Allgemeines zu F81:
Umschriebene Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten
Definition: Umschriebene Störungen schulischer Fertigkeiten (Lesen, Rechtschreiben, Rechnen), Beginn im Kindesalter.
ICD-10-Klassifikation:
F81.0 Lese- und Rechtschreibstörung (LRS)
F81.1 Isolierte Rechtschreibstörung
F81.2 Rechenstörung (Dyskalkulie)
F81.3 Kombinierte Störungen schulischer Fertigkeiten
Merkmale:
Diskrepanz zwischen Intelligenz (meist durchschnittlich/überdurchschnittlich) und Schulleistung.
Nicht erklärbar durch mangelnde Beschulung, Seh-/Hörstörungen oder allgemeine Intelligenzminderung.
Häufig komorbid mit Sprachstörungen (F80), ADHS (F90), Angststörungen, Depression.
Diagnostik
Anamnese:
Entwicklungsanamnese (Sprache, Motorik, Schuleintritt, Familiensituation)
Familienanamnese (häufig genetische Belastung)
Schulische Anamnese (Noten, Klassenwiederholung, Lehrerberichte)
Psychosoziale Belastungen (Mobbing, Selbstwertprobleme)
Untersuchungen:
Ausschluss organischer Ursachen (Augen/HNO/Neurologie)
Intelligenzdiagnostik (z. B. HAWIK, CFT, WISC-V)
Schulleistungstests:
Lesen: ELFE, LGVT, SLRT
Rechtschreiben: HSP, DRT, WLLP
Rechnen: DEMAT, ZAREKI-R, BASIS-MATH
Fragebögen zu Komorbiditäten (ADHS, Ängste, Depression)
Fremdanamnese mit Deutschlehrer (nur mit Zustimmung der Eltern möglich)
Körperliche Untersuchung (inkl. Hör und Sehtest)
Umfassende mehrdimensionale Intelligenzstörung
F81.0 Lese- und Rechtschreibstörung
Symptome:
Geringes Leseverständnis, niedrige Lesegeschwindigkeit, häufige Lesefehler.
Rechtschreibfehler persistieren oft bis in die Adoleszenz.
Häufig vorangehende Sprachentwicklungsstörung.
Komorbid: emotionale/Verhaltensstörungen.
Diagnosekriterien (ICD-10):
Lese- und Rechtschreibleistung deutlich unter Alters-/Klassennorm.
Diskrepanz zum IQ ≥ 2 SD.
Beginn seit den Anfängen des Lesen-/Schreiblernens.
Differentialdiagnose:
Erworbene Aphasien, unzureichende Beschulung, Intelligenzminderung.
Rechtschreibleistung unter Erwartung trotz normaler Lesefähigkeit.
Typische Fehler: Laut-Buchstaben-Zuordnung, Auslassungen, grammatikalische Fehler.
Diagnosekriterien:
Diskrepanz zwischen IQ und Rechtschreibleistung ≥ 2 SD.
Abgrenzung: Keine deutlichen Leseschwierigkeiten.
Schwierigkeiten im Mengenverständnis, Zahlbegriff, Rechenoperationen.
Häufiges Zählen mit den Fingern, Fehler bei Überträgen, Zeit- und Geldverständnis eingeschränkt.
Erfassung durch standardisierte Tests (Leistungsdiskrepanz von mindestens 2 Standardabweichungen).
Allgemeine Intelligenzminderung, neurologische Erkrankungen, unzureichende Beschulung.
Schulische und alltägliche Beeinträchtigungen müssen deutlich erkennbar sein (z. B. Versagen in Mathe, Probleme beim Umgang mit Geld oder Uhrzeit).
F81.3 Kombinierte Störung schulischer Fertigkeiten
Definition:
Diagnose, wenn Kriterien von F81.2 (Rechenstörung) UND F81.0 (LRS) oder F81.1 (isolierte Rechtschreibstörung) gleichzeitig erfüllt sind.
Epidemiologie
Prävalenz: 5–8 % aller Schulkinder.
Geschlechter: Jungen häufiger betroffen (ca. 2:1).
Familiäre Häufung häufig.
LRS > Rechenstörung in Häufigkeit.
Ätiologie
Genetische Faktoren:
Starke familiäre Häufung —> Zwillingsstudien zeigen hohe Heritabilität.
Neurobiologische Faktoren:
Dysfunktionen in Sprach- und Zahlverarbeitungsnetzwerken (temporoparietal, frontotemporal).
Umwelteinflüsse:
Psychosoziale Belastungen, unzureichende Förderung, Migrationshintergrund (Sprache).
Komorbiditäten
ADHS (F90)
Sprachstörungen (F80)
Angststörungen (soziale Ängste, Schulangst)
Depressive Störungen
Störungen des Sozialverhaltens
Differentialdiagnose
Intelligenzminderung
Analphabetismus (mangelnde Gelegenheit zu lernen)
Schulphobie oder Schulangst
Einschränkungen im Hör- und Sehvermögen
Alexie/Agrafie: Verlust von Lese-oder Schreibfähigkeit bei bereits erworbener Fähigkeit (z.B.: nach Schädel-Hirn-Trauma)
Motorische Agrafie: Schreibstörung, aufgrund neuronaler oder muskulärer Schädigungen
Therapie & Behandlungsplan
Psychoedukation (Kind, Eltern, Lehrer).
Spezifische Förderung/Training:
LRS: Lese-Rechtschreib-Trainings, Silbenmethode, Lautgetreues Schreiben.
Dyskalkulie: Mengenverständnis, Zahlbegriff, Förderprogramme (z. B. Mengen-Zahlen-Training).
Verhaltenstherapie:
Stärkung Selbstwert, Umgang mit Misserfolg.
Training von Lernstrategien.
Komorbidiäten behandeln:
z. B. ADHS, Angststörungen.
Nachteilsausgleich in der Schule:
Verlängerte Arbeitszeit, keine Benotung von Rechtschreibung.
—> je nach Bundesland unterschiedliche Regelungen
Selbsthilfegruppen / Elternberatung.
Prognose
Häufig persistierend bis ins Jugend-/Erwachsenenalter.
rühzeitige Förderung verbessert Verlauf.
Unbehandelt Risiko für Schulabbruch, geringe Berufschancen, psychische Sekundärprobleme (z. B. Depression, Angst).
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