Buffl

Grundrechte Streitstände

AL
von Ann-kathrin L.

Auf welche Weise kann das einheitliche Grundrecht aus Art. 4 I, II GG eingeschränkt werden?

Lit.:

Nach einer in der Literatur vertretenen Auffassung, der sich auch das BVerwG zum Teil angeschlossen hat, steht das Grundrecht aus Art. 4 I, II GG über Art. 140 GG iVm Art. 136 I WRV unter einem allgemeinen Gesetzesvorbehalt. Nur die Fortgeltung des Art. 136 I WRV mache es verständlich, dass Art. 4 I, II GG keine Schrankenregelungen enthielten. Zudem stelle Art. 136 I WRV die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte vom Einfluss der Religionsfreiheit frei; dies bedeute jedoch im Umkehrschluss nicht, dass auch die Kirche von staatlichem Einfluss frei sei. Diese Regelung wird nicht, zumindest nicht ausdrücklich getroffen. Dieser Umstand spricht ebenfalls dafür, dass sich der Staat seine gesetzliche Einflussmöglichkeit erhalten wollte.

h.M.:

Nach h.M. gelten ausschließlich verfassungsimmanente Schranken. Dafür spreche zum einen, dass es sich bei Art. 136 I WRV eher um ein Gleichheitsrecht als um eine Schranke handele, da hierdurch eine Benachteiligung bzw. Bevorzugung Einzelner aufgrund ihrer religiösen Orientierung vermieden werden solle. Zum anderen werde Art. 136 WRV angesichts des hohen Ranges der Religionsfreiheit, die auch die Religionsausübung umfasse, von Art. 4 GG überlagert.

Stellungnahme:

Der hM ist zu folgen. Gegen die Auslegung des Art. 136 I WRV spricht zum einen die historische Auslegung: Art. 136 WRV sollte nach den Erfahrungen des Kulturkampfes unter Bismarck die Religionsfreiheit nicht beschränken, sonder verstärken. Zudem enthält die Vorgängerregelung in Art. 135 WRV einen Gesetzesvorbehalt, auf den bei der Neuregelung in Art. 136 WRV verzichtet wurde. Zum anderen streitet die systematische Auslegung für die hM: Art. 4 I, II GG schützt neben der Religions- auch die Gewissensfreiheit, Art. 136 I WRV beschränkt sich hingegen auf die Religionsfreiheit. Würde man für die Religionsfreiheit einen Gesetzesvorbehalt annehmen, führte dies zu der kaum zu rechtfertigenden Konsequenz, dass die übrigen Freiheiten stärker geschützt würden als die Religionsfreiheit.

Deshalb ist mit der hM anzunehmen, dass Art. 4 I, II GG nur durch verfassungsimmanente Schranken, also Werte mit Verfassungsrang oder Grundrechte Dritter, eingeschränkt werden kann.

Sind Betriebs- und Geschäftsräume in den Schutzbereich von Art. 13 I GG (Unversehrtheit der Wohnung) einzubeziehen?

e.A.:

Dagegen könnte zunächst der Wortlaut des Art. 13 I GG sprechen. Nach allgemeinem Sprachgebrauch sind Wohnungen Privaträume, die der persönlichen Lebensführung dienen. Dies ist bei Geschäftsräumen nicht der Fall. Auch der Sinn und Zweck des Grundrechts lasse darauf schließen, dass Geschäftsräume nicht als Wohnungen anzusehen sind. Art. 13 I GG soll einen Freiraum persönlicher Entfaltung ermöglichen und einen Rückzugsraum schaffen. Das sei bei Geschäftsräumen gerade nicht der Fall, da diese Räumlichkeiten auf öffentliche Zugänglichkeit gerichtet seien. Danach unterfallen Betriebs- und Geschäftsräume wegen ihrer geringen Schutzbedürftigkeit generell nicht dem eng auszulegenden Art. 13 I GG, sondern nur dem Schutzbereich von Art. 2 I GG.

h.M.:

Die besseren Argumente sprechen hingegen für eine Einbeziehung von Geschäftsräumen in den Wohnungsbegriff des Art. 13 I GG. Der Wortlaut ist unergiebig, da der Wohnungsbegriff in Art. 13 GG nicht definiert wird. Die Systematik, also die Stellung der Norm im Gesetzgefüge, spricht dafür, Geschäftsräume als Wohnungen iSd Art. 13 I GG anzusehen. Art. 13 GG steht zwischen Art. 12 GG, der den Erwerb schützt und Art. 14 GG, der das Erworbene schützt. Damit erfasst Art. 13 I GG auch den Ort, der dem Erwerb dient. Auch die Historie spricht für eine Einbeziehung der Geschäftsräume. Alle Vorläufer des Art. 13 I GG haben bereits Geschäftsräume in den Wohnungsbegriff mit einbezogen. Auch der Sinn und Zweck des Art. 13 I GG spricht für eine weite Auslegung des Wohnungsbegriffs. Allein der Umstand, dass die Räume der Öffentlichkeit zugänglich sind, bedeutet nicht, dass sie in jeder Hinsicht auch für Hoheitsträger frei und beliebig zugänglich sind, da der Inhaber Maß und Grenzen der Zugänglichkeit seiner Räume bestimmt. Außerdem erfasst ein möglicher Grundrechtsverzicht auch nicht die behördlichen Nachschaurechte. Zudem sind Grundrechte zwecks intensiveren Schutzes im Zweifel weit auszulegen.

Sind juristische Personen des Privatrechts, an der sowohl private als auch öffentliche Anteilseigner beteiligt sind (sog. gemischtwirtschaftliche Unternehmen), die sich zu mehr als 50% in öffentlicher Hand befinden unmittelbar an die Grundrechte gebunden?

h.M.:

Um auch in diesem Bereich eine Umgehung der Grundrechtsbindung staatlicher Stellen zu vermeiden, werden zumindest solche Unternehmen, die von der öffentlichen Hand beherrscht werden, als verselbstständigte Handlungseinheiten der staatlichen Einflusssphäre zugerechnet und somit der Grundrechtsbindung unterworfen. Hierbei kommt es nicht auf die konkreten Einwirkungsbefugnisse hinsichtlich der Geschäftsführung, sondern auf die Gesamtverantwortung für das jeweilige Unternehmen an. Diese kann dem Staat zugerechnet werden, wenn mehr als 50% der Geschäftsanteile von der öffentlichen Hand gehalten werden. Anders als in Fällen, in denen die öffentliche Hand nur einen untergeordneten Anteil an dem privaten Unternehmen hält, handelt es sich dann grundsätzlich nicht um private Aktivitäten unter Beteiligung des Staates, sondern um staatliche Aktivitäten unter Beteiligung von Privaten. Für diese Unternehmen gelten unabhängig von ihrem Zweck oder Inhalt die allgemeinen Bindungen staatlicher Aufgabenwahrnehmung. Bei der Entfaltung dieser Aktivitäten sind die öffentlich beherrschten Unternehmen unmittelbar durch die Grundrechte gebunden und können sich umgekehrt gegenüber Bürgern nicht auf eigene Grundrechte stützen.

a.A.:

Allerdings könnte eine abweichende Beurteilung der Grundrechtsbindung aus der Benachteiligung der sonstigen, privaten Anteilseigner resultieren. Die Anerkennung der Grundrechtsbindung solcher Unternehmen führt umgekehrt dazu, dass das Unternehmen nicht mehr grundrechtsfähig ist, sich also nicht auf Grundrehcte berufen kann (sog. Kehrseitentheorie). Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass es der freien Entscheidung der privaten Anteilseigner obliegt, sich an einem öffentlich mehrheitlich beherrschten Unternehmen zu beteiligten. Auch wenn sich die Mehrheitsverhältnisse in der Gesellschaft nachträglich ändern, steht es ihnen frei, hierauf zu reagieren zB durch Veräußerung der Geschäftsanteile. Sofern sich Private indes an solchen Unternehmen beteiligen, haben sie an den Chancen und Risiken, die sich aus den Handlungsbedingungen der öffentlichen Hand ergeben, gleichermaßen teil.

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Ann-kathrin L.

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