Einleitung
Ort: Sumerische Stadt Uruk am Euphrat
Funde: Hunderte Tontafeln mit abstrakten Zeichen
Bereits ab ca. 8000 v. Chr. verwendet
Material: Kieselsteine → später Ton
Formen: Zylinder, Kegel, Scheiben
Zweck: Mengen landwirtschaftlicher Waren zählen
„Funde solcher Zählsteine sind über den gesamten vorderen Orient verteilt und datieren bis 8000 v. Chr. zurück.“
Tokens in Tonbällen eingeschlossen
Außen eingedrückte Zeichen zeigten Inhalt an
Außen eingedrückte Zeichen ersetzten die inneren Tokens (diese waren damit nicht mehr nötig)
Zeichen zeigten:
Art der Ware (z. B. Schaf)
Menge (z. B. 10 Schafe)
spätere Tafeln: Bildzeichen (Piktogramme)
Vorteil: Auch für neue Dinge nutzbar für die es keine Tokens gab (z. B. Karren, Hammer)
„Die mit einem Stylus in den feuchten Ton eingedrückten Piktogramme machten es möglich, über Waren buchzuführen, für die es keine Zählsteine gab.“
Lineare Kombination von Piktogrammen: Darstellung von ganzen Reden
Phonetisierung: Zeichen repräsentiert zusätzlich Laute
Beispiel: Zeichen für „Öl“ → Laut „i“
so entstand Sumerische Keilschrift
„Der entscheidende Schritt ist die lineare Kombination solcher Piktogramme, um die Wörter einer Rede zu repräsentieren.“
Mischung aus Zeichen für Wörter & Silben
ca. 600 Zeichen
Grundlage für spätere Schriftsysteme (abgesehen von den Systemen der Maya, Azteken und anderer indigenen Völker Amerikas
1️⃣ Zählsteine (Tokens) → 2️⃣ Tonbälle mit Tokens → 3️⃣ Abstrakte Eindrücke auf Tafeln → 4️⃣ Piktogramme → 5️⃣ Kombination zu Sätzen → 6️⃣ Phonetische Zeichen → 7️⃣ Keilschrift
Fast alle Schriften (außer z. B. Maya, Azteken) gehen auf die sumerische Erfindung zurück.
Die Idee der Schrift verbreitete sich über Handelswege bis nach Zentralasien.
„Abgesehen von den mittelamerikanischen Schriftsystemen […] gehen vermutlich alle Schriftsysteme […] auf die sumerische Erfindung zurück.“
🟢 1️⃣ Sumerische Entdeckung des phonetisches Prinzip (Sumerer)
Zeichen werden linear angeordnet, um den zeitlichen Ablauf von Sprache abzubilden.
„Der erste ist die […] Entdeckung des phonetischen Prinzips, also die lineare Anordnung der Schriftzeichen zur Repräsentation des zeitlich-linearen Fortlaufs sprachlicher Äußerungen.“
🟠 2️⃣ Vollständige phonetische Schrift (um 1800 v. Chr.)
Zeichen stehen nur für Laute, nicht für Bedeutungen.
Beispiele: west-semitische Silbenschriften (Hebräisch, Aramäisch, Phönizisch)
Wenige Zeichen (22–30)
„Der zweite ist die Entdeckung der vollständig phonetischen Schrift, deren Zeichen selbst nichts weiter bedeuten als lautliche Werte.“
🔵 3️⃣ Alphabetische Schrift (ca. 800 v. Chr.)
Griechisches Alphabet: 24 Buchstaben → Konsonanten & Vokale
Grundlage für alle heutigen Alphabete
„Atomistische Analyse“: Zerlegung in kleinste Laute
„Der dritte Schritt ist […] die vollständige, quasi atomistische Analyse der Laute […], die Grundlage für das […] griechische Alphabet ist.“
wurden genutzt um die Entiwcklung darzustellen
💬 Früher (veraltet):
Piktogramm (Bild für Gegenstand)
Ideogramm (z. B. chinesische Zeichen)
Phonogramm (Lautzeichen)
„Die dreigliedrige Systematik […] gilt als überholt.“
🆕 Heute:
Semasiographie: Zeichen ohne direkten Bezug zu Sprache (z. B. Mathe, Musik, Icons)
Lexigraphie: Zeichen bilden Sprache linear ab
„Semasiographie […] sehr alte Technik, wesentlich älter als 5100 Jahre.“
🟩 Logographische Schriften
Zeichen für Wörter/Bedeutungseinheiten (z. B. Chinesisch)
Vorteil: Lesbar trotz Dialekte
Kein Antrieb zur Vereinheitlichung der Sprache
„Eine Kraft zur Formierung einer Standard- oder Nationalsprache geht von einem logographischen Schriftsystem nicht aus.“
🟦 Phonographische Schriften
Zeichen für Laute
Zwei Formen:
Silbenschrift: codiert Silben (z. B. Japanisch)
Alphabet: codiert kleinste Laute (Konsonanten & Vokale)
„Phonographische Schriften hingegen kodieren lautliche Einheiten.“
Erfindung: ca. 800 v. Chr., Griechenland
Kodiert jede Sprache
„Auge für ein Ohr“ (McLuhan) & Schrift löst Bindung an mündliche Tradition
„Es führt zu einer ‚Intensivierung und Ausweitung der Funktion des Visuellen‘.“ (McLuhan)
Trägt zur sprachlichen Vereinheitlichung bei → wichtig für Nationenbildung
Gleichzeitig kann es regionale Dialekte bewahren
„Das Alphabet […] legt in der Neuzeit durch den Buchdruck eine Kraft zur sprachlichen Vereinheitlichung bei.“
1️⃣ Sumerisches phonetisches Prinzip 2️⃣ West-semitische phonetische Schriften (Silben) 3️⃣ Griechisches Alphabet → moderne Alphabete
Sie schwächt das Gedächtnis:
„Die Schrift sei ein Mittel nicht ‚für die Erinnerung, sondern nur für das Erinnern‘.“
Kritik im Phaidros: ➡️ Schrift als Medium, das ein geistiges Vermögen (Gedächtnis) nicht mehr trainiert
Paradoxon: ➡️ Seine Kritik wird selbst schriftlich überliefert und hängt am visuellen Denken (z. B. Ideenlehre)
„Die Pointe dabei ist, dass Platons Kritik selbst ganz im Zeichen des von ihm verdammten neuen Mediums steht.“
Zeigt, wie Schrift das Denken & soziale Strukturen verändert
Vergleich von Kulturen mit und ohne Schrift
In mündlichen Kulturen wird nichts aufgeschrieben
Geschichten sind flexibel & anpassbar ➡️ Erzählen sich so, dass sie immer zu aktuellen Verhältnissen passen
Nennt das:
„Tendenz zur Homöostase“ (Selbsterhaltung durch Anpassung)
Wollte eine große Mediengeschichte schreiben („Musik und Mathematik“) ➡️ Nur die Griechenland-Bände fertiggestellt
Lob der griechischen Alphabet-Erfindung ➡️ Motivation:
„Die Griechen benötigen um 800 v. Chr. ein Mittel zur Aufzeichnung von Gesängen, zur Aufzeichnung der Ilias und Odyssee.“
Gegenüberstellung:
Griechen: Schrift für Gesang & Dichtung
Israeliten: Schrift für das Gesetz
Sumerer & Ägypter: Schrift für Verwaltung & Administration
Römer: Nur Gesetzestexte („Zwölftafelgesetz“)
„Über die Römer hat Kittler oft gespottet, weil sie mit dem aus Griechenland importierten Alphabet nichts weiter anzufangen wussten, als ihre Gesetze aufzuschreiben.“
Schrift = Gedächtnisverlust → Kritik
Schrift verändert Denken & Erinnerung
Mündliche Kulturen = flexibel, anpassbar (Homöostase)
Griechen: Schrift für Dichtung & Musik
Römer: Schrift nur für Gesetze
Vertreter: Poststrukturalismus
Begründer: Dekonstruktion
Wichtiges Werk: Grammatologie ➡️ Anspruch: Allgemeine Wissenschaft der Schrift
Ab griechischer Philosophie: ➡️ Schrift = Vermittlung zweiter Ordnung
Sprache vermittelt Gedanken
Schrift vermittelt Sprache → „doppelte Vermittlung“
Folge: Schrift wird abgewertet ➡️ „tot“, „leblos“
„Als Folge dieses Denkens sei die Schrift abgewertet und mit Attributen wie ‚tot‘ oder ‚leblos‘ belegt worden.“
Westliches Denken bevorzugt gesprochene Sprache (Phoné)
Schrift gilt nur als sekundär
„Derrida deckt den Zusammenhang dieses Denkens mit dem vollständig phonetisierten Alphabet auf und konstatiert einen […] ‚Phonozentrismus‘.“
Schrift ist mehr als Sprache
In vielen anderen Bereichen präsent:
„Kinematographie“ (Film)
„Choreographie“ (Tanz)
„Pro-Gramm“ (Computer)
„In den Ausdrücken […] stecke bereits dem Namen nach das griechische ‚graphé‘ bzw. ‚gramma‘.“
Schrift = Einschreibung von Inhalten oder Strukturen
Gilt über den klassischen Schriftbegriff hinaus
Beispiel: Computer, Technik
Militärisch-industrieller Einfluss in Medien
Alan Turing: Computer für militärische Dechiffrierung entwickelt
Intel-Chips: Sicherheitsarchitektur → Zugang nur für „Superuser“
Spiegelt politische & bürokratische Prinzipien wider
„In die Silizium-Chips […] habe ebenfalls eine Einschreibung des Politischen stattgefunden.“
Kittler beschreibt hoffnungsvolle Urszene: ➡️ Musik wird ins griechische Alphabet eingeschrieben
Frage: Sind solche positiven Urszenen genauso glaubwürdig wie die skeptischen?
Schrift ist mehr als nur Sprache
„Phonozentrismus“ kritisiert
Begriff „Ein-Schreibung“: Alles ist Einschreibung (nicht nur Buchstaben!)
Technik = Einschreibung von Macht & Politik
Beispiel Computer: Kontrolle durch Sicherheitskonzepte
Musik & Alphabet als hoffnungsvoller Kontrapunkt
Denker
Zentrale Sicht auf Schrift
Funktion der Schrift
Platon
Skepsis, schwächt Gedächtnis
Erinnerungshilfe statt echtes Gedächtnis
Ong & Goody
Schrift verändert Denken & Gesellschaft
Fixierung, Stabilisierung von Wissen
Kittler
Dichtung & Gesang stehen im Mittelpunkt
Kunst & Kultur statt nur Verwaltung
Derrida
Mehr als Sprache, umfassend
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