Buffl

Einführung

PG
von Paul G.

Umgang mit Sachverhaltsungewissheiten

I. Grundsätze

  • In dubio pro reo 

    • Das Gericht darf eine Verurteilung nur auf Tatsachen stützen, die nachgewiesen sind.

      • Kann sich das Gericht im Rahmen der freien Beweiswürdigung (§ 261 StPO) nicht vom Sachverhalt überzeugen, der eine für den Angeklagten nachteilige Rechtsfolge hat, so darf es diesen Sachverhalt seiner Entscheidung nicht zugrund legen

      • (P): Das Gericht kann keine eindeutige Tatsachengrundlage ermitteln (also Tatsachen und Rechtsalternativen offenstehen), jedoch keine Sachverhaltsvariante denkbar ist, die nicht unter ein Stragesetz fällt

        • Es muss zumidest die eindeutige Begehung einer bestimmten Strafnorm aufgrund mehrerer alternativer Sachverhalte nachweisbar sein

          • Entweder in Form der gleichartigen/unechten Wahlfeststellung (da von vornherein nur die Verwirklichung einer Norm denkbar ist) oder

          • aufgrund logischer oder normativer Stufenverhältnisse unter Anwendung von "in dubio pro reo" (Bildung des "kleinsten gemeinsamen Nenners“ mehrerer denkbarer Strafnormen

  • Nullum crimen sine lege

    • Die Verurteilung muss sich auf ein ganz bestimmtes mit Strafe bedrohtes Verhalten beziehen

II. Umgang in der universitären Rechtsanwendung

  • Sollte der Sachverhalt Ungewissheiten bereithalten, ist die strafrechtliche Relevanz der möglichen Verhaltensvariationen einzeln durchzuprüfen

    • Eine Ausnahme stellen überschaubare Situationen dar, bei denen schnell festgestellt werden kann, dass in allen Varianten der Zweifelssatz Anwendnung findet

  • Sofern es möglich ist, einen eindeutigen Schuldspruch zu fällen, ganz gleich, ob im Wege der

    • Annahme eines Stufenverhältnisses

    • Präpendenz- oder Postpendenzfestellung oder

    • bei wahldeutiger Sachverhaltsgrundlage mittels einer unechten Wahlfeststellung, 

  • geht diese Möglichkeit einer echten Wahlfeststellung stets vor.

III. Unechte / gleichartige Wahlfeststellung 

  • Das Delikt steht fest, der konkrete Sachverhalt hingegen nicht

    • Es liegt eine Tat- oder Tatsachenalternativität ohne Rechtsnormungewissheit vor

  • Es ist jedoch eine Verurteilung aufgrund wahldeutiger Tatsachengrundlagen möglich

  • Bsp.: Der Zeuge C sagt in verschiedenen Gerichten zum gleichen Sachverhalt Widersprüchliches aus. Klar ist, dass C einen Meineid (§ 154 StGB) begangen hat, gleichwohl bleibt unklar, welche der Aussagen die falsche war

IV. Echte / Ungleichartige Wahlfeststellung

  • Es liegt eine Tat- oder Tatsachenalternativität und Rechtsnormungewissheit vor, d.h. alle möglichen Verhaltensweisen hätten die Realisierung unterschiedlicher Straftatbestände zur Folge

1. Logische und normative Stufenverhältnisse

  • Die nicht weiter aufklärbaren Sachverhaltsalternativen lassen die Bestrafung aus mehreren Straftatbeständen zu, die in einem Verhältnis des "Mehr" und "Weniger" zueinander stehen.

  • Nach dem Grundsatz von "in dubio pro reo" kann und muss aus dem gemeinsamen "Weniger" bestraft werden

  • Bsp. für logische Stufenverhältnisse (Einer der alternativ verwirklichten Tatbeständen umfasst den anderen Tatbestand komplett)

    • Grundbestand oder Qualifikation

    • Vorsätzliche Tötung entweder aufgrund oder ohne ausdrückliches und ernstliches Verlangen

    • Versuch oder Vollendung

    • Tateinheit oder Mehrheit

    • (P): Fahrlässigkeits- oder Vorsatzdelikt (a.A. nimmt ein normatives Stufenverhältnis an)

    • (P): Mittäterschaft oder Beihilfe (a.A. nimmt ein normatives Stufenverhältnis an)

  • Bsp. für normative Stufenverhältnisse (Die alternativ verwirklichten Tatbestände bergen eine verschiedene Intensität des Unrechtsgehaltes)

    • Tun oder Unterlassen

    • (P): Täterschaft und Anstiftung (a.A. nimmt ein logisches Stufenverhältnis an)

    • § 138 StGB (Nichtanzeige geplanter Straftaten) oder Beteiligung an einer dort genannten Straftat

    • Vollrauch oder Rauschtat, soweit verminderte Schuldunfähigkeit nachgewiesen ist

2. Rechtsethische und psychologische Vergleichbarkeit

  • Stehen die alternativ verwirklichten Tatbestände in keinem Stufenverhältnis zu einander, müssen die in Betracht kommenden Verhaltensweisen nach ständiger Rechtsprechung des BGH rechtsethisch und psychologisch vergleichbar sein

    • Rechtsethische Vergleichbarkeit

      • Maßgeblich und ausreichend ist es, wenn durch die in Betrach kommenden Verhaltensweisen dieselben oder in ihrem Wesen ähnliche Rechtsgüter verletzt werden

    • Psychologische Vergelichbarkeit

      • Vorausgesetzt wird, dass der Täter zu den in Frage stehenden Verhaltensweisen eine einigermaßen gleich geartete seelische Beziehung hat

  • Ist dies gegeben, kann sowohl nach dem einen, als auch nach dem anderen Delikt verurteilt werden, wobei sich die Höhe der Strafe nach dem im konkreten Fall mildernen Gesetz bemisst.

V. Post- und Präpendenz

  • Bei zwei Sachverhalten kann einer sicher festgestellt werden, während der andere lediglich als möglich verbleibt (es liegt also keine Sachverhaltsalternativität vor)

  • Würde der lediglich als möglich festgestellte Sachverhalt tatsächlich vorliegen, beeinflusst dies die Strafbarkeit aus dem als sicher festgestellten Sachverhalt 

    • Es muss also eine einseitige Sachverhaltsungewissheit vorliegen, die eine doppelte Rechtsnorm-Unsicherheit zur Folge hat

  • Bsp. für mögliche Postpendenz

    • Sicher festgestelltes Hehlerverhalten, wobei die mittäterschaftliche Beteiligung an dem Diebstahl unklar bleibt 

    • Geldwäschehandlung steht fest, wobei nicht geklärt werden kann, ob eine Beteiligung an der Vortat gegeben war

  • Bsp. für Präpendenz

    • Sicher festgestellte Verabredung zum gemeinschaftlichen Raub (§§ 249, 30 II Var. 3 StGB), wobei nicht aufklärbar ist, ob eine spätere Beteiligung im Ausführungsstadium gegeben ist

    • Sicherer § 138 StGB, aber unklar, ob auch eine Tatbeteiligung gegeben ist

  • Umgang mit Fällen der Post- und Präpendenz

    • Anerkannt: Würde das tatsächliche Vorliegen der möglichen Straftat die aus dem sicher festgestellen Sachverhalt resultierende Straftat nur im Konkurrenzwege zurücktreten lassen, geht das sichere Delikt vor.

    • Abzulehnen: Wenn die Postpendenz auf Ebene des Tatbestandes relevant wird, d.h. der Tatbestand der aufgrund des als sicher festgestellten Sachverhaltes bejahrten Deliktes wäre auszuschließen, wenn der ungewisse Sachverhalt tatsächlich Vorliegen würde. 

      • Bsp.: Die Bestrafung wegen Strafvereitelung kommt nicht in Betracht, wenn "der Täter" ebenfalls Täter der vorausgesetzten rechtswidirgen Tat ist.

    • (P): Umstritten ist, ob Postpendenz in Fällen der „konkurrenzregulierenden Tatbestandseinschränkungen" anzuwenden ist, d.h. ist Fällen, in denen sich die Tatbestandseinschränkung im von unsicheren Sachverhalt abhängigen Tatbestand kokurrenzrechtlich auswirkt. 

      • h.M.: Postpendenz ist möglich, sofern die vorhergehende Alleintäterschaft ausgeschlossen ist (da insofern nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Sache (auch) durch den Mittäter gestohlen wurde.

      • a.A: Dieses Vorgehen stellt einen Verstoß gegen den Zweifelssatz dar, folglich sei nur eine echte Wahlfeststellung möglich.


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Paul G.

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