Sorgerecht
Besteht aus mehreren Teilbereichen
Aufenthaltsbestimmungsrecht (am wichtigsten): Wer bestimmt, wo das Kind lebt?
Gesundheitsfürsorge: Wer bestimmt über medizinische Versorgung des Kindes?
Schulische Angelegenheiten: Wer bestimmt auf welche Schule das Kind geht?
Religion: Wer bestimmt über die Erziehung des Kindes im religiösen Bereich?
Anträge auf Hilfen zur Erziehung: Wer muss zustimmen, wenn z.B. eine Familienhilfe installiert werden soll?
Beachten: Gerichtliche Fragestellungen enthalten manchmal den Begriff Sorgerecht. Gemäß Bundesverfassungsgericht dürfen sich Sachverständige nicht zum Sorgerecht äußern
Häufige Problemstellungen
Elterlicher Streit um alleinige Sorgerecht nach Trennung (§ 1671 BGB)
Im Raum stehender Sorgerechtsentzug aufgrund evtl. Kindeswohlgefährdung (§ 1666)
Die oberen die wichtigsten
Im Raum stehender Ausschluss der Umgangskontakte des Kindes mit dem getrennt lebenden Elternteil (§1684)
Getrennt lebender Elternteil beansprucht gemeinsames Sorgerecht (§1626)
Begriff Kindeswohl
Familienrecht ist Bestandteil des BGBs
Kindeswohl ist zentraler Anknüpfungspunkt für gerichtliche Entscheidungen im Familienrecht
Definition aus psychologischer Sicht:
Unter familienrechtspsychologischen Aspekten wird als Kindeswohl die für die Persönlichkeitsentwicklung eines Kindes oder Jugendlichen günstige Relation zwischen seiner Bedürfnislage und seinen Lebensbedingungen verstanden
Positive vs. Negative Kindeswohlprüfung
Positive Kindeswohlprüfung: Frage ob bestimmte Lebensbedingungen dem Kindeswohl dienen
Negative: Frage ob bestimmte Lebensbedingungen dem Kindeswohl schaden
Z.b. Defizite in Förderung -> Minimum nicht gegeben -> Sorgerechtsentzug
Unterschiedliche Schwellen: Welche Option ist die bessere vs. Wo ist das Minimum gegeben
Abhängig davon, welche Form von Kindeswohlprüfung erfolgt, gelten bei der Empfehlung eine unterschiedliche Schwellen:
Z.b. alleiniges Sorgerecht: Bei welchem Elternteil wären Entwicklungsbedingungen für Kind günstiger?
Z.b. Kindeswohlgefährdung: Wird beim Verbleib des Kindes im Elternhaus ein erforderliches Minimum an Entwicklungsbedingungen unterschritten?
Kindeswohlgefährdung
§1666: BGB: Wird körperliche, geistige, seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet und sind Eltern nicht gewillt/ in der Lage die Gefahr abzuwenden, so hat Familiengericht die Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung der Gefahr erforderlich sind
Feststellen bestimmter Defizite (z.b. Erkrankungen) der Eltern reicht zur Begründung der Kindeswohlgefährdung nicht aus, unabhängig davon, wie schwerwiegend diese Defizite sind
Sachverständige muss konkrete Vorhersage treffen, welche negativen Folgen für weitere Entwicklung dieses Kindes zu erwarten und wie schwerwiegend diese Folgen sein werden
Beispiele für häufig interessierende Merkmale
Entwicklung des Kindes
Kindeswille
Beziehungen, Bindungen des Kindes zu den Eltern
Erziehungsfähigkeit der Eltern
Fähigkeit/Bereitschaft der Eltern zur Kooperation miteinander/mit Fachkräften
Kontinuität/Stabilität
Welcher Elternteil kann stabilere Lebensbedingungen
-> (Wäre Kapitel 2 im Gutachten)
Psychische und körperliche Gesundheit
Emotionale Entwicklung (Beziehung Gleichaltrige, Umgang mit Autoritäten, außerhalb der Familie)
Leistungsvermögen (motorische, sprachliche, kognitive Entwicklung)
Bisherige Entwicklung kann ggf. Hinweise auf bisherige ungünstige Lebensbedingungen (z.B. mangelhafte Gesundheitsfürsorge, emotionale Vernachlässigung) liefern
Aus bisheriger Entwicklung des Kindes ergeben sich Anforderungen, die sich an künfitge Erziehungspersonen stellen (z.b. Bereitschaft, dass Kind Kita besucht)
Untersuchungen zur Entwicklung des Kindes
Informationen aus Akte
Gespräche mit Eltern
Testpsychologische Untersuchung des Kindes, z.B. mit dem Entwicklungstest für Kinder zwischen 6 Monaten und 6 Jahren (ET 6- 6R)
Informatorisches Gespräch mit Kindergarten oder Schule
Informatorisches Gespräch mit Kinderarzt
ET 6-6 R
Entwicklungstest von 6 Monaten bis 6 Jahren- Revision
Testet Entwicklung des Kindes in Beriechen
Körpermotorik
Handmotorik
Kognitive Entwicklung
Sprachentwicklung
Sozio-emotionale (Fragebogen Bezugsperson)
Verschiedene Aufgaben und Normen für verschiedene Altergruppen für Zeitraum von 1,5 bis 12 Monate
Dichotome Aufgaben
Dazu gehören Spielmaterialen: Bälle, Puzzle, Schnur etc.
-> Objektivität kommt auf Eltern, Tester etc an
-> Reliabilität unterscheidet sich
-> Kriteriumsvalidität gegeben
-> Psychometrische Schwierigkeiten
Ist ab Alter von 3 zu prüfen
Beachtlichkeit des Willens wird durch 4 Aspekte bestimmt:
Zielorientierung (z.b. Elternteil beim wem es leben möchte benennen)
Kann das Kind ein Ziel klar bennenen
Stabilität
Min. 2 mal sprechen im Abstand von min. 2 Wochen
Konstanz des Willens bleibt
Intensität
Nachdruck, mit dem Kind den Willen äußert
Autonomie
Grund zur Annahme dass der Willen beeinflusst wird?
-> Wenn Kriterien erfüllt sind, ist belastbarer Kindeswillen erfüllt
-> Je älter das Kind, umso stärkere Bedeutung wird Kindeswillen beigemessen
Untersuchungen zum Kindeswillen
Informationen aus den Akten
Gespräche mit Kind
Kind muss min. 2 mal von neutralen Personen bezüglich seines Willens befragt worden sein, um Schlüsse über die Stabilität ziehen zu können
Beziehung, Bindung
Beziehung
Welche Emotionen dominieren im Kontakt zwischen Kind und Mutter/Vater?
Inwieweit grenzt sich Kind ab (z.b. Babies meiden Blickkontakt beim Wickeln)
Inwieweit sucht Kind Kotnakt zu Mutter/Vater
Inwieweit lässt sich Kind leiten
Blickkontakt, verbaler Kontakt, Körperkontakt
Bindung
Balance zwischen explorativem Verhalten des Kindes in entspannten Situationen und Suchen von Geborgenheit in belastenden Situationen
Sichere, unsichere-vermeidende, unsicher-ambivalente, desorganisierte Bindung und Bindungsstörungen
Schwierig FST objektiv anzuwenden wenn Kind z.b. bei Mutter lebt und Vater selten sieht -> Wie vergleichen?
Untersuchungen zu Beziehung
Informatorische Gespräche mit Kindergarten
Interaktionsbeobachtungen wie z.b. freie Informationsbeobachtung, Heidelberger-Marschak-
Interaktionsmethode (MIM), Mannheimer Beurteilungsskalen zur Mutter-Kind-Interaktion im Säuglingsalter (MBS-MKI-S)
Testpsychologische Untersuchungen, wie z.B. Strukturiertes
Eltern-Kind-Interview (SKEI)
Untersuchungen zu Bindung
o Fremde-Situationstest (FST)
o Bindungsinterview für die späte Kindheit (BISK)
Skei (1)
Strukturiertes Kind-Eltern-Interview
Erfassung Eltern-Kind Beziehung
2 Skalen: Positiv getönte emotionale Tiefe der Beziehung (PET) & negative Beziehungsaspekte (NET)
Beispielitem für PET: Wenn du mitten in der Nacht aufwachst, wen möchtest
du am liebsten bei dir haben?
Beispielitem für NBA: Wer wird leicht böse, wenn du nicht folgst?
Antwortmöglichkeiten pro Item: Mutter, Vater, andere
Pro Skala werden „Einfachscores“ durch Aufsummieren gebildet, also Einfachscore der Mutter in PET Skala, Einfachscore der Mutter in NBA-Skala, Einfachscore des Vaters in PET-Skala und Einfachscore des Vaters in NBA-Skala
Getrennte Normen für Mütter und Väter
Skei (2)
Durch Aufsummieren der Einfachscores von PET und NBA-Skala wird die Intensität der Beziehung abgebildet. Beachte: Bei diesem Score wird nicht differenziert, ob der Wert durch PET- oder NBA-Skala entsteht
Weitere Möglichkeit der Auswertung: Bewertung des Items ist abhängig davon, welche Personen benannt wurden. Beispiele:
Nur Mutter bei Item genannt: 2 Punkte
Mutter und eine andere Person (nicht Vater) genannt: 1 Punkt
Mutter und Vater genannt: 0 Punkte
Vater und eine andere Person (nicht Mutter) genannt: -1 Punkt
Nur Vater genannt: -2 Punkte
Werte werden (pro Skala und insgesamt) aufsummiert. Dies ergibt den jeweiligen „Differenzierungsscore“
Marschak-Interaktionsmethode (MIM)
Halbstrukturiertes Verfahren zur Diagnostik dyadischer Beziehungen
Durch bestimmte Aufgaben sollen gezielt bestimmte Stimmungen/ Probleme/ Herausforderungen erzeugt werden
Unterschiedliche Aufgaben für unterschiedliche Altersgruppen
Einschränkungen bzgl. Objektivität und Reliabilität
Vor diesem Hintergrund wurde für die Methode das Auswertungsverfahren des Dyadischen emotionalen Interaktionsstils (D-EIS) entwickelt (Salo & Mäkelä,2006)
Kerndimensionen des D-EIS
Elterliche Führung
Engagement
Elterliche Fürsorge
Spielfreude
Repräsentation des Kindes
Durchführung des D-EIS
Beispielaufgaben
Jede bekommt Set mit 8 Bauklötzen. Bauen Sie ein Haus aus Bauklötzen und lassen Sie es vom Kind nachbauen
Erzählen Sie Ihrem Kind von der Zeit, als es noch ein Baby war
Bringen Sie Ihrem Kind etwas bei was es noch nicht kann
Füttern Sie sich gegenseitig
Es werden i.d.R. pro Dyade 9 Aufgaben gestellt. Verhältnismäßigkeitsprinzip beachten!
Wirkung von Emotionalität auf Kind? Berichte der Eltern vorhanden?, Nähe?
Dauer: ca. 45 Minuten
Aufzeichnung auf Video und anschließend Auswertung
Normierung liegt vor, allerdings mit sehr kleinen Stichproben (n < 30)
Manual enthält keine Angaben zu Gütekriterien
Auswertung des D-EIS
Scoring von 5 (gut) bis 1 (nicht vorhanden)
Bei Scores < 4 erfolgt nähere Klassifikation der Problematik, z.B. (a) Autorität und (b) Passivität bei Elterlicher Führung
Manual enthält Verhaltensbeschreibungen der einzelnen Scores, oft mit konkreter Bezugnahme auf einzelne Aufgaben
Beobachtet wird bei Elterlicher Führung beispielsweise:
Wie konsistent und effektiv sind die Strukturierungsbemühungen?
Wie gut akzeptiert das Kind die Strukturierung?
Passen die von der Bezugsperson gewählten Aktivitäten zum Entwicklungsstand?
Als problematische Anzeichen bei Elterlicher Führung werden beispielsweise aufgeführt:
Bezugsperson übernimmt die Rolle eines Peers oder die Rolle des Kindes.
Bezugsperson ist nicht in der Lage, Grenzen zu setzen.
Kind ist trotzig und besteht darauf, die Dinge auf seine eigene Weise zu tun.
Bezugsperson honoriert die Bemühungen des Kindes nicht.
MBS-MKIS
Mannheimer Beurteilungsskalen zur Mutter Kind Interaktion im Säuglingsalter (Esser, Scheven, Petrova, Laucht & Schmidt, 1989)
10-minütige Videoaufzeichnung in einer Pflege-Situation (Wickeln) und einer Spielsituation. Ausgewertet werden
Elternebene, z.B. Zärtlichkeit, Verbale Restriktion, Variabilität, Reaktivität, Sprechinhalt
Kindebene, z.B. Emotion, Blickrichtung, Reaktivität, Potentielle Interaktionsbereitschaft
Keine Normierung
FST (1) (Fremde-Situationstests von Ainsworth et al.)
Mutter und Kind allein im Raum
Fremde erschient, beginnt Kommunikation mit Mutter und nimmt dann Kontakt mit Kind auf
Mutter verlässt Raum unauffällig
Fremde stimmt Verhalten auf Kind ab
Mutter kehrt nach vorgegebenen Zeitraum zurück, tröstet Kind und versucht Kind wieder zum Spielen zu bringen. Dabei verlässt Fremde den Raum
Mutter verabschiedet sich kurz und verlässt Raum
Kind bleibt im vorgegebenen Zeitraum allein
Fremde kehrt zurück und stimmt ihr Verhalten auf das Kind ab
Mutter kehrt zurück, begrüßt das Kind und nimmt es hoch. Fremde geht unauffällig raus.
Beobachtungsinhalte:
Wie exploriert Kind? (Bewegung, Beschäftigung mit Spielsachen, Orientierung zur Bezugsperson)
Wieviel Aufmerksamkeit spendet das Kind der Fremden?
Vergleich der Exploration des Kindes in verschiedenen Episoden? (Reaktion auf Abwesenheit der Mutter, Reaktion bei Rückkehr der Mutter)
Reaktionen auf die Fremde? (Suchen und Akzeptanz von Kontakt, Interaktion im Spiel)
Bindungsklassifikation:
Sichere Bindung
Unsicher-ambivalente Bindung
Häufige wechsel aber innerhalb einer Situation kongruent
Unsicher-vermeidende Bindung
Desorganisierte Bindung
Widersprüchliche Verhaltensweisen/ Bindungsstörung
Erziehungsfähigkeit
Umfasst verschiedene Aspekte:
Grundversorgung (Hygiene, Ernährung, Medizin)
Förderung
Alltagsstruktur (Grenzsetzung, Tagesablauf, Rituale. Vorbildfähigkeit
Emotionale Fürsorge (Einfühlungsvermögen, emotionale Verlässlichkeit)
Zu beachten: ob konkrete Risikofaktoren gegeben sind, die mit Erziehungsfähigkeit zusammenhängen (z.b. psychische Erkrankung Eltern)
Inbs. Achten: dass richtige Schwelle verwendet wird:
Ist zu prüfen, wer die bessere Erziehungsfähigkeit hat, oder ob Minimum an Erziehungsfähigkeit unterschritten wird
Untersuchung Erziehungsfähigkeit
Informationen Akte
Gespräche Eltern
Gespräche Kind
Informatorisches Gespräch Kindergarten/Schule
Informatorisches Gespräch Kinderarzt
Informatorisches Gespräch mit bisherigen professionellen Hilfen
Interaktionbeobachtungen mit Eltern und Kind
Testpsychologische Untersuchungen zu individuellen Risikofaktoren, z.b. zu einzelnen psychischen Störungen, subjektiven Belastung durch die Erziehung (ESF)
ESF
Elternstressfragebogen (Domsch & Lohaus, 2009)
Dient Erfassung des durch Kind bedingten Stresses für Elternteil
4 Skalen:
Elternstress (wie hoch wird elterliche Stresserleben empfunden)
Z.b. Streite oft mit Kind
Rollenrestriktion (Inwieweit werden Restriktionen in Rolle als Elternteil empfunden?)
Als Elternteil nicht genug Zeit für Hobbies
Soziale Unterstützung (Inwiefern nimmt Elternteil soziale Unterstützung bzgl. Erziehung wahr)
Menschen in der Umgebung die auf Kind aufpassen
Partnerschaft (Inwieweit ist Person mit Partnerschaft zufrieden und erlebt Unterstützung)
Würde mir vom Partner mehr Unterstützung bei Erziehung des Kindes wünschen
4-Stufige Rating Skala (trifft nicht zu bis trifft genau zu) bewertet
Kooperation der Eltern
… miteinander
Z.b.
Welchem Elternteil gelingt es besser, Kind aus elterlichen Konflikten herauszuhalten
Welcher Elternteil kommt seiner Pflicht, Beziehung des Kindes zum anderen Elternteil zu fördern, besser nach? (Bindungstoleranz)
Inwieweit sind Eltern in Lage, Wechselmodell zu praktizieren?
.. mit Fachkräften
Nehmen Eltern ambulante Hilfe an/setzen sie um
Inwieweit sind langfristig Besserungen der Erziehungsfähigkeit zu erwarten?
Sind Eltern bereit zur stationären Aufnahme in Eltern-Kind-Einrichtung
Untersuchungen zur Kooperation der Eltern
Gespräche mit bisherigen professionellen Hilfen
Kontinuität
Bezieht sich auf Vergangenheit:
Fortsetzung der bisher bestehenden Lebensbedingungen, wie z.b. Hauptbezugsperson, Wohnumfeld, Freundeskreis, Schule
Bezieht sich auf Zukunft:
Prognose für langfristige Fortbestehen der Lebensbedingungen, wenn Kind bei Mutter/Vater lebt
Beachte:
Kontinuität und Stabilität stellen nur dann relevante Kriterien dar, wenn damit nicht kindeswohlgefährdende Lebensbedingungen fortbestehen -> id.r. nicht bei Fällen nach §1666 relevant
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