Trauma-Kriterium nach ICD-10:
„Belastendes Ereignis oder eine Situation außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophalem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung auslösen würde.“
Prävalenzen traumatischer Erfahrungen in der Allgemeinbevölkerung
Epidemiologie
(Komplexe) Posttraumatische Belastungsstörung
Trauma- & Stressfolgestörungen
Unterscheidung Behandlung von PTBS
Traumafokussierte (TF) Interventionen:
– Schwerpunkt: Verarbeitung oder Bedeutung der Erinnerung an das traumatische Erlebnis
– Behandlung erster Wahl bei Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS)
Nicht-traumafokussierte Interventionen:
• Traumaerinnerung ist nicht Gegenstand der Therapie • Schwerpunkt: Vermittlung von Fertigkeiten zur Emotionsregulation, Umgang mit Belastungssymptomen, Problemlösen
• z.B. Stressimpfungstraining, stabilisierende Gruppenprogramme
S3 Leitlinenempfehlung
Bei der Posttraumatischen Belastungsstörung ist Behandlung erster Wahl die traumafokussierte Psychotherapie, bei der der Schwerpunkt auf der Verarbeitung der Erinnerung an das traumatische Ereignis und/oder seiner Bedeutung liegt.
Evidenzgrad 1a, Empfehlungsgrad A
Eine traumafokussierte Psychotherapie soll jedem Patienten mit PTBS angeboten werden.
Evidenzgrad nicht anwendbar, Empfehlungsgrad KKP
S3 Leitinien KJP
Eine traumafokussierte Psychotherapie soll jedem Kind/Jugendlichem mit PTBS angeboten werden.
Traumafokussierte Interventionen (TF):
Ziel:
• Verarbeitung der Erinnerung an das traumatische Ereignis
TF-Interventionen mit der höchsten Evidenz:
• Traumafokussierte Kognitive Verhaltenstherapie (TF-KVT)
• Eye Movement Desensitation and Reprocessing (EMDR)
Traumafokussierte Kognitive Verhaltenstherapie
Prinzipien der Kognitiven Verhaltenstherapie
+ traumafokussierte Techniken:
• Kombinationen aus expositionsbasierten und kognitiven Elementen:
• Exposition in sensu der Traumaerinnerung
• Exposition in vivo
• Kognitive Umstrukturierung in Bezug auf traumabezogene Überzeugungen
spezifische TF-KVT Therapieansätze
• Prolongierte Exposition (Foa et al., 2014)
• Kognitive Verarbeitungstherapie (Resick et al., 2007)
• Narrative Expositionstherapie (Schauer et al., 2017 et al.)
• Kognitive Therapie (Ehlers & Clark 1999)
Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR)
• Modell der adaptiven Informationsverarbeitung
– adaptive Bearbeitung belastender Situationen im Informationsverarbeitungssystem
• Nachverarbeitung belastender Erinnerungen unter Nutzung bilateraler Stimulation bei gleichzeitiger Konfrontation
– Einsatz von rhythmischen Handbewegungen, auditiven oder taktilen Stimuli
– Entlastung aufgrund neuer assoziativer Verbindungen
Ziele der TF-KVT Behandlung
1. Veränderung des Traumagedächtnisses
– Elaboration und Neuordnung des Traumagedächtnisses zur Reduktion des intrusiven Wiedererlebens
2. Veränderung von Interpretationen
– Reduktion problematischer Interpretationen des Traumas und/oder seiner Konsequenzen, die das Gefühl der aktuellen Bedrohung hervorrufen
3. Veränderung des Verhaltens
– Aufgabe der dysfunktionalen Verhaltensweisen und kognitiven Strategien, welche zur Aufrechterhaltung der PTBS-Symptomatik beitragen
Ablauf der TF-KVT nach Anke Ehlers
1. Sitzung
• Normalisierung der Symptome
• Experiment zur Gedankenunterdrückung
• Interpretation des Traumas/ Konsequenzen
• “Das Leben zurückerobern“
• Modell der Störung
• Information und Problemlösen
2. Sitzung (100 Min.)
• Imaginatives Nacherleben des Traumas
• Identifikation und Diskrimination von Auslösern des intrusiven Wiedererlebens
3. Sitzung (100 Min.)
• Kognitive Umstrukturierung
4-15
4. Sitzung (100 Min.)
• Identifikation und Diskrimination von Auslösern des intrusiven
Wiedererlebens
5. Sitzung
• In-vivo Exposition
6. Sitzung
• Modifikation aufrechterhaltender Verhaltensweisen und kognitive Strategien
7.-11. Sitzung
12. Sitzung
• Rückfallprophylaxe
13.-15. Auffrischungs-Sitzungen
Imaginatives Nacherleben des Traumas
• Das traumatische Ereignis soll so lebhaft wie möglich in allen Einzelheiten in der Reihenfolge der Ereignisse nacherlebt werden, einschließlich seiner sensorischen Eindrücke, Gedanken und Gefühle
• Bericht in Ich-Form und in Präsenz zur Intensivierung des Nacherlebens
• Mehrfache Wiederholung in der Sitzung (je nach Länge 2-3 Mal) und zuhause
• Im Anschluss Bearbeitung durch kognitive Methoden
• Mitschnitt mittels Tonbandaufnahme, Wiederholung zu Hause mit Hilfe der Aufnahmen
Sitzungsplanung für Imaginatives Nacherleben des Traumas
• Einplanung von ca. 3 Sitzungen
• 1. Sitzung
– imaginatives Nacherleben des ganzen Ereignisses
– 2-3 Durchgänge
– abhängig von der Berichtslänge
• 2. Sitzung
– Konzentration auf den schlimmsten Moment
– imaginatives Nacherleben in Zeitlupentempo
• 3. Sitzung
– kognitive Umstrukturierung
Imaginatives Nacherleben des Traumas – Wirkmechanismen
• Abnahme der Angstreaktion durch Habituation auf Grund der wiederholten Exposition mit dem angstauslösenden Reiz
• Elaboration des Traumagedächtnisses
• Identifikation der automatischen negativen Gedanken bezogen auf das Trauma
Aktivierung der Furchtstruktur
• Voraussetzung der emotionalen Verarbeitung ist die Aktivierung der Furchtstruktur
• Gleichzeitige Darbietung von angstauslösendem Reiz und Informationen über aktuelle Situation, die nicht mit den pathologischen Elementen vereinbar sind
Voraussetzungen – Innere Sicherheit
• Innere Sicherheit kann gut hergestellt werden (Imaginative Übungen werden beherrscht: Innerer sicherer Ort, innere Helfer, Tresor)
• Affekte können durch Skills reguliert werden (Atemübung, außenorientierte Übungen)
• Gute Affekttoleranz
• Fähigkeit zur Selbstberuhigung
Voraussetzungen – Äußere Sicherheit
• PatientIn ist den Anforderungen des Alltags gewachsen und verfügt über ausreichend gute Ressourcen
• Es besteht idealerweise kein Täterkontakt und keine andere schädigende Beziehungskonstellation
Voraussetzungen – Gutes therapeutisches Arbeitsbündnis
• Tragfähige, vertrauensvolle therapeutische Beziehung
• Erfahrung in den angewandten Expositionsverfahren
• PatientIn ist gut informiert, vorbereitet und stimmt dem gewählten Vorgehen eindeutig zu
• Stopp – Signal ist vereinbart
Mögliche Probleme
Niedrige Belastungs-Ratings:
• evtl. kontrolliert Pat. Gefühle oder Vorstellungen à besprechen, korrigieren
Dissoziation:
• Verlust des Kontaktes zum Hier-und-Jetzt
– Objekte zum „festhalten“ während der Durchführung geben
– geöffnete Augen
– aktive Rolle des Therapeuten
• z.B. häufigeres Nachfragen
– Änderung des Vorgehens für die folgende Durchführung:
• z.B. imaginatives Nacherleben in traumatische Abschnitte aufteilen
• z.B. Verschriftlichung und Vorlesen-lassen des Traumas
Wie effektiv sind traumafokussierte
Interventionen?
• hohe kontrollierte Effektstärken für TF-KVT (SMD = 1.40) und EMDR (SMD = 1.51; Bisson et al., 2007)
• Verbesserung der Remissionsrate der PTBS durch TF-KVT (SMD = −1.46) und EMDR (SMD = −2.07) (Mavranezouli et al., 2020)
• Überlegenheit von traumafokussierter Psychotherapie (g = 0.83) gegenüber nichttraumafokussierter Psychotherapie (g = 0.45) und Psychopharmakotherapie (g = 0.43; Lee et al., 2016)
• Überlegenheit von TF-KVT (g = 1.08 – 1.63) und EMDR (g = 1.01) gegenüber Psychopharmakotherapie (Watts et al., 2013)
S3 Leitlinie Psychopharmakotherapie
Eine Psychopharmakotherapie soll weder als alleinige noch als primäre Therapie der Posttraumatischen Belastungsstörung eingesetzt werden.
Evidenzgrad 1a-, Empfehlungsgrad A
S3 Leitlinie Psychopharmakotherapie - Benzos
Benzodiazepine sollen nicht eingesetzt werden.
Evidenzgrad 2a, Empfehlungsgrad A
Behandlung der Komplexen Posttraumatischen Belastungsstörung
Für eine KPTBS nach ICD-11 sollte die psychotherapeutische Behandlung mit einer Kombination traumafokussierter Techniken erfolgen, bei denen Schwerpunkte auf der Verarbeitung der Erinnerung an die traumatischen Erlebnisse und/oder ihrer Bedeutung liegen sowie auf Techniken zur Emotionsregulation und zur Verbesserung von Beziehungsstörungen im Sinne der Bearbeitung dysfunktionaler zwischenmenschlicher Muster.
Evidenzgrad 2a, Empfehlungsgrad B
STAIR/Narrative Therapie (STAIR-NT)
Skills-Training zur Affektiven und Interpersonellen Regulation mit Narrativer Therapie
Adressiert zentrale Symptomebereichebei komplexer PTBS:
• PTBS-Symptome
• Probleme mit der Emotionsregulation
• Interpersonale Probleme
• Hoher Grad an Standardisierung
• Evidenzbasierung
STAIR-NT
Indikation:
• Vorliegen einer Komplexen PTBS:
– PTBS-Symptome
– Störung der affektiven und interpersonellen Regulation
• stabil (negatives) Selbstbild
• leichte bis keine selbstschädigenden/suizidalen Verhaltensweisen
Die 2 Module von STAIR-NT
STAIR
• Skillstraining zur affektiven und interpersonellen Regulation
• Behandlungsziele:
o Förderung emotionaler und sozialer Fertigkeiten
• 8-10 Sitzungen (wöchentlich)
NT
• Wiederholte Schilderung des traumatischen Geschehens
• Exploration und Analyse der damit einhergehenden kognitiv emotionalen Schemata
o Abbau der PTBS-Symptomatik
o Traumatischen Erinnerungen eine Ordnung geben
• 8 Sitzungen (wöchentlich)
Modul 1: STAIR
Sitzung 1: Die Ressource Hoffnung - Einführung in die Behandlung Sitzung 2: Gefühle als Ressource - Emotionen bewusst wahrnehmen Sitzung 3: Emotionsregulation - Problematische Emotionen identifizieren
Sitzung 4: Leben in Kontakt mit Emotionen - Belastungstoleranz entwickeln
Sitzung 5: Die Ressource Bindung - Beziehungsmuster verstehen
Sitzung 6: Beziehungsmuster verändern
Sitzung 7: In Beziehungen kompetent handeln
Sitzung 8: Flexibilität in Beziehungen Sitzung 9: Übergang zur narrativen Bearbeitung von Traumatisierungen
Sitzung 10: Narrativ zur traumatischen Erinnerung
Sitzung 11-15: Narrative zum Thema Angst, Scham und Verlust
Sitzung 5: Beziehungsmuster verstehen
Edukation: Was sind interpersonelle Schemata? • Kinder verhalten sich so, dass die Bindungen zu ihren Bezugspersonen gestärkt werden (sichert Überleben)
• In der frühen Interaktion mit Bezugspersonen werden grundlegende Erfahrungen gemacht wie Beziehungen funktionieren; z.B. „Wenn ich weine, werde ich getröstet“; „wenn ich laut bin, werde ich ignoriert“.
• Diese wiederkehrenden Erfahrungen werden in so genannten interpersonellen Schemata gespeichert
Sitzung 5: Beziehungsmuster verstehen 2
• Menschen behalten die in ihrer Familie gelernten Schemata im Erwachsenenalter bei und übertragen sie auf die Beziehungen mit anderen Menschen
• Schemata, die in der Kindheit angemessen waren, können im Erwachsenenalter Probleme verursachen, zum Beispiel dass negative Beziehungsmuster unabsichtlich wiederholen
• Interpersonelle Schemata wiederholen sich häufig und es kann schwer sein sie zu durchbrechen
Interpersonelle Schemata: Verknüpfung von Vergangenheit und Gegenwart
• Interpersonelle Schemata, die sich im Rahmen traumatischer Erfahrungen entwickelt haben, sind innerhalb der aktuellen Beziehungen nicht länger hilfreich oder angemessen.
• „Wenn ich mich unterwerfe, werde ich geliebt“
• „Wenn ich keinen Ärger mache, falle ich niemandem zu Last... und das sorgt für Harmonie zu Hause“
• „Wenn ich in Beziehungen etwas erwarte, werde ich eh enttäuscht“
Traumabezogene Schemata
Individuelle Schemata identifizieren:
• „Wenn ich gehorche und mich unterordne werde ich geliebt“ (Sexuelle Gewalt)
• „Wenn ich meine Gefühle äußere werde ich geschlagen“ (Körperliche Gewalt)
• „Wenn ich mich ruhig verhalte und für Harmonie sorge wird nichts Schlimmes passieren” (Gewalt zwischen den Eltern)
• „Wenn ich in Beziehungen vertraue werde ich enttäuscht” (Eltern mit Suchtproblemen)
Interpersonelle Schemata identifizieren
• Die Grundidee des Rollenspiels vermitteln
• Rollenspiel für eine relevante Situation in drei Sequenzen durchspielen
• Rückmeldung zum Interaktionsstil geben
• Das Lernen am imaginierten Modell beschreiben
• Alternative Schemata herausarbeiten (AB „Interpersonelle Schemata 2“ vorstellen)
Mythen der Trauma-Therapie
Traumaexposition führt zu Retraumatisierung
—> Behandelte stimmen der Therapie zu und sind vollumfänglich informiert
—> Patienten leben mit Intrusionen und haben gelernt damit umzugehen
Aktueller Stand zur PTBS-Behandlung in Deutschland
• Viele Patienten erhalten erst nach Jahren eine traumafokussierte Psychotherapie
• Lange Wartezeiten für ambulante Psychotherapie (3-12 Monate)
• 32% der Patienten behalten nach der Therapie ihre Symptomatik
Zuletzt geändertvor 2 Tagen