Schuld: Allgemeines
Definition
Die Schuld ist die persönliche Vorwerfbarkeit des realisierten Unrechts. Dabei kommt es maßgeblich auf das Vorhandensein von Einsichts- und Steuerrungsfähigkeit an.
Schuldausschließung
Schuldunfähigkeit von Kindern, die das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet haben (§ 19 StGB)
Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen (§ 20 StGB)
Krankhafte Seelische Störung
Wahnhafter Zustand, in dem der Täter nicht mehr zwischen Wahn und Wirklichkeit unterscheiden kann.
Tiefgreifende Bewusstseinsstörung
Blutalkoholkonzentration i.H.v. 3,3 bei Tötungsdelikten und 3 Promille bei sonstigen Delikten
Schwachsinn
Schwere andere seelische Abartigkeit
Schwere Persönlichkeitsstörungen (Narzissmus)
Notwehrexzess (§ 33 StGB)
Voraussetzung
Überreaktion aufgrund mitbestimmender und erheblicher athenischer Affekte
Verwirrung
Furcht
Schrecken
Intensiver Notwehrexzess
Das angefriffene Rechtsgut wird mehr als erforderlich verteidigt
Unerheblich, ob die Überschreitung bewusst oder unbewusst stattfindet
Extensiver Notwehrexzess
Der Täter überdehnt die zeitlichen Grenzer der Notwehr (zu früh oder zu lang)
Nach h.M. nicht vom § 33 StGB gedeckt
(P): Nachzeitiger Exzess: Fälle, in denen dem Verteidiger aufgrund der Ausnahmesituation nicht realisieren (kann), dass die Bedrohnungslange nicht mehr gegeben ist
Putativnotwehrexess (Unterfall des Erlaubnistatbestandsirrtums)
Täter nimmt irrig Umstände an, die ihn zur Notwehr berechtigen, die objetiv jedoch nicht gegebn sind
Nach h.M. liegt ein Erlaubnisirrtum (indirekter Verbotsirrtum) vor, der nach der Regelung des § 17 StGB bewertet wird. Alternative Lösung über die analoge Anwendung des § 35 Abs. 2 StGB
Konnte der Täter den Irrtum vermeiden?
Entschuldigender Notstand (§ 35 StGB)
Notstandslage
Gegenwärtige Gefahr für Leben, Leib und Freiheit
Fortbewegungsfreiheit (i.S.d. § 239 StGB)
Gefahr muss eine gewisse Erheblichkeit aufweisen
Gefahr muss dem Täter selbst, einem Angehörigen oder einer anderen ihm nahestehenden Person drohen
Angehörigenbegriff in § 11 I Nr. 1 StGB
Nahestehende Personen sind solche, mit denen der Täter in besonderer Weise persönlich verbunden ist (Freund, Lebensgefährte, etc.)
Notstandshandlung
Erforderlichkeit
Geeignetheit
Relativ mildestes Mittel
Keine Abwägung (vgl. § 34 StGB)
Fälle deutlicher Disproportionalität behandelt man nach Maßgabe des § 35 Abs. 1 S. 2 StGB
Kenntnis der Notstandslage
Rettungsabsicht
Entschuldigung knüpft an der Motivation des Täters an
Zumutbarkeit der Gefahrenhinnahme
Aufgrund der Formulierung "namentlich" wird über die beiden Regelbeispiele eine allgemeine Zumutbarkeitsklausel abgeleitet
Täter hat die Gefahr selbst geschaffen
Täter steht in einem besonderen Rechtsverhältnis, sodass ihm die Gefahr zugemutet werden kann
Berufsspezifische Gefahren, gesetzliche Duldungspflichten
Allgemeine Zumutbarkeitsklausel
Proportionalität: Die Zumutbarkeit kann aus einem deutlichen Missverhältnis zwi- schen drohender und zugefügter Verletzung begründet werden
Erhöhte Gefahrentragungspflicht: Aus Beschützergarantenstellung folgend, etwa innerhalb sog. Gefahrengemeinschaften (z.B. Bergsteigergruppe untereinander) oder im Eltern-Kind-Verhältnis
Notstandshilfe: Korrekturen der Regelbeispiele im Einzelfall. So ist nach h.M. auch der entschuldigt, der die Gefahr selbst geschaffen hat, jedoch um eine Person aus der oben genannten Gruppe zu schützen die Tat begeht.
Irrtum
Nimmt der Täter irrig Umstämde an, die ihn entschuldigen würden, wird er nur dann bestraft, wenn er den Irrtum vermeiden konnte (vgl. Verbotsirrtum)
Folgen
Da die Tat zwar entschuldigt, aber weiterhin rechtswidrig ist,
kann weiterhin Notwehr (§ 32 StGB) geübt werden
sind Anstiftung (§ 26 StGB) und Behilfe (§ 27 StGB) weiterhin möglich
Verbotsirrtum (§ 17 StGB)
Voaussetzung des Unrechtsbewusstsein
h.M.: Wissen um die rechtliche Verbotenheit des eigenen Tuns
Parallelwertung in der Laienssphäre
Hätte der Täter bei Aufbringung der ihm zumutbaren Sorgfalt erkennen können, dass das Verhalten verboten ist?
Grundsatz: Man muss sich qualifiziert informieren, sofern man Bedenken hat, ob das geplante Verhalten erlaubt ist.
e.A.: Kenntnis der strafrechtlichen Sanktionierbarkeit
sehr eng, da Wissen über die strafrechlich bewährten Tatbestände gegeben sein muss
a.A.: Bloßes Bewusstsein der Sozialschädlichkeit
sehr weit und unbestimmt, da nicht jedes sozialschädliche Verhalten strafrechtlich bewährt ist und die Bewertung der Sozialschädlichkeit sehr subjektiv ist
Varianten des Verbotsirrtums
Subsumtionsirrtum
normative Tatbestansmerkmale
Erfordern eine rechtliche Würdigung, um subsumiert werden zu können (z.B. fremde Sache, Bierdeckel als Urkunde)
deskriptive Tatbestandsmerkmale
Sind einer Tatsachenerfassung ohne Wertung zugänglich (z.B. Alter, Geschlecht)
Direkter Verbotsirrtum
Täter irrt über die Existenz eines Verbotes
Indirekter Verbotsirrtum (Erlaubnisirrtum)
Täter irrt über das Vorhandensein eines Rechtfertigungsgrundes
Irrtum über die Gültigkeit einer Verbotsnorm
Der Täter geht irrtümlich davon aus, dass eine strafrechtluche Norm nicht oder nicht mehr gelte, sodass sein Handeln unsanktioniert bliebe
Doppelirrtum
Täter irrt über das Vorhandensein der ihn rechtfertigenden Umstände (ETI) und überschreitet die Grenzen des seines Erachtens einschlägigen Rechtsfertigungsgrundes
Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums
Wenn der Täter sich nach seinen Kenntnissen und Fähigkeiten hätte veranlasst sehen müssen, über die Rechtskonformität seines Verhaltens nachzudenken oder Erkundigungen einzuholen
Grundsätzlich ist ein Verbotsirrtum vermeidbar
Man darf sich auf vertrauenswürdige Auskünfte von Behören und Rechtskundigen sowie auf rechtskräftige Entscheidungen aller Instanzen verlassen
Eine ungeklärte oder umstrittene Rechtslage darf nach h.M. grundsätzlich nicht zum Nachteil des Täters gehen
Actio libera in causa
Ausgangspunkt
Strafbegründendes Gewohnheitsrecht, das gegen die Garantiefunktion des Art. 103 II GG verstößt
Nur bei Erfolgsdelikten anzuwenden
Anknüpfung an ein Vorverschulden: An eine frühere „in der Ursache freie Handlung“ (actio libera in causa), die mit der eigentlichen Tat in einem Zurechnungszusammenhang steht
Zurechnungsregel: Wer im Zustand des § 20 eine vorsätzliche Straftat begeht, kann sich nicht auf seine Schuldunfähigkeit berufen, wenn er den Defektzustand vorsätzlich herbeigeführt und sich sein Vorsatz da- bei auf die später begangene Vorsatztat erstreckt hat.
Vorsatz auf Herbeiführung des Defekt- zustandes und Vorsatz auf die (spätere) Tat
Grund
Strafrahmen des (verbleibenden) § 323a StGB wird für viele Konstellationen als nicht ausreichend empfunden.
Rechtfertigungen
Tatbestandsmodell (h.M.)
Täter setzt bereits mit dem Sichbetrinken zur Verwirklichung der Tat an
Zurechenbare Steuerung des Geschehensablaufes bis zum Erfolgseintritt ist nicht erforderlich
Der Täter macht sich zum Werkzeug seiner selbst, so wie es ein mittelbarer Täter ggfs. ebenefalls mit zeitlichem Vorlaug macht
Ausnahmemodell (a.A.)
Ausnahme von Koinzidenzprinzips (Zustand der Schuldunfähigkeit bei Begehung der Tat) von ist aufgrund des Rehtsmissbrauches und des Gewohnheitsrechts
Kein A.L.I.C bei Tätigkeitsdelikten
Es leuchtet nicht ein, in dem Sichbetrinken ein Ansetzen zum z.B. Führen eines Kraftfahrzeuges zu sehen
Strafrahmen des § 323 a StGB deckt den Strafrahmen der meisten Tätigkeitsdelikte ab
Kein A.L.I.C bei Fahrlässigkeitsdelikten
Das Sichbetrinken stellt die Sorgfaltspflichtverletzung dar und somit die Erfüllung des objektiven Tatbestandes und ggfs. auch die subjetive Voraussehbarkeit
Keine Entschuldigung gem. § 20 Var. 2 StGB
Anwendung des Strafrahmens des begangenen Deliktes
Keine Anwendung von § 323 a StGB
Erlaubnistatbestandsirrtum
Der Täter irrt bei Begehung der Tat über Tatsachen, die seine Handlung bei tatsächlichem Vorliegen rechtfertigen würden
Abgrenzung
Erlaubnisirrtum
Der Täter irrt über die rechtlichen (normativen) Voraussetzungen oder die Reichweite des Rechtfertigungsgrundes
Erlaubnisnormirrtum: Der Täter irrt über die rechtliche Existenz des Rechtfertigungsgrundes
Erlaubnisgrenzirrtum: Der Täter verkennt die rechtlichen Grenzen des Rechtfertigungsgrundes
Entschuldigungssachverhaltsirrtum
Fälle, in denen sich der Täter Umstände vorstellt, die ihn im Falle ihres wirklichen Vorliegens entschuldigen würden.
Gesetzlich geregelt ist nur der Irrtum über den Entschuldigungsnotstand, § 35 II, die Vorschrift ist jedoch analog auf die anderen Entschuldigungsgründe anwendbar
Prüfungspunkt
Aufgrund der strittigen Rechtsfolge des ETI sollte dieser separat nach der der Schuld geprüft werden
Prüfungsaufbau
Hypothetische Rechtfertigungsprüfung
a) Hypothetische Rechtfertigungslage
b) Hypothetische Rechtfertigungshandlung
Ggfs. hier den Streit über die Folgen des Nötigungsnotstandes ansprechen.
Rechtsfolgen
Vorsatztheorie (m.M.)
Arg.: Unrechtsbewusstsein ist Teil des Vorsatzes (unstrittig falsch / Arg.: § 17 StGB stellt klar, dass das Unrechtsbewusstsein zur Bemessung der Schuld und nicht des Vorsatzes zu berücksichtigen ist). Dieser Theorie folgend würde der Vorsatz entfallen, wenn aufgrund des Irrtums kein Unrechtbewusstsein gegeben war.
Ergebnis: Der Vorsatz entfällt
Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen
Ausgangspunkt für diese Theorie ist der zweistufigen Deliktsaufbaus, der einen Gesamt-Unrechtstagbestand (Besteht aus: objektivem Tatbestand + Nichtvorliegen von Rechtfertigungsgründen als Teil des Tatbestandes + Vorsatz bzgl. dieser) sowie die Berücksichtigung der Schuld kennt. Der Tätervorsatz muss folglich auch das Fehlen von Rechtfertigungsgründen umfassen. Irrt nun der Täter über Tatsachen, die ihn blei Vorliegen rechtfertigen würden, dann schließt der Sachverhaltsirrtum jedoch den Vorsatz gem. § 16 I 1 StGB aus.
Arg.: Die objektiven Rechtfertigungsmerkmale sind als negative Tatbestandsmerkmale zu sehen. Geht der Täter irrigerweise vom Vorliegen dieser Rechtfertigungsmerkale aus, entfällt der Vorsatz gem. § 16 Abs. 1 S. 1 StGB.
Ergebnis: Der Vorsatz entfällt in jedem Fall
Strenge Schuldtheorie (a.A.)
Arg.: Unrechtsbewusstsein ist ein Element der Schuld.
Nach dieser Ansicht ist es unerheblich, ob der Täter seine Handlung generell für nicht verboten gehalten hält oder ob er infolge eines Irrtums über das Bestehen, die Art oder den Umfang eines Rechtfertigungsgrundes erst indirekt zu der Ansicht gelangt, dass sein Verhalten erlaubt sei
Ergebnis: Die Schuld entfällt, wenn der Irrtum über das Vorliegen der rechtfertigenden Tatsachen unvermeidbar war
Reine eingeschränkte Schuldtheorie
Arg.: Der über das Vorliegen von tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes Irrende ist an sich rechtstreu und weist lediglich einen Mangel an Aufmerksamkeit (fahrlässig) auf. Dem folgend ist es sachgerecht, den ETBI hinsichtlich seiner Rechtsfolgen dem echten Tatbestandsirrtum (§ 16 I StGB) gleichzustellen.
Ergebnis: Der Vorsatz entfällt, wenn der Täter in fahrlässiger Weise über das Vorliegen der Voraussetzungen irrt
Rechtsgrundverweisende eingechränkte Schuldtheorie
Arg.: Zwischen Tatbestandsmerkmalen und Rechtfertigungsgründen besteht unter dem Blickwinkel der Unrechtsvoraussetzungen kein Unterschied. Der sonst durch den Vorsatz begründete Handlungsunwert wird durch die irrige Annahme einer rechtfertigenden Sachalge aufgehoben.
Nicht einheitlich wird entweder der Vorsatz, das Vorsatzunrecht oder der Handlungsunwert einer vorsätzlichen Tat verneint
Folglich ist nach dieser Ansicht ebenfalls strittig, ob eine Strafbarkeit der Teilnahme anzunehmen ist
Arg. (-): Ablehnung der Strafbarkeit der Teilnehmer (mangels rechtswidirger Haupttat); Rechtfertigung der Tat knüpft nicht an das objektive Vorliegen der Voraussetzungen, sondern allein an die Vorstellung des Täters an;
Rechtsfolgenverweisende eingeschränkte Schuldtheorie (h.M.)
Arg.: Dem Vorsatz kommt im Deliktsystem eine Doppelfunktion zu, so steht der vorsätzlichen Begehungsweise beim Vorsatzdelikt der Schuldtypus der Vorsatzschuld gegenüber. Die irrige Annhame einer rechtfertigenden Sachlage berührt dabei eben nicht den Tatbestandsvorsatz als Verhaltensform, sondern schließt vielmehr nur die Vorsatzschuld uns eine Bestrafung wegen vorsätzlicher Tat aus.
Ergebnis: Die Vorsatzschuld entfällt gem. § 16 I StGB analog. Die Bestrafung aus einem einschlägigen Fahrlässigkeitsdelikt bleibt davon unberührt. Auch ist die Strafbarkeit bösgläubiger Teilnehmer möglich, da die Haupttat vorsätzlich und rechtswidrig ist.
Beispiel
A erblickt in der Fußgängerzone den schäbig aussehenden P, der hastig aus einem teuren Modeladen läuft. Um den vermeindlichen "Ladendieb" aufzuhalten, wirft A den P zu Boden. In Wirklichkeit hatte P nichts gestohlen und wollte nur die nächste Straßenbahn erreichen. In dieser Konstellation irrt sich A über die tatsächlichen Voraussetzungen des § 127 StPO, das nach hM eine wirklich begangene Tat voraussetzt und unterlag somit einem Erlaubnistatbestandsirrtum
Relevanz der Streitentscheidung
Wenn der Täter den Irrtum vermeiden konnte
Keine Entschuldigung gem. der strengen Schuldtheorie
Teilnahme an der Tat
Nach der Vorsatztheorie, der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen und der reinen eingeschränkten Schuldtheorie mangelt es an einer vorsätzlichen, rechtswidirgen Haupttat, sodass eine Teilnahme an dieser unmöglich ist.
Der Täter irrt über die tatsächlichen Voraussetzungen eines anerkannten Entschuldigungsirrtums
Entschuldigungsnormirrtum
Der Täter irrt über die Existenz oder die Reichweite eines Entschuldigungsgrundes
Dieser Irrtum ist nach der hM unbeachtlich
Als sich V mit ihren Auto auf der Heimfahrt befindet, läuft vor ihr plötzlich ein Kind auf die Straße, das V irrigerweise für ihren Sohn S hält, da das Kind so groß wie S ist, ebnso lange rote Haare hat und - wie S - eine FC Bayern-Jacke und die dazu passende Mütze trägt. Um den vermeindlichen S zu retten, lenkt V ihr Auto mangels anderer Rettungsmöglichkeiten in eine dabenstehende Menschenmenge und tötet hierdurch mehrere Menschen.
In dieser Konstellation liegt aufgrund der im Tatsächlichen wurzelnden Personenverwechslung im Hinblick auf das von § 35 I StGB erfasste Merkmal "Angehöriger" ein Entschuldigungssachverhaltsirrtum (§ 35 II StGB) vor.
Zuletzt geändertvor einem Monat