Welche theoretischen Perspektiven gibt es auf Bildung?
Individuelle Entscheidungen:
Boudon (1974), Esser (1999): Fokus auf Kosten, Erträge und Erfolgswahrscheinlichkeiten von Bildungsentscheidungen.
Konflikttheorie:
Bourdieu et al. (1971): Bildung als Mittel zur Reproduktion sozialer Ungleichheit und kulturellen Kapitals.
Bildungsabschlüsse als Signale:
Stiglitz (1975), Spence (1974): Bildungsabschlüsse signalisieren Produktivität und Fähigkeiten an den Arbeitsmarkt.
Funktionalistische Bildungstheorie:
Davis und Moore: Bildungssysteme erfüllen Funktionen für die Gesellschaft, z.B. Allokation von Talenten.
Welche Funktion haben Bildungssysteme?
Kompetenzbildung: Vermittlung von Wissen und Fähigkeiten für Leben und Beruf (wirtschaftliche Entwicklung).
Reproduktionsfunktion: Erhaltung und Weitergabe von Wissensbeständen über Generationen.
Sozialisationsfunktion: Vermittlung von Fähigkeiten für Staatsbürgerschaft und gesellschaftliche Integration.
Zertifizierung: Offizielle Bestätigung von erworbenen Kenntnissen und Qualifikationen.
Selektions- und Allokationsfunktion / Platzierungsfunktion: Auswahl und Zuweisung von Individuen zu gesellschaftlichen Positionen und Berufen.
Schließungs-/Exklusionsmechanismen: Nutzung von Bildung zur Aufrechterhaltung von Privilegien und Macht (konflikttheoretisch).
Was sind primäre und sekundäre Herkunftseffekte? Wie äußern sie sich?
Welcher Effekt ist laut Becker wichtiger für die Entstehung von sozialer Bildungsungleichheit?
Primäre Herkunftseffekte:
Definition: Leistungsunterschiede aufgrund sozialer Herkunft.
Äußerung: Unterschiedliche Lernvoraussetzungen, Lerngelegenheiten, Ressourcen/Kapitalien und Lebensumstände.
Beispiel: Geringere Lesekompetenz bei Grundschulkindern aus niedrigeren Sozialindices (IGLU-Studien).
Sekundäre Herkunftseffekte:
Definition: Unterschiede in familialen Bildungsentscheidungen.
Äußerung: Unterschiedliche Bewertung von Kosten, Nutzen und Risiken von Bildungsinvestitionen durch Familien verschiedener sozialer Herkunft.
Einfluss des Bildungssystems: Je differenzierter das System, desto stärker können diese Effekte sein.
Becker und die Wichtigkeit der Effekte:
Die vorliegenden Quellen diskutieren die Effekte primär unter Bezugnahme auf Boudon (1974) und Esser (1999). Es wird nicht explizit ausgeführt, welcher der beiden Effekte laut Becker wichtiger ist.
Wie lässt sich erklären, dass Kinder aus Elternhäusern mit niedriger sozio-ökonomischer Position eine geringe Wahrscheinlichkeit haben, das Gymnasium zu besuchen?
Erklärung der geringen Gymnasialwahrscheinlichkeit für Kinder aus niedriger sozio-ökonomischer Position (nach Boudon 1974 und Esser 1999):
Geringere Lernvoraussetzungen, Lerngelegenheiten und Zugang zu Ressourcen/Kapitalien.
Führt zu im Durchschnitt niedrigeren schulischen Leistungen und somit geringeren Gymnasialempfehlungen.
Unterschiedliche Bildungsentscheidungen der Familien, selbst bei vergleichbarer Leistung.
Kosten-Nutzen-Risiko-Abwägung:
Eltern aus niedrigeren Schichten:
Bewerten Kosten einer Gymnasialbildung (finanziell, zeitlich, psychologisch) höher.
Schätzen Erfolgswahrscheinlichkeiten geringer ein.
Geringes oder kein Risiko eines Statusverlustes bei Nicht-Besuch des Gymnasiums (da Status bereits niedrig ist).
Bevorzugen oft Alternativen, die schneller zu einem Abschluss führen (z.B. Hauptschule).
Einfluss des Bildungssystems:
Ein differenziertes Bildungssystem (wie das deutsche) mit klaren Hierarchien zwischen Abschlüssen kann diese Effekte verstärken, da die Weichenstellung früh erfolgt.
Wie haben sich die primären Herkunftseffekte in den letzten Jahren laut der IGLU-Studie in Deutschland entwickelt?
Entwicklung der primären Herkunftseffekte laut IGLU-Studie:
Die IGLU-Studien (IGLU 2016, IGLU 2021) dokumentieren die Existenz und Persistenz primärer Herkunftseffekte.
Messung: Lesekompetenz von Grundschulkindern im 4. Schuljahr korreliert mit dem Sozialindex (höherer Sozialindex = höhere Lesekompetenz).
Größenordnung: Der Unterschied in der Lesekompetenz zwischen oberen und unteren Sozialindex-Quartilen beträgt ca. 50 Punkte (entspricht ungefähr einem Schuljahr).
Trend: Die bereitgestellten Quellen beschreiben keine explizite Entwicklung oder einen Trend (z.B. Zunahme oder Abnahme) der primären Herkunftseffekte über die Jahre, sondern präsentieren Momentaufnahmen ihrer Existenz zu bestimmten Zeitpunkten (2016, 2021).
Welche Annahmen trifft Esser (1999) in seinem Modell der Bildungsentscheidung in Bezug auf die Motivation, in Bildung zu investieren? Warum unterscheidet sich diese ja nach sozialem Hintergrund der Kinder?
(Essers formales Modell ist nicht klausurrelevant)
Grundannahme: Akteure (Eltern/Kinder) wägen den subjektiv erwarteten Nutzen (SEU) verschiedener Bildungsalternativen ab.
Entscheidungskriterium: Investition in Bildung erfolgt, wenn erwarteter Nutzen > erwarteter Nutzen ohne Investition (U + cSV > C/p).
Warum sich die Motivation unterscheidet (nach sozialem Hintergrund):
Esser: die Bewertung von Kosten, Erfolg und Statusverlust sind anders
Für Familien aus unteren Schichten:
Kosten: Hoch (Geld, Aufwand)
Erfolgswahrscheinlichkeit: Gering eingeschätzt
Statusverlust: Kaum bis gar keiner (weil der aktuelle Status schon niedrig ist)
Folge: Bildungsinvestition wirkt unattraktiv und riskant.
Für Familien aus mittleren Schichten:
Kosten: Geringer
Erfolgswahrscheinlichkeit: Hoch eingeschätzt
Statusverlust: Relevant (es droht ein Abrutschen, wenn man nicht investiert)
Folge: Bildungsinvestition wird als nötig und lohnend gesehen, um den Status zu sichern oder zu verbessern.
Ergebnis: Diese unterschiedlichen Bewertungen führen dazu, dass sich Bildungsungleichheiten von Generation zu Generation wiederholen.
Zuletzt geändertvor 8 Tagen