Gliederung
1. Was ist Mobbing?
2. Wie häufig kommt Mobbing vor?
3. Methoden zur Erfassung von
Mobbing
4. Prävalenz und Stabilität der Rollen
im Mobbingprozess
5. Motive der Täter
6. Situation der Opfer
7. Die Rolle der Peers
8. Prävention und Intervention
Modeerscheinung?
Inflationäre Nutzung
des Begriffs?
• Aktuelle Hochrechnungen: in
deutschen Schulen werden mehr
als 500.000 Schüler*innen
regelmäßig gemobbt
• Nicht nur große Belastung,
sondern auch enorme
Entwicklungsgefährdung für
Kinder und Jugendliche
Überwiegende Mehrheit lehnt Mobbing ab
• Kann man dieser Aussage trauen?
• Warum sieht die Realität anders aus?
• Involvierung in das soziale Netzwerk
der Klasse und dessen soziale
Dynamik führt trotzdem dazu, dass
sich Kinder und Jugendliche anders
verhalten
• „Mobbing“ (nordeuropäisch): „mob“ = aufgewiegelte Menschenmenge
•„Bullying“ (angloamerikanischer Raum): „bully“ = „brutaler Kerl“
• „Ein Schüler oder eine Schülerin ist Gewalt ausgesetzt oder wird gemobbt, wenn er oder sie wiederholt oder über eine längere Zeit den negativen Handlungen eines oder mehrerer Schüler oder Schülerinnen ausgesetzt ist“ (Olweus, 2006, S. 22)
• Kurzfristige Konflikte oder nicht systematisch auftretende Aggressionen werden ebenso wenig als Mobbing bezeichnet wie Situationen, in denen zwei, die gleich stark sind, miteinander Krach haben
• Smith (1994) charakterisiert Mobbing als den systematischen,
wiederholten Missbrauch sozialer Macht in den kontrollfreien Räumen hierarchisch strukturierter Systeme
Explizite und implizite Kriterien von Mobbing
• in hierarchisch strukturierten Systemen, wo ein Modell des Umgangs mit Macht
von Ebene zu Ebene weitergegeben wird (Interpretationshoheit über soziale
Normen)
• wenn Gruppenzugehörigkeit nicht frei gewählt und der Verbleib in der Gruppe vorgegeben ist
• selten große gewalttätige Akte, sondern – körperlich wie sozial –»viele kleine Nadelstiche«, die auf eine Person in der Gruppe fokussieren
• impliziert den Missbrauch sozialer Macht: Instrumentalisierung einer physisch oder psychisch vulnerablen Person, um Status und Macht innerhalb eines gemeinsamen Bezugssystems (wie der Klasse) zu erwerben bzw. zu erhalten
• kein Konflikt, d. h., anders als bei der misslungenen Aushandlung eines Problems,
die dann mit aggressiven Mitteln fortgesetzt wird, ist Mobbing funktional und gezielt zur Erreichung bestimmter Ziele eingesetzt
• Mobbing impliziert außerdem die Beteiligung des sozialen Bezugssystems, da Status/Macht nur vom sozialen Kontext zuerkannt werden können
• Mobbing funktioniert also nur dann, wenn es einem Täter gelingt, die sozialen Normen einer Gruppe so zu manipulieren, dass die Attacken auf das Opfer eher gerechtfertigt erscheinen als die Reaktionen des Opfers
2. Wie häufig
kommt Mobbing
vor?
• Variiert stark in Abhängigkeit der
zugrundeliegenden
Operationalisierung,
Datenquelle und weiterer
Faktoren
• Sicher: mindestens 5% der
Kinder in der Schule betroffen →
1-2 pro Klasse
Erhebungsmethoden
PRQ
PARTICIPANT ROLE QUESTIONNAIRE
3. Erhebungsmethoden
Bully/Victim Questionnaire (BVQ) (Olweus, 1996; 2006)
• lange das am häufigsten verwendete Instrument, um Mobbing zu erfassen
• Identifikation von Schüler*innen als Neutrale, Opfer, Täter oder Opfer/ Täter
• Inhalt des Instruments:
• Definition von Mobbing
• Fragen zu Ausmaß, Form, Ort und Akteuren der Viktimisierung durch Mobbing
• Fragen zur aktiven Schikane anderer
• Fragen zur Einstellung gegenüber Mobbing
• Bezeichnung als Opfer, wenn Schüler*in berichtet, »manchmal« oder häufiger innerhalb der letzten drei oder sechs
Monate schikaniert worden zu sein (dann erhöhtes zu erwartendes Entwicklungsrisiko)
4. Prävalenz und Stabilität der Rollen &
Wie lassen sich hohe Prävalenzraten in der Grundschule erklären?
Opfer:
• Anteil der Individuen, die von anderen
Individuen gemobbt werden
• Prävalenzraten sinken von hohen Werten in
der Grundschule (15-35 %) zu niedrigeren
Werten in weiterführenden Schulen (5-16 %)
Täter:
• Anteil derer, die andere aktiv mobben bzw.
sich daran beteiligen
• wenig Veränderung zwischen dem
Grundschulbereich (7-12 %) und
weiterführenden Schulen (rund 10 %)
• breiteres Konzept von Mobbing
• weniger effektive Strategien, sich gegen Mobbing zu wehren
• geringere Sensibilität gegenüber sozialen Normen
• Längsschnitt zeigt:
• substanzielle Anzahl an Opfern kann im Lauf der Schulzeit Viktimisierung entkommen
• diejenigen, die andere mobben, verbleiben mit größerer Wahrscheinlichkeit in der Täterrolle
• Mögliche Erklärungen für die Diskrepanz zwischen hohen Prävalenzraten und geringer Stabilität
der Opferrolle in der Grundschulzeit:
• Kinder werden eher explorativ statt systematisch als Zielscheibe der Aggression ausgewählt
→ viele verschiedene Kinder werden attackiert, aber geringe Konsistenz der Attacken zeigt
sich in niedriger Stabilität der Opferrolle
• Soziales Handeln der Kinder ist durch die feste Überzeugung von der Symmetrie in Beziehungen geprägt → Gegenaggression liegt in der sozialen Norm → geringe Toleranz für
die Demonstration sozialer Macht führt zu Ausweichen in angenehmere Beziehungen →geringe Stabilität der Opferrolle
4. Prävalenz und
Stabilität der
Rollen
Zahlen
• Stabilität ist in weiterführender
Schule deutlich höher
• Manifestierung der Täter- und
Opferrolle im 13. bis 16. Lebensjahr
• 6. bis 7. Klasse: bis zu 95%
Übereinstimmung in Täter- oder
Opferrolle
• 5., 6. bis 9./10. Klasse: etwa 70% der
Opfer stabil
• Was hat sich gegenüber der
Grundschule verändert?
• spezifischere Auswahl der
Opfer durch die Täter führt zu
geringeren Prävalenzraten
• höhere Konsistenz der
Attacken gegen ein
bestimmtes Opfer resultiert in
einer höheren Stabilität der
• Welche Rolle spielt der Kontext vs. die
Persönlichkeit?
• Längsschnittdaten zeigen,
• aggressives Verhalten in der 3./4.
Klassenstufe wird nicht nur durch das
individuelle Verhalten in der 1./2.
Klassenstufe, sondern darüber hinaus
auch durch das aggressive Verhalten
der reziproken Freunde und durch den
Grad der Integration ins
Klassennetzwerk vorhergesagt
• Vorhersage durch Kontextfaktoren ist
bei prosozialem/verteidigendem
Verhalten und Viktimisierung nicht
möglich
5. Motive der
Täter
• Theoretisches Wissen über aggressives
Verhalten
ist aus Beobachtung der Eltern,
Geschwistern,
Peers, Fernsehen etc. vorhanden
• Umsetzung in Handeln nur dann, wenn
• Vorteil davon zu erwarten
• Konsequenzen als Erfolg evaluiert
werden
Motive der
• Bisherige Sicht auf Täter:
• Heutige Sicht auf Täter:
• weniger sozial kompetent
• eingeschränkt in sozialer
Wahrnehmung
• Verfolgen eher instrumentelle
als soziale Ziele
• soziokognitive Fähigkeiten von
proaktiv Aggressiven sind
denen der Mitschüler eher
überlegen
• Setzen Fähigkeiten geschickt
ein, um ihr soziales Umfeld zu
manipulieren und ihre eigenen
Ziele zu verfolgen
• Warum lässt sich Mobbing so
schwer eliminieren?
• weil sich die systematische
Viktimisierung geeigneter
Opfer im passenden
sozialen Kontext als gut
funktionierende und
letztlich erfolgreiche
Strategie
erweist
• Ein paar Zahlen dazu:
• In 85% der Situationen gibt es
Zuschauer; je mehr
Zuschauer, umso länger geht
die Episode
• Mitschüler*innen
intervenieren in 10% der
Situationen
• Lehrkräfte intervenieren in
5% der Situationen
• Selten Sanktionen, häufig
Verstärkung
Situation der
Opfer
• Täter beschreiben Merkmale eines
Opfers: „die, die sich nicht wehren, nicht
sehr stark sind und die sich zu sehr
fürchten, dem Lehrer oder jemand
anderem davon zu erzählen“
• Vielzahl an Studien hat versucht,
persönliche und familiäre Merkmale von
Opfern zu untersuchen,
• Achtung: Psychopathologisierung
der Opfer
• Annahme, dass Stärkung der Opfer
präventiv oder als Intervention
eingesetzt werden könnte
(empirisch nicht nachweisbar)
• Möglich, dass mangelnde Fähigkeit,
sich adäquat zu wehren, es den Tätern
leichter macht, die Reaktionen der
Opfer auf vermeintlich harmlose
Provokationen zu diskreditieren, so
dass Attacken als gerechtfertigt gelten
(aber auch umgekehrt denkbar)
• Im Alltag häufig „fundamentaler
Attributionsfehler“, d.h. Einfluss der
Person wird überbewertet, Einfluss der
Situation wird unterbewertet
• Hat sich Mobbing in einer
Schulklasse erst manifestiert, ist
es dem Täter gelungen, die
sozialen Normen der Gruppe so
zu manipulieren,
dass die Attacken gegen das
Opfer legitimiert sind
• Verhaltensänderungen des Opfers
werden kaum wahrgenommen und
führen nicht zu Veränderung
• Soziales Kompetenztraining →
Opfer „muckt auf“ →
Machtposition muss in
besonderer Weise demonstriert
• Mit singulären Aktionen wird
Opfer provoziert und Hoffnung
der Opfer ad absurdum geführt
→ erlernte Hilflosigkeit → Risiko
für Opferrolle in weiteren
Settings
„An jedem Unfug, der passiert,
sind nicht nur die Schuld, die ihn
begehen, sondern auch die, die ihn
nicht verhindern.“
(Erich Kästner im fliegenden
Klassenzimmer)
Der Einfluss
der Peers
• Schüler*innen bewerten Mobbing
generell als negativ und gemein
• Über 50% der bis 14-Jährigen bzw. 1/3
der älteren Schüler würden gerne helfen,
wenn sie sehen, dass jemand schikaniert
wird
• Von denjenigen, die berichten nichts
gegen Mobbing zu unternehmen, meinte
ungefähr die Hälfte, sie müssten
eigentlich helfen, der andere Teil, es
ginge sie nichts an
• ABER: ALLE tragen zur Mobbingdynamik
bei durch HANDELN oder
NICHTHANDELN!
• Außenstehende und Verstärker
unterstützen den Mobbingprozess
• Nur ein klar gegen die Aggression
der Täter gerichtetes Verhalten ist
geeignet, die Erfolgserwartung der
Täter zu enttäuschen
• Lehrkraft holen (die sofort
und adäquat reagiert)
• Eigenes Entgegentreten (hohe
Position in der Klasse oder zu
mehreren)
• Wenn einige Verteidiger, das
Opfer unterstützen, hebt
zunächst Aggressionsspiegel in
der Klasse
• Erfolgreich:
Mobbingverhalten verebbt
• Nicht erfolgreich:
irreversible Phase
Was hält Schüler*innen vom Eingreifen
ab?
• Aus der Forschung zur Zivilcourage
wissen wir, dass Eingreifen
unwahrscheinlich wird durch:
• Verantwortungsdiffusion (»die
andern machen’s auch«)
• pluralistische Ignoranz (»irgendwie
finden’s alle okay«)
• reduzierte Perspektivenübernahme
(verhindert Einsicht in die Notlage
der Opfer und das durch die
Aktionen der Täter eingeschränkte
Reaktionsspektrum)
• Spezifisch für Mobbing:
• Elaborierte Strategien, um
inadäquate Reaktionen des
Opfers zu provozieren
• Kritischer Faktor aufseiten
der MitschülerInnen:
Wechselwirkung zwischen
eigenen Maßstäben und
sozialen Normen in der
Gruppe
• Jugendliche im Spannungsfeld
zwischen zwei Entwicklungsaufgaben:
• Spannungsauflösung gelingt nicht allen gleich
gut
• Identitätsentwicklung (z.B.
Moralentwicklung)
• Soziale Anpassung
• Mobbing: Widersprüche entstehen
• Auflösung nur durch Priorisierung der
gültigen sozialen Normen möglich
• Aufgabe von Prävention und
Intervention
gut:
• Helfen (Verteidiger)
• Zuschauen (Außenstehende)
• „drehen sich aus der Situation“,
wie erstarrt
• prinzipiell bereit zu helfen, aber
v.a. wenn Bedrohung einem
Freund gilt
• starke Impulskontrolle (deswegen
kein Eingreifen in heiklen
Situationen)
• hohes Empathielevel, das jedoch
nicht automatisch zu prosozialem
Verhalten führt
• Erklärungsmodell, das aktuell
untersucht wird (in Anlehnung
an Eisenberg, 2014; 2000;
Valiente et al., 2004):
• Unterscheidung zwischen
zwei Reaktionen auf
Empathie, die mit
unterschiedlichen
Handlungskonsequenzen
verbunden sind:
• Sympathie
• Personal distress
• Sympathie:
• Reaktion, die sich aus der Besorgnis über
den emotionalen Zustand eines anderen
ergibt, die nicht mit dem Zustand oder der
Verfassung des anderen identisch ist,
sondern aus Gefühlen der Trauer oder
Sorge um den anderen besteht
• Positiv mit prosozialem Verhalten
verknüpft
• Personal distress:
• selbstfokussierte, aversive affektive
Reaktion auf die Besorgnis über die
Emotionen eines anderen
• Kann häufig eine empathische
Übererregung widerspiegeln
• Negativ oder nicht mit prosozialem
Verhalten verknüpft
untersucht wird (in Anlehnung an
Eisenberg, 2014; 2000; Valiente et
al., 2004):
• Verteidiger UND
Außenstehende: empathische
Wahrnehmung, d.h.
Perspektive des Opfers wird
eingenommen und Leid
erkannt
• Verteidiger: reagieren
„sympathisch“ und helfen
• Erklärungsmodell, das aktuell untersucht wird
(in Anlehnung an Eisenberg, 2014; 2000;
• Außenstehende:
• das Leid der Opfer wird
„überempathisch“ als
persönliches Leid
und damit aversiv empfunden
(personal distress)
• Starke hormonelle Reaktion
(Adrenalin, Cortisol)
• Verhaltensweisen wie „die
Situation verlassen“,
„wegschauen“ und „nichts tun“
• Blockierung von aktivem Handeln
und damit auch
prosozialem Verhalten
Prävention &
• Außenstehende müssen aktiviert
• Übertragung aus der
Zivilcourage-Forschung: direkt
ansprechen und mit
Unterstützungsaufgaben
betrauen
• Schüler*innen müssen Dynamik
und Zusammenspiel der Rollen
beim Mobbing nicht nur
verstehen, sondern begreifen
• Was sind Erfolgskriterien?
• Reduktion der Zahl der Opfer an
einer Schule?
• Aber vielleicht verteilt sich die
Aggression nur auf weniger
Opfer?
• Reduktion der Täter? Auf Basis
welcher Aussagen?
Selbstberichte?
• Verbesserung der psychosozialen
Situation
• Einbezug von Selbst- und
Peerberichten
• Interventionen sind komplex und mühsam
• Deswegen plädieren viele für möglichst
frühzeitige Prävention
• Aber:
• Differenziertes Schulsystem erschwert
homogene, konsistente und nachhaltige
Mobbingprävention deutlich
• Whole School Approach notwendig, d.h.
die gesamte Schule mit Lehrkräften,
Eltern, Schüler*innen zieht an einem
Strang (auf gleiches Verhalten folgen
gleiche Verhaltenskonsequenzen von
allen Lehrkräften)
Prävention & Intervention
Programme
Fazit
Fazit:
• Forschung ist weitgehend klar,
was beim Mobbing passiert
• Nicht Opfer, sondern
Täter*innen müssen im Fokus
der Aufmerksamkeit stehen
• Bekämpfung erfordert
Restrukturierung auf Klassen-
und Schulebene: langer Prozess
• Präventive Maßnahmen können
Notwendigkeit einer Intervention
reduzieren, wenn sie folgendes
fördern:
• Wertschätzung für
Verteidiger*innen
• Ermutigung von Zuschauer*innen
• Aufklärung der Verstärker*innen
• Dadurch: Kräfteverhältnis in der
Klasse, in dem aggressive Strategien
zum Dominanzgewinn keinen
fruchtbaren Boden finden
Beispiel Klausurfrage
Wie viel Prozent der Kinder sind sicher in der Schule von Mobbing betroffen? (4 Punkte)
trifft zu spalte
trifft nicht zu spalte
3%
5%
10%
20%
Nur ca. 33% der Lehrkräfte und 50% der Eltern erfahren davon, wenn ein kind gemobbt wird. Bitte nennen sie mir drei mögliche gründe, warum das so ist.
Zuletzt geändertvor 4 Tagen