Klimaklage - Grundlage
Pariser Klimaabkommen vom 12.12.2015 ist die erste rechtsverbindliche weltweite Klimaschutzvereinbarung
Staaten einigten sich in dem Abkommen, den Anstieg der weltweiten Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2˚C gegenüber vorindustriellen Werten zu begrenzen, möglichst sogar auf unter 1,5˚C
Klimawandel und seine Folgen sind zunehmend auch Gegenstand juristischer Auseinandersetzungen
Climate Change Litigation gibt es seit vielen Jahren, zum Beispiel gegen klimaschädliche Einzelprojekte, etwa den Bau von Straßen
In den letzten Jahren hat die Anzahl der Klagen zugenommen
Zu unterscheiden sind Klimaklagen gegen den Staat und solche gegen Unternehmen
Klimaklagen gegen den Staat: Urgenda vs. Niederlande
Ziel: Den Staat angesichts von verfassungsrechtlichen Vorgaben zu härteren Klimaschutzmaßnahmen zu zwingen
Umweltstiftung Urgenda mit Sieg über den niederländischen Staat
Niederländische Staat zur Senkung der Treibhausgasemissionen bis Ende 2020 um mindestens 25% im Vergleich zum Jahr 1990 rechtskräftig verpflichtet
Sammelklage & siebenjähriger Rechtsstreit
Kläger machten eine Verletzung ihrer Menschenrechte aus Art. 2 und Art. 8 EMRK geltend
Beriefen sich auf Sorgfaltspflichten der Regierung aus der niederländischen Verfassung und dem niederländischen Bürgerlichen Gesetzbuch
Bezirksgericht Den Haag vertrat die Auffassung, dass die bestehende Zusage der Regierung nur zu einer Emissionsreduzierung von 14-17% bis 2020 führen würde und nicht ausreiche, um den Klimawandel abzuwenden
Gericht war der Auffassung, die Regierung habe ihre Sorgfaltspflicht nach dem niederländischen bürgerlichen Gesetzbuch verletzt, indem sie keine Maßnahmen zum Schutz ihrer Bürger vor irreversiblen Schäden ergriffen habe
Das Berufungsgericht hielt die erstinstanzliche Entscheidung im Jahr 2018 aufrecht und stützte sich dabei – anders als das Bezirksgericht – auf Art. 2 (Recht auf Leben) und Art. 8 (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) der EMRK
—> Nach Auffassung des Berufungsgerichts erlegen die Artt. 2 und 8 EMRK der Regierung eine positive Verpflichtung auf, ihre Bürger vor Umweltsituationen zu schützen, die diese Rechte beeinträchtigen
—> Entscheidung wurde vom Obersten Gerichtshoff der Niederlande bestätigt
Oberste Gerichtshof betonte, dass es sich bei der Entscheidung nicht um eine Anordnung zum Erlass von Rechtsvorschriften handele, sondern der Staat frei sei, wie er die Emissionsreduzierung umsetze
Klimaklagen gegen den Staat: Verfassungsbeschwerde gegen das KSG
Der erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat am 29.04.2021 entschieden, dass die Regelungen des Bundes-Klimaschutzgesetzes vom 12.12.2019 (KSG) über die nationalen Klimaschutzziele und die bis zum Jahr 2030 zulässigen jährlichen Emissionsmengen insofern mit Grundrechten unvereinbar sind, als hinreichende Maßgaben für die weitere Emissionsreduktion ab dem Jahr 2031 fehlen.
Der deutsche Gesetzgeber ist verpflichtet worden, bis zum 31.12.2022 Regelungen zu erlassen, die genauer festlegen, wie die Reduktionsziele für Treibhausgasemissionen nach 2030 angepasst werden sollen.
Mit dem KSG soll den Auswirkungen des globalen Klimawandels begegnet werden
Grundlagen sind nach §1 S. 3 KSG die Verpflichtung aus dem am 4.11.2016 in Kraft getretenen Pariser Abkommen, den Anstieg der globale Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2˚C und möglichst auf 1,5˚C über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen
Sowie die Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland, das langfristige Ziel der Treibhausgasneutralität bis 2050 zu verfolgen
Nach §3 Abs. 1 KSG werden die Treibhausgasemissionen bis zum Zieljahr 2030 im Vergleich zum Jahr 1990 schrittweise um mindestens 55% gemindert
—> KSG legt die jährlich zulässigen Emissionsmengen für verschiedene Sektoren entsprechend der Minderungsquote für das Zieljahr 2030 fest
—> Enthält jedoch keine Bestimmungen, die den Zeitraum nach 2030 betreffen.
—>Bundesregierung soll nach §4 Abs. 6 KSG im Jahr 2025 die jährlich absinkenden Emissionsmengen für die Zeiträume nach 2030 durch eine Rechtsverordnung festlegen.
Beschwerdeführer machten geltend, die Bundesrepublik Deutschland habe versäumt, einen Rechtsrahmen zu schaffen, der eine alsbaldige Reduktion von Treibhausgasen ermöglicht, um die Erwärmung der Erde deutlich unter 2˚C zu halten
Argumentierten, mit der im Klimaschutzgesetz geregelten Reduktion von CO2-Emissionen könnte das der Temperaturschwelle von 1,5˚C entsprechende CO2-Restbudget nicht eingehalten werden
Stützten ihre Verfassungsbeschwerden vor allem auf grundrechtliche Schutzpflichten aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und aus Art. 14 Abs. 1 GG, auf ein Grundrecht auf menschenwürdige Zukunft sowie auf ein Grundrecht auf das ökologische Existenzminimum
Verfassungsbeschwerde gegen das KSG - Entscheidung des Bundesverfassungsgericht
Am 24.3.2021 verkündete das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung:
Das Bundesverfassungsgericht sah die Grundrechte der Beschwerdeführer mit Wohnsitz in Deutschland dadurch verletzt, dass im KSG hinreichende Maßgaben für die weitere Emissionsreduktion ab dem Jahr 2031 fehlen
KSG genügt nicht dem aus dem Gebot der Verhältnismäßig-keit folgenden Erfordernis, die nach Art. 20a GG verfassungsrechtlich notwendige Reduktion von CO2-Emissionen bis hin zu Klimaneutralität vorausschauend in grundrechtsschonender Weise über die Zeit zu verteilen.
Stattdessen würde die verfassungsrechtlich gebotene Treibhausgasminderungslast irreversibel auf Zeiträume nach 2030 verlagert.
Diese zukünftigen Verpflichtungen zur Emissionsminderung betreffen praktisch jede grundrechtliche Freiheit
—> Gesetzgeber hätte daher zur Wahrung der grundrechtlich gesicherten Freiheit vorsorglich Maßnahmen zur Abmilderung dieser erheblichen Belastungen treffen müssen
Gesetzgeber musste daher bis zum 31.3.2022 Regelungen erlassen, die die Fortschreibung der Minderungsziele für Treibhausgasemissionen für Zeiträume auch nach 2030 konkretisieren
So müssen Treibhausgasemissionen bis 2030 im Vergleich zum Referenzjahr 1990 um 65% – anstatt wie ursprünglich geplant um 55% – gesenkt werden
Bis 2040 soll die Treibhausgasminderung bei 88% liegen
Bis 2045 – statt wie zunächst anvisiert bis 2050 – soll Deutschland klimaneutral sein
Klimaklagen gegen Unternehmen - Das Shell-Urteil in den Niederlanden
Mit Urteil vom 26.5.2021 hat das Bezirksgericht Den Haag die Royal Dutch Shell verurteilt, die CO2-Emissionen des Shell Konzerns bis zum 31.12.2030 um 45% im Vergleich zum Stand von 2019 zu verringern:
—> Sammelklage von mehreren niederländischen NGOs, darunter Greenpeace Nederland, sowie rund 17.000 niederländischen Staatsbürgern
Kläger machten geltend, der Shell Konzern sei aufgrund der ungeschriebenen Sorgfaltspflicht aus dem niederländischen Bürgerlichen Gesetzbuch verpflichtet, durch die Unternehmenspolitik zur Verhinderung des gefährlichen Klimawandels beizutragen.
Beriefen sich ferner auf Art. 2 und Art. 8 EMRK (das Recht auf Leben und das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) sowie als Soft Law-Instrumente auf die UN Guiding Principles on Business and Human Rights (UNGP) sowie die OECD Leitsätze für multinationale Unternehmen
Gericht erachtete die Sammelklagen der NGOs insoweit zulässig, als sie sich auf die Interessen der gegenwärtigen und künftigen Generationen der Bewohner der Niederlande beziehen, nicht aber auf die Interessen der gegenwärtigen und künftigen Generationen der Weltbevölkerung
Shell obliege gegenüber den Bewohnern der Niederlande eine ungeschriebene Sorgfaltspflicht nach niederländischem Recht zur Reduzierung von CO2-Emissionen
Zur Ausfüllung der Sorgfaltspflicht zog das Gericht internationale Menschenrechtsabkommen (u.a. Art. 2 und Art. 8 EMRK) heran, sowie die UNGP und OECD Leitsätze für multinationale Unternehmen
Die Reduktionsverpflichtung von Shell umfasse die CO2-Emissionen der gesamten Wertschöpfungskette von Shell, zu denen nicht nur die Unternehmen in ihrem Geschäftsbereich einschließlich der Tochtergesellschaften gehören, sondern auch Geschäftspartner, von denen die Shell-Gruppe Rohstoffe, Strom und Wärme bezieht, sowie Endverbraucher
Wie das Unternehmen der Reduktionsverpflichtung nachkommt, stehe in seinem Ermessen
Klimaklagen gegen Unternehmen - Klimaklage eines peruanischen Landwirts gegen RWE
Mit dem Eintritt in die Beweisaufnahme hat das Gericht bestätigt, dass auf Grundlage des deutschen Zivilrechts ein privates Unternehmen grundsätzlich für seinen Anteil an der Verursachung klimabedingter Schäden und Risiken zur Verantwortung gezogen werden kann.
Ausgangssituation:
Lliuya ist Miteigentümer eines Hauses in der peruanischen Stadt Huaraz.
Das Grundstück liegt in einem Tal in den Anden unterhalb eines Gletschersees, der Lagune Palcacocha
Lliuya macht geltend, sein Grundstück sei durch die Gletscherschmelze akut bedroht, welche sich als direkte Folge des Klimawandels vollziehe
Vorwurf:
Lliuya ist der Auffassung, die RWE AG sei angesichts eines geschätzten Anteils von 0,47 % an den globalen Treibhausgasemissionen als Störer mitverantwortlich für den Klimawandel
Forderung:
Verlangt aus §1004 BGB analog Aufwendungsersatz zum Schutz seines Eigentums
Urteil in erster Instanz:
Das LG Essen hat die Klage in erster Instanz mit Urteil vom 15.12.2016 abgewiesen
Das Urteil stützt sich im Wesentlichen auf das Fehlen der für§1004 BGB erforderlichen Störereigenschaft der RWE AG und den nicht erbrachten Nachweis der Kausalität zwischen den Emissionen und der Gletscherschmelze.
Urteil nächer Instanz:
OLG Hamm schloss einen zivilrechtlichen Anspruch nicht von vornherein aus
Vielmehr die Klage in einem Beschluss als schlüssig eingestuft
Beweiserhebung über die Behauptung des Klägers angeordnet
Im Anschluss Beweiserhebung über den Mitverursachungsanteil der von den Kraftwerken der RWE AG freigesetzten CO2-Emissionen an dem Anstieg des Wasservolumens des Gletschersees als Folge des abschmelzenden Gletschers
=> Problem der Kausalität und der Rechtswidrigkeit
Klimaklagen in Deutschland - Problem der Kausalität
Haftungsrecht einschließlich des Anspruchs aus§1004 Abs. 1 BGB verlangt eine individuelle Zurechnung zwischen der konkreten Emission und dem Umweltschaden
Bei der Haftung für Treibhausgasemissionen stellen sich im Rahmen der Kausalität damit zwei Probleme, die das LG Essen auch im RWE-Fall adressiert hat:
Zum einen die Komplexität des Kausalverlaufs
zum anderen die Vielzahl der Mitverursacher bei Klimaschäden. Beim Klimawandel geht es um Umweltschäden, die durch das Zusammenwirken vieler Verursachungsbeiträge über einen langen Zeitraum entstehen.
—> liegt hierbei nocht vor => Summationsschaden
Summationsschäden:
Schwierig, einen spezifischen Zusammenhang zwischen einer konkreten Emission und einem bestimmten Umweltschaden zu ermitteln
Nur statistische Zunahme von extremen Wetterereignissen genügt den Anforderungen der Kausalität nicht.
Es fehle an einer linearen Verursachungskette zwischen einer spezifischen Emissionsquelle und einem bestimmten Schaden.
Eine äquivalente Kausalität sei bei Summationsschäden nicht gegeben.
Klimaklagen in Deutschland - Problem der Rechtswidrigkeit
Zusätzlich stellt die Rechtswidrigkeit der Treibhausgasemissionen eine Haftungshürde dar.
Die Haftung aus §1004 BGB setzt voraus, dass ein Emittent als Störer verantwortlich gemacht werden kann
Tatbestand des §1004 BGB ist nicht erfüllt, wenn die Beeinträchtigung ausschließlich auf Naturereignisse zurückzuführen ist
Betreiber einer CO2 emittierenden Anlage muss ein pflichtwidriges Unterlassen vorzuwerfen sein
—> Betreiben der Anlage allein reicht nicht aus
Zusammenwirken mit anderen, ebenfalls bestimmungsgemäß genutzten Anlagen, sowie zahlreiche weitere natürliche und anthropogene Faktoren führen zum Klimawandel
Haftung des Anlagenbetreibers kann derzeit kaum begründet werden
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