Grundlagen der Ursachenzuschreibung (Kausalattribution)
Menschen haben ein fundamentales Bedürfnis, die Ursachen von Ereignissen zu verstehen, um Verhalten vorhersagen und beeinflussen zu können. Kausalattributionen sind dabei essenziell, weil sie es ermöglichen, Erfolge und Misserfolge auf bestimmte Faktoren zurückzuführen. Die Attribution beeinflusst Emotionen, Motivation und zukünftiges Verhalten erheblich.
Die Attributionstheorien lassen sich in zwei Hauptgruppen einteilen:
Attributionstheorien – Diese befassen sich mit den Prozessen, die zur Ursachenzuschreibung führen.
Attributionale Theorien – Sie analysieren die Konsequenzen von Attributionen auf Motivation, Emotionen und Verhalten.
Beispiel für die praktische Relevanz von Attributionen
Ein Beispiel für die praktische Relevanz von Attributionen ist die Beurteilung von Schülerleistungen durch Lehrkräfte. Ein Lehrer kann eine gute Klausurnote eines Schülers entweder auf harte Arbeit (internale, kontrollierbare Ursache) oder auf Glück (externale, unkontrollierbare Ursache) zurückführen. Diese Interpretation beeinflusst, wie der Lehrer den Schüler zukünftig behandelt.
Weiners attributionale Theorie
Laut Weiner (1985) werden Handlungsergebnisse zunächst nach ihrer Valenz (positiv oder negativ) bewertet, was zu ergebnisabhängigen Emotionen wie Freude oder Frustration führt. Anschließend beginnt die kausale Suche, wenn das Ergebnis unerwartet, negativ oder wichtig ist. Die Ursachen werden dann entlang bestimmter Dimensionen klassifiziert:
Lokation (Internalität) – Liegt die Ursache innerhalb der Person (z. B. Fähigkeit, Anstrengung) oder außerhalb (z. B. Schwierigkeit der Aufgabe, Zufall)?
Stabilität – Ist die Ursache über die Zeit stabil (z. B. Begabung) oder variabel (z. B. aktuelle Anstrengung)?
Kontrollierbarkeit – Kann die Person die Ursache beeinflussen (z. B. eigene Anstrengung) oder nicht (z. B. Glück)?
Globalität – Generalisiert die Ursache über verschiedene Situationen hinweg oder ist sie spezifisch?
Diese Dimensionen bestimmen, welche Emotionen auftreten und welche Erwartungen über zukünftige Erfolge oder Misserfolge bestehen.
👉Beispiel: Ein Schüler, der eine schlechte Note erhält, kann dies auf mangelnde Fähigkeit (intern, stabil, unkontrollierbar) oder auf unzureichende Vorbereitung (intern, variabel, kontrollierbar) zurückführen. Im ersten Fall entsteht Scham und Hoffnungslosigkeit, im zweiten Fall Ärger über sich selbst und die Möglichkeit, durch mehr Lernen die Situation zu verbessern
Attribution und Erwartungsänderung
Erwartungen für zukünftigen Erfolg oder Misserfolg werden durch die Stabilitätsdimension beeinflusst:
Stabile Ursachen (z. B. Begabung) → Erwartung künftigen Erfolgs oder Misserfolgs bleibt bestehen.
Variable Ursachen (z. B. Anstrengung, Glück) → Erwartung kann sich ändern.
👉 Experiment von Meyer (1973): Probanden, die Misserfolg auf stabile Faktoren attribuierten, reduzierten ihre Erfolgserwartung stärker als jene, die variable Ursachen annahmen.
👉 Einfluss des Geschlechts: Männer attribuieren Misserfolge in Computeraufgaben häufiger auf externe, instabile Ursachen, Frauen eher auf interne, stabile Ursachen. Dies beeinflusst ihre Erfolgserwartungen.
Attribution und Hoffnungslosigkeitsdepression
Die Theorie der erlernten Hilflosigkeit (Seligman, 1975) besagt, dass wiederholte Misserfolge zur Erwartung führen, dass zukünftige Erfolge nicht kontrollierbar sind. Dies kann zur Hoffnungslosigkeitsdepression führen.
👉 Beispiel: Ein Schüler, der wiederholt schlechte Mathe-Noten bekommt und dies auf mangelnde allgemeine Fähigkeit attribuiert (intern, stabil, global), entwickelt eine niedrige Selbstwirksamkeit und Vermeidungsverhalten.
👉 Studienergebnisse: Eine internale, stabile und globale Attribution für Misserfolg ist stark mit Depression korreliert. Depressionstypische Personen führen Misserfolge oft auf unveränderliche Ursachen zurück und haben Schwierigkeiten, positive Ereignisse sich selbst zuzuschreiben.
👉 Therapeutische Implikationen: In der kognitiven Verhaltenstherapie wird versucht, den Attributionsstil zu verändern, indem Patienten lernen, ihre Misserfolge auf variable und spezifische Ursachen zurückzuführen.
Attribution und Aggression
Laut der sozialen Informationsverarbeitungstheorie (Dodge, 1993) neigen aggressive Kinder dazu, anderen feindselige Absichten zu unterstellen (hostile bias). Sie interpretieren zweideutiges Verhalten als absichtlich feindselig, was reaktive Aggression auslöst.
👉 Beispiel: Ein Kind wird versehentlich von einem Mitschüler angerempelt. Ein aggressives Kind attribuiert dies als absichtlichen Angriff (internal, stabil, kontrollierbar), während ein nicht-aggressives Kind es als Unfall betrachtet (external, variabel, unkontrollierbar).
👉 Interventionen: Durch soziales Kompetenztraining können Kinder lernen, alternative, weniger feindselige Attributionen zu machen.
Zusammenfassung
Attributionen beeinflussen Motivation, Emotionen und zukünftiges Verhalten.
Weiners Modell beschreibt die Kern-Dimensionen der Attribution: Lokation, Stabilität, Kontrollierbarkeit und Globalität.
Self-Handicapping ist eine Strategie zur Selbstwertregulation, die kurzfristig schützt, aber langfristig negative Effekte hat.
Erfolgserwartungen ändern sich je nach Attribution auf stabile oder variable Ursachen.
Depression entsteht oft durch generalisierte negative Attributionen (intern, stabil, global).
Aggression kann durch einen hostile bias in der Ursachenzuschreibung verstärkt werden.
Therapien setzen darauf, maladaptive Attributionen zu korrigieren und flexiblere Ursachenzuschreibungen zu fördern.
Zuletzt geändertvor 11 Tagen