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Strafrecht BT II/ Nichtvermögensdelikte Wissen

AL
von Ann-kathrin L.

Fallgruppen zum Problemkreis Beihilfe zur Selbsttötung/ Sterbehilfe

Fallgruppe A

Das Opfer führt die finale Tötungshandlung selbst herbei; es liegt eine Selbsttötung vor.

  1. Variante I:

    Ein Dritter, der nicht Garant für das Leben des Opfers ist, verhindert die Selbsttötung nicht.

    Folge: Bestrafung nur aus § 323c StGB, da nach allg. Meinung der Suizid ein Unglücksfall ist; Bestrafung entfällt, wenn Rettung für den Dritten unzmutbar.

  2. Variante II:

    Ein Dritter besorgt dem Opfer das tödliche Gift, welches das Opfer eigenverantwortlich bewusst zum Zwecke der Selbsttötung einnimmt. Der Tod tritt unverzüglich ein.

    Folge: Nach einhelliger Meinung straflose Suizidbeihilfe mangels vorsätzlich rechtswidriger Haupttat. Denkbar ist allenfalls § 323c StGB.

  3. Variante III:

    Wie Variante II. das Opfer befindet sich aber - was der Dritte weiß - in einem Zustand, der eine “ausdrückliche und ernstliche” Zustimmung im Sinne von § 216 I StGB ausschließt.

    Folge: Bestrafung über § 25 I, 2. Alt. StGB als mittelbarer Täter nach der sog. Einwilligungslösung möglich. Opfer wird zum “nicht verantwortlichen Werkzeug gegen sich selbst” (Anm.: Tlw. wird verlangt, dass die Werkzeugqualität des Opfers nur gegeben ist, wenn dieses einen Zustand von zB §§ 20, 21, 16, 35 StGB erreicht; sog. Exkulpationslösung).

  4. Variante IV:

    Wie Variante III. Der Dritte hat allerdings nicht bemerkt, dass sich das Opfer in einem Defektzustand befindet.

    Folge: Eine Vorsatztat scheidet aus. Wenn den Dritten ein Fahrlässigkeitsvorwurf im Hinblick auf das (Nicht)Erkennen des Defektzustandes trifft, kommt eine Bestrafung aus § 222 StGB in Betracht.

  5. Variante V:

    Ein Dritter, der Garant für das Leben des Opfers ist, verhindert die Selbsttötung nicht. Der Tod tritt aber nicht unverzüglich ein und wäre für den Garanten durch eine Maßnahme nach Vornahme der Suizidhandlung des Opfers noch zu verhindern gewesen.

    Folge: Nach hL kommt hier eine Bestrafung wegen eines unechten Unterlassungsdeliktes (§§ 212, 13 StGB) nicht in Betracht. Den Garanten treffe weder eine Pflicht zur Verhinderung des Suizids noch eine Pflicht zur Rettung nach der Einnahme (zB) tödlicher Mittel, da das Opfer die alleinige Tatherrschaft habe, diese quasi mit in den Tod nimmt. Wenn schon die aktive Förderung der Tötung straflos sei, solle dies auch für jeden Fall der Nichtverhinderung des Suizids gelten. Denkbar bleibt auch hier allenfalls § 323c StGB.

    Nach Auffassung der Rspr. kam Bestrafung aus unechtem Unterlassungsdelikt in Betracht, da der Garant (auch aus Ingerenz) nach der aktiven Handlung des Suizidenten in jedem Fall noch zur Rettung verpflichtet sei und die Tatherrschaft vom Sterbenden ab dem Eintritt der Bewusstlosigkeit auf den Dritten übergehe. Nach Änderung der Rspr. soll aber jedenfalls der behandelnde Arzt (ggf. Pflegekräfte) bei ausdrücklichem und ernthaftem Sterbewunsch des Patienten die Garantenstellung verlieren. Damit entfällt auch eine Bestrafung aus § 323c StGB, da eine Hilfeleistung gegen den Willen des Patienen nicht zumutbar ist.

    Inzwischen ist anerkannt, dass auch andere Garanten (zB Ehepartner, sonstige nahe Angehörige) nicht zur Rettung verpflichtet sind, wenn zuvor ein willensmangelfreier Sterbewille des Suizidenten vorgelegen hat. Hintergrund ist die Stärkung des Rechts auf einen selbstbestimmten, autonomen Tod aus Art. 1, 2 Abs. 1 GG durch das BVerfG in der Entscheidung zur Verfassungswidrigkeit des § 217 StGB.

Fallgruppe B

Opfer ist schwerst erkrankt, liegt im Krankenhaus zur Behandlung, befindet sich aber noch nicht in der unmittelbaren Sterbephase, da die Lebensfunktionen noch intakt sind. Das Überleben ist aber bereits von einer dauerhaften ärztlichen Behandlung (künstliche Ernährung etc.) abhängig (Bsp.: Wachkomapatient, Patient mit vollständiger Lähmung ab Halswirbel).

  1. Variante I:

    Auf Bitten des Opfers verabreicht ein Dritter dem bereits geschwächten Opfer zum Zwecke der Todesherbeiführung ein tödliches Medikament.

    Folge: Strafbarkeit aus § 216 I StGB, da grds. ein Verbot aktiver “Sterbehilfe” (=Tötung) besteht. Dies ergibt sich bereits aus § 216 StGB selbst.

    Voraussetzung ist, dass in diesem Fall die Tatherrschaft über den unmittelbaren Tode führenden Akt in der Hand des Dritten liegt. Nach bisher hM gelten für die Tatherrschaft dabei dieselben Kriterien, wie bei der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme.

    In einer neueren Entscheidung (“Insulin Fall”) will der BGH die Tatherrschaft aber um eine “normative Betrachtung” ergänzen. Dabei soll "§ 216 StGB nicht greifen, wenn das Opfer nicht mehr in der Lage war, den “letzten Akt” selbst vorzunehmen und der Dritte die tödliche Handlung auf ausdrückliche Bitte des Opfers vornimmt. Dieser Ansatz führt aber letztlich zur Umgehung der Wertung des § 216 StGB und ist demnach abzulehnen.

  2. Variante II:

    Auf Bitten des Opfers bricht der behandelnde Arzt die Behandlung ab. Das Opfer verstirbt.

    Folge: Keine Bestrafung des Arztes, da Behandlungsverzichtserklärung zum Wegfall der Garantenstellung des Arztes aus dem Behandlungsvertrag führt.

    Dies gilt auch dann, wenn der Behandlungsabbruch durch aktive Maßnahmen des Arztes erfolgt, da es sich jedenfalls wertungsmäßig immer um ein Unterlassen der Weiterbehandlung handelt (zB Abhängen von Tropf etc.). Ob dies auch rechtlich ein Unterlassen im Sinne von § 13 StGB ist, kann im Ergebnis offen bleiben. Denn nach Rspr. des BGH sollen derartige Handlungen unter den “normativ wertenden Oberbegriff” des Behandlungsabbruchs zusammengefasst werden, der unter den Voraussetzungen einer rechtfertigenden Einwilligung unter Einhaltung der Verfahrensreglen der §§ 1827 ff. BGB nicht strafbar ist.

  3. Variante III:

    Wie Variante II, es fehlt aber an einer ausdrücklichen Zustimmung des bereits komatösen Opfers.

    Folge: Kann eine vorherige Einwilligung zum Behandlungsabbruch (Patientenverfügung gem. § 1827 I, III BGB), festgestellt werden, scheidet eine Bestrafung wie in Variante II aus. Liegt keine Patientenverfügung vor, so gilt § 1827 II BGB. Der Betreuer hat den mutmaßlichen Willen des Betreuten festzustellen und auf dieser Grundlage zu entscheiden. Hat das Opfer einen Bevollmächtigten, so gelten die vorbezeichneten Grundsätze entsprechend, § 1827 VI BGB. Einer Zustimmung des Betreuungsgerichts bedarf es in diesen Fällen nicht mehr, § 1829 IV BGB.

  4. Variante IV:

    Wie in Variante II, allerdings nimmt ein Dritter die behandlungsabbrechende Maßnahme vor.

    Folge: Wertungsmäßig liegt ein Behandlungsabbruch vor, wenngleich dieser durch ein aktives Tun des Dritten (Eingriff in die Rettungshandlung des Arztes) erfolgt. Eine Lösung über den Wegfall der Garantenstellung scheidet daher aus. Eine Bestrafung scheidet gleichwohl aus.

    Begründung:

    • Rspr.: Derartige Handlungen werden unter dem “normativ wertenden Oberbegriff” des Behandlungsabbruchs zusammengefasst, wenn der Patient lebensbedrohlich erkrankt ist und die (abzubrechende) Maßnahme zur Erhaltung oder Verländerung des Lebens dient. Einzuhalten sind in jedem Fall die Verfahrensregeln der §§ 1827 ff. BGB.

    • Nach aA liegt eine derartige Handlung auch im Fall der Vornahme durch den Dritten außerhalb des Schutzzwecks der Tötungsdelikte (Prüfung vorzugsweise nach der Rechtswidrigkeit als “Annex”).

    • Teilweise wird in der Lit. auch auf eine Rechtfertigung über § 34 StGB zurückgegriffen.

Fallgruppe C:

Opfer ist tödlich erkrankt, liegt im Krankenhaus zur Behandlung und befindet sich in der unmittelbaren Sterbephase, da die Lebensfunktionen nicht mehr intakt sind (Bsp.: Patient, der nur noch durch eine Herz-Lungen-Maschine am Leben gehalten wird und trotzdem in naher Zeit versterben wird).

Merke: Die Maßnahmen, die in der Fallgruppe B zulässig sind, können erst Recht nicht zu einer Bestrafung führen, wenn die akute Sterbephase bereits erreicht ist. Insoweit gilt das zu B. Gesagt. Es kommen aber weitere Fallgruppen hinzu.

  1. Variante I:

    Arzt oder Dritter gibt schmerzlindernde Medikamente mit todesbeschleunigender Wirkung.

    Folge: Keine Bestrafung, da die Handlung entweder über § 34 StGB gerechtfertigt ist (hM) oder außerhalb des Schutzbereiches der Tötungsdelikte liegt. Nach aktueller Rspr. ist auch eine Lösung über die Regeln der ausdrücklichen oder mutmaßlichen Einwilligung möglich. Ein Verstoß gegen die guten Sitten gem. § 228 StGB sei dabei trotz der Lebensgefährlichkeit der Handlung nicht gegeben, da es in diesem Fällen nur auf die Verfolgung eines anerkennenswerten Zweck (=Schmerzlinderung) ankomme. auch ein gleichzeitiger Verstoß gegen die Regeln des AMG oder BtMG begründe einen Verstoß gegen die guten Sitten nicht.

  2. Variante II:

    Arzt unterlässt die Weiterbehandlung ohne ausdrückliche oder mutmaßliche Zustimmung des Patienten.

    Folge: Keine Bestrafung, wenn die Fortsetzung der Behandlung wegen nachweislich irreversiblen Bewusstseinsverlustes zwecklos wäre oder gegen die Menschenwürde des bereits Sterbenden verstoßen würde (Rspr./T.d.Lit.). Der Schutzzweck der Tötungsdelikte ist auch hier nicht verletzt. Hier besteht in gewissem Spielraum ein Ermessen des behandelnden Arztes.

  3. Variante III:

    Arzt oder Dritter nimmt außerhalb der in den Varianten I und II genannten Fälle eine aktive Maßnahme vor, um den Todeseintritt zu beschleunigen (zB um “Betten frei zu bekommen”).

    Folge: Bestrafung aus §§ 212, 211 StGB.

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Ann-kathrin L.

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