Bedeutung und Systematik des Arbeitsrechts
regelt die Beziehung zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern sowie zwischen Arbeitnehmerkollektiven (Gewerkschaften, Betriebsräte) und ihren Verhandlungspartnern auf Arbeitgeberseite
Besonderheit: es gibt kein „Arbeitsgesetzbuch” - die Reglungen für Arbeitsrecht stehen in unterschiedlichen Gesetzten -> erschwert die Orientierung
Arbeitsrecht ist im Wesentlichen Arbeitnehmerschutzrecht- roter Faden des Arbeitsrechtes!
Wieso sind Arbeitnehmer schutzbedürftig?
Arbeitnehmer ist stärker auf Einkommen angewiesen als der AG darauf, gerade diesen Arbeitnehmer zu beschäftigen, so dass es der Arbeitgeber in der Hand hat, die Arbeitsvertragsbedingungen zu seinen Gunsten zu optimieren
Arbeitnehmers müssen sich im Betrieb den Vorgaben des Arbeitgeber unterordnen
Folge: die ansonsten geltende Vertragsfreiheit ist im Arbeitsrecht zu Gunsten der Arbeitnehmer besonders geregelt
viele schützende Gesetze für den Arbeitnehmer
Welche Unterteilungen des Arbeitsrechts gibt es?
Individualarbeitsrecht
Kollektivarbeitsrecht
Spezielles Arbeitsgerichtsverfahren
Was ist das Individualarbeitsrecht? Nenne Beispiele
Regelungen, die die direkte Rechtsbeziehungen zwischen Arbeitgeber und dem einzelnen Arbeitnehmer beschreiben
Beispiele:
Kündigungsschutz (1 Abs. 2 KschG)
Urlaub (§3 Abs. 1 BUrlG, §7 Abs. 4 BUrlG)
Arbeitszeit (§3 ArbZG)
Mutterschutz ( §3 Abs. 1 und Abs. 2 MuSchG)
Mindestlohn, §1 Abs. 2 MiloG
Teilzeit ( §8 Abs.1 , 4, 7 TzbfG)
Antidiskriminierung ( §§7 Abs. 1 , 1, 2 AGG)
und viele mehr…
Regelungen, die die Beziehungen zwischen den Vertretungsorganen der Arbeitnehmer- (Gewerkschaften, Betriebsräte) und der Arbeitgeberseite betreffen
Gewerkschaft - Was ist das und wofür ist sie da?
Gewerkschaft ist eine Vereinigung der Interessenvertretung von abhängig beschäftigten Arbeitnehmer zur Vertretung ihrer wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Interessen
höhere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen, mehr Mitbestimmung, Arbeitszeitverkürzungen und teilweise auch für weitergehende Gesellschaftsveränderung
Streik, Boykott
Gewerkschaften verhandeln mit Arbeitgeberverbänden/ Arbeitgebern und schließen überbetriebliche Tarifverträge
Tarifvertrag regelt die Rechte und Pflichten der Tarifvertragsparteien und enthält Rechtsnormen, die den Inhalt, den Abschluss und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen sowie betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen ordnen können
Gehaltstarifverträge, Manteltarifverträge…
Welche Arten von Tarifbindung gibt es?
Kraft beiderseitiger Tarifbindung:
Arbeitgeber ist Mitglied in einem Arbeitgeberverband, der mit einer Gewerkschaft einen Tarifvertrag geschlossen hat und der Arbeitnehmer ist Mitglied dieser Gewerkschaft
Kraft einzelvertraglicher Bezugnahme:
Klausel im Arbeitsvertrag, dass ein bestimmter Tarifvertrag auf das Arbeitsverhältnis Anwendung finden soll
Kraft Erklärung für allgemeinverbindlich:
Tarifvertrag wird vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung für allgemeinverbindlich erklärt
Kollektivarbeitsrecht - Betriebsrat
Betriebsrat ist die von den Arbeitnehmern eines Betriebs gewählte Interessenvertretung, Wahl alle 4 Jahre
Betriebsrat hat Mitwirkungsrechte und Mitbestimmungsrechte an Entscheidungen des Arbeitgebers
Betriebsrat - Unterschied sanfte und starke Mitbestimmung
„sanfte“ Mitwirkungdes Betriebsrates:
Arbeitgeber hat vor jeder Kündigung den Betriebsrat anzuhören und ihm die Gründe für die Kündigung mitzuteilen, §102 BetrVG.
Ist Betriebsrat dagegen -> Letzte Entscheidung durch Arbeitgeber
„starke“ Mitbestimmung:
wenn der Arbeitgeber allgemeine Richtlinien über die personelle Auswahl bei Einstellungen, Versetzungen, Umgruppierungen oder Kündigungen verwenden möchte
Sind mit dem Betriebsrat abzustimmen, d.h. der Betriebsrat hat über deren Inhalt mit zu entscheiden
Werden sie sich nicht einig, entscheidet die Einigungsstelle vor Gericht, §95 Abs. 1 BetrVG.
Haupt-und Nebenpflichten der Arbeitnehmer
100% des Leistungsvermögens
(weisungsgebunden, fremdbestimmt, persönlich abhängig)
höchstpersönlich
Treuepflicht
Auskunftspflicht
Verschwiegenheitspflich
Wettbewerbsverbot
Bestechungsverbot
ggf. Nebentätigkeiten anmelden
Haupt-und Nebenpflichten des Arbeitgeber
Vergütung
Sonderzahlungen
Beschäftigungspflicht
Gleichbehandlungsgrundsatz
Schutz des Persönlichkeitsrechts
Fürsorgepflicht
Allgemeines zum Arbeitsvertrag
Es gelten allgemeine Regeln des BGB
(§§104 ff., 145 ff., 164 ff., 275 ff., 320 ff. BGB…etc.)
Es gilt der Grundsatz der Vertragsfreiheit, vgl. §105 GewO
Ein Arbeitsvertrag muss nicht unbedingt schriftlich abgeschlossen werden -> formlose Einigung
Schriftlichkeit zu Beweiszwecken: Erhebung einer Lohnklage ohne entsprechenden Vertrag?
verschärfte Rechtskontrolle vertraglicher Klauseln, da Arbeitgeber regelmäßig „stärker“ als Arbeitnehmer
Regelungen müssen u.a. verständlich sein, sonst ggf. unwirksam (§307 BGB –unangemessene Benachteiligung)
Allgemeines zum Kündigung (kennen wir alles schon)
Arbeitsverhältnis kann von beiden Seiten gekündigt werden
Arbeitnehmer kann ohne besonderen Kündigungsgrund kündigen
Arbeitgeber benötigt nach §1 Abs. 2 KSchG einen Grund(Arbeitnehmerschutz!)
(das ist richtig so, nicht wundern - genau umgekehrt zum Bauvertrag)
Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben Kündigungsfristen zu beachten (Ausnahme fristlose Kündigung)
Kündigung bedarf der Schriftform, §623 i.V.m§126 BGB , E-Mails, Fax, „Whatsapp“ nicht ausreichend
Welche Kündigungsart ist die häufigste?
Betriebsbedingte Kündigung: 73,2 %
Verhaltensbedingte Kündigung: 24,4 %
Personenbedeingte Kündigung: 2,4 %
Betriebsbedingte Kündigung §1 Abs. 2 KschG
Bedarf an Arbeitsleistungen wird geringer
(Zum Beispiel die Schließung einer Abteilung oder Filiale oder die Veränderung von Arbeitsabläufen, die bestimmte Arbeitsplätze wegfallen lässt)
keine Möglichkeit der Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf einem anderen Arbeitsplatz
Bei der Auswahl des gekündigten Arbeitnehmers sind soziale Gesichtspunkte ausreichend berücksichtigt worden, d.h. der Arbeitgeber hat keinen Fehler bei der Sozialauswahl gemacht
Verhaltensbedingte Kündigung §1 Abs. 2 KschG
gekündigter Arbeitnehmer hat in erheblicher Weise gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen (Pflichtverstoß)
Pflichtverstoß muss schuldhaft sein, d.h. vorsätzlich oder zumindest fahrlässig begangen worden sein
Kündigung ist verhältnismäßig, d.h. es gibt als Reaktion des Arbeitgebers kein milderes Mittel als die Kündigung
(Ein milderes Mittel wäre insbesondere eine Abmahnung, manchmal auch eine Versetzung des Arbeitnehmers auf einen anderen Arbeitsplatz)
Bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen, d.h. des Interesses des Arbeitgebers an einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses und des Interesses des Arbeitnehmers an einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses, überwiegt das Interesse des Arbeitgebers an einer Beendigung. Dieser Schritt der rechtlichen Prüfung wird "Interessenabwägung" genannt. Sie muss zugunsten des Arbeitgebers ausgehen, damit die Kündigung rechtens ist.
personenbedingte Kündigung §1 Abs. 2 KschG
Negative Prognose: Der Arbeitnehmer ist aufgrund seiner persönlichen Eigenschaften und/oder Lebensumstände nicht in der Lage, künftig seine arbeitsvertraglichen Pflichten zu Erfüllen, d.h. eine weitere vertragsgemäße Beschäftigung ist deshalb unmöglich
Dies beeinträchtigt die betrieblichen und/oder wirtschaftlichen Interessen des Arbeitgebers erheblich
Es gibt keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit auf einem anderen freien Arbeitsplatz in dem Betrieb oder dem Unternehmen
Bei umfassender Abwägung der beiderseitigen Interessen überwiegt das Interesse des Arbeitgebers an einer Vertragsbeendigung
Textvorschlag für eine ordentliche Kündigung
„Hiermit kündigen wir das mit Ihnen bestehende Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der Kündigungsfrist. Nach unserer Berechnung endet das Arbeitsverhältnis damit mit Ablauf des 30.06.2019. Hilfsweise kündigen wir zum nächstmöglichen Zeitpunkt.“
Muss ein Kündigungsgrund genannt werden?
Angabe Kündigungsgrund ist in der Kündigungserklärung nicht erforderlich
…muss erst im Kündigungsschutzverfahren geliefert werden
Ausnahme: Auszubildender
Fallbeispiel - nur durchlesen und Ablauf verstehen
A ist seit 5 Jahren im Unternehmen des U beschäftigt und verdient 5.000€ brutto im Monat. Er hat sehr viel zutun und kommt mit seiner Arbeit kaum hinterher. Die U-GmbH sucht wegen der vielen Aufträge händeringend weitere Mitarbeiter. A ist in den 5 Jahren nicht durch Schlechtleistung aufgefallen. Seine Krankheitstage halten sich ebenfalls völlig im Rahmen. Umso überraschter ist A als, er am 22.10.2021 eine Kündigung in seinem Briefkasten findet. In dieser heißt es „Hiermit kündigen wir das mit Ihnen bestehende Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der Kündigungsfrist. Nach unserer Berechnung endet das Arbeitsverhältnis damit mit Ablauf des 31.12.2021. Hilfsweise kündigen wir zum nächstmöglichen Zeitpunkt.“
-> A geht zum Anwalt und erklärt, er möchte seinen Job wiederhaben. Was wird der Anwalt für ihn tun?
Der Anwalt kann innerhalb einer Frist von 3 Wochendie Kündigungsschutzklage erheben, §4 KschG
Achtung: wird diese 3-Wochen Frist verpasst, gibt es keine Chance mehr sich gegen die Kündigung zu wehren, §7 KschG
Kurz: Anwalt prüft grob ob Arbeitgeber möglicherweise ohne Kündigungsgrund gekündigt hat
-> Absprache mit Mandanten, welche Kündigungsgründe kann der Arbeitgeber gehabt haben?
Folge: Anwalt erhebt im Namen des A Kündigungsschutzklage
Wo? Arbeitsgericht
-> Klage mit dem Klageantrag: Das Gericht soll feststellen, dass, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 22.10.2021 nicht aufgelöst worden ist (sondern weiter fortbesteht)
Gericht stellt diese Klage an die U-GmbH zu
Ca. 2-4 Wochen später Gütetermin: formloses Gespräch, ob das Verfahren im Wege des Vergleichs beendet werden kann, 61 a Abs. 2 ArbGG
Darauffolgende Monate: Die Parteien tauschen schriftlich rechtliche Argumente zur Wirksamkeit der Kündigung aus
…Monate später: Kammertermin
Das Gericht hat sich im Kammertermin inzwischen eine rechtlich fundierte Meinung gebildet.
Hiernach: Urteil
Urteil zugunsten des A: „Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 22.10.2021 nicht aufgelöst worden ist.”
Folge des Siegs für A ?
1. Gehälter die im laufenden Prozess angefallen sind (bis 12.07.22) werden nachgezahlt
2. A muss zurück zu seinem „alten“ Arbeitgeber, Arbeitgeber muss seinen gekündigten Arbeitnehmer Monate später nach Abschluss des Prozesses zurück nehmen
ABER: in der Realität will der Arbeitnehmer auch nicht zurück, möchte aber eine Abfindung bekommen, Arbeitgeber kauft sich von dem Risiko frei, dass der Arbeitnehmer wiederkommt, Gericht freut sich auch, weil es dann eine Einigung ist und viel weniger aufwändig ist, als ein Gerichtsverfahren
Berechnung einer Abfindung
Klassische Rechentechnik: Faktor 0,5 -1
Faktor 0,5: 0,5 Bruttomonatsgehälter pro Beschäftigungsjahr = „Regelabfindung“
Am Beispiel von eben: A ist 5 Jahre beschäftigt und verdient 5000 brutto
5 x 2.500 € x 0,5 = 12.500 (Faktor 0,5)
Hat der Arbeitgeber eher schlechte Prozessaussichten, erhöht sich der Faktor bis 1 (und mehr)
5 x 5000 € x 1,0 = 25.000,00 € (Faktor 1 )
Faktorregeln sind nicht bindend, theoretisch kann alles verhandelt werde
Aufhebungsvertrag
vertragliche Abmachung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, mit der das Arbeitsverhältnis zu einem bestimmten Zeitpunkt einvernehmlich beendet wird. Gegenstück Arbeitsvertrag
Aufhebungsvertrag: zweiseitige Regelung (beide müssen zustimmen)
Abgrenzung zu Abwicklungsvertrag: bei Abwicklungsvertrag war Kündigung schon ausgesprochen. Geregelt werden nur noch Austrittsmodalitäten
Bei Aufhebungsvertrag wird Beendigung erst geregelt
zwingend Schriftform des Aufhebungsvertrages (§623 BGB, §126 BGB): auf Papier, beide Parteien müssen unterschreiben
Risiko Kündigungsschutzverfahren will der Arbeitgeber umgehen
Gründe für einen Aufhebungsvertrag (beide Seiten)
Will aus wirtschaftlichen Gründen kündigen, aber weiß nicht ob der betriebsbedingte Grund vor Gericht halten wird (Umgehung des KschG hier möglich)
Ist mit dem Verhalten des Arbeitnehmers nicht zufrieden, ist sich aber nicht sicher ob ein verhaltensbedingter Grund überhaupt vorliegt. (Umgehung des KschG hier möglich)
Mag Arbeitnehmer nicht und ist sich sicher, dass er keinen Kündigungsgrund nach KschG hat.
Hat eine neue Stelle gefunden und möchte die Kündigungsfrist abkürzen (Kündigungsfristen können abgekürzt oder verlängert werden)
Im Gegensatz zu Eigenkündigung kann Arbeitnehmer Einfluss auf Austrittsmodalitäten nehmen, z.B. Zeugnis.
Zuletzt geändertvor 15 Tagen