Es ist günstig, diese Aspekte der dyadischen Beziehung zum Patienten zu reflektieren, bevor Sie den Antrag entwerfen: implizit wird lesbar sein, ob dies bedacht wurde und wie diese Beziehungsaspekte konstelliert sind: der Antrag beschreibt nicht nur Abstraktes, sondern auch eine Beziehung.
Psychodynamik
Psychodynamik: die „Lehre vom Wirken innerseelischer Kräfte“
als
„Verstehensinstrument“, mit Hilfe dessen wir dem Gutachter erklären, was das Leid des Patienten ist, worauf es beruht und wie es gebessert werden kann.
Psychodynamische Sichtweise
Die psychodynamische Sichtweise beschäftigt sich mit den bewussten und zu großen Teilen unbewussten psychischen Strebungen und mit den Motivationen, die das beobachtbare Verhalten und das subjektive Erleben hervorbringen.
Dies fußt letztlich auf einer tiefenpsychologischen Sichtweise und damit auf dem Postulat, dass das gegenwärtige intrapsychische Leben, das darauf fußende sichtbare Verhalten, wie auch die Gestaltung wesentlicher Objektbeziehungen durch die Summe der bewussten und auch der dem Bewusstsein nicht zugänglichen Lebenserfahrung geprägt und durch diese kausal erklärbar sind.
psychodynamische Hypothesenbildung befriedigt….
Die psychodynamische Hypothesenbildung befriedigt also ein Kausalitätsbedürfnis mit dem Vorteil, zunächst unerklärlich erscheinendes Verhalten plausibel und im lebensgeschichtlichen Kontext erklärlich zu machen, woraufhin diagnostische Zuordnungen und therapeutische Optionen deutlicher werden. Andererseits handelt es sich dabei immer um eine Hypothesenbildung, die auf psychoanalytischen und tiefenpsychologischen Postulaten beruht und nur mit Einschränkungen falsifizierbar ist.
Neurosenkonzept
Der Neurosebegriff taucht im typologisch-kategorialen (deskriptiven) Diagnosesystem des ICD-10 nicht mehr explizit auf. Die Diagnose „neurotische Depression“ aus dem ICD-9 beispielsweise ist in der Diagnose „Dysthymia“ (F 34.1) aufgegangen.
Im Kontext ätiologischer Überlegungen ist das Neurosenkonzept nach wie vor gültig und unverzichtbar
Neurosenkonzept: Grundannahme
Ein biografisch bedingter (ungelöster) Konflikt wird durch Abwehrmechanismen (Verdrängung, Projektion…) kompensiert (nicht: gelöst!) und aus dem Bewusstsein ferngehalten.
Durch aktuelle Auslöser (= Belastungsfaktoren, Versuchungen…) im gegenwärtigen Leben wird diese Abwehr gelockert und schließlich porös: der alte Konflikt bricht wieder auf und überträgt sich auf Gegenwärtiges, entsprechende Emotionen und Affekte drängen an; der Patient handelt dysfunktional, wird symptomatisch (z.B. depressiv).
Konfliktpathologie
Psychotherapie: Prämissen
„Psychotherapie wird als komplexer biopsychosozialer Veränderungsprozess verstanden, der sich innerhalb interpersoneller Beziehungen vollzieht. Die erreichten Veränderungen lassen sich neurobiologisch als veränderte neuronale Erregungsmuster, psychisch als veränderte Selbststrukturen und interpersonell als veränderte Beziehungsformen beschreiben.“ (Leichsenring et al., 2007, S. 317)
Ziel der psychodynamischen Psychotherapieverfahren ist es, die „…unbewusste Thematik des Patienten zu erfassen… und ihm zu ermöglichen, dass er neue Lösungswege für seinen unbewussten Grundkonflikt oder seine strukturelle Störung findet.“(Klöpper, 2006, S.10)
Dabei geht es sowohl um die Bearbeitung der inhaltlichen Mitteilungen des Patienten, als auch um die Bearbeitung der Art und Weise, wie der Patient die Beziehung zum Therapeuten gestaltet. Bewusstseinsnahe Probleme werden in ihrer unbewussten Dimension behandelt.
Zentrales Ziel
Zentrales Ziel: Symptomreduktion und Zugewinn an innerer Freiheit und Selbstverfügbarkeit durch Bearbeitung unbewusster Konflikte oder struktureller Beeinträchtigungen.
Konfliktbedingte Störungen werden fokal aufdeckend behandelt (s.u.), strukturbezogene Störungen erfordern Interventionstechniken, die eine Nachreifung regulativer Funktionen anregen.
Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie
ist ein psychoanalytisch orientiertes Verfahren, mit Modifikationen insbesondere bezüglich der Behandlungsmethodik
Eine Symptomverringerung und- auflösung erfolgt durch die fokussierte Bearbeitung bestimmter aktueller Konflikte im Zusammenhang mit reaktualisierten unbewussten Grundkonflikten, die die interpersonellen Beziehungen sowie die Beziehung zu sich selbst stören
Fokus: Neuinszenierung der (Beziehungs-) Konflikte sowie ihre Auflösung innerhalb der therapeutischen Beziehung durch aufdeckende Interventionstechniken (Klärung, Konfrontation und Deutung); Ermöglichen korrigierender Beziehungserfahrungen
Bearbeitung von Neuinszenierungen/Übertragungsphänomenen
Fokussierung maladaptiver, repetitiver Beziehungsmuster und pathogener Überzeugungen mit dem Ziel der Veränderung des konflikthaften Beziehungsverhaltens innerhalb und außerhalb der therapeutischen Beziehung durch Integration bisher verdrängter Affekte
Verstehen der aktuellen psychosozialen Konflikte als Reaktualisierung unbew. (bzw. vorbewusster) Beziehungserfahrungen
Aufdecken abgewehrter Ängste, Erwartungen, Wünsche etc., Klärung ihres Zusammenhangs mit der gegenwärtigen Lebens- und Beziehungsgestaltung
Korrigierende Beziehungserfahrungen: der Therapeut entzieht sich der ihm zugewiesenen Rolle; ebenso wird das Erleben von Aktualbeziehungen unterscheidbar gemacht von primären Beziehungserfahrungen
Tiefenpsychologisch fund. Pt im Gegensatz zur Psychoanalyse
Andere (aktivere) Ausgestaltung der Beziehung durch den Therapeuten
Übertragung und Widerstand werden wahrgenommen und beachtet, aber nicht als zentraler Gegenstand deutender Bearbeitung
Begrenzung der Regression
Fokussierung auf Aktualprobleme
Begrenzte Zielsetzung (Kassenantrag!)
Strukturelle Störungen. Konflikt- vs. Strukturpathologie. Was erwartet ein Gutachter ?
Für ein nachvollziehbares Verständnis der Symptomatik,
für einen stringenten Aufbau des Antragsberichtes und
für die Formulierung angemessener Behandlungsziele
brauchen Sie klare Vorstellungen von
Konfliktpathologie und Neurosenlehre
strukturellen Störungen und deren Behandlung (Modifikationen der tiefenpsychol. fundierten Pt)
traumaassoziierten Störungsbildern
Strukturelle Störungen
Strukturelle Störungen (syn. Persönlichkeitsstörungen) sind Störungen verschiedener struktureller Dimensionen der Persönlichkeit.
Zusammenfassend: Störungen der Selbstregulation und der Regulierung von interpersonellen Beziehungen
Die Person zeigt von der Norm abweichendes Verhalten in bestimmten (interpersonellen) Situationen (Kontexttheorie)
Entstehung struktureller Störungen
Strukturelle Störungen entstehen in einem komplexen Prozess (auf der Grundlage genetischer und epigenetischer Bedingungen) aus frühen Beziehungsstörungen, zusätzlichen Erschwernissen struktureller Entwicklung, psychischen und sozialen Sekundäreffekten, die sich in Jugend und Erwachsenenalter fortsetzen und die strukturelle „Nachreifung“ weiter erschweren
Klinisches Erscheinungsbild: neurotischer Konflikt vs. strukturelle Störung
Auf wesentliche strukturelle Störungsanteile können hinweisen:
Orientierungslosigkeit
„Versanden“ von Therapien
Fehlen von Motiven (vs. Widersprüchlichkeit von Motiven bei neurotischen Störungen)
„Leiden am Äußeren“ (im Erleben der Pat.) vs. intrapsych. Konflikt
Schlechte Verankerung im sozialen Alltagsfeld
„unreife“ Abwehrmechanismen
Ungewöhnlich starke oder widersprüchliche Gegenübertragung
Orientierungslosigkeit/Fehlen von Motiven
entspringt nicht aus neurotischer Ambivalenz, d.h. aus der Widersprüchlichkeit von Motiven, sondern aus dem Fehlen von Motiven:
es fehlen Wünsche, Impulse, Absichten die in eine
Richtung weisen können: es entsteht der Eindruck einer Unbestimmtheit im Dasein des Patienten
Neurotisch: „Ich möchte, aber ich darf nicht“
Strukturell gestört: „Ich weiß nicht, wer ich bin und was ich will“
Deutungen der Orientierungslosigkeit i. S. eines unbewussten neurotischen Konfliktes würden den strukturell gestörten Patienten verwirren und ratlos machen
Das kann Therapien zum „Versanden“ bringen: der Kontakt ist gestört, der Patient zieht sich zurück, was womöglich zu Widerstandsdeutungen führt. Der therapeutische Prozess kommt zum Erliegen: ein circulus vitiosus.
Das „Leiden am Äußeren“
Pat. mit strukturellen Störungen brauchen häufig andere für ihre Selbstregulation, die sie nicht bewältigen (s. entwicklungspsychol. Aspekte)
Wesentliche andere „müssen“ sich daher so verhalten, dass ihr Verhalten die Selbstregulation unterstützt: sie „müssen“ z.B. zur Regulation des Selbstwerterlebens beitragen, zur Unlustvermeidung, zur Sicherung von Grenzen etc.
Erfüllen andere dies nicht, werden sie (in Aktualisierung früherer wesentl. Beziehungen) als enttäuschend, versagend, sadistisch etc. erlebt: strukturell gestörte Pat. erleben die Objektwelt als schwer erträglich.
„unreife“ Abwehr: Spaltung
„Spaltung“ = Unterteilung in „nur gut“ und „nur böse“ hat zum Ziel, Situationen überschaubar zu machen. Das wirkt angstmindernd
Spaltung bezieht sich nicht nur auf Andere (Objekte), sondern auch auf Aspekte des Selbst
(Kleinianische Sicht: Spaltung als Abwehr der Destruktivität; Minderung der Angst vor der eigenen Aggression)
Selbstpsychologie (Kohut): Spaltung als Ausdruck der mangelnden Integration von denjenigen Aspekten der Selbst-Erfahrung in das Selbstkonzept, die nicht auf ausreichende Responsivität des Selbstobjektes trafen einfacher: was nicht gespiegelt wird, wird nicht integriert
„unreife“ Abwehr: Spaltungsderivate
Objektbeziehungstheorie (Kernberg):
Vermeidung unerträglicher intrapsychischer Konflikte durch eine scharfe und unrealistische Trennung zwischen liebenden und hassenden Anteilen des Selbst und anderer Personen. Beide gegensätzliche Affekte können bewusst erlebt werden, werden aber emotional vollständig voneinander getrennt gehalten.
Aber: Fokussierung des Intrapsychischen i.S. des Neurosenkonzeptes; der soziale, interaktionelle Aspekt droht in den Hintergrund zu geraten
Spaltungsnahe Abwehrformen (Auswahl)
Idealisierung/Entwertung
Projektive Identifikation
Verleugnung
Omnipotenzerleben/Entwertung
Zuletzt geändertvor 3 Monaten