Zwischen Glaube und Wissenschaft
Frühe Kulturen
Dämonologische Vorstellungen
Spiritualität
(psychische) Erkrankungen als Sünde, Strafe der Götter, Teufel
Einhaltung von religiösen und gesellschaftlichen Regeln: Gebete, Opfergaben, Amulette etc.
Ziel: sich dem Zugriff der bösen Geister und Dämonen zu entziehen
„Therapie“: Entsprechungszauber / Zaubersprüche, Rituale, Beten, Fasten
aber auch: Hexenverbrennung, Verfolgung, Folter, Exorzismus etc.
Antike
„Humoralpathologie“ : Ungleichgewicht im „Säftehaushalt“ des Körpers führt zu Krankheit
4 Kardinalsäfte:
1. Blut
2. Schleim
3. gelbe Galle = Cholera
4. schwarze Galle = Melancholie
„Therapie“: Aderlass, Bäder, Brech- und Abführmittel, Massagen, Tempelschlaf
allmähliche Abwendung von der Vorstellung, dass Krankheit eine Strafe der Götter sei
Krankenversorgung
„Haus der Narren“ Valencia 1409
Narrenkäfige, Pesthöfe
Abteilungen für Narren, Zuchthäuser, Tollhäuser
psychisch Kranke provoziert zu „wilden Tieren“, zur Schau gestellt
Vorstellung: „Verrückte müssen dominiert und gebrochen werden“, z. B. indem sie Schmerzen aushalten müssen, gezüchtigt werden, ausbluten sollen
Behandlungsmethoden am Kopf (Sitz der Seele): Einschnitte in die Schädelhaut, „Siegburger Siegel“, Sturzbäder u. ä.
Mesmerismus
Franz Anton Mesmer (1734 – 1815)
Fluidum erfüllt das Universum und stellt eine Verbindung zwischen Menschen, der Erde und den Himmelkörpern her
Psychische Störungen als Störung des „magnetischen Fluidums“
Therapie: Magnetismus, Gleichgewicht finden
Brownianismus
John Brown (1735-1788)
Krankheit = Missverhältnis von Reizstärke und
und Erregbarkeit des Organismus
Stehnische Krankheiten – zu starke Erregung, z. B. Tobsucht, Manie
Asthenische Krankheiten – zu schwache Erregung, z. B. Melancholie
Therapie bei Manie = Reizentzug
- reizarme Umwelt, dunkler Zimmer
- kalte Kopfumschläge
- Zwangsstuhl
- in einen Sack stecken
Therapie bei Melancholie = Reizzufuhr
- nahrhafte Diät
- Handarbeiten
- in der Bibel lesen
Phrenologie
Franz Joseph Gall (1758 -1828)
geistige Fähigkeiten an der Kopfform erkennbar
„In jedem menschlichem Gehirne gibt es Dreiunddreißig Organe und Eigenschaften, ausgeprägt in ihrer Art, verschieden in der Größe, aber natürlich, gleichmäßig, gekennzeichnet und gleichbleibend. In manchen Köpfen sind sie groß, in anderen klein, aber alle haben sie und haben sie alle. Sie wirken verschieden, einzeln und gemeinsam. Und daher gibt es verschiedene Charaktere.“ (Gall)
Philippe Pinel
Philippe Pinel (1745-1826): „traitement moral“ (Behandlung mit Moral)
gegen Dämonologie und Magie
Wunsch nach Empirismus
er erkennt die multifaktorielle Genese von Krankheiten
Leitung der Salpetrière
weiterhin Strenge und Disziplin in der Behandlung, aber zunehmende Berücksichtigung der Menschrechte
Entwicklung in der Krankenversorgung
Bedeutung einer gepflegten, sauberen Unterbringung nimmt zu
Musik und Tanz werden integriert
Arbeitstherapie
—> Aktive Krankenbehandlung
Geschichte - Freud
geb. 1856 in Freiberg als „Sigismund Schlomo“
Vater Kaufmann
jüdische Familie, die eher arm war
Umzug nach Wien im Alter von 3 Jahren
„Liebling“ seiner Eltern, besondere Förderung, Klassenbester, Sprachtalent
Medizinstudium (1873-1881)
1881 lernt Freud Josef Breuer kennen
Josef Breuer: österreichischer Arzt, Internist, Physiologe und Philosoph
Patientin Bertha Pappenheim (Anna O.) als Grundlage für das mit Freud 1895 heraus- gebrachte Werk: „Studien über Hysterie“
Freud geht nach Paris zu Charcot und arbeitet mit Hysterikerinnen
zurück in Wien eröffnet er 1886 eine Praxis (in seiner Wohnung)
Heirat 1886 mit Martha Bernays gefolgt von den Geburten der 6 Kinder
1896 stirbt Freud ́s Vater à Beginn der Selbstanalyse: „Der Hauptpatient, der mich beschäftigt, bin ich selbst.“
1900 „Traumdeutung“: Der Traum als Königsweg zum Unbewussten
Entwicklung der psychoanalytischen Theorie und der Behandlungstechniken: Hypnose, Redekur, freie Assoziation und Traumdeutung
Beginn der Psychoanalytischen Bewegung
Mittwochsgesellschaft, Vorlesungen an der Universität in Wien, viele Korrespondenzen, Veröffentlichungen etc.
Freud erkrankt 1923 an Gaumenkrebs
1938 flieht er ins Exil nach London
1939 verstirbt er (Morphium)
Charcot
Charcot (1825-1893) in Paris
Arbeit mit Hysterikerinnen
Therapie: Hypnose
Herabsetzung des Bewusstseins ergibt eine erhöhte Suggestibilität des Patienten, den sog. „Hypnotismus“
Schule von Nancy (Schule der Suggestion): Beginn der Hypnose- Behandlung
Behandlungsmethoden zu dieser Zeit (ab 1900)
Insulinschockbehandlung
Pharmakologische Krampfbehandlung (Cardiazol)
Elektrokrampftherapie
Psychochirurgie
Psychoanalyse
Psychopharmakotherapie (1952: Chlorpromazin als erstes Neuroleptikum, 1957: Imipramin als erstes Antidepressivum)
Psychiatrie in der Zeit des Nationalsozialismus
Psychisch Erkrankte galten als „lebensunwerte“ und „minderwertige“ Menschen
Fortpflanzung geistiger Eliten
—> Verhinderung der Fortpflanzung kranker Menschen
Zwangssterilisationsgesetz (1934)
Ärztliche Meldepflicht; „T4 Aktion“
Psychiatrische „Vernichtungsanstalten“; „Euthanasieanstalten“
Die 4 Paradigmen
1) Triebtheorie
2) Ich-Psychologie
3) Objektbeziehungstheorie
4) Selbstpsychologie
Triebtheorie
Hauptvertreter Freud, der sie mehrfach verändert und weiterentwickelt hat
1. Topik: Unbewusst, Vorbewusst und Bewusst
2. Topik: Es – Ich – Überich
Erste Neurosenlehre = unbewusste Abwehr von Affekten und unerträgliche Vorstellungen führen zu Symptomen
Behandlungsziel: Verdrängtes bewusst machen. Freud ging von einer „Erinnerungsspur“ aus
Abwendung von der Hypnose, hin zur „Redekur“ (freie Assoziation, Traumdeutung)
Freud beschäftigt sich mit unbewussten Triebabkömmlingen, mit der Dynamik zwischen Wunsch & Abwehr und der Lokalisation im psychischen Apparat (Topik)
seine große Entdeckung: Durch Mechanismen (Abwehr) gelangen Abkömmlinge des Unbewussten ins Bewusstsein zum Beispiel durch Verschiebung und Verdichtung im Traum, in Fantasien oder in neurotischen Symptomen
Ziel: „Wo Es war, soll Ich werden“ —> Unbewusstes soll bewusster werden
Ich-Psychologie
weg von der reinen Triebtheorie, hin zur Autonomie des Ichs
Fokus auf Ich-Funktionen (wahrnehmen, denken, erinnern, Bewältigungsfähigkeit, Anpassungsfähigkeit)
Ziel: das Ich stärken, z. B. durch Analyse der Abwehrmechanismen
—> Beispiel Abwehrmechanismen an der Kinokasse
Verleugnen = so tun, als habe man es nicht gesehen
Verneinen = der hat da eben schon gestanden
Verschiebung = wenn meine Frau/mein Mann nicht getrödelt hätte
Idealisierung = der ist sehr mutig
Wendung gegen das Selbst = wenn ich früher gekommen wäre, hätte ich schon eine Karte
Intellektualisieren = mich würde interessieren, was das für eine Art von Über- Ich-Defekt ist
Rationalisierung = wenn ich keine Karte bekomme, ist es auch gut, weil es morgen eh billiger ist. Der Film ist eh nicht so gut.
—> ZIEL: Affekt abwehren! (hier: Wut abwehren)
Objektbeziehungstheorie
Hauptvertreterin: Melanie Klein (1882 – 1960)
der frühen Mutter-Kind-Beziehung und der Vorstellung des Kindes über sich selbst und seine wichtigsten Bezugspersonen kommt eine zentrale Bedeutung zu
frühe Objektbeziehungsmuster zeigen sich kontinuierlich (auch in der Pat.-Th.-Bez.!)
Pathologie = unbewusste Reinszenierung internalisierter infantiler Beziehungserfahrungen
Donald Winnicott (1896 – 1971)
Beschäftigung mit der Entwicklung des Säuglings und der Mutter-Kind-Beziehung
„kein Säugling ohne Mutter“
„die ausreichend gute Mutter“; die Mutter muss fürsorglich und empathisch sein
„wahres Selbst“ vs. „falsches Selbst“
„Übergangsobjekt“ als Brücke zwischen innerer und äußerer Welt
„Holding“ = mütterlich haltende Funktion des Therapeuten
Vertreter der Objektbeziehungstheorie
William Fairbairn (1889-1964)
Michael Balint (1896-1970)
Otto F. Kernberg (*1928)
Selbstpsychologie
Hauptvertreter: Heinz Kohut (1913-1981)
Kohut sieht Konflikte als das Produkt eines schwachen Selbst
Ursache für ein schwaches Selbst sei ein Mangel an empathischer Grunderfahrung
Selbstrepräsentanzen, Selbstobjekt, Selbstwert etc.
Das „Selbst“ nach Daniel N. Stern = ein einzelner, abgegrenzter, integrierter Körper; eine Handlungsinstanz, in der wir selbst handeln; Gefühle empfinden; Absichten erfassen; Pläne schmieden; Erfahrungen in Sprache umsetzen —> sich selbst als einheitliches, autonom denkendes und handelndes Wesen wahrnehmen, als eine ganze Person
Weitere Ansätze
Intersubjektivitätstheorie
Säuglingsforschung
Bindungsforschung
Neuropsychologie
Mentalisierungsbasierte Psychotherapie
Ende der 70er Jahre aufgekommen
Patient und Therapeut sind Subjekte, es gibt eine gegenseitige Beeinflussung
in der Dyade bilden sich psychische Phänomene ab, es geht um die zwischenmenschliche Beziehung
Wandel der therapeutischen Haltung (Abstinenz, Anonymität)
Der Therapeut als aktiver Teilnehmer und Mitgestalter
Vertreter: Stolorow, Helmut Thomä, Martin Altmeyer, Stephen Mitchell
Ab Ende der 70er Jahre verstärktes Interesse an der Säuglingsforschung
Blick auf die reale Kindheit, wissenschaftliche Beobachtungen, weg von der Theorielastigkeit
Beobachtungsstudien von Rene Spitz: Mutter-Kind-Beziehung im ersten Lebensjahr
Magarete Mahler: „Die psychische Geburt des Menschen“ (1975). Forschung zu Trennungssituationen; Benennung von Entwicklungsphasen
- Daniel N. Stern (1934 - 2012)
Präsentation von Fotos zeigte, dass die Kinder den Bildern der Mutter mehr Aufmerksamkeit widmeten als anderen
—> der Säugling verfügt bereits weit vor dem Spracherwerb über basale kognitive Funktionen und ein erhebliches Erlebnispotential
—> der Säugling kann von Anfang an zwischen sich und anderen unterscheiden
—> die erste Entwicklungsaufgabe besteht in der Bindung an die Bezugsperson, nicht in der Ablösung von ihr
Säuglingsforschung
der kompetente Säugling (1993)
gutes Seh- und Hörvermögen
kann die Stimme der Mutter erkennen
Primäraffekte (Interesse, Überraschung, Ekel, Freude, Ärger, Traurigkeit, Furcht)
kann seine Befindlichkeiten differenziert mitteilen
differenzierte Beziehungsregulation möglich
Bindungstheorie
Begründer der Bindungstheorie: John Bowlby und Mary Ainsworth
Annahme eines biologische fundierten Bindungssystems —> der Säugling sucht Nähe zu seinen Bezugspersonen
Mary Ainsworth:
Untersuchung der Feinfühligkeit der Mutter
Bindungstypen: sicher, unsicher-vermeidend, unsicher-ambivalent
„Fremde-Situations-Test“
Folgerungen für die Psychotherapie?
Bedeutung von Beziehungen
frühe Beziehungserfahrungen sind im impliziten Gedächtnis gespeichert
frühe Beziehungserfahrungen werden in der therapeutischen Beziehung aktiviert
frühe Beziehungserfahrungen können durch Wiederholung pathogener Beziehungsmuster verstärkt und fixiert werden
Veränderungen sind möglich, durch alternative Erfahrungen in der Therapie: korrigierende Beziehungserfahrungen
Neuropsychologische Belege für Wirksamkeit von Psychotherapie; neuronale Plastizität
Funktionen des Gehirns: Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Intelligenz, Sprache, Denkvermögen etc.
Bildgebende Verfahren: MRT, fMR, PET etc.
Lokalisation von Hirnaktivitäten
Naturwissenschaft
Dialog zwischen Neurowissenschaften und Psychoanalyse
Mentalisierungskonzept
Peter Fonagy und Mary Target
basiert auf dem Konzept der Theory of Mind
Mentalisierung = Fähigkeit zum reflexiven Nachdenken über die Handlungsmotivationen von anderen und sich selbst
—> Was geht in mir vor? Was geht in anderen vor?
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