Buffl

Schuld

PG
von Paul G.

Entschuldigender Notstand (§ 35 StGB)

Notstandslage

  • Gegenwärtige Gefahr für Leben, Leib und Freiheit

    • Fortbewegungsfreiheit (i.S.d. § 239 StGB) 

    • Gefahr muss eine gewisse Erheblichkeit aufweisen

  • Gefahr muss dem Täter selbst, einem Angehörigen oder einer anderen ihm nahestehenden Person drohen

    • Angehörigenbegriff in § 11 I Nr. 1 StGB

    • Nahestehende Personen sind solche, mit denen der Täter in besonderer Weise persönlich verbunden ist (Freund, Lebensgefährte, etc.)

Notstandshandlung

  • Erforderlichkeit

    • Geeignetheit

    • Relativ mildestes Mittel 

      • Keine Abwägung (vgl. § 34 StGB) 

      • Fälle deutlicher Disproportionalität behandelt man nach Maßgabe des § 35 Abs. 1 S. 2 StGB

  • Kenntnis der Notstandslage

  • Rettungsabsicht

    • Entschuldigung knüpft an der Motivation des Täters an 

Zumutbarkeit der Gefahrenhinnahme

Aufgrund der Formulierung "namentlich" wird über die beiden Regelbeispiele eine allgemeine Zumutbarkeitsklausel abgeleitet

  • Täter hat die Gefahr selbst geschaffen 

  • Täter steht in einem besonderen Rechtsverhältnis, sodass ihm die Gefahr zugemutet werden kann 

    • Berufsspezifische Gefahren, gesetzliche Duldungspflichten 

  • Allgemeine Zumutbarkeitsklausel

    • Proportionalität: Die Zumutbarkeit kann aus einem deutlichen Missverhältnis zwi- schen drohender und zugefügter Verletzung begründet werden

    • Erhöhte Gefahrentragungspflicht: Aus Beschützergarantenstellung folgend, etwa innerhalb sog. Gefahrengemeinschaften (z.B. Bergsteigergruppe untereinander) oder im Eltern-Kind-Verhältnis

    • Notstandshilfe: Korrekturen der Regelbeispiele im Einzelfall. So ist nach h.M. auch der entschuldigt, der die Gefahr selbst geschaffen hat, jedoch um eine Person aus der oben genannten Gruppe zu schützen die Tat begeht. 

Irrtum

  • Nimmt der Täter irrig Umstämde an, die ihn entschuldigen würden, wird er nur dann bestraft, wenn er den Irrtum vermeiden konnte (vgl. Verbotsirrtum)

Folgen

  • Da die Tat zwar entschuldigt, aber weiterhin rechtswidrig ist, 

    • kann weiterhin Notwehr (§ 32 StGB) geübt werden

    • sind Anstiftung (§ 26 StGB) und Behilfe (§ 27 StGB) weiterhin möglich


Verbotsirrtum (§ 17 StGB)

Voaussetzung des Unrechtsbewusstsein

  • h.M.: Wissen um die rechtliche Verbotenheit des eigenen Tuns 

    • Parallelwertung in der Laienssphäre 

      • Hätte der Täter bei Aufbringung der ihm zumutbaren Sorgfalt erkennen können, dass das Verhalten verboten ist?

      • Grundsatz: Man muss sich qualifiziert informieren, sofern man Bedenken hat, ob das geplante Verhalten erlaubt ist. 

  • e.A.: Kenntnis der strafrechtlichen Sanktionierbarkeit

    • sehr eng, da Wissen über die strafrechlich bewährten Tatbestände gegeben sein muss

  • a.A.: Bloßes Bewusstsein der Sozialschädlichkeit 

    • sehr weit und unbestimmt, da nicht jedes sozialschädliche Verhalten strafrechtlich bewährt ist und die Bewertung der Sozialschädlichkeit sehr subjektiv ist

Varianten des Verbotsirrtums

  • Subsumtionsirrtum

    • normative Tatbestansmerkmale

      • Erfordern eine rechtliche Würdigung, um subsumiert werden zu können (z.B. fremde Sache, Bierdeckel als Urkunde) 

    • deskriptive Tatbestandsmerkmale 

      • Sind einer Tatsachenerfassung ohne Wertung zugänglich (z.B. Alter, Geschlecht)

  • Direkter Verbotsirrtum

    • Täter irrt über die Existenz eines Verbotes

  • Indirekter Verbotsirrtum (Erlaubnisirrtum)

    • Täter irrt über das Vorhandensein eines Rechtfertigungsgrundes

  • Irrtum über die Gültigkeit einer Verbotsnorm

    • Der Täter geht irrtümlich davon aus, dass eine strafrechtluche Norm nicht oder nicht mehr gelte, sodass sein Handeln unsanktioniert bliebe

  • Doppelirrtum

    • Täter irrt über das Vorhandensein der ihn rechtfertigenden Umstände (ETI) und überschreitet die Grenzen des seines Erachtens einschlägigen Rechtsfertigungsgrundes 

Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums

  • Wenn der Täter sich nach seinen Kenntnissen und Fähigkeiten hätte veranlasst sehen müssen, über die Rechtskonformität seines Verhaltens nachzudenken oder Erkundigungen einzuholen

    • Grundsätzlich ist ein Verbotsirrtum vermeidbar 

    • Man darf sich auf vertrauenswürdige Auskünfte von Behören und Rechtskundigen sowie auf rechtskräftige Entscheidungen aller Instanzen verlassen

    • Eine ungeklärte oder umstrittene Rechtslage darf nach h.M. grundsätzlich nicht zum Nachteil des Täters gehen


Actio libera in causa 

Ausgangspunkt

  • Strafbegründendes Gewohnheitsrecht, das gegen die Garantiefunktion des Art. 103 II GG verstößt

  • Nur bei Erfolgsdelikten anzuwenden

  • Anknüpfung an ein Vorverschulden: An eine frühere „in der Ursache freie Handlung“ (actio libera in causa), die mit der eigentlichen Tat in einem Zurechnungszusammenhang steht

  • Zurechnungsregel: Wer im Zustand des § 20 eine vorsätzliche Straftat begeht, kann sich nicht auf seine Schuldunfähigkeit berufen, wenn er den Defektzustand vorsätzlich herbeigeführt und sich sein Vorsatz da- bei auf die später begangene Vorsatztat erstreckt hat.

    • Vorsatz auf Herbeiführung des Defekt- zustandes und Vorsatz auf die (spätere) Tat

Grund

  • Strafrahmen des (verbleibenden) § 323a StGB wird für viele Konstellationen als nicht ausreichend empfunden.

Rechtfertigungen

  • Tatbestandsmodell (h.M.)

    • Täter setzt bereits mit dem Sichbetrinken zur Verwirklichung der Tat an 

    • Zurechenbare Steuerung des Geschehensablaufes bis zum Erfolgseintritt ist nicht erforderlich 

    • Der Täter macht sich zum Werkzeug seiner selbst, so wie es ein mittelbarer Täter ggfs. ebenefalls mit zeitlichem Vorlaug macht 

  • Ausnahmemodell (a.A.)

    • Ausnahme von Koinzidenzprinzips (Zustand der Schuldunfähigkeit bei Begehung der Tat) von  ist aufgrund des Rehtsmissbrauches und des Gewohnheitsrechts 

Kein A.L.I.C bei Tätigkeitsdelikten

  • Es leuchtet nicht ein, in dem Sichbetrinken ein Ansetzen zum z.B. Führen eines Kraftfahrzeuges zu sehen

  • Strafrahmen des § 323 a StGB deckt den Strafrahmen der meisten Tätigkeitsdelikte ab 

Kein A.L.I.C bei Fahrlässigkeitsdelikten

  • Das Sichbetrinken stellt die Sorgfaltspflichtverletzung dar und somit die Erfüllung des objektiven Tatbestandes und ggfs. auch die subjetive Voraussehbarkeit

Folgen

  • Keine Entschuldigung gem. § 20 Var. 2 StGB 

    • Anwendung des Strafrahmens des begangenen Deliktes 

  • Keine Anwendung von § 323 a StGB 


Erlaubnistatbestandsirrtum

Definition

  • Der Täter irrt bei Begehung der Tat über Tatsachen, die seine Handlung bei tatsächlichem Vorliegen rechtfertigen würden 

Abgrenzung

  • Erlaubnisirrtum

    • Der Täter irrt über die rechtlichen (normativen) Voraussetzungen oder die Reichweite des Rechtfertigungsgrundes

      • Erlaubnisnormirrtum: Der Täter irrt über die rechtliche Existenz des Rechtfertigungsgrundes

      • Erlaubnisgrenzirrtum: Der Täter verkennt die rechtlichen Grenzen des Rechtfertigungsgrundes

  • Entschuldigungssachverhaltsirrtum

    • Fälle, in denen sich der Täter Umstände vorstellt, die ihn im Falle ihres wirklichen Vorliegens entschuldigen würden. 

    • Gesetzlich geregelt ist nur der Irrtum über den Entschuldigungsnotstand, § 35 II, die Vorschrift ist jedoch analog auf die anderen Entschuldigungsgründe anwendbar

Prüfungspunkt

  • Aufgrund der strittigen Rechtsfolge des ETI sollte dieser separat nach der der Schuld geprüft werden

Prüfungsaufbau

  1. Hypothetische Rechtfertigungsprüfung

    • a) Hypothetische Rechtfertigungslage

    • b) Hypothetische Rechtfertigungshandlung

      • Ggfs. hier den Streit über die Folgen des Nötigungsnotstandes ansprechen.

  2. Rechtsfolgen

  1. Vorsatztheorie (m.M.)

    • Arg.: Unrechtsbewusstsein ist Teil des Vorsatzes (unstrittig falsch / Arg.: § 17 StGB stellt klar, dass das Unrechtsbewusstsein zur Bemessung der Schuld und nicht des Vorsatzes zu berücksichtigen ist). Dieser Theorie folgend würde der Vorsatz entfallen, wenn aufgrund des Irrtums kein Unrechtbewusstsein gegeben war.

    • Ergebnis: Der Vorsatz entfällt

  2. Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen 

    • Ausgangspunkt für diese Theorie ist der zweistufigen Deliktsaufbaus, der einen Gesamt-Unrechtstagbestand (Besteht aus: objektivem Tatbestand + Nichtvorliegen von Rechtfertigungsgründen als Teil des Tatbestandes + Vorsatz bzgl. dieser) sowie die Berücksichtigung der Schuld kennt. Der Tätervorsatz muss folglich auch das Fehlen von Rechtfertigungsgründen umfassen. Irrt nun der Täter über Tatsachen, die ihn blei Vorliegen rechtfertigen würden, dann schließt der Sachverhaltsirrtum jedoch den Vorsatz gem. § 16 I 1 StGB aus. 

    • Arg.: Die objektiven Rechtfertigungsmerkmale sind als negative Tatbestandsmerkmale zu sehen. Geht der Täter irrigerweise vom Vorliegen dieser Rechtfertigungsmerkale aus, entfällt der Vorsatz gem. § 16 Abs. 1 S. 1 StGB. 

    • Ergebnis: Der Vorsatz entfällt in jedem Fall

  3. Strenge Schuldtheorie (a.A.)

    • Arg.: Unrechtsbewusstsein ist ein Element der Schuld. 

    • Nach dieser Ansicht ist es unerheblich, ob der Täter seine Handlung generell für nicht verboten gehalten hält oder ob er infolge eines Irrtums über das Bestehen, die Art oder den Umfang eines Rechtfertigungsgrundes erst indirekt zu der Ansicht gelangt, dass sein Verhalten erlaubt sei

    • Ergebnis: Die Schuld entfällt, wenn der Irrtum über das Vorliegen der rechtfertigenden Tatsachen unvermeidbar war 

  4. Reine eingeschränkte Schuldtheorie 

    • Arg.: Der über das Vorliegen von tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes Irrende ist an sich rechtstreu und weist lediglich einen Mangel an Aufmerksamkeit (fahrlässig) auf. Dem folgend ist es sachgerecht, den ETBI hinsichtlich seiner Rechtsfolgen dem echten Tatbestandsirrtum (§ 16 I StGB) gleichzustellen. 

    • Ergebnis: Der Vorsatz entfällt, wenn der Täter in fahrlässiger Weise über das Vorliegen der Voraussetzungen irrt

  5. Rechtsgrundverweisende eingechränkte Schuldtheorie

    • Arg.: Zwischen Tatbestandsmerkmalen und Rechtfertigungsgründen besteht unter dem Blickwinkel der Unrechtsvoraussetzungen kein Unterschied. Der sonst durch den Vorsatz begründete Handlungsunwert wird durch die irrige Annahme einer rechtfertigenden Sachalge aufgehoben. 

    • Nicht einheitlich wird entweder der Vorsatz, das Vorsatzunrecht oder der Handlungsunwert einer vorsätzlichen Tat verneint

    • Folglich ist nach dieser Ansicht ebenfalls strittig, ob eine Strafbarkeit der Teilnahme anzunehmen ist

    • Arg. (-): Ablehnung der Strafbarkeit der Teilnehmer (mangels rechtswidirger Haupttat); Rechtfertigung der Tat knüpft nicht an das objektive Vorliegen der Voraussetzungen, sondern allein an die Vorstellung des Täters an; 

  6. Rechtsfolgenverweisende eingeschränkte Schuldtheorie (h.M.)

    • Arg.: Dem Vorsatz kommt im Deliktsystem eine Doppelfunktion zu, so steht der vorsätzlichen Begehungsweise beim Vorsatzdelikt der Schuldtypus der Vorsatzschuld gegenüber. Die irrige Annhame einer rechtfertigenden Sachlage berührt dabei eben nicht den Tatbestandsvorsatz als Verhaltensform, sondern schließt vielmehr nur die Vorsatzschuld uns eine Bestrafung wegen vorsätzlicher Tat aus.    

    • Ergebnis: Die Vorsatzschuld entfällt gem. § 16 I StGB analog. Die Bestrafung aus einem einschlägigen Fahrlässigkeitsdelikt bleibt davon unberührt. Auch ist die Strafbarkeit bösgläubiger Teilnehmer möglich, da die Haupttat vorsätzlich und rechtswidrig ist.  

Beispiel

A erblickt in der Fußgängerzone den schäbig aussehenden P, der hastig aus einem teuren Modeladen läuft. Um den vermeindlichen "Ladendieb" aufzuhalten, wirft A den P zu Boden. In Wirklichkeit hatte P nichts gestohlen und wollte nur die nächste Straßenbahn erreichen. In dieser Konstellation irrt sich A über die tatsächlichen Voraussetzungen des § 127 StPO, das nach hM eine wirklich begangene Tat voraussetzt und unterlag somit einem Erlaubnistatbestandsirrtum

Relevanz der Streitentscheidung

  • Wenn der Täter den Irrtum vermeiden konnte 

    • Keine Entschuldigung gem. der strengen Schuldtheorie 

  • Teilnahme an der Tat

    • Nach der Vorsatztheorie, der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen und der reinen eingeschränkten Schuldtheorie mangelt es an einer vorsätzlichen, rechtswidirgen Haupttat, sodass eine Teilnahme an dieser unmöglich ist.


Author

Paul G.

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