Buffl

Fälle (Prozessuales)

SN
von Samuel N.

Fall 9

B hat dem K eine Sache unter Eigentumsvorbehalt verkauft und geliefert. Wegen Zahlungsverzugs erklärt der B den Rücktritt und verlangt die Sache heraus. K verweigert die Herausgabe. B nimmt die Sache dem Kläger gegen dessen Willen weg. K klagt vor dem Amtsgericht auf Herausgabe der Sache wegen verbotener Eigenmacht. Daraufhin beantragt B widerklagend, sein Eigentum und das fehlende Besitzrecht des K festzustellen. Bitte skizzieren Sie den Aufbau der Entscheidungsgründe

petitorische Widerklage.

Eigentlich müsste Klage aus § 861 BGB stattgegeben werden und Widerklage aus Eigentum in Verbindung mit Vertrag auch; dann könnte aber B bei der Vollstreckung des K das rechtskräftige Urteil, in welchem sein Eigentum und das fehlende Besitzrecht des K festgestellt wäre, nutzen und Vollstreckungsabwehrklage erheben. Das wäre sehr umständlich.

Daher wurde von Rechtsprechung und Literatur folgende Lösung entwickelt:

Aus der analogen Anwendung von § 864 II BGB wird geschlossen, dass bei gleichzeitiger Entscheidungsreife und Begründetheit der Widerklage bereits die Besitzschutzklage abgewiesen werden darf. Dann ist es zweckmäßig, ausnahmsweise die Widerklage zuerst zu prüfen, da ihre Begründetheit ansonsten inzident bei Prüfung der Begründetheit der Klage geprüft werden müsste.

 

Die Entscheidungsgründe könnten wie folgt formuliert/aufgebaut werden:

Die zulässige Klage ist unbegründet, weil die Widerklage zulässig und begründet ist. Da Klage und Widerklage zur Entscheidung reif sind, folgt aus der Begründetheit der Widerklage die Unbegründetheit der Klage. Dies ergibt sich bei petitorischen Widerklagen, mit denen der Beklagte Eigentumsrechte geltend macht, aus der analogen Anwendung von § 864 II BGB. Diese Vorschrift regelt, dass ein auf verbotene Eigenmacht gestützter Anspruch erlischt, wenn durch rechtskräftiges Urteil festgestellt wird, dass dem Täter ein Recht an der Sache zusteht, vermöge dessen er die Herstellung eines seiner Handlungsweise entsprechenden Besitzstandes verlangen kann.

Wenn sich aber, wie hier, der Beklagte noch nicht auf ein rechtskräftiges Urteil berufen kann, seine entscheidungsreife Widerklage aber begründet ist, könnte der Kläger seinen titulierten Anspruch aus § 861 Abs. 1 BGB letztlich ohnehin nicht durchsetzen, da seine Besitzansprüche gemäß § 864 II BGB durch die rechtskräftigen Feststellungen bezüglich der Widerklage erloschen wären. Da der Gesetzgeber dieses sinnlose Hin und Her durch § 864 II BGB ausschließen wollte, der vorliegende Fall aber von der Norm nicht erfasst wird, liegt eine planwidrige Regelungslücke vor, die nur durch analoge Anwendung der Vorschrift sachgerecht geschlossen werden kann.

 

- Zulässigkeit der Widerklage

- Begründetheit der Widerklage

 

Die Klage ist unbegründet, weil der auf verbotene Eigenmacht gestützte Anspruch des Klägers - oben dargestellt - wegen des Erfolgs der Widerklage in analoger Anwendung von § 864 II BGB erloschen ist.

 

- Prozessuale Nebenentscheidungen




Fall 6:

Kläger klagt 7000,00 € ein. Bekl. zahlt nach Rechtshängigkeit 3000,00 €. Kläger erklärt den Rechtsstreit in der Hauptsache in Höhe von 3000,00 € für erledigt und beantragt, den Beklagten zur Zahlung weiterer 4000,00 € zu verurteilen. Bekl. widerspricht der Erledigung und beantragt Klagabweisung. Bitte fertigen Sie den vollständigen Tenor für die beiden folgenden Varianten (bei Variante 2 die Kostenquote bitte nur schätzen, nicht genau ausrechnen):

Variante 2: Hauptsache ist in Höhe von 3000,00 € erledigt, aber Kläger unterliegt hinsichtlich der weiteren 4000,00 €.

1. Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache in Höhe von 3000,00 € erledigt ist. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 60 % und der Beklagte 40 %

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Jede Partei kann die Vollstreckung der jeweils anderen Partei durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit ich Höhe von 120 % des aus dem Urteil zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Kostenquote in Klausur schätzen. Streitwertänderung führt bei genauer Berechnung zu komplizierten Berechnungen, da Verfahrensgebühr noch zum höheren Wert angefallen ist, so dass jede einzelne Gebühr gesondert zu quoteln wäre und aus den einzelnen Werten dann eine Gesamtquote zu bilden wäre. Vorschlag: Quote so bilden, als sei keine Erledigung erklärt worden und dann unter Zugrundelegung der Auffassung, dass Streitwert durch Erledigung hinsichtlich dieses Teils auf 80 % sinkt, leichten Abschlag/Zuschlag machen.

Bei vorl. Vollstreckbarkeit sind nur Kosten zu vollstrecken. Hier sind die Kosten noch jeweils unter 1500,00 €, also § 708 Ziff. 11, 711 ZPO.


Fall 1: Übungsfällen zur Wiedereinsetzung

Das Landgericht Verden erlässt am 1. April ein Versäumnisurteil über 10.000 € gegen B, das dem Anwalt des B am Montag, den 10. April, zugestellt wird. Am Dienstag, den 25. April, geht der Einspruch des Anwalts beim Landgericht Verden ein. Zugleich beantragt der Anwalt Wiedereinsetzung mit der Begründung, seine Sekretärin sei auf der Fahrt zum Gericht in einen Unfall verwickelt worden, weshalb sie den Nachtbriefkasten erst am 25. April um 0:30 Uhr erreicht habe. Eine eidesstattliche Versicherung der Sekretärin wird vorgelegt. Wie ist zu entscheiden?

Gegen ein Versäumnisurteil ist der Einspruch statthaft, § 338. Einspruchsfrist: 2 Wochen lief am Montag, 24. April um 24 Uhr ab, an sich Einspruch zu verwerfen gemäß § 341.

Es ist Wiedereinsetzung zu gewähren: der Wiedereinsetzungsantrag ist zulässig, § 233, Notfrist, § 339, § 234: Fristwahrung, § 236: Begründung mit Glaubhaftmachung und Einspruch, § 237: Zuständigkeit.

Der Widersetzungsantrag ist begründet. Verschulden des B schadet, ebenso Verschulden des Anwalts (Zurechnung wegen § 85 Abs. 2). Verschulden von zuverlässigen, geschultem Büropersonal gilt als unverschuldet, wenn nicht zugleich Partei-oder Anwaltsverschulden vorliegt, zum Beispiel durch fehlerhafte Auswahl, Aufsicht, Weisungen. Solches Fehlverhalten fehlt hier.

Entscheidung: die Wiedereinsetzung kann durch einen gesonderten Beschluss bewilligt werden, sie kann auch in den Entscheidungsgründen des Urteils gewährt werden, vergleiche § 238. Die gewährte Wiedereinsetzung ist unanfechtbar, § 238 Abs. 3, und für das Rechtsmittelgericht bindend, auch wenn sie zu Unrecht erfolgte. Auf den zulässig fingierten Einspruch hin ergeht ein Endurteil (Tenor § 343), bei dem die Kosten der Wiedereinsetzung auf jeden Fall dem Beklagten aufzuerlegen sind (§ 238 Abs. 4, Fall der Kostentrennung!). Dieses Endurteil ist mit Berufung anfechtbar.

Wird keine Wiedereinsetzung bewilligt, ergeht ein Urteil, wobei eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist, Normen: § 341 Abs. 1, Abs. 2, § 97 entsprechend:

1. Der Antrag des B auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Einspruchsfrist wird zurückgewiesen.

2. Der Einspruch des B gegen das Versäumnisurteil wird als unzulässig verworfen.

3. Dem B werden die Kosten auferlegt.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gegen dieses Urteil kann B Berufung einlegen, §§ 341 Abs. 2,511.




Fall 3: Klageänderung

K klagt gegen B auf Zahlung von 2.000 € rückständiger Miete.

a) Nach zwei Monaten erweitert er die Klage um 3.000 €, weil zwei weitere Monatsmieten á 1.500 € fällig geworden seien.

b) Nach ungünstig verlaufener Beweisaufnahme erklärt K, dass er die Klage nun auf Werklohn stütze, weil er für B Autoreparaturen gemacht habe. B beantragt Klagabweisung und behauptet Mängel der Reparatur.

Wie ist die Rechtslage?

  • Bei Klageänderungen sollte man folgendes prüfen:

    • gilt eine Änderung nach § 264 als nicht einwilligungsbedürftig?

  • Wenn kein Fall des § 264 vorliegt:

    • liegt eine Klagänderung (Streitgegenstandsänderung) vor? Wenn ja

    • wird Einwilligung des B nach § 267 vermutet oder liegt sie vor?

    • Falls ausdrücklicher Widerspruch des B vorliegt: hat das Gericht die Änderung   bereits stillschweigend als sachdienlich erachtet? § 263.

    • Wenn nein: liegt Sachdienlichkeit vor? § 263.


      Änderung des Klageantrags (1. Erweiterung) stellt stets eine Änderung des Streitgegenstandes dar. Nach § 264 Nr. 2 ist diese Form der Klageänderung aber vom Einwilligungserfordernis des § 263 befreit.

      Eine Änderung des Lebenssachverhalts stellt eine Streitgegenstandsänderung dar. Ein Fall des § 264 liegt nicht vor. An sich wäre eine Einwilligung des B erforderlich. Durch das Stellen des neuerlichen Klagabweisungsantrags hat sich B im Sinne von § 267 eingelassen. Seine Einwilligung wird daher unwiderlegbar angenommen, auch wenn sich B dessen nicht bewusst war.

      Sachdienlichkeit liegt vor, wenn und soweit die Zulassung der Klagänderung den Streitstoff ausräumt und einem weiteren Rechtsstreit vorbeugt. Unwesentlich ist, dass neue Beweisaufnahmen und Parteierklärungen erforderlich werden oder eine Instanz verloren geht. Sachdienlichkeit liegt in der Regel nicht vor, wenn ein völlig neuer Streitstoff eingeführt werden soll, bei dessen Beurteilung das Ergebnis der bisherigen Prozessführung nicht verwertet werden kann.

      Hält das Gericht die Änderung für unzulässig, wird das neue Klagebegehren durch Prozessurteil als unzulässig abgewiesen.


Fall 4: Klageänderung

K klagt gegen B auf Zahlung. Er stützt seinen Anspruch auf einen Kauf aus dem Jahr 2020. Nachdem B die Zahlung nachweist, lässt K diesen Anspruch fallen und stützt den Antrag auf einen anderen Kauf aus dem Jahr 2021. B widerspricht der Auswechslung. Wie ist die Rechtslage?

  • Sachdienlichkeit § 263 ZPO liegt vor, wenn und soweit die Zulassung der Klageänderung den Streitstoff ausräumt und einem weiteren Rechtsstreit vorbeugt. Unwesentlich ist, dass neue Beweisaufnahmen und Parteierklärungen erforderlich werden oder eine Instanz verloren geht.

    Hält das Gericht die Klageänderung für zulässig, ist dies unanfechtbar, § 268 ZPO. Ein Zwischenurteil darüber ergeht in der Praxis nicht. Das Gericht weist nur mündlich auf die Zulässigkeit der Änderung hin. Erst in den Entscheidungsgründen des späteren Urteils wird die Zulässigkeit der Änderung als solcher und des neuen Antrags geprüft.

    Hält das Gericht die Änderung für unzulässig, wird das neue Klagebegehren durch Prozessurteil als unzulässig abgewiesen, falls K den neuen Klageantrag nicht zurücknimmt. Im Übrigen ist durch Auslegung oder Befragung zu klären, was mit der ursprünglichen Klage geschehen soll: Will K sie aufrechterhalten, zurücknehmen, verzichten, nicht mehr darüber verhandeln? Meist ist Klagerücknahme gewollt; ist sie mangels notwendiger Einwilligung unwirksam, wird meist Aufrechterhaltung des ursprünglichen Klageantrags gewollt sein; darüber ist dann durch Sachurteil zu entscheiden. Der Tenor „Die Klage wird abgewiesen“ enthält dann eine Klageabweisung des neuen Antrags (Kauf 2021) als unzulässig und des alten Antrags (Kauf 2020) als unbegründet.


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Samuel N.

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