart beeinflusst die Bewertung
H8: Schwierigkeitseinschätzung beeinflusst die Bewertung
Methodik
drei Diktate von Schülern unterschiedlicher Leistungsstufen wurden ausgewählt und von Lehrkräften bewertet
Variablen: Fehleranzahl, Note, Geschlecht, Dienstalter, Schulart, Unterrichtserfahrung und Schwierigkeitseinschätzung
Stichprobe
415 Lehrkräfte aus Baden-Württemberg
Verteilung auf Grund- und Hauptschulen, unterschiedliches Dienstalter und Unterrichtserfahrung im Fach Deutsch
Ergebnisse
Übereinstimmung der Lehrkräfte bei Fehleranzahl und Noten
-> Große Streuung in der Fehleranzahl bei allen drei Diktaten, besonders bei schwachen Schülern
-> Notenvergabe variierte signifikant, teilweise über fünf Notenstufen
Kontexteffekte
-> Signifikanter Einfluss des Kontextdiktats auf die Fehleranzahl und die Notenvergabe
Geschlecht der Lehrkraft
-> Lehrerinnen identifizierten mehr Fehler und vergaben strengere Noten als Lehrer
Dienstalter der Lehrkraft
-> Keine Unterschiede in der Fehleranzahl, aber ältere Lehrkräfte vergaben tendenziell strengere Noten
Unterrichtserfahrung im Fach Deutsch
-> Lehrkräfte ohne Deutscherfahrung identifizierten mehr Fehler, vergaben jedoch mildere Noten
Schulart
-> Hauptschullehrer identifizierten mehr Fehler und vergaben strengere Noten als Grundschullehrer
Schwierigkeitseinschätzung
-> Lehrkräfte, die den Diktattext als schwerer einstuften, vergaben tendenziell mildere Noten
Fazit
Die Korrektur und Bewertung von Diktaten ist weniger objektiv als angenommen
Leistungsfremde Faktoren wie Kontext, Geschlecht, Dienstalter, Unterrichtserfahrung und Schulart beeinflussen die Beurteilung signifikant
Noten und Fehleranzahl variieren stark, was die vermeintliche Objektivität der Diktatbewertung infrage stellt
Vorschläge zur Verbesserung: Einsatz standardisierter Korrekturanweisungen, Verwendung von Analysemodellen wie DoRA oder OLFA
Alternative Leistungsbewertungen zu Noten
Methode & Pädagogische Begründung
Portfolio
Methode: Sammlung von Schülerarbeiten über einen bestimmten Zeitraum
Pädagogische Begründung: Fördert Reflexion, Eigenverantwortung und die Sicht auf Lernfortschritte. Es unterstützt die individuelle Entwicklung und nicht nur das Endprodukt
Beobachtungen im Prozess und Prozessbewertung
Methode: Laufende Beobachtung und Bewertung des Lernprozesses, nicht nur des Ergebnisses
Pädagogische Begründung: Ermöglicht differenzierte Rückmeldungen, berücksichtigt individuelle Lernwege und motiviert zur kontinuierlichen Verbesserung
Lerntagebücher
Methode: Regelmäßige Reflexionen über den eigenen Lernprozess, die schriftlich festgehalten werden
Pädagogische Begründung: Fördert die Selbstreflexion, unterstützt die Entwicklung von Metakognition und macht Lernfortschritte sichtbar
Projektorientierte Leistungsbewertung
Methode: Bewertung von Projekten, die Schüler in Gruppen oder individuell bearbeiten
Pädagogische Begründung: Fördert Teamarbeit, Problemlösungskompetenzen und die Anwendung von Wissen in realen Kontexten
Produktorientierte Leistungsbewertung
Methode: Bewertung des Endprodukts eines Arbeitsprozesses (z. B. Präsentationen, Modelle)
Pädagogische Begründung: Legt den Fokus auf kreative und praktische Fähigkeiten, motiviert durch greifbare Ergebnisse
Pädagogische Gesamtbegründung der neuen Methoden
Neue Methoden legen Fokus auf individuelle Lernprozesse
Fördern Selbstständigkeit, Verantwortung & Reflexion
Zielen darauf ab, Schüler aktive Rolle im eigenen Lernprozess zu geben
Lernprozess geht über reine Wissensabfrage hinaus
Zuletzt geändertvor 2 Monaten