Grundsätzliches zum Versicherungsfall:
Leistungsansprüche in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) bestehen nur, wenn während eines bestehenden Versicherungsverhältnisses ein Versicherungsfall eintritt.
Der Begriff „Versicherungsfall“ ist gesetzlich nicht definiert.
Nach der Rechtsprechung des BSG ist der Versicherungsfall ein Ereignis, das spezifische Gefährdungen und Nachteile für den Versicherten mit sich bringt.
In der GKV ist der Versicherungsfall das „Moment des Vorübergehenden“ – also ein vorübergehender Zustand, der eine Leistungspflicht auslöst.
Voraussetzungen für Leistungsansprüche
Ein Versicherungsfall ist Voraussetzung für den Eintritt des Leistungsfalls.
Die konkreten Voraussetzungen für einzelne Leistungen sind in den jeweiligen Anspruchsnormen geregelt -> Verweisung in § 11 SGB V
Leistungen der GKV werden nur gewährt, wenn nicht andere Sozialleistungsträger (z.B. Pflegekasse, Unfallversicherung) vorrangig zuständig sind.
Grundsätzlich unabhängig von der Ursache der Erkrankung (Finalprinzip), Ausnahmen bestehen z.B. bei Arbeitsunfällen, Selbstverschulden oder Missbrauch -> § 11 SGB V iVm § 21 I SGB I
Prävention
Primärprävention: Maßnahmen zur Verhinderung des Entstehens von Krankheiten (z.B. Impfungen, Gesundheitsförderung).
Sekundärprävention: Frühzeitige Erkennung und Behandlung von Krankheiten, um deren Fortschreiten zu verhindern (z.B. Krebsscreening).
Tertiärprävention: Maßnahmen nach Manifestation einer Krankheit, um Folgeschäden oder Rückfälle zu verhindern (z.B. Reha nach Herzinfarkt). = Rehabilitation oder Chroniker
Krankheit
Es gibt keine Legaldefinition von „Krankheit“ im Gesetz.
Nach BSG: Krankheit ist ein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand, der die Notwendigkeit einer Heilbehandlung oder Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat (zweigliedriger Krankheitsbegriff).
Entscheidend ist das Leitbild des gesunden Menschen im funktionalen Sinn, nicht das Idealbild.
Behandlungsbedürftigkeit: Der Zustand muss so erheblich sein, dass ärztliche Behandlung erforderlich ist.
Behandlungszugänglichkeit: Behandlung muss möglich und erfolgversprechend sein.
Arbeitsunfähigkeit: Liegt vor, wenn der Versicherte seine Tätigkeit aufgrund des Zustands nicht mehr ausüben kann.
Beispiel: Adipositas = Krankheit?
Ab starkem Übergewicht (BMI > 30) ist eine Behandlung erforderlich, da ansonsten erhöhtes Risiko für Begleit- und Folgeerkrankungen
Ob Adipositas Risikofaktor für die Folgeerkrankungen oder Risikofaktor für weitere Risikofaktoren ist, ist für die rechtliche Bewertung ohne Belang
Typische Abgrenzungen bei “Krankheit”
Nicht jede körperliche Unregelmäßigkeit ist eine Krankheit (z.B. einfache Zahnfehlstellung, Haarlosigkeit ohne Entstellung).
Altersbedingte Veränderungen sind keine Krankheit, außer sie sind behandlungsbedürftig (z.B. altersbedingte Arthrose).
Kausalität: Es muss ein Zusammenhang zwischen dem regelwidrigen Zustand und der Behandlungsbedürftigkeit/Arbeitsunfähigkeit bestehen (Relevanztheorie).
Körperliche Merkmale, die ein psychisches Leiden auslösen
Körperliche Merkmale (z.B. geringe Körpergröße) gelten nicht als Krankheit, auch wenn ein psychisches Leiden vorliegt. Operationen sind nur in Ausnahmefällen (ultima ratio) möglich, wenn psychiatrische/psychotherapeutische Behandlung abgelehnt wird und eine erhebliche Gefährdung besteht.
Geschlechtsangleichende Operationen für non-binäre Personen:
Transsexualität wird als Krankheit mit Leidensdruck anerkannt, aber nicht jede Angleichungsoperation ist Kassenleistung (Arg: Keine Annäherung an Schönheitsops)
Nur Operationen, die eine deutliche Annäherung an das andere Geschlecht bewirken, sind möglich.
Das SGB V sieht keinen eigenständigen Anspruch auf körpermodifizierende Behandlungen für Trans-Personen vor; der Gesetzgeber ist gefordert, klare Regelungen zu schaffen.
Abgrenzung Krankheit vs. Verhütung/Früherkennung:
Genetische Prädisposition (z.B. Krebsrisiko) gilt nur bei nachgewiesener Mutation als Krankheit.
Vorbeugende Maßnahmen sind besonders rechtfertigungsbedürftig.
Unfruchtbarkeit
§ 27 I 5 SGB V: Beseitigung der Folgen der Funktionsstörung Zeugungs- oder Empfängnisunfähigkeit
§ 27a SGB V: Anspruch auf Ersatz des singulären Zeugungsaktes
Eigenverantwortung
Einschränkung der Leistungen bei Selbstverschulden (z.B. vorsätzliche Handlung, medizinisch nicht indizierte Maßnahmen) -> § 1 S.2 SGB V; § 52 SGB V
Sach- und Dienstleistungsprinzip:
Versicherte erhalten Naturalleistungen, die Krankenkassen schließen Verträge mit Leistungserbringern ab.
Vorteile
Nachteile
Kein Inkassorisiko der Leistungserbringer = Garantie der Versorgung
Verträge KK – Leistungserbringer notwendig = komplexes Mehrecksverhältnis
Mangelnde Sensibilität der Versicherten hinsichtlich der Kosten
Überprüfbarkeit der Abrechnungen ggfs. hinabgesetzt
Arten der Leistungen:
Prävention (Schadensverhütung)
Restitution (Schadensbeseitigung)
Kompensation (Schadensausgleich)
Exoneration (Entlastung der Versicherten)
Zusatzleistungen
Krankenkassen können über die gesetzlichen Vorgaben hinaus Zusatzleistungen anbieten, wenn sie dazu ermächtigt sind. ® §§ 23 II, 37 II 4, 38 II SGB V
Pflicht- und Ermessensleistungen
Meist besteht ein Anspruch auf Pflichtleistungen, in bestimmten Fällen liegt ein Ermessensspielraum der Kasse vor (steht dann in der jeweiligen Norm)
Ausschluss/Beschränkung von Leistungen
Bestimmte Leistungen können durch Gesetz ausgeschlossen oder beschränkt werden -> §§ 34, 50 I, 52a SGB V
Akzessorietätsprinzip
Ergänzungsleistungen (z.B. Fahrkosten) werden nur im Zusammenhang mit einer Hauptleistung gewährt
Keine Kulanzleistungen
Leistungen dürfen nur auf gesetzlicher Grundlage gewährt werden, nicht aus Kulanz -> Vorbehalt des Gesetzes
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