Vorsatz: Irrtümer (Überblick)
Tatbestandsirrtum (§ 16 Abs. 1 S. 1 StGB): Täter kennt ein Merkmal, das zum gesetzlichen Tatbestand gehört, nicht
Beispiel: T nimmt Möhre des B, geht aber davon aus, es sei seine eigene
Beachte: Fahrlässigkeitstat bleibt möglich (§ 16 Abs. 1 S. 2 StGB)
Error in persona vel objecto
Aberratio ictus (Fehlgehen der Tat)
Irrtum über den Kausalverlauf
Irrtum über privilegierende Umstände (§ 16 Abs. 2 StGB): z. B. § 113 StGB, § 216 StGB
Beispiel: T geht von Umständen aus, die eine Tötung nach § 216 StGB rechtfertigen
Untauglicher Versuch (Umgekehrter Tatbestandsirrtum): Täter stellt sich Umstände vor, die objektiv nicht gegeben sind
Beispiel: T nimmt eine Sache mit und denkt, es sei eine fremde Sache. Tatsächlich handelt es sich um seine Sache.
Vorsatz: Irrtümer
Problem: Error in persona vel objecto
I. Error in persona/objecto (Identitätsirrtum): Person oder Sache wird verwechselt
Beispiel: A trifft auf B und B stirbt. Er denkt aber, es handele sich bei B um C.
§ 212 Abs. 1 StGB an B (+)
→ bei gleichwertigen Rechtsgütern unbeachtlicher Motivirrtum, Vorsatz (+)
§§ 212, 22, 23 Abs. 1 StGB an C (–)
→ Vorsatz bereits verbraucht
II. Error in persona vel objecto
Fall 1: A schießt auf Hund, der stirbt. A denkt, es handele sich bei dem Hund um den Menschen C
a) § 303 Abs. 1 StGB an Hund (–), weil Irrtum nach § 16 Abs. 1 S. 1 StGB (Rechtsgüter nicht gleichwertig)
b) § 212 Abs. 1, §§ 22, 23 Abs. 1 StGB an C (+)
Fall 2: A schießt auf C, trifft den auch. Er denkt aber, es handele sich bei C um einen Hund.
a) § 212 Abs. 1 StGB an C (–), weil Irrtum nach § 16 Abs. 1 S. 1 StGB (Rechtsgüter nicht gleichwertig)
b) § 222 StGB (+), insbesondere nicht ausgeschlossen nach § 16 Abs. 1 S. 2 StGB
c) §§ 303 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB an Hund (+)
Problem: Aberratio ictus
Beispiel: A zielt auf B, schießt aber daneben und trifft C.
I. § 212 Abs. 1 StGB an C (–) → Vorsatz?
Formelle Gleichwertigskeitstheorie: Bei gleichwertigen Rechtsgütern Vorsatz (+)
(+), weil Wortlaut
Adäquanztheorie: wenn innerhalb der Lebenserfahrung Vorsatz (+)
(+), Unterfall des Irrtums über Kausalverlauf
Konkretisierungstheorie (BGH): Vorsatz (–)
(+), weil Täter den Vorsatz auf eine ganz bestimmte Person konkretisiert sei
II. § 212, §§ 22, 23 Abs. 1 StGB an B (+)
III. § 222 StGB an C (+)
Sonderproblem: Abgrenzung error in persona zum aberratio ictus bei fehlender sinnlicher Wahrnehmung
Beispiel: A installiert Bombe unter Auto des Politikers P, die beim Losfahren hochgehen soll. Ausnahmsweise steigt am nächsten morgen Ehefrau E in Wagen und stirbt.
Aberratio ictus: Vorsatz (–): § 212 StGB an E (–), nur §§ 212, 22, 23 Abs. 1 StGB an P und § 222 StGB an E
(+), weil unerheblich, ob man Bombe “wirft” (dann in jedem Fall aberratio ictus) oder installiert
Error in persona (BGH): § 212 StGB an E (+), weil unbeachtlich wegen Gleichwertigkeit der Objekte
(+), weil Vorsatz darauf konkretisiert war, die Person zu treffen,
(+), weil Täter hochgefährliche Gegenstände installiert hat und sich dann entfernt hat; Risiko des Fehlegehns dem Täter zuzurechnen
Problem: Irrtum über den Kausalverlauf
Grundfall: A stößt mit Tötungsvorsatz von Brücke. B fällt von der Brücke, bleibt aber an der Brücke hängen und verstirbt dadurch.
Zweiaktiver Geschehensablauf: Täter würgt O mit Tötungsvorsatz. O überlebt, dies erkennt T aber nicht. Er wirft O in Jauchegrube.
Grundfall: Unwesentliche Abweichung vom Kausalverlauf, daher Vorsatz (+).
Gemäß der Lehre vom Irrtum über den Kausalverlauf (h.M.) muss danach differenziert werden, ob die Abweichung des durch die Zweithandlung tatsächlich eingetretenen vom ursprünglich vorgestellten Kausalverlauf als wesentlich oder unwesentlich anzusehen ist (BGHSt 14, 193, 194.; Heinrich, Strafrecht AT, Rn. 1098). Eine nur unwesentliche Abweichung und damit die Möglichkeit einer Bestrafung wegen vollendeter vorsätzlicher Tat liegt vor, wenn der Erfolgseintritt sich in den Grenzen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Vorhersehbaren hält und auch der Blick auf den Verwirklichungswillen des Täters keine andere Bewertung rechtfertigt.
Fahrlässiges Begehungsdelikt: Aufbau
I. Tatbestand
Erfolg
Handlung
Kausalität (Äquivalenztheorie)
Objektive Sorgfaltspflichtverletzung: Eine objektive Sorgfaltspflichtverletzung begeht, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt unberücksichtigt lässt. Der Sorgfaltsmaßstab bestimmt sich bei Betrachtung der Gefahrenlage ex ante im Vergleich des Täters mit einem besonnenen und gewissenhaften Durchschnittsbürger aus dem Verkehrskreis des Täters unter Berücksichtigung seines Sonderwissens.
a) Wie hätte sich ein besonnener Dritter in der Rolle des Täters verhalten?
b) Konkretisierung durch Verhaltsvorschriften (z. B. StVG)
Objektiv vorhersehbar: Objektiv vorhersehbar ist, was ein umsichtig handelnder Mensch aus dem Verkehrskreis des Täters unter den jeweils gegeben Umständen aufgrund allgemeiner Lebenserfahrung in Rechnung stellen wurde
Pflichtwidrigkeitszusammenhang: Wäre der Erfolg auch bei sorgfaltsgemäßem Verhalten eingetreten?
(P) Risikoerhöhung
Schutzzweck der Norm (z. B. StVO): (+), wenn es Sinn und Zweck der verletzten Norm ist, den tatbestandlichen Erfolg zu verhindern
(–) bei Eingriffen Dritter und Selbstgefährdung (Drogennehmer) (Die Strafbarkeit entfällt wegen eigenverantwortlicher Selbstgefährdung, wenn sich die Mitwirkung des Dritten in einer bloßen Veranlassung oder Förderung des Selbstgefährdungsaktes erschöpft. Dieser Rahmen wird aber dann überschritten, wenn der Täter kraft überlegenen Sachwissens das Risiko besser erfasst hat)
II. Rechtswidrigkeit
III. Schuld
Subjektive Sorgfaltspflichtverletzung bei subjektiver Vorhersehbarkeit: Der Täter muss nach seinen persönlichen Fähigkeiten und nach dem Maß seines individuellen Könnens imstande sein, die objektive Sorgfaltspflicht zu erkennen und die sich daraus ergebenden Sorgfaltsanforderungen zu erfüllen
Fahrlässiges Begehungsdelikt: Pflichtwidrigkeitszusammenhang
Problem: Risikoerhöhungslehre
Beispiel: LKW-Fahrer L fährt mit zu geringem Abstand an Fahrradfahrer O vorbei, der unter die Räder kommt. Im Nachhinein stellt sich heraus, dass O sehr betrunken war und wahrscheinlich auch dann unter die Räder geraten wäre, wenn Abstand eingehalten worden wäre.
Pflichtwidrigkeitszusammenhang (+) (a. A)
Pflichtwidrigkeitszusammenhang (+) (BGH)
(+), weil Fahrlässigkeitsdelikt ein Erfolgsdekikt ist, was anderenfalls in ein Gefährdungsdelikt umgedeutet werden würde
(+), weil in dubeo pro reo
Erfolgsqualifikation: Aufbau
Beispiele: §§ 226, 227, 251, 306c StGB
Grundtatbestand: Objektiv und Subjektiv
Erfolgsqualifikation
a) Eintritt der schwere Folge (z. B. Tod)
b) Kausalität (Äquivalenztheorie)
c) Gefahrspezifischer Zusammenhang: Der Erfolg muss gerade auf der Verwirklichung des Grunddelikts beruhen
(P) Selbstgefährdung, Eingriffe Dritter
(P) Anknüpfungspunkt für Beurteilung des gefahrspezifischen Zusammenhangs
d) Fahrlässigkeit bzgl. a) (§ 18 StGB): Objektive Sorgfaltspflichtverletzung liegt in der Verwirklichung des Grunddelikts + Objektive Vorsehbarkeit (kein atypischer Kausalverlauf)
→ Subjektive Sorgfaltspflichtverletzung bei subjektiver Vorhersehbarkeit
Beachte: Zuständigkeit der Schwurgerichte nach § 74 Abs. 2 GVG
Erfolgsqualifikation: Gefahrspezifischer Zusammenhang
Problem: Anknüpfungspunkt bei §§ 226, 227 StGB
Beispiel: A hat geladene und gesicherte Schusswaffe. Er will O nicht töten, sondern nur mit Waffe auf den Kopf hauen. B erleidet Platzwunde, aber zugleich löst sich Schuss, wodurch O unglücklich stirbt.
Anknüpfung an den Körperverletzungserfolg: hier: Zusammenhang (–), weil nicht Platzwunde zum Tod führte
(+), weil Wortlaut “verletzte Person” einen Körperverletzungserfolg suggeriert
Auch Anknüpfung an Körperverletzungshandlung (BGH): hier: Zusammenhang (+), weil Schlaghandlung zur Tötung führte
(+), weil nach Literatur ein erfolgsqualifizierter Versuch nicht denkbar wäre: Würde das Grunddelikte im Versuch stecken bleiben (z. B. Schuss geht bei Schlag daneben), bestünde kein Handlungsunrecht → Strafbarkeitslücke
(+), weil die §§-Verweisung in § 227 StGB bezieht sich auch auf den jeweiligen Versuch, bei dem aber bloß die Tathandlung vorgenommen wurde und der Taterfolg ausgeblieben ist
Unterlassensdelikte: Überblick
I. Echte Unterlassensdelikte: § 123 Abs. 1 Alt. 2, § 138, § 323c StGB
II. Unechte Unterlassensdelikte § 13 StGB
III. Neutrale Delikte: § 266 Abs. 1 Alt. 2 (Verletzung Vermögensbetreuungspflicht durch “Nichtstun”), § 339 StGB (z. B. Nichtbearbeitung einer Akte durch StA)
Unechtes Unterlassungsdelikt (§ 13 StGB): Aufbau
Erfolgseintritt
Unterlassen: Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit
Beispiel: A liegt im Koma. Pfleger entscheidet sich, ihr nur noch Tee zu gaben. Schwerpunkt der Tätigkeit liegt auf Nichternährung, daher unterlassen (+)
Physisch-reale Möglichkeit der Erfolgsabwendung
Quasi-Kausalität: Würde Erfolg bei Hinzudenken der gebotenen Handlung entfallen?
Garantenstellung
Entsprechensklausel
→ Relevant bei verhaltensgebundenen Delikten, wie § 224 Abs. 1 Nr. 3, § 263 Abs. 1 StGB
Vorsatz
Sonstige subjektive Merkmale
(P) Beteiligung durch Unterlassen
II. Rechtswidrigkeit: Rechtfertigende Pflichtenkollision
Kollusion wenigstens zweier Handlungspflichten
Gleichrangigkeit der Handlungspflichten
Erfüllung einer Handlungspflicht auf Kosten der anderen Handlungspflicht
Kenntnis der rechtfertigenden Pflichtenkollision
Zumutbarkeit (–) bei Gefährdung eigenen Lebens
Unechtes Unterlassungsdelikt (§ 13 StGB): Garantenstellung
I. Beschützergarant: Einen Beschützergaranten trifft eine Obhutspflicht für ein bestimmtes Rechtsgut, das er gegen Angriffe aus allen Richtungen und vor Selbstgefährdung zu schützen hat
Gesetz: § 1353, 1626 Abs. 1 BGB (in Bezug auf eigenes Kind)
Vertrag
Tatsächliche Übernahme (restriktiv): z. B. Babysitter
Gefahrengemeinschaft: Mind. zwei Personen gehen eine gefährliche Situation ein, bei deren sie sich bewusst sind, dass sie im Gefahrenfall füreinander einzustehen haben (Bergexkursion)
Enge persönliche Verbundenheit
a) Rechtliche Bindung: Verlöbnis
b) Langjährige Beziehungen/Freundschaften: nur, wenn gefestigt
II. Überwachergarant: Den Überwachergaranten treffen Sicherungspflichten zur Überwachung einer Gefahrenquelle zugunsten aller möglichen Betroffenen
Ingerenz: Gefährliches Vorverhalten
(P) Anforderungen an Ingerenz
Eröffnen einer Gefahrenquelle: Eröffnen einer Baustelle, Betreiben eines Kraftwerkes,
Verantwortlichkeit für das Verhalten Dritter: Kinder (in Bezug auf andere)
Problem: Ingerenz, Anforderungen (gerechtfertigtes, rechtmäßiges Vorverhalten)
Beispiel: A wehrt sich in Notwehr gegen T. Nachdem sie das gemacht hat, erkennt sie, dass T sterben wird, wenn sie nichts tut. A tut nichts und T stirbt.
Garantenstellung (–)
(+), weil Wertungswiderspruch
Garantenstellung (+) (BGH)
(+), weil Situationsveränderung nach Notwehr: Zäsur ist eingetreten
Anm: Zumindest bei Notwehr nicht ganz klar, ob das wirklich die Auffassung des BGH ist. Dagegen kann etwa sprechen, dass dadurch der Gerechtfertigte strenger bestraft wird als Unbeteiligter. Jedenfalls bei anderen RF-Tatbeständen kann man aber Garantenstellung recht unproblematisch bejahen:
§ 127 StPO: vorläufige Festnahme, Dauerdelikt irgendwann nicht mehr gerechtfertigt
§ 34 StGB: Notstandslage wird nicht von Täter aufgedrückt, daher verletzte Person auch schutzwürdig
Unechtes Unterlassungsdelikt (§ 13 StGB): Beteiligung durch Unterlassen
Abgrenzung Täterschaft und Teilnahme
Beispiel: V prügelt sein Kind K. M sieht das, schreitet aber nicht ein. Strafbarkeit der T nach §§ 223 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB oder nach §§ 223 Abs. 1, 27 StGB?
Stets Täterschaft
(+), weil Voraussetzungen des § 13 Abs. 1 StGB liegen vor
(–), weil Verstoß gegen Strafbarkeit nach der Schuld, wenn jede Möglichkeit genommen wird, Teilnehmer zu sein (was bei Begehungsdelikt ja möglich wäre)
Stets Teilnahme (Beihilfe)
(+), weil Unterlassender stets nur Randfigur des Geschehens, er übt die Tathandlung (“prügeln”) nicht aus
Tatherrschaft (hL)
(+), weil Abgrenzung wie bei Behungsdelikt
Täterwille (BGH): maßgebend, ob M das Prügel gutheißt (Täterschaft) oder nicht (Teilnahme)
(+), weil Abgrenzung wie bei Begehungsdelikt (objektive Indizien können daher auch herangezogen werden)
Differenzierung nach Art der Garantenstellung
a) Beschützergarant: Täter
b) Überwachergarant: Teilnehmer
(+), weil die Nähe zum Rechtsgut entscheidend und Beschützergarant ist näher dran am Rechtsgut
Unterlassene Hilfeleistung § 323c StGB: Aufbau
Unglücksfall oder gemeine Gefahr/Not (Notsituation)
Ein Unglücksfall ist ein plötzlich eintretendes Ereignis, das einen nicht völlig belanglosen Personen- o. Sachschaden hervorruft
Nicht Hilfeleisten
Erforderlichkeit: (+), wenn Opfer sich nicht selbst aus Situation befreien kann
Zumutbarkeit
(+) bei Schaffung des Unglücksfalls durch Notwehr (vgl. Unterlassen)
II. RW/Schuld
Nichtanzeigen geplanter Straftaten (§ 138 StGB): Aufbau
Echtes Unterlassungsdelikt
Anzeigeverpflichteten: Jedermann
Ausnahme: Nicht der Beteiligte (Täter oder Teilnehmer) wegen nemo-tenetur-Grundsatz und Bedrohter
Vorhaben/Ausführung: ernstliche Planung
Straftat aus Katalog
Glaubhaftes Erfahren: Ernsthaft damit rechnen
Zeitpunkt: Tat muss noch ausführbar
(–) in Fällen des § 35 SGB und des § 139 StGB
Vorsatz oder Leichtfertig (§ 138 Abs. 3 StGB)
II. Rechtswidrigkeit: RF-Gründe aus § 139 Abs. 2, Abs. 3 S. 2 StGB
IV. Rücktritt von der Vollendung (tätige Reue) (§ 139 Abs. 3 S. 1, Abs. 4 StGB)
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