Habermas - Wissenschaft - Sprache
Wissenschaft ist ohne Sprache nicht vorstellbar. Sprechen ist eine Form sozialen Handelns. Je nach Handlungsorientierung können unterschiedliche Handlungsformen unterschieden werden. (Habermas, 1981). Wissenschaft kann als kommunikatives Handeln verstanden werden.
Handlungssituation -/ Orientierung
Wissen. Handeln ist als komm. Handeln zu verstehen
Geltunsansprüche versänd.orientierten sprachlichen Handelns (Def)
Geltungsanspruch bedeutet, dass mit einer Aussage implizit immer auch die
unausgesprochene Behauptung verknüpft ist, dass die Bedingungen für die
Gültigkeit der betreffenden Aussage erfüllt sind.
Geltungsansprüche eines verständigungsorientierten sprachlichen Handelns nach Habermas (1981)
1. Verständlichkeit
2. Objektive Wahrheit
3. Wahrhaftigkeit. Der Sprecher muss seine Intentionen wahrhaftig (= ohne Täuschungsabsicht über die eigene Intention) äußern wollen, damit der Hörer begründet davon ausgehen kann, dass er als Sprecher an ihn als Hörer tatsächlich eine Äußerung richten will und damit er ihm vertrauen kann)
4. Normative Richtigkeit
Der Sprecher muss diese Geltungsansprüche im Bedarfsfalle einlösen, indem er Gründe für ihre Geltung anführt.
➢ Forschungsmethoden und Standards guter wissenschaftlicher Praxis sollen diese Geltungsansprüche absichern
Forschungsmethoden und Statistik dienen zwei Funktionen (Abelson, 95)
erkenntnistheoretischen Funktion (a)
Was sagen die Daten zu meiner Hypothese/Theorie? (= erkenntnistheoretisch)
und einer sozial- kommunikativen Funktion (b):
Wie überzeuge ich Fachkolleg*innen von meiner Interpretation der Daten? —> MAGIC Kriterien
MAGIC-Kriterien nach Abelson, 1995
Magnitude (Größe von Effekten, z.B. Effektgrößen, bayesianische Hypothesenwahrscheinlichkeit)
Articulation (Detailgenauigkeit, z.B. Meßniveau, Schärfe von Hypothesen)
Generality (externe Validität, Geltungsbereich der Theorie, z.B. Metaanalyse)
Interestingness (Potential für Meinungsänderung, z.B. kontraintuitiv)
Credibility (Validität der Methodik, theoretische Kohärenz)
Vier Phasen des Forschungsprozesses (erweitert, nach Reichenbach 1938):
-Nicht jede Stuide durchläuft alle Phasen (z.B. Fokus auf eine der Phasen (COJ — Wirksamkeit eines Störungsmodells prüfen)
Kriterium der RP:P für Replizierbarkeit
Als Kriterium für die Replizierbarkeit wurde das Signifikanzkriterium ausgewählt, da es in der Psychologie sehr verbreitet ist, um über die Annahme einer Forschungshypothese zu entscheiden.
Methode RP:P
• 100 Studien aus drei Journals aus dem Jahr 2008: Psychological Science (JSCI), Journal of Personality and Social Psychology (JPSP) und Journal of Experimental Psychology: Learning, Memory, and Cognition (JEP:MLC)
• Nur direkte Replikationen, keine konzeptuellen Replikationen
• Es sollte eine Power (1-BETA) von mindestens 80% bei den Replikationsstudien erreicht werden (mittlere Power über alle Studien lag bei 92%).
• Von den 100 ausgewählten Studien hatten 97 ein signifikantes Ergebnis
35 von 97 Studien konnten sig. repliziert werden
mittlere Effektstärle Orginalstudien: .40, Replizierte: 0,2
Eine gescheiterte Replikation lässt drei Schlussfolgerungen zu
Das Ergebnis der Originalstudie war falsch positiv (!) -alpha-Fehler
Das Ergebnis der Replikation ist falsch negativ.
Die Replikationsstudie war der Originalstudie nicht ähnlich genug.
Schlussfolgerung des RP:P
Das Ergebnis von Originalstudien in der Psychologie scheint wenig verlässlich zu sein. Woran liegt das?
Ursachen der Replikationskrise: Die sieben Todsünden der Psychologie
(Cambers, 2017)
1. The sin of Bias (the positive and new trumps the negative but true) (Publication Bias)
2. The sin of hidden flexibility: p-hacking, HARKing
3. The sin of unreliability: low power, statistical fallacies
4. The sin of data hoarding
5. The sin of corruptibility: selectivity in reporting study results, inventing
data
6. The sin of internment: barrier-based publishing (Auf Seite der Verlage, Paywalls etc.)
7. The sin of bean counting: Impact factors
Chambers - Schaubild
p-Hacking
sig. während Erhebung berechnen und dann Aufhören wenn sig. Ergebnis vorliegt. Kleine SP haben höhere Wahr. auf extremes Ergebnis (starke Effekte)
Open Science - zentrale Aspekte
• Präregistrierung von Studien
• Open Access Publizieren (keine Pay-Wall)
• Daten in Repositorien veröffentlichen und zugänglich machen (open data)
• Open scource Statistiksoftware verwenden (z.B. R core, JASP, jamovi) und den Code veröffentlichen
• Untersuchungsmaterialen zugänglich machen (open materials)
Probleme Forschungspraxis - Theroieentwicklung
• Eine gute Forschungspraxis ist wertlos ohne gute Theorien!
• Verschiedene Wissenschaftler*inne haben auf ein Defizit/Krise in der Theorieentwicklung in der Psychologie hingewiesen (Fiedler, 2017; Gigerenzer, 2010; Meehl, 1978, 1990, u.a.)
• Beispiel: Michie et al. (2014) haben 83 Theorien zu Verhaltensänderungen gefunden → Mangel an theoretischem Fortschritt bzw. Theorieentwicklung
Herausforderungen für die Theorieentwicklung in der Psychologie Eronen & Bringmann (2021)
In der Psychologie existieren (aus verschiedenen Gründen) weniger robuste Phänomene (z.B. ego-depletion) als in anderen Naturwissenschaften (robuste Phänomene sind wichtig für die Theorieentwicklung)
Konstruktvalidität und Konstruktentwicklung sind oft nicht ausreichend:
•Reliabilität einer Messung oft wichtiger als Konstruktvalidität
•Konstrukte sind stark abhängig von anderen Konstrukten und gesellschaftlicher Bedeutungen
Nachweis von Kausalbeziehungen ist bei psychologischen Konstrukten oft schwierig
• Die Manipulation einer unabhängigen Variable führt oft zu vielen parallelen Effekten (fat-handed),oder sie ist schlecht von anderen Variablen zu isolieren (was die experimentelle Kontrolle erschwert)
Forschungsethik und Regeln und Standards guter wissenschaftlicher Praxis sind Ausdruck des Bemühens, …
a) sowohl Forschung hoher Qualität zu erzielen als auch
b) die Einhaltung rechtlicher und ethischer Standards in allen Phasen von Forschung zu gewährleisten.
• Dies insbesondere für Forschung an Menschen.
• Für Klinische Studien (Forschung an Patienten) sind die Anforderungen besonders hoch.
Warum braucht es überhaupt ethische Richtlinien? (DGPs)
–Sie reflektieren das Selbstverständnis und die geteilten ethischen Grundprinzipien eines Fachs (Fisher, 2023, 3f.)
–Sie schützen die Teilnehmenden an psychologischen Untersuchungen
–Sie verpflichten den Einzelnen auf die Werte des Fachs und geben Orientierung
–Sie sind der Standard, an dem das eigene und fremde Forschungshandeln gemessen werden kann
–Sie dienen der Selbstüberwachung
–Sie sind ein Qualitätsmerkmal psychologischer Studien
Forschungsethik - Definition
Forschungsethik allgemein umfasst die geteilten Werte und Normen eines Fachs, die das Handeln von Forschenden leiten. Außerdem alle Maßnahmen zur Prüfung und Sicherstellung der Einhaltung dieser Normen. Drei Komponenten lassen sich unterscheiden (Döring, 2021, 621f.)
1) Komponente
Forschungsethik im engeren Sinn bezieht sich auf die Einhaltung von Regeln und Richtlinien in der Interaktion zwischen Forscher und Forschungsgegenstand (Hopf, 2004).
2) Komponente
Wissenschaftsethik bezieht sich auf das Wissenschafts-system und die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis (Döring, 2021)
• Veröffentlichung und Verwertung von Forschungsergebnissen
• Wissenschaftsfälschungen
• Autorenschaften bei Publikationen…
3) Komponente
Verantwortung gegenüber der Gesellschaft
• Was soll erforscht werden?
• Welchen Nutzen hat die Gesellschaft?
• Emanzipatorischer Anspruch: Aufhebung von Ungleichheit und Benachteiligung?
Politischer Hintergrund
• Verbrechen der Nationalsozialisten gegen die Menschlichkeit im Zweiten Weltkrieg wurden in den Nürnberger Prozessen (1945-1949) aufgearbeitet und angeklagt.
• Es resultierte der sog. Nürnberger Kodex des amerikanischen Militärgerichts
• Der Nürnberger Kodex ist letztlich die Grundlage für die Formulierung und Institutionalisierung von ethischen Richtlinien in Medizin und Psychologie nach 1945
– 1952/1953 rudimentäre Ethische Richtlinien der American Psychological Association (APA)
– 1964 Deklaration von Helsinki – ethische Leitlinien medizinischer Forschung
Die Deklaration von Helsinki in der gültigen revidierten Fassung von 2008 (zuerst 1964) besteht aus 35 Punkten.
1-10 beschreiben übergreifend den Kontext medizinischer Forschung
• 6: In medical research involving human subjects, the well-being of the individual research subject must take precedence over all other interests
11-30 benennen allgemeine ethische Prinzipien für medizinische Forschung an Menschen bzw. den Umgang mit menschlichen Zellgewebe und Daten beschreiben
•21: Medical research involving human subjects may only be conducted if the importance of the objective outweighs the inherent risks and burdens to the research subjects
31-35 gelten für die Situation, dass medizinische Forschung im Kontext medizinischer Behandlung stattfindet
•31: The physician may combine medical research with medical care only to the extent that the research is justified by its potential preventive, diagnostic or therapeutic value and if the physician has good reason to believe that participation in the research study will not adversely affect the health of the patients who serve as research subjects
Die Ziele bei der Einholung eines Ethikvotums sind:
• das Abwägen des Verhältnisses zwischen Nutzen und Risiken der Studie (zum Nutzen gehört auch die Qualität des methodischen Ansatzes als Voraussetzung des Erkenntnisgewinns)
• die Überprüfung der Vorkehrungen zur Minimierung des Risikos für die Probanden
• die Berücksichtigung der Bestimmungen zur informierten Einwilligung der Probanden beziehungsweise ihrer gesetzlichen Vertreter,
• die Überprüfung der Einhaltung der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen, vor allem der Datenschutzbestimmungen.
Einwilligung zu STudien
•Eine informierte Einwilligung ist bei der Teilnahme an einer wissenschaftlichen Studie immer notwendig.
•Auch wenn kein Ethikvotum notwendig sein sollte, ist für die Teilnahme an einer wissenschaftlichen Studie eine informierte Einwilligung (informed consent) des potentiellen Teilnehmers/Teilnehmerin notwendig. Ein solcher informed consent sollte schriftlich, d.h. durch Unterschrift, bei Onlinestudien durch Anklicken erfolgen. Jede Studie beginnt mit den Angaben, die dann eine informierte Einwilligung ermöglichen!
•Welche Informationen müssen gegeben werden?
1. Ziele der Studie (sehr allgemein, es müssen keine Hypothesen genannt werden)
2. Angaben zum Ablauf, z.B. Dauer der Teilnahme, Arten von Fragen, Aufgaben, Reizen etc.
Bedingungen der Teilnahme, z.B. Freiwilligkeit, Möglichkeit des Abbruches, Credits oder Belohnungen für die Teilnahme, mögliche Risiken, Ausschlusskriterien
PersönlicherKontakt/Ansprechpartner: Dort sollteder Name des/r betreuendenProfessor*in mitallenAngabenzurInstitution unter“Studienleitung” stehen. AußerdemsollteIhrName genanntwerdenunter“Studiendurchführung”.
Datenschutzrechtliche Angaben, z.B. welche personenbezogenen Daten (damit sind im wesentlichen soziodemographische Angaben gemeint) werden erhoben, Anonymität, Speicherung von Daten, etc
Zuletzt geändertvor 15 Tagen