Historie
Mit Sigmund Freud verfügt die Psychoanalyse über die Figur einer singulären Gründer-Vater-Persönlichkeit, auf die sie sich berufen und an der sie sich abarbeiten kann. Ursprünglich als Physiologe und Neurologe in der Tradition der Helmholtz-Schule ausgebildet, führten Freud insbesondere seine Auseinandersetzungen mit der Hypnose (Jean-Martin Charcot, Hippolyte Bernheim) und der kathartischen Methode (Josef Breuer) vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Philosophien des Unbewussten (Arthur Schopenhauer, Eduard von Hartmann, Friedrich Nietzsche, Theodor Lipps) zur Entwicklung der genuin psychoanalytischen Methode und Theorie in den 1890er Jahren. Die Psychoanalyse hat nicht nur eine eigene Historie, sondern das Historische ist zugleich zentraler Gegenstand ihres Erkenntnisinteresses. Freud (1937/1975) verglich die Arbeit des Psychoanalytikers mit der des Archäologen, insofern als es beiden darum gehe, Vergangenheit auszugraben. Die Psychoanalyse freilich interessiert sich weniger für die Ereignisse der Weltgeschichte als für die persönliche Historie der Patientin. Ging es der frühen Psychoanalyse dabei noch um das Aufdecken realer Fakten einer vergessenen Lebensgeschichte (historische Wahrheit), so wird der Therapieprozess mittlerweile vermehrt verstanden als eine Konstruktion von Geschichte durch das gemeinsame Erzählen bzw. Neuerzählen von Geschichten (narrative Wahrheit).
Grundbegriffe: Tiefe
„Tiefe“ fungiert als scheinbar selbstverständliche Leitmetapher aller psychoanalytisch begründeten Therapieverfahren und scheint jene Richtung anzugeben, in welcher Erkenntnis und Heilung zu suchen sind. Dabei changiert der Begriff zwischen zwei Bedeutungshorizonten: Tiefe meint zum einen das Tiefgründige, das Wahrhaftige, Innerste und Substanzielle (im Gegensatz zum „bloß“ Oberflächlichen, Äußerlichen und Akzidentiellen). Zum anderen liegt in der Tiefe aber auch das Niedere, das Dunkle, Abgründige und Körperliche (im Gegensatz zur „Höhe“ des Reinen, Lichten und Geistigen). Die Provokation der psychoanalytischen Anthropologie besteht in der Verschränkung beider Nuancen. Die therapeutische Tiefenorientierung führt keineswegs notwendigerweise zu einer Geringschätzung der Oberfläche. Ganz im Gegenteil: Da das in der Tiefe lauernde Unbewusste (s. u.) unserer unmittelbaren Wahrnehmung per definitionem nicht zugänglich ist, sind wir als Ausgangspunkt zu dessen methodischer Enträtselung gerade auf die Oberfläche verwiesen, deren Strukturen – wie z. B. Versprecher, Witze, Träume oder Metaphern – es deswegen umso inniglicher zu schätzen und umso achtsamer in den Blick zu nehmen gilt.
Grundbegriffe: Das Unbewusste
„Das Unbewußte ist das eigentlich reale Psychische, uns nach seiner inneren Natur so unbekannt wie das Reale der Außenwelt und uns durch die Daten des Bewußtseins ebenso unvollständig gegeben wie die Außenwelt durch die Angaben unserer Sinnesorgane“, schreibt Freud (1900/1972) in der Traumdeutung.
Aus dieser Annahme leitet sich sich die Notwendigkeit eines verstehend-interpretierenden Zuganges zu psychischen Phänomenen ab. Freud konzipierte die psychische Realität in einer Parallelführung zur materiellen Wirklichkeit: Ebenso wie sich die in ihrer Oberflächenstruktur vergleichsweise solide erscheinende Welt der alltäglichen Gebrauchsgegenstände bei tiefergehender physikalischer Analyse als eine atomare Suppe entpuppt, deren Strukturen nur noch als Wahrscheinlichkeitsfunktionen adäquat zu beschreiben sind, so zeigt sich hinter der vertrauten Welt des bewussten Psychischen und der deskriptiv erfassbaren Symptome die abgründige Welt des Unbewussten mit ihren Trieben und Konflikten. Ähnlich wie der Physiker für den Zugang zur Welt der Atome und Wellen ein Mikroskop benötigt, so benötigt die psychodynamisch arbeitende Therapeutin ein spezifisches Instrumentarium für den Zugang zur Welt des Unbewussten. Freud unterschied im Hinblick auf die Trennung von bewusst und unbewusst zwei grundlegend verschiedene Funktionsmodi des psychischen Geschehens:
Unbewusste Phänomene folgen den Gesetzmäßigkeiten des vom Lustprinzip beherrschten Primärprozesses (Gleichgültigkeit gegenüber der Realität, keine Negation, keine Zeit, keine Zweifel, keine Grade von Sicherheit), welche uns aus unseren Träumen, unseren Fantasien und aus der Interaktion mit unseren Kindern mehr oder weniger vertraut sind.
Bewusste Prozesse hingegen gehorchen den am Realitätsprinzip orientierten Gesetzmäßigkeiten des Sekundärprozesses, welche uns aus unserem erwachsenen Alltag nur allzu bekannt sind. Im Gegensatz zum Lustprinzip ermöglicht uns das Realitätsprinzip so heikle psychische Leistungen wie Bedürfnisaufschub oder gar den Glauben an scheinbar tröstliche Redensarten wie „Zeit heilt alle Wunden“.
Grundbegriffe: Träume
Freuds Interesse galt der Welt des Unbewussten und damit der Nachtseite unseres Seelenlebens. Im Traum erblickte er einen privilegierten Zugang hierzu. Freud verstand Träume dabei als Ergebnis eines durch den Schlaf begünstigten regressiven Prozesses (s. „Regression“), in dessen Verlauf eine latente Traumbedeutung in Bilder verwandelt wird, welche wir als manifesten Trauminhalt erinnern können. Diesen Umwandlungsprozess nannte er Traumarbeit und kennzeichnete ihn durch vier Mechanismen, deren ersten beiden besondere Bedeutung zukommt insofern sie in allen Bildungen des Unbewussten, also auch in Symptomen, wirksam sind:
Verdichtung: Ein manifestes Traumelement vertritt mehrere latente Traumelemente. Dies führt dazu, dass der manifeste Traumtext im Vergleich zum latenten Inhalt oft radikal abgekürzt erscheint. Verdichtung kann durch Auslassung von latenten Traumelementen oder durch Verschmelzung mehrerer latenter Elemente zu einem manifesten Element erzeugt werden. Eine Verdichtung findet sich z. B. in der Metapher der „Tiefe“ und den in ihr komprimierten Bedeutungshorizonten.
Verschiebung: Ersetzung eines latenten Traumelementes durch ein benachbartes oder verwandtes Element (z. B. Repräsentation durchs Gegenteil oder des Ganzen durch ein Teil). Eine Verschiebung findet sich z. B. in der metonymischen Wendung „Ich habe den ganzen Freud gelesen“, in welcher der Autor stellvertretend für sein Werk steht. Verschiebung ist zugleich ein Abwehrmechanismus.
Rücksicht auf Darstellbarkeit: Latente Traumelemente erfahren eine Auswahl und Modifikation mit dem Ziel, in plastischen, konkreten, meist visuellen Bildern vorgestellt werden zu können.
Sekundäre Bearbeitung (Rücksicht auf Verständlichkeit): Nachträgliche Glättung und Überarbeitung des Traumes mit dem Ziel, ihn als eine mehr oder weniger kohärente, gut komponierte Geschichte zu präsentieren. Ergebnis der Traumarbeit ist die Entstellung.
Die durch die Traumdeutung zu leistende Deutungsarbeit schlägt die der Traumarbeit entgegengesetzte Richtung ein, indem sie versucht, die archaische, primärprozesshafte Bildsprache der Träume unter Zuhilfenahme der Assoziationen des Patienten (s. „freie Assoziation“, S. 323) in die (Wort-)Sprache unseres Wachdenkens zu übersetzen und damit die Entstellung rückgängig zu machen. Die hiermit durch die Traumdeutung etablierte Grundidee der therapeutischen Übersetzung von Oberflächen- in Tiefenstruktur wurde später als ein Paradigma für den Umgang mit sämtlichen Mitteilungen der Patientin etabliert.
Grundbegriffe: Trieb
Freud (1915/1975b, S. 85) konzipierte den Trieb als einen „Grenzbegriff zwischen Seelischem und Somatischem, als psychischer Repräsentant der aus dem Körperinnern stammenden, in die Seele gelangenden Reize, als ein Maß der Arbeitsanforderung, die dem Seelischen infolge seines Zusammenhangs mit dem Körperlichen auferlegt ist“. Unter dem Begriff des Triebes verweist Freud darauf, dass unsere Begierden und unsere Ängste letztendlich in basalen Körperbedürfnissen verwurzelt sind. Eng mit dem Begriff des Triebes verbunden ist der Begriff des Objekts. Objekte sind das, worauf wir intentional – wollend, liebend, hassend, vermeinend, denkend, essend, fantasierend – bezogen sind. Objekte im psychodynamischen Sinne können sowohl Gegenstände als auch Personen, sowohl realer als auch imaginierter Natur sein. Charakteristische Eigenschaften von Objekten werden oft entlang mehrerer Unterscheidungsdimensionen geordnet, so ist z. B. die Rede von guten vs. bösen Objekten, ganzen Objekten vs. Partialobjekten und inneren vs. äußeren Objekten. Es wird eine Objektrepräsentanz (mein inneres Bild von meinem Vater) vom realen Objekt (der historischen Person meines Vaters) unterschieden.
Topografisches Modell und Strukturmodell
Im topografischen Modell unterschied Freud die drei psychischen Orte des
Unbewussten,
Vorbewussten und
Bewussten.
Das Unbewusste besteht dabei zum einen aus Inhalten, die einmal bewusst waren und verdrängt (s. „Verdrängung“) wurden, weil sie im Konflikt mit anderen Bewusstseinsinhalten standen. Zum anderen deutet Freud auch einen phylogenetisch ererbten, angeborenen Kern des Unbewussten an.
Im Strukturmodell, welches Freud 1923 einführte, unterscheidet er drei Instanzen und schreibt ihnen bestimmte Funktionen zu:
Es: der Triebpol der Persönlichkeit, das Hauptreservoir der psychischen Energie,
Über-Ich: jene inneren Objekte, denen zuliebe wir moralisch handeln; der Richter und Zensor, der für Gewissen, Idealbildung und Selbstbeobachtung verantwortlich ist,
Ich: der Abwehrpol der Persönlichkeit (s. „Abwehr“); der Prügelknabe, der zwischen den Triebwünschen des Es, den Geboten, Verboten und Idealen des Über-Ich und den Anforderungen der äußeren Realität vermitteln muss.
Das Es ist vollständig unbewusst, aber auch Ich und Über-Ich haben unbewusste Anteile
Narzissmus
Mit Narzissmus wird in Anlehnung an den antiken Narcissus-Mythos die Liebe bezeichnet, welche man dem Bild von sich selbst entgegenbringt. Freud führte den Begriff 1914 in die psychoanalytische Theorie ein und stellte mit ihm die libidinöse Besetzung des Ich der Objektbesetzung gegenüber. Darüber hinaus verwendete er den Begriff auch zur Beschreibung einer sexuellen Perversion, einer Entwicklungsstufe und einer spezifischen Art der Objektwahl. Die Narzissmustheorie ist ein ebenso zentraler wie kontrovers diskutierter Teil des psychoanalytischen Gedankengebäudes und Bestandteil vielfältiger Auseinandersetzungen.
Grundbegriffe: Selbst
Selbst: Ganz allgemein wird mit dem Begriff eine Person in ihrer Totalität und Subjektivität, also das Ganze der Psyche (im Unterschied zu spezifischen psychischen Substrukturen wie Ich, Es oder Über-Ich) bezeichnet.
Heinz Kohut verwendet den Begriff, um eine übergeordnete mentale Struktur zu beschreiben, welche für Kontinuität, Kohärenz und Wohlbefinden verantwortlich ist. In diesen Zusammenhang gehört auch der oft verwendete Begriff des Selbstobjekts. Im Gegensatz zum Objekt der Triebe, welches das Ziel von Begehren und/oder Aggression ist, ist das Selbstobjekt das Andere, welches mir die (narzisstische) Erfahrung von Kohäsion, Stärke und Harmonie verschafft. Selbstobjekte müssen nicht notwendigerweise Personen sein, oftmals handelt es sich auch um Musik, Schulzugehörigkeiten, Kraftfahrzeuge, Titel, kulturelle Rituale oder Schuhe.
Die vier psychoanalytischen Schulen
Trieb-Psychologie (auch Trieb-Struktur-Modell; Sigmund Freud u. a.): Das ursprüngliche Interesse Freuds galt der Erforschung – und damit in gewisser Weise auch der Bewusstmachung – des Unbewussten und Triebhaften im Menschen. Entsprechend denkt das triebtheoretische Modell von dem im Subjekt lauernden Unbekannten – dem Es – her:
Es betont ausschließlich oder vor allem die intrapsychische Perspektive („Ein-Personen-Psychologie“).
Das Objekt wird verstanden als Objekt der Triebe. Es ist etwas im Bezug zum Trieb lediglich Sekundäres – „das variabelste am Triebe“ (Freud, 1915/1975b, S. 86) – und nur insoweit von Bedeutung als es sich zur Befriedigung eines Triebes als geeignet erweist.
Im Menschenbild der Triebtheorie sind wir vor allem Lustsucher.
Im Zentrum der Erklärung von Entwicklung, psychischer Struktur und Psychopathologie steht entsprechend die Frage nach Triebschicksalen.
Ich-Psychologie (Anna Freud, Heinz Hartmann u. a.): In Abgrenzung von der ursprünglichen „Es-Psychologie“ Freuds werden hier die Autonomie des Ichs und seine Anpassungsmöglichkeiten betont. Besondere Aufmerksamkeit kommt den Ich-Funktionen zu.
Selbstpsychologie (Heinz Kohut u. a.): In Abgrenzung zu Freuds Theorie der Triebentwicklung wird eine Theorie der Entwicklung und Entfaltung des Selbst und seiner Talente und Fertigkeiten konzipiert. Das Selbst bildet den Kern der Persönlichkeit und ist lebenslang angewiesen auf empathische Objekte und die Spiegelung durch diese. Aggression und Wut werden nicht wie im triebtheoretischen Modell als primäre Manifestationen der in allen Menschen von Geburt an wirksamen zerstörerischen (Todes-)Triebe verstanden, sondern als sekundäre Reaktionen auf eine frustrierende und entwicklungshemmende Außenwelt.
Objektbeziehungstheorie (auch Beziehungs-Struktur-Modell; Melanie Klein, William R. D. Fairbairn u. a.): Im Vordergrund des Interesses der Objektbeziehungstheorie steht die fundamentale Bedeutung von Beziehungen und von jenen (meist belebten) Objekten, zu denen Beziehungen aufgenommen werden. Das objektbeziehungstheoretische Modell lässt sich im Kontrast zur klassischen Triebpsychologie charakterisieren: Es betont vor allem die interpersonelle bzw. relationale Perspektive („Zwei-Personen-Psychologie“).
Das Objekt wird verstanden als das Gegenüber. Es ist das Primäre.
Im Menschenbild der Objektbeziehungstheorie sind wir vor allem Objektsucher.
Im Zentrum der Erklärung von Entwicklung, psychischer Struktur und Psychopathologie steht entsprechend die Frage nach Bindungsschicksalen.
Geburt
Das Geborenwerden stellt eine vergleichsweise radikale Veränderung im Leben eines jeden Menschen dar. Unter psychoanalytischer Perspektive prägte Otto Rank (1924) den Topos vom „Trauma der Geburt“, Sigmund Freud befasste sich in der Traumdeutung mit den von ihm den typischen Träumen zugerechneten „Geburtsträumen“, Margaret Mahler stellte die „psychische Geburt“ des Kindes der biologischen Geburt gegenüber (s. „Entwicklung des Selbst und seiner Objektbeziehungen“) und Wilfred Bion (1975) erblickte in der Geburt gar das wirkungsmächtige Paradigma für jegliche Form psychischer Diskontinuität.
Entwicklungslinien
Entwicklung vollzieht sich nach psychoanalytischem Verständnis vom Primärprozess hin zum Sekundärprozess. Dies beinhaltet zugleich eine Integration chaotischer Partialtriebe (orale Interessen, anale Interessen, Schauen, Sich-Zeigen, Riechen etc.) unter dem Primat genitaler Sexualität.
Sexualität
Freuds Überlegungen zur Entwicklung der Psychosexualität des Menschen liegt ein erweiterter Begriff von Sexualität zu Grunde, welcher das Sexuelle nicht auf das Genitale reduziert, sondern vielmehr alle Funktionen und Aktivitäten der Lustgewinnung aus Körperempfindungen umfasst (Rugenstein, 2021).
Triebentwicklung
Freud (1905/1972) stellte die These auf, dass Sexualität von Geburt an eine wesentliche Determinante menschlichen Erlebens und Verhaltens sei und sich im Spannungsfeld von biologisch verankertem Trieb (Lustprinzip) und kulturell bestimmter Unterdrückung bzw. Lenkung desselben (Realitätsprinzip) entfalte. Die von ihm parallel zu körperlichen Reifungsprozessen konzipierten psychosexuellen Phasen dieses Entfaltungsprozesses benannte er nach der jeweils im Zentrum des phasenspezifischen Lusterlebens stehenden und somit erogen besetzten Körperregion. Frühe Triebschicksale (und Objektbeziehungen) werden dabei nie endgültig hinter sich gelassen, sondern bestimmen als lebenspraktisch wirksame Modelle für (zwischenmenschliche) Erfahrungen die weitere Entwicklung auch dann mit, wenn eine Ersetzung früher Triebziele durch Ich-Ziele hinreichend glaubwürdig bewerkstelligt werden konnte.
Ödipuskomplex
Vielschichtige Gesamtheit der von einem Kind seinen Eltern gegenüber gehegten libidinösen Wünsche und agressiven Impulse und der gegen diese errichteten Abwehrformationen. Dies beinhaltet die Auseinandersetzung mit der Generationengrenze, der Geschlechterdifferenz und einer – wo auch immer situierten – verbietenden Instanz („das Gesetz“). Freud sah im Ödipuskomplex eine für das menschliche Seelenleben zentrale Struktur und machte ihn zu einer Hauptbezugsachse der Psychopathologie. Er unterschied einen positiven Ödipuskomplex (Zuneigung zum gegen- und Rivalität gegenüber dem gleichgeschlechtlichen Elternteil) und einen negativen Ödipuskomplex (Zuneigung zum gleich- und Rivalität gegenüber dem gegengeschlechtlichen Elternteil). Im vollständigen Ödipuskomplex findet sich dabei eine Mischung aus beiden Formen. Die Phase des Ödipuskomplexes geht einher mit dem Wechsel von dualen zu triangulären Beziehungen und hat Auswirkungen auf die Entwicklung der Persönlichkeitsstruktur (insbesondere auf die Bildung von Über-Ich und Ich-Ideal).
Identitätsentwicklung (Stufenmodell Erikson)
Erik Erikson (1966) betont, dass sich das Erleben persönlicher Identität in einer über den gesamten Lebensprozess stattfindenden – also über die mit der Pubertät idealtypisch abgeschlossene Entwicklung „reifer Genitalität“ hinausreichenden – Abfolge von konflikthaften psychosozialen Krisen herstelle. In diesen Krisen geht es darum, immer wieder aufs neue die Spannungen zwischen den sich im Entwicklungsprozess verändernden Bedürfnissen des Individuums und den sich ebenfalls verändernden Anforderungen der sozialen Umwelt auszuhandeln.
Entwicklungs des Selbst und seiner Objektbeziehungen (Mahler)
Margaret Mahler (1978) befasste sich mit der kindlichen Individuationsentwicklung und der damit einhergehenden Bildung von Selbst- und Objektrepräsentanzen innerhalb der ersten drei Lebensjahre. Entscheidend ist dabei der Ausbruch des Kindes aus der undifferenzierten, symbiotischen, „ozeanischen“ Mutter-Kind-Einheit in die Welt der Objekte und der zwischenmenschlichen Beziehungen. Ist das Kind zunächst lediglich körperlich geboren, so vollziehe sich in der auf die Symbiose folgenden Separations-Individuations-Phase die psychische Geburt des Menschen. Separation meint dabei die Erfahrung, unabhängig und autonom von der Mutter funktionieren zu können (und dennoch zwischenmenschlich mit ihr verbunden zu sein); Individuation hingegen nennt die Bestrebungen des Kindes, eine eigene Identität zu entwickeln. Mahler konzipierte ursprünglich ein vor der Symbiose liegendes autistisches Stadium. Dieses Postulat ist mit den Ergebnissen der empirischen Säuglingsforschung unvereinbar. Auch das Konzept eines symbiotischen Stadiums erscheint vor diesem Hintergrund als zumindest problematisch. Es gibt jedoch eine Reihe erfolgversprechender Versuche, das Symbiosekonzept theoretisch zu rehabilitieren. Am Ende der von Mahler gezeichneten Entwicklungslinie steht die Herausbildung der Fähigkeit zur Internalisierung und damit die Möglichkeit, auf stabile, differenzierte und integrierte innere Objekt- und Selbstrepräsentanzen zurückgreifen zu können.
In der sich auf Mahlers Modell berufenden objektbeziehungstheoretischen Traditionslinie lässt sich Entwicklung verstehen als eine Abfolge von Schritten der Differenzierung und Integration, die mit einer Entwicklung von archaischen (gut vs. böse) hin zu reifen, integrierten (sowohl positive als auch negative Aspekte einschließenden) Selbst- und Objektrepräsentanzen einhergehen.
Primäre Liebe (Balint)
Primäre Liebe (Michael Balint): Frühe präödipale Entwicklungsphase, welche nicht mit einer erogenen Zone in Verbindung steht und für welche die harmonische Verschränkung mit einer noch undifferenzierten und nicht scharf vom Individuum abgegrenzten Umwelt charakteristisch ist. Die Matrix der primären Liebe bildet nach Balint die Grundlage aller späteren Objektbeziehungen. Balint (1970) unterscheidet diesbezüglich insbesondere zwei Typen: In der
oknophilen (das Anklammern liebenden) Weltstruktur werden die aus der ursprünglichen Harmonie auftauchenden und sich abgrenzenden Objekte als sicher und tröstlich erlebt, während die Räume zwischen den Objekten ängstigend sind. In der
philobatischen (das Gehen liebenden) Weltstruktur hingegen werden die objektlosen Räume als freundlich und sicher empfunden, während die Objekte trügerisch und bedrohlich erscheinen.
Übergangsobjekte (Winnicott)
Übergangsobjekte (Donald Winnicott, 1965/2002): Übergangsobjekte ermöglichen es dem Säugling, sich vorübergehend als von seiner primären Bezugsperson getrennt wahrzunehmen, ohne dies sofort als einen Verlust zu erleben. Übergangsobjekte haben eine Brückenfunktion und fördern den entscheidenden Entwicklungsschritt der Differenzierung von Subjekt und Objekt, insofern sie einerseits der äußeren Realität angehören, sich andererseits aber auch den subjektiven Bedürfnissen des Säuglings entsprechend fügen und, wie im Falle des Kuscheltieres, nicht so nachhaltig auf ihrer vom Kind unabhängigen Eigenexistenz beharren, wie dies später Behörden, Geliebte und schmutziges Geschirr im Leben des Erwachsenen tun werden.
Mentalisierung (Fonagy)
Mentalisierung (Peter Fonagy): Mentalisierung bezeichnet die Fähigkeit, fremdes und eigenes äußeres Verhalten unter dem Blickwickel psychischer Zustände (Überzeugungen, Absichten, Einstellungen, Wünsche) begreifen und interpretieren zu können. Diese Fähigkeit stellt nach Fonagy eine ausschlaggebende Determinante in der Regulation von Affekten und der Organisation des Selbst dar und wird im Kontext früher Bindungsbeziehungen erworben (Fonagy, Gergely, Jurist & Target, 2002). Kleinkinder benötigen zum Erwerb der Mentalisierungsfähigkeit die Spiegelung eigener emotionaler Zustände durch Bezugspersonen. Mit dem Begriff der Markierung wird die Spiegelung eines ähnlichen, aber etwas übertriebenen mimischen Ausdrucks bezeichnet. Mentalisierungsfähigkeit geht mit der Erkenntnis einher, dass die eigenen Gedanken und Gefühle die äußere Realität zwar repräsentieren, ihr jedoch keineswegs exakt entsprechen. In diesem Sinne wird der Modus der psychischen Äquivalenz (Gedanken = Realität) vom Als-ob-Modus (spielerischer Umgang mit Gedanken über die Realität) unterschieden. Dieser Unterscheidung kommt insbesondere bei der Arbeit mit Borderline-Patienten Bedeutung zu.
Alexithymie
Unfähigkeit, Gefühle bei sich und anderen adäquat wahrzunehmen und mit Worten zu beschreiben. Alexithymie kann als eine Störung der Symbolisierungsfähigkeit und als spezifisches Defizit bei der Mentalisierung von Affekten verstanden werden. Die Betroffenen erscheinen in ihrem Erleben und Ausdrucksverhalten fantasiearm und im Funktionalen und Konkreten verhaftet.
Entwicklung von Bindungsverhalten (Bowlby)
Im Kontext der von John Bowlby ausgearbeiteten Bindungstheorie wird in der gegenwärtigen Psychoanalyse die Entwicklung einer engen emotionalen Beziehung als universelles menschliches Grundbedürfnis begriffen. Die Bindungstheorie expliziert die Kontexte für den Erwerb der Emotionsregulation beim Kleinkind. Am Ende der von ihr gezeichneten Entwicklung steht der Erwerb eines grundlegenden Vertrauens in die Erreichbarkeit primärer Bezugs- und Bindungspersonen. Frühe Bindungserfahrungen und die mit ihnen einhergehenden emotionalen Qualitäten werden nach Bowlby verinnerlicht und bilden als „inneres Arbeitsmodell“ die Grundlage späterer handlungsleitender Vorstellungen davon, wie Beziehung funktioniert.
Modelle der Symptomentstehung
Nach psychodynamischem Verständnis lässt sich die Entstehung von Symptomen vor dem Hintergrund von drei relativ unterschiedlichen Modellen verstehen, wobei Mischformen dieser drei Wege der Symptomentstehung im klinischen Alltag die Regel sind. Symptome können sein:
1. der missglückte Lösungsversuch eines innerpsychischen Konfliktes,
2. das Anzeichen struktureller Entwicklungsdefizite oder
3. die Folge der Einwirkungen eines traumatischen äußeren Ereignisses.
Modelle der Symptomentstehung: Konfliktpathologie
Konflikt: der innere Widerstreit gegensätzlicher Motive, Wünsche, Bedürfnisse, Werte und Vorstellungen. Konflikte sind – nach dem Menschenbild der Psychoanalyse – für den Menschen konstitutiv. Es wird davon ausgegangen, dass sich aus ursprünglich zwischenmenschlichen (interpersonellen) Konflikten durch Verinnerlichung im Laufe der Biografie innere (intrapsychische) Konflikte (z. B. Wunsch vs. Abwehr, Instanzenkonflikt, Triebkonflikt) entwickeln. Diese können dann wiederum als soziale Konflikte reexternalisiert und inszeniert werden (z. B. in Form eines Übertragungsarrangements in einer Therapie.
Allgemeines Modell einer konfliktbasierten Psychodynamik:
Auslösende Situation (Versuchungs- und Versagungssituation) → aktueller Konflikt → Reaktualisierung eines infantilen Konfliktes (= unbewusster, innerer Konflikt) → Abwehr → Kompromissbildung zwischen Wunsch und Abwehr → Symptom (Angstreduktion, derzeit beste Organisationsform eines psychischen Konfliktes).
Abwehr
Abwehr: ein unbewusst durchgeführtes, selbsttäuschendes Verhalten mit dem Ziel der Unlustvermeidung und des Schutzes des Selbstbildes. Aufgabe der Abwehr ist es, alle die Konstanz und Integrität des Individuums gefährdenden Strebungen einzuschränken oder zu unterdrücken und das diese Konstanz verkörpernde Ich sowohl vor überbordenden Triebansprüchen als auch vor den Unzumutbarkeiten der äußeren Realität zu schützen. Die Instanz des Ich spielt in der Abwehr sowohl eine passive als auch eine aktive Rolle: Die Abwehr kann als eine unbewusste Ich-Funktion beschrieben werden. Der Abwehrvorgang bedient sich bestimmter in der Psychoanalyse uneinheitlich systematisierter Abwehrmechanismen, nach denen in Klausuren wirklich gerne gefragt wird.
Reife vs. unreife Abwehr: Reife Abwehr gruppiert sich um den Mechanismus der Verdrängung, unreife um jenen der Spaltung. Unreife Abwehrmechanismen umfassen vor allem Spaltung bzw. Idealisierung/Entwertung und projektive Identifizierung und werden oft als ein Indikator für das Vorhandensein struktureller Defizite angesehen. Als reife (neurotische) Abwehrmechanismen werden neben der Verdrängung oft Verschiebung, Reaktionsbildung, Rationalisierung, Intellektualisierung und Isolierung genannt. Reife Abwehr zeichnet sich dabei durch eine Flexibilität der eingesetzten Mechanismen und durch ein geringes Maß an Realitätsverzerrung aus. Unreife Abwehr hingegen ist gekennzeichnet durch ihre charakteristische Rigidität und durch eine signifikante Realitätsverzerrung. Abwehr ist nicht per se pathologisch, sondern schließt in ihren adaptiven Formen auch das mit ein, was in anderer theoretischer Ausrichtung als Coping (s. S. 42 f.) bezeichnet werden kann: Antizipation, Humor und Sublimierung. Die Fähigkeit zur Abwehr ist eine wesentliche Voraussetzung für die Herausbildung einer Charakterstruktur.
Abwehrmechanismen
Primärer und sekundärer Krankheitsgewinn
Primärer und sekundärer Krankheitsgewinn: Mit dem wenig freundlichen Wort „Krankheitsgewinn“ bezeichnet die Psychoanalytikerin jede direkte oder indirekte Befriedigung, die ein Kranker aus seiner Krankheit zieht. Der primäre Krankheitsgewinn liegt dabei in der Angstreduktion durch die zum Symptom führende Kompromissbildung und bildet eine ursprünglich funktionale Bedingung für das Entstehen einer Krankheit. Der sekundäre Krankheitsgewinn hingegen kommt erst nachträglich als ein Kollateralnutzen zu einer bereits bestehenden Erkrankung hinzu. Es geht hier also nicht mehr um die Entstehungsbedingungen, sondern um die aufrechterhaltenden Bedingungen einer Symptomatik. Diese können z. B. bestehen in narzisstischer Zufuhr (Aufmerksamkeit), in der Befriedigung eines masochistischen Strafbedürfnisses (Schmerzen), in emotionaler oder materieller Versorgung (Apfelmus, Rente) oder auch in der Befriedigung aggressiver Strebungen gegenüber denen, die gezwungen sind, am Leiden des Betroffenen zu partizipieren (Schwiegermutter). Darüber hinaus werden manchmal Vorteile, welche die Umgebung eines Erkrankten aus seiner Erkrankung zieht, z. B. durch die Möglichkeit, ein Helfersyndrom ausagieren zu können, als tertiärer Krankheitsgewinn bezeichnet.
Modelle der Symptomentstehung: Strukturmodell (Defizitmodell)
Strukturbegriff
Struktur: Struktur wird in diesem Zusammenhang verstanden als „die Verfügbarkeit über psychische Funktionen, welche für die Organisation des Selbst und seiner Beziehungen zu den inneren und äußeren Objekten erforderlich sind“ (Rudolf, 2004). Es handelt sich somit bei dem mit dem Strukturbegriff Gemeinten um ein relativ zeitstabiles Gefüge von Persönlichkeitseigenschaften, welches sich vor allem in der charakteristischen Art und Weise zeigt, in welcher jeder Einzelne immer wieder mehr oder weniger erfolgreich sein intrapsychisches und interpersonelles Gleichgewicht (wieder)herstellt (s. „OPD-Achse IV (Struktur)“,
Modelle der Symptomentstehung: Strukturmodell
Symptombildung bei strukturellen Störungen
Symptombildung bei strukturellen Störungen: Im Gegensatz zu konfliktbedingten Pathologien, in welchen Leiden oft aus blockierten Ansätzen des eigenen Handelns entsteht (Übersteuerung), resultiert das Leiden innerhalb struktureller Pathologien aus dem als unerträglich erlebten Verhalten der anderen Menschen. Strukturelle Pathologien zeigen sich in der Regel in Form von Regulationsstörungen (Untersteuerung) und spielen sich – im Gegensatz zum neurotischen Konflikt – im Außen ab. Strukturelle Störungen können entweder entwicklungsbedingt sein (notwendige Integrations- oder Differenzierungsschritte bezüglich wichtiger Ich-Funktionen sind im Laufe der Entwicklung nicht erfolgt) oder das Resultat einer regressiven Entdifferenzierung aufgrund traumatischer Ereignisse oder toxischer Einflüsse bei ansonsten nicht strukturell beeinträchtigten Personen.
Modelle der Symptomentstehung: Traumamodell
Traumabegriff
Trauma: Gemäß der Definition des ICD-10 spricht man von einem Trauma bei einem belastenden Ereignis oder einer Situation außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigen Ausmaßes (kurz oder lang anhaltend), die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde (Dilling, Mombour & Schmidt, 2010, S. 183).
Kumulatives Trauma (Masud Khan, 1963): Summation unterschwelliger, für sich genommen subtraumatischer Reize zu einem Trauma.
Sequenzielles Trauma: von Hans Keilson (1979) in der Untersuchung von jüdischen Kriegswaisen in Holland eingeführte Vorstellung vom Trauma als langfristigem Prozess und nicht als singulärem Ereignis. Mindestens so wichtig wie die allgemein im Vordergrund stehende Frage nach der Tat und dem Täter (erste traumatische Sequenz) ist die politisch hochgradig brisante Frage nach der postexpositorischen Reaktion der sozialen Umwelt: Ein Trauma endet nicht mit der Befreiung aus den Fängen des Täters, sondern geht damit nur in eine neue Sequenz über.
Symptombildung nach traumatischen Ereignissen
Symptombildung nach traumatischen Ereignissen: Analog zu den im Defizitmodell entwickelten Gedanken gefährden unverarbeitete Traumata die strukturelle Integration. Besondere Bedeutung kommt dabei dem erzwungenen Erleben von Ohnmacht und Überwältigung, Schuldgefühlen, Verwirrung des Wirklichkeitssinnes und dem Zusammenwirken von kindlichen Fantasien und ihrer Realisierung zu.
Diagnostik und Indikation
Ziel psychodynamischer Diagnostik
Ziel psychodynamischer Diagnostik ist die Erfassung von:
• Symptomatik und deren subjektiver Bedeutung,
• auslösender Situation,
• biografischer Anamnese,
• innerer Objektwelt und unbewussten Fantasien,
• Psychodynamik (Struktur, Konflikt, Abwehr).
Projektive Testverfahren
Im Umgang mit minimal strukturiertem Testmaterial (Abbildung 28.1) soll sich das Unbewusste der Probanden zeigen. Projektive Verfahren lassen sich unterteilen in Formdeuteverfahren (Abbildung 28.1 a), Gestaltungsverfahren (Abbildung 28.1 b) und verbal-thematische Verfahren (Abbildung 28.1 c). Projektive Testverfahren schneiden hinsichtlich der klassischen Testgütekriterien tendenziell suboptimal ab.
Diagnostisches Erstgespräch und Interview
Erstinterview (Hermann Argelander): Es handelt sich hierbei um eine weitestgehend unstrukturierte, „ungewöhnliche Gesprächssituation“ (Argelander, 1970, S. 16), in der der Patientin größtenteils die Aktivität überlassen wird. Der Therapeut verfolgt das Ziel, die eigene Person dabei in einem umfassenden Sinne als Instrument zu nutzen, wobei ihm hierbei nach Argelander (1970, S. 12 ff.) drei Informationsquellen zur Verfügung stehen, deren dritte – die szenische Information – den Clou des psychodynamischen Interaktionsverständnisses ausmacht (s. Tabelle 28.1).
Biografische Anamnese (Annemarie Dührssen): Der Gegenwartskonflikt und seine Vorgeschichte bilden das zentrale Interesse von Dührssens (1981, 136 ff.) Anamneseschema, welches teilweise auch dem Bericht für den Psychotherapieantrag in der gesetzlichen Krankenversicherung zugrunde liegt (Symptomatik – auslösende Situation – aktuelle Lebensumstände – Herkunftsfamilie und Kindheitsgeschichte – Schul- und Berufsentwicklung – Sexualentwicklung, Liebesbeziehungen).
Strukturelles Interview (Otto Kernberg): spezielles, leitfadengestütztes Interview, welches die deskriptiv-psychiatrische und die psychoanalytische Perspektive miteinander verbindet. Ziel des Interviews ist die diagnostische Differenzierung von neurotischer, Borderline- und psychotischer Persönlichkeitsstruktur. Kernberg (1981, S. 169 f.) beschreibt dabei drei übergeordnete strukturelle Charakteristiken, die es unter Berücksichtigung der Beziehungsdynamik innerhalb der Interviewsituation zu explorieren gilt:
1. Integrierte vs. diffuse Identität und entsprechende Qualität der Objektbeziehungen (neurotisch vs. Borderline und psychotisch).
2. Verwendung reifer vs. unreifer Abwehrmechanismen (neurotisch vs. Borderline und psychotisch).
3. Ausreichend intakte vs. signifikant eingeschränkte Fähigkeit zur Realitätsprüfung (neurotisch und Borderline vs. psychotisch)
Beziehungsdiagnostik
Zentrales Beziehungskonfliktthema (CCRT bzw. ZBKT, Luborsky & Crits-Christoph, 1990): Analyse von Interaktionserlebnissen des Patienten bezüglich
1. des häufigsten Wunsches gegenüber einer anderen Person und den daran geknüpften Erwartungen,
2. der häufigsten Reaktion der anderen und
3. der häufigsten Reaktion des Patienten auf die Reaktion der anderen.
Zyklisch maladaptives Beziehungsmuster (CMP, Strupp & Binder, 1984): Konzeptualisierung von zirkulär unbefriedigenden Strukturen, welche sich in Beziehungen (z. B. in Paarbeziehungen oder in therapeutischen Beziehungen) einstellen können und die dem Muster folgen:
1. Reaktion, die sich die Patientin von einer anderen Person wünscht,
2. negative Reaktion, die sie stattdessen von anderen Personen erwartet,
3. daraus resultierendes Verhalten der Patientin anderen gegenüber,
4. entsprechendes Verhalten der anderen gegenüber der Patientin,
5. Verhalten der Patientin gegenüber sich selbst im Sinne einer Auseinandersetzung mit maladaptiven Introjekten.
Strukturelle Analyse sozialen Verhaltens (SASB, Benjamin, 1974): Fragebogenverfahren zur Beziehungsanalyse basierend auf dem Postulat, dass sich alle interpersonellen Verhaltensweisen auf einem Zirkumplexmodell (s. Abbildung 28.2) mit den beiden Achsen „Affiliation“ (mit den Polen: hasserfüllt – liebevoll) und „Interdependenz“ (mit den Polen: autonom – abhängig) abbilden lassen. Das Modell erfasst dabei sowohl interpersonelle Aktivität (transitives Verhalten mit dem Ziel beim Gegenüber etwas zu erreichen), interpersonelle Reaktivität (intransitive Antworten auf das Verhalten des Gegenübers) als auch die intrapsychische Dimension (Verhalten zu sich selbst im Sinne einer Auseinandersetzung mit den eigenen Introjekten). Das Modell eignet sich dazu, soziale Austauschprozesse (z. B. Übertragungs-Gegenübertragungs-Arrangements, s. Kap. 29.1) abzubilden.
OPD: Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik
Die OPD (Arbeitskreis OPD, 2006) ist ein multiaxiales System mittels dessen nach einem circa ein- bis zweistündigen Erstgespräch die Psychodynamik eines Patienten mit zufriedenstellender Interrater-Reliabilität erfasst werden kann. Über rein diagnostische Aspekte hinaus ermöglicht die OPD ebenfalls eine gezielte Fokusbildung und Therapieplanung. Für die ambulante Praxis (und die Klausur) am bedeutsamsten sind die Konflikt- und die Strukturachse (Tabelle 28.2).
Achse 1
Achse I (Krankheitserleben): objektivierende Bewertung der Erkrankung (GAF, Dauer, etc.), Krankheitserleben, -darstellung und -konzepte des Patienten, Veränderungsressourcen und -hemmnisse.
Achse 2
Achse II (Beziehung): Erfassung zyklisch maladaptiver Beziehungsmuster in einem sich an der Strukturellen Analyse sozialen Verhaltens orientierenden Zirkumplexmodell. Dabei verändert sich in erster Linie die Bedeutung der Affiliationsachse, die im SASB-Modell den Unterschied zwischen dysfunktional-feindseligem und funktional-freundlichem Verhalten markiert. In dem der OPD-Beziehungsachse zugrundeliegenden Modell wird der freundlich-zugewandte Aspekt hingegen in Richtung Aufdringlichkeit, Harmoniebedürftigkeit und Arglosigkeit zugespitzt. Die Diagnostik fließt ein in eine beziehungsdynamische Formulierung, welche aktive, reaktive und selbstbezogene Kompenenten berücksichtigten und zugleich die Übertragungsdynamik mit in den Fokus rücken:
1. Erlebter Angriff (Subjekt – Objekt): Der Patient (Subjekt) erlebt andere (Objekt) immer wieder so, dass diese …
2. Defensive Reaktion (Subjekt – Subjekt): In seinem Erleben reagiert der Patient dann darauf, indem er …
3. Anderen mit dieser Reaktion gemachtes Beziehungs- bzw. Übertragungsangebot (Objekt – Subjekt): Wobei dem Patienten unbewusst ist …
4. Anderen unbewusst nahegelegte Antwort bzw. Gegenübertragung auf dieses Angebot (Objekt – Objekt(Subjekt)): Bei anderen führt dies wiederum dazu, dass diese …
1. Was der Patient wiederum erlebt als … Voilà!
Achse 3
Achse III (Konflikt): Neben einer abgewehrten Konflikt- und Gefühlswahrnehmung und einem durch äußere Belastungen bestimmten Aktualkonflikt unterscheidet die OPD sieben abgrenzbare repetitiv-dysfunktionale Konfliktmuster.
Individuation vs. Abhängigkeit: Allein-sein-Müssen vs. Zusammen-sein-Müssen.
Unterwerfung vs. Kontrolle: oben sein vs. unten sein.
Versorgung vs. Autarkie: etwas bekommen vs. nichts bedürfen. Im Gegensatz zu Individation-Abhängigkeit geht es hier um Abhängigkeiten in und nicht von der Beziehung.
Selbstwertkonflikt: Minderwertigkeit vs. Großartigkeit.
Schuldkonflikt: Täter sein vs. Opfer sein.
Ödipaler Konflikt: anerkannt werden als Mann bzw. Frau vs. nicht anerkannt werden.
Identitätskonflikt: wissen, wer man ist, vs. sich unsicher darüber sein.
Achse 4
Achse IV (Struktur): Die OPD unterscheidet vier Strukturniveaus und versucht, diese durch Operationalisierung bestimmter selbst- und objektbezogener Fähigkeiten zu erfassen (Tabelle 28.3):
1. Gut integriert: strukturierter psychischer Binnenraum, in welchem sich Konflikte abspielen können, Regulationsfähigkeit auch in Belastungssituationen verfügbar, Selbstreflexion und realitätsgerechte Wahrnehmung von anderen, ausreichend gute innere Objekte, zentrale Angst: Verlust der Zuneigung des Objekts.
2. Mäßig integriert: Übersteuerung und eingeschränkte Selbstwertregulierung, ausgeprägte innere Konflikte (gierige Bedürftigkeit vs. rigide Verbote), situative Einschränkung intrapsychischer und interpersoneller Regualtionsmechanismen, Objektbilder und Beziehungsentwürfe auf wenige Muster eingeschränkt, zentrale Angst: Verlust oder Zerstörung des wichtigen (stützenden oder steuernden) Objektes.
3. Gering integriert: Wenig entwickelter psychischer Binnenraum, interpersonelle statt intrapsychische Konflikte, dauerhafte Einschränkung regulierender Funktionen, Identitätsdiffusion, Intoleranz gegenüber negativen Affekten, Spaltung, verfolgende und strafende innere Objekte, zentrale Angst: Zerstörung des Selbst durch das böse Objekt oder durch den Verlust des guten Objekts.
4. Desintegriert: keine kohärente Selbststruktur, in Belastungssituationen Fragmentierung und psychotisches Erleben, zentrale Angst: Verschmelzung von Selbst- und Objektrepräsentanzen mit Folge des Selbstverlustes.
Formen psychoanalytisch begründeter Therapieverfahren
Alle sich aus der Psychoanalyse ableitenden Therapieverfahren bewegen sich auf einem Kontinuum, welches eine messerscharfe Abgrenzung – z. B. zwischen Psychoanalyse, analytischer Psychotherapie, Psychoanalyse im modifizierten Setting und tiefenpsychologisch fundierter Therapie – nicht nur erschwert, sondern genaugenommen verbietet. Der Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie (2004) bemerkt dementsprechend in einer Stellungnahme, er sehe „keine wissenschaftliche Grundlage für eine Unterscheidung zwischen tiefenpsychologisch fundierter und analytischer Psychotherapie als zwei getrennte Verfahren“. Im Zweifelsfall muss für eine solche qualitativ-inhaltlich schwer zu bewerkstelligende Abgrenzung das quantitative Kriterium des Stundenumfangs herhalten. Nach der Psychotherapie-Richtlinie gelten sowohl analytische als auch tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie als psychoanalytisch begründete Verfahren, insofern beide ätiologisch begründet sind, eine unbewusste Psychodynamik in den Mittelpunkt des Behandlungsgeschehens rücken und Bezug nehmen auf die psychoanalytische Persönlichkeits- und Krankheitslehre. Beide Verfahren unterscheiden sich trotz dieser Gemeinsamkeiten im Hinblick auf das Behandlungssetting, den Umgang mit den Phänomenen Regression, Übertragung und Widerstand, die Behandlungsfrequenz und den Gesamtstundenumfang.
Analytische Psychotherapie
Psychoanalytische Einzeltherapie erfolgt mit Hilfe der Übertragungs-, Gegenübertragungs- und Widerstandsanalyse und unter Nutzung regressiver Prozesse.
- Analytische Psychotherapie im klassischen Setting: Couch und Sessel, hochfrequent (bis zu drei Sitzungen wöchentlich), langfristig, regressionsfördernd
- Analytische Psychotherapie im modifizierten Setting: Sessel und Sessel, ein- bis zweimal wöchentlich
- Die Psychoanalyse im engeren Sinne (mit vier- bis sechs-wöchentlichen Sitzungen und deutlich über 300 Stunden Behandlungsumfang), welche Ziele wie Reifung der Persönlichkeit und Selbsterkenntnis verfolgt und mitunter eine Regression auf die Stufe des infantilen Organisationsniveaus anstrebt, entspricht nicht den Kriterien einer Krankenbehandlung im Sinne der Psychotherapie-Richtlinie und ist somit keine Leistung der GKV.
psychoanalytische Gruppentherapie
tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie
Tiefenpsychologisch fundierte Einzeltherapie erfolgt unter Beachtung von Übertragung, Gegenübertragung und Widerstand bei gleichzeitiger Konzentration des therapeutischen Prozesses durch Begrenzung des Behandlungszieles und konfliktzentriertes Vorgehen, sowie durch Begrenzung regressiver Prozesse. Die Psychotherapie-Richtlinie nennt ausdrücklich vier Sonderformen der tiefenpsychologisch fundierten Therapie:
- Kurztherapie (nicht identisch mit Kurzzeittherapie): Zentraler Aktualkonflikt als Behandlungsfokus, Behandlungsablauf stark am Fokus orientiert, aktives Therapeutenverhalten, bis zu 40 Sitzungen
- Fokaltherapie (Michael Balint): Spezialform der Kurztherapie mit in der Regel bis zu 30 Sitzungen
- Dynamische Psychotherapie (Annemarie Dührssen): aktivere Form der dialogischen psychodynamischen Therapie mit flexibler Behandlungsdichte und begrenztem Stundenumfang
- Niederfrequente Therapie in einer längerfristigen, Halt gewährenden therapeutischen Beziehung: supportive, stabilisierende Maßnahmen stehen im Vordergrund, Ziel ist es, die kontinuierliche, systematische, tiefenpsychologische Behandlung chronischer Störungsbilder zu ermöglichen (ca. eine Sitzung pro Monat)
tiefenpsychologisch fundierte Gruppen-, Paar- und Familientherapie
psychodynamische Verfahren (außerhalb der PT-Richlinien)
Über die in der Psychotherapie-Richtlinie genannten psychoanalytisch begründeten Verfahren hinausgehend gibt es natürlich eine Vielzahl weiterer spezieller psychodynamischer Verfahren im Einzelsetting. Für die Klausur sind u. a. folgende besonders relevant:
Supportiv-expressive Psychotherapie (SET, Lester Luborsky): Veränderung konflikthafter Beziehungsmuster (ZBKT, s. o. Kap. 28.3) durch Kombination supportiver und expressiver Interventionen. Als expressive Techniken versteht Luborsky (1984, S. 10 f.) dabei das Standardarsenal psychoanalytischer Interventionen (Konfrontation, Klarifikation, Deutung; s. „Techniken“, S. 323 f.), welche allesamt das Ziel verfolgen, dass die Patientin ihre Gedanken und Gefühle ausdrückt und versteht. Diesen Techniken stellt Luborsky supportive Aspekte zur Seite, worunter er alles versteht, was dazu beiträgt, dass die Patientin die Therapie und die therapeutische Beziehung als hilfreich erleben kann. Luborsky identifiziert diese supportiven Aspekte mit den in allen Therapieformen vorhandenen unspezifischen Wirkfaktoren.
Übertragungsfokussierte Psychotherapie (Transference Focused Psychotherapy, TFP, Otto Kernberg): Clarkin, Yeomans und Kernberg (2008) entwickelten speziell für Patienten mit schweren (Borderline-)Persönlichkeitstsörungen eine stark strukturierte, manualisierte Langzeittherapie, deren Schwerpunkt dennoch auf konfrontativ-deutenden Interventionen liegt.
Mentalisierungbasierte Therapie (MBT, Peter Fonagy): Auf dem Mentalisierungskonzept (s. S. 301) aufbauende Therapiemethode, welche es insbesondere an strukturellen Störungen leiden Patientinnen ermöglichen soll, ein besseres Verständnis für sich und andere zu entwickeln.
Tiefenpsychologisch orientierte Verfahren: Verfahren, die (im Gegensatz zu den tiefenpsychologisch fundierten) nicht direkt aus der Psychoanalyse hervorgegangen sind, wie z. B. die Katathym imaginative Psychotherapie (KIP):
• Ablauf: Nach einer Entspannungsphase gibt die Therapeutin in der ca. 30 Minuten dauernden imaginativen Phase ein Motiv (Wiese, Löwe, Sumpfloch) vor, welches der Patient entsprechend seinen eigenen (bewussten, vorbewussten und unbewussten) Fantasien ausgestaltet. Der Patient beschreibt der Therapeutin seine Imaginationen. Gemeinsam wird deren nonverbaler Symbolgehalt entschlüsselt und versprachlicht.
• Voraussetzung: stabile Ich-Funktionen.
Indikation innerhalb der verschiedenen Verfahren
Die wichtigsten Kriterien für eine differenzielle Indikation innerhalb der verschiedenen psychoanalytisch begründeten Therapieverfahren sind:
• Eingrenzbarkeit von Störung und Konflikt: Eine Therapie kann in ihrem Stundenumfang umso kürzer angelegt werden, je klarer abgrenzbar die aktuelle Symptomatik und der ihr zugrunde liegende Konflikt sind: Wurde durch einen aktuellen situativen Auslöser (z. B. ein äußeres Lebensereignis) ein bis dahin aufgrund einer weitestgehend adaptiven Persönlichkeitsentwicklung bestehendes inneres Gleichgewicht soweit labilisiert, dass es zur Symptombildung gekommen ist, ist in der Regel ein tiefenpsychologisch fundiertes Vorgehen indiziert. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn Zielsetzung und Lebensumstände des Patienten eine rasche Entlastung erfordern. Ist die biografische Entwicklung hingegen durch ungünstige und sehr starre repetitive, maladaptive Beziehungs- und Bewältigungsmuster gekennzeichnet, welche sich in der Regel in einer chronifizierten Symptomatik abbilden, so ist eher eine analytische Psychotherapie ins Auge zu fassen.
• Einschätzung des Strukturniveaus: Je stärker strukturelle Defizite im Vordergrund des Behandlungsanliegens stehen, desto mehr muss das therapeutische Setting – im Sinne eines stützenden tiefenpsychologischen oder eines modifizierten analytischen Vorgehens – strukturiert werden.
• Passung: Neben einer Einigung über Ziele und Aufgaben der Therapie (s. „therapeutische Allianz“, S. 32) meint Passung hier vor allem die Fähigkeit des Therapeuten, einem bestimmten Patienten ein verstehendes Angebot zu machen und die korrespondierende Fähigkeit des Patienten, auf dieses verstehende Angebot affektiv eingehen zu können (in diesem Sinne wird auch von „subjektiver Indikation“ gesprochen).
Indikation für tiefenpsychologisch fundierte vs analytische Verfahren
Indikation für tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie:
Nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot (SGB V, § 12; s. „WANZ“, S. 69) sollte bei konkurrierenden Methoden jener der Vorzug gegeben werden, welche das entsprechende Behandlungsziel mit weniger Aufwand erreichen kann.
Vorliegen eines klar umrissenen unbewussten Konflikts und einer auslösenden Situation, die zur Symptombildung führt.
Bereitschaft des Patienten, sich dem symptomtragenden Konflikthintergrund zuzuwenden.
Bildung eines Behandlungsfokus ist möglich (z. B. nach OPD).
spezielle Indikation bei Persönlichkeitsstörungen, wenn die Gefahr maligner Regression im analytischen Setting besteht.
Indikation für analytische Psychotherapie:
Ich-Stärke, Frustrationstoleranz, Lebensumstände, die ein langfristiges hochfrequentes Arbeiten ermöglichen, Introspektions- und Reflexionsvermögen („sick enough to need it and healthy enough to stand it“; Thomä & Kächele, 1989, S. 188)
Fähigkeit zur therapeutischen Ich-Spaltung (Richard Sterba): Fähigkeit, das Ich in einen beobachtenden und einen erlebenden Teil zu zerteilen. Fähigkeit des Patienten, eine effektive („unneurotische“) Arbeitsbeziehung (Arbeitsbündnis, Ralph Greenson) zur Analytikerin aufrecht zu erhalten, obgleich er in den Klauen einer heftigen Übertragungsneurose steckt.
Indikation für Kurzzeittherapie
Es liegt keine chronische Symptomatik, sondern ein akutes Beschwerdebild vor, sodass ein klar abgrenzbarer Fokus formulierbar ist.
Ein Arbeitsbündnis lässt sich unproblematisch herstellen.
Die Persönlichkeitsstruktur der Patientin ist relativ intakt, was mit einer weiterhin stabilen Abwehr und tendenziell eher reifen Objektbeziehungen einhergeht.
Behandlungstheorie und Technik:
Übertragung
Übertragung: Die Inszenierung komplexer innerer Verhältnisse im Hier-und-Jetzt der therapeutischen Beziehung nach dem Vorbild eines Rollenspiels, in welchem der Patient sich selbst eine Rolle zuweist und seiner Therapeutin eine komplementäre Rolle anträgt. Die Übertragung stellt einen Versuch des Patienten dar, zwischen sich und seiner Therapeutin eine bestimmte Form der interaktiven Wechselbeziehung durchzusetzen. Der Beitrag des Patienten zur Übertragung liegt in der psychodynamisch ausschlaggebenden und unbewussten Tendenz zur Wiederholung der Vergangenheit in der Gegenwart (Bedürfnis nach Familiarität) und dem damit einhergehenden unbewussten Bestreben, die therapeutische Beziehung als eine Neuauflage infantiler Objektbeziehungen zu gestalten. Der Beitrag der Therapeutin zum Zweipersonenstück der Übertragung liegt in den persönlichen Charakteristika, die sie selbst in die therapeutische Szene mit einbringt. Das klassische analytische Arrangement – Couch, Schweigen, grauer Anzug (s. Abbildung 28.4 b, S. 316) – verfolgt das Ziel, Übertragungsphänomene durch Minimalstrukturierung des Settings zu fördern. Übertragung ist ein ubiquitäres Phänomen und tritt auch außerhalb des Behandlungsraumes auf. Man unterscheidet die für die Therapie notwendige „unanstößige“ (Freud, 1912/1975, S. 165), mild positive Übertragung von der positiven (die Therapeutin idealisierenden oder sexualisierenden) und der negativen (die Therapeutin entwertenden) Übertragung. Im Gegensatz zur bewusstseinsfähigen, mild positiven Übertragung sind die beiden anderen Übertragungsmodalitäten dem Patienten unbewusst.
Gegenübertragung
Gegenübertragung: Mit dem Begriff der Gegenübertragung werden die der Übertragung auf Patientenseite korrespondierenden Prozesse auf Therapeutenseite beschrieben. Diese beinhalten Fantasien, Stimmungen, Impulse, Verhaltensweisen etc. Heutzutage wird Gegenübertragung meist in einem ganzheitlichen Sinne verstanden als die Gesamtheit der Einstellungen – bewusste,unbewusste, neurotische, unneurotische, reaktive und genuine – des Therapeuten gegenüber dem Patienten. Historisch gesehen wandelte sich die Einschätzung der Gegenübertragung grundlegend: Sie entwickelte sich von einer die Behandlung gefährdenden Störung, welche es durch „Niederhaltung“ (Freud, 1915/1975a, S. 224) zu minimieren galt, hin zum zentralen „Forschungsinstrument im Hinblick auf das Unbewusste des Patienten“ (Heimann, 1950/1996, S. 180). Heinrich Racker (1959/1978) unterschied zwei Formen der Gegenübertragung und betonte, dass Therapeutin und Patientin in ihnen über projektive und identifikatorische Prozesse miteinander kommunikativ verbunden sind:
• konkordante Gegenübertragung: Identifizierung des Therapeuten mit den unbewussten Ich-Zuständen des Patienten,
• komplementäre Gegenübertragung: Identifizierung des Therapeuten mit den Objekten des Patienten.
Widerstand
Kriegerische Bezeichnung für alle unbewussten, vorbewussten und bewussten Kräfte, die sich gegen den Fortschritt der Behandlung stellen. Prinzipiell kann jedes Verhalten im Sinne eines Widerstandes genutzt werden. Widerstände können dabei relativ grob und offensichtlich zu Tage treten oder sich auch in subtilerer und unauffälliger Weise hinter scheinbar den Erfordernissen des therapeutischen Prozesses bereitwillig folgenden Verhaltensweisen verbergen.
Ich-Widerstände
Verdrängungswiderstand: Widerstand gegen das Bewusstswerden des Unbewussten. Dieser Widerstand entstammt der Abwehrfunktion des Ichs (s. das Konzept der Abwehrmechanismen) und kann als Ausdruck des primären Krankheitsgewinns angesehen werden.
Übertragungswiderstand: Widerstand gegen das Bewusstwerden der Übertragung und/oder gegen ihre Auflösung. Hierher gehören sowohl das bewusste Zurückhalten von Gedanken über den Therapeuten als auch die Abwehr unbewusster, die Übertragung betreffender Fantasien.
Widerstand aus dem sekundären Krankheitsgewinn: Widerstand gegen den Verzicht auf Befriedigungen oder Erleichterungen, welche aus dem Kranksein gezogen werden (s. „sekundärer Krankheitsgewinn“).
Es-Widerstand: Widerstand aller Triebregungen gegen jegliche Form der Änderung ihrer Äußerungsmodalitäten und dagegen, einmal Erlerntes und Gebahntes wieder aufzugeben. Freud spricht in diesem Zusammenhang auch vom Wiederholungszwang als der unbewussten Tendenz, leidvolle Erfahrungen immer wieder aktiv herzustellen und somit Vertrautes zu wiederholen. Freud sah den Wiederholungszwang letztlich nicht in einer bestimmten konflikthaften Dynamik, sondern im konservierenden Charakter der Triebe, in der „Klebrigkeit der Libido“, begründet. Der Wiederholungszwang leistet sowohl einen Beitrag am Zustandekommen bestimmter Übertragungsangebote als auch an der Herausbildung von Widerständen gegen die Etablierung neuer, unvertrauter Beziehungsmuster, selbst wenn diese langfristig heilsamer sein mögen.
Über-Ich-Widerstand: Dieser entstammt dem Schuldbewusstsein oder dem Strafbedürfnis des Patienten, welche sich jedem Erfolg widersetzen und den Patienten das Leiden der Heilung vorziehen lassen. Eine besondere Form des Über-Ich-Widerstandes stellt die negative therapeutische Reaktion dar: Immer dann, wenn Fortschritte im therapeutischen Prozess eine Besserung wahrscheinlich machen, stellt sich eine Verschlimmerung der Symptomatik ein.
Regression
Regression: Eine Patientin regrediert, wenn sie die Übertragungssituation gemäß eigener unbewusster und biografisch bestimmter (kindlicher) Beziehungsfantasien gestaltet. Insofern als die Psychoanalyse die Achse von Übertragung und Gegenübertragung ins Zentrum der Behandlung rückt, ist sie regressionsfördernd. Von der dem Fortschritt der Behandlung dienenden (gutartigen) Regression kann eine maligne Regression (Balint, 1970) unterschieden werden, die nicht auf die therapeutische Situation begrenzt bleibt. Ernst Kris (1934) prägte den Begriff der Regression im Dienste des Ich, um einen kreativen, eine Progression vorbereitenden Vorgang zu beschreiben, in welchem das Ich nicht im regressiven Sog fortgerissen wird, sondern sich zeitweilig auf archaische Erlebenswelten einlassen, dann aber aus eigener Kraft wieder aus ihnen auftauchen und auf reifere Formen des Erlebens zurückkehren kann.
Therapeutische Haltung:
Abstinenz
Abstinenz: Asketisch anmutendes psychoanalytisches Grundprinzip der Enthaltsamkeit. Die Abstinenzregel fordert von Therapeutin und Patientin, sich nicht gegenseitig zur Befriedigung ihrer Beziehungs- bzw. Triebwünsche zu gebrauchen. Sie fordert, zu sprechen aber nicht zu handeln (s. o. „Agieren“) und hat das Ziel, einen utopischen Raum zu schaffen, in welchem ein Austausch von Fantasien miteinander und übereinander möglich ist. Die Abstinenzregel richtet sich an Therapeut und Patient gleichermaßen (vgl. Körner & Rosin, 1985) und soll dem Patienten ermöglichen, (auch) Unaussprechliches zu sagen, und dem Therapeuten erlauben, (auch) Unerhörtes zu hören. Konkret bestimmt die Abstinenzregel, wie die Patientin idealerweise zu sprechen habe, nämlich frei assoziierend – d. h. sich der Selbstzensur und Auswahl des Gesagten im Hinblick auf soziale, logische oder moralische Normen enthaltend –, und wie die Therapeutin idealerweise zuzuhören habe, nämlich gleichschwebend aufmerksam – d. h. sich der theoriegeleiteten Hypothesenbildung, dem Helfenwollen oder dem Verstehenmüssen enthaltend (s. Abbildung 29.1). Das psychoanalytische Verständnis von Abstinenz geht damit über die in der Berufsordnung geforderte Abstinenzpflicht (s. S. 71) hinaus bzw. in eine andere Richtung.
Freie Assoziation
Freie Assoziation („psychoanalytische Grundregel“): Prinzip der freien Selbstdarstellung der Patientin. Gemeinsam mit der Haltung der gleichschwebenden Aufmerksamkeit bildet die freie Assoziation die grundlegende und genuine Methode der Psychoanalyse (Rugenstein, 2019). Am Behandlungsbeginn formuliert die Analytikerin die Aufforderung an den Analysanden, möglichst frei und ungehindert seinen Fantasien, Einfällen und Gedanken zu folgen und diese zu äußern, auch dann wenn sie ihm peinlich, unzusammenhängend oder unbedeutend erscheinen mögen („Sagen Sie hier alles, was Ihnen durch Kopf und Gemüt geht.“).
Gleichschwebende Aufmerksamkeit
Gleichschwebende Aufmerksamkeit: Der Forderung an den Patienten, sich an der analytischen Grundregel der freien Assoziation zu orientieren, steht auf Seiten des Therapeuten die technische Empfehlung gegenüber, dem Patienten in einer Weise zuzuhören, in der er kein Element von dessen Erzählungen von vornherein bevorzugt behandelt und sich weitestgehend seiner eigenen unbewussten Geistestätigkeit überlässt. Wilfred Bion forderte in diesem Sinne vom Therapeuten die disziplinierte Verleugnung von Gedächtnis, Wünschen und Verstehen-Wollen und fasste dies in die plakative Formel: „No memory, desire, understandig.“ (Bion, 1970/1977, S. 129). In Ergänzung zur gleichschwebenden Aufmerksamkeit konzeptualiserte Joseph Sandler (1976) eine gleichschwebende Bereitschaft zur Rollenübernahme im Sinne einer spielerischen Reaktionsbereitschaft des Therapeuten, sich auf das Spiel des Patienten einzulassen.
Diese Bereitschaft setzt beim Therapeuten die Fähigkeit voraus, die Rollenangebote des Patienten anzunehmen – sie also nicht an der vermeintlichen Realität der eigenen Person zu prüfen –und sich so vorübergehend mit den Beziehungsobjekten des Patienten zu identifizieren. Um nicht agierend im Spiel des Patienten zu versinken, sollte der Therapeut die Beziehungsobjekte des Patienten aber auch wieder loslassen können. Hierzu muss er mehr oder weniger gelernt haben, seine eigenen inneren Objekte loslassen zu können. Dies ist eine wesentliche Aufgabe der Lehranalyse/Lehrtherapie und verdeutlicht deren zentralen Stellenwert in der psychodynamischen Ausbildung.
Interventionen
Techniken
Techniken: Die klassische psychoanalytische Behandlungstechnik unterscheidet vier Interventionen, wobei der Schwerpunkt orthodoxer Psychoanalyse eindeutig auf der Intervention des Deutens liegt: Alle anderen Interventionen verfolgen hier das Ziel, eine Deutung einzuleiten oder wirksam zu machen.
1. Konfrontation: Die Therapeutin macht den Patienten auf das Vorhandensein eines näher zu untersuchenden Phänomens aufmerksam (ein Schweigen, ein wiederholtes Zuspätkommen, einen Versprecher, eine eigentümliche Formulierung etc.). Das in der Folge zu Klärende, zu Deutende und Durchzuarbeitende wird in diesem ersten Schritt zunächst dem bewussten Ich des Patienten zur Verfügung gestellt.
2. Klarifikation bzw. Klärung: Das mit der Konfrontation in den Aufmerksamkeitsfokus gerückte Phänomen wird näher untersucht und gewinnt an Kontur und Kontext. (Z. B. Was geht der Patientin beim Schweigen durch den Kopf? Wie fühlt sie sich dabei? Was hat die Zuspätkommende aufgehalten?)
3. Deutung: Deuten im psychoanalytischen Sinne meint nichts anderes, als ein unbewusstes Phänomen bewusst zu machen. Behandlungstechnisch geschieht dies durch die Verbalisierung einer Hypothese über einen unbewussten Sinnzusammenhang („Sie schweigen, weil Sie möchten, dass ich mich um Sie bemühe.“). Das Ziel besteht dabei darin, dem Patienten Zugang zu der latenten Bedeutung („Tiefe“) der von ihm manifest gezeigten Verhaltensweisen oder geäußerten Worte („Oberfläche“) zu verschaffen und ihm somit Einsicht zu ermöglichen. Die Deutung geht über das Beobachtbare hinaus (s. Abbildung 25.1, S. 293) und greift dazu auf den Verstehensmodus des szenischen Verstehens (s. „Erstinterview“, S. 309) und die Analyse der eigenen Gegenübertragung (s. S. 320 f.) zurück. Deutungen lassen sich in drei Typen unterscheiden (s. Tabelle 29.1):
Inhaltsdeutungen: Ein Phänomen wird aus dem Kontext heraus, in dem es vom Patienten berichtet wird, gedeutet. Dies kann entweder eingegrenzt auf die aktuelle Situation (Inhaltsdeutung im Hier und Jetzt) oder mit Bezug auf die Biografie der Patientin (genetische Inhaltsdeutung) geschehen. Innerhalb begrenzt in der Übertragung arbeitender tiefenpsychologischer Therapieformen ist die Inhaltsdeutung der vorherrschende Deutungstypus.
Übertragungsdeutungen: Ein Phänomen wird aus dem Kontext der aktuellen Übertragungs-Gegenübertragungsbeziehung gedeutet, d. h. das Material des Patienten wird – unabhängig davon, ob dieser manifest etwas über die Beziehung zum Therapeuten sagt („Ich fühlte mich von Ihnen in der letzten Stunde bevormundet.“) oder über etwas scheinbar mit dieser Beziehung in keinem logischen Zusammenhang Stehendes („Gestern habe ich mich von meinem Chef wirklich bevormundet gefühlt.“) – daraufhin befragt, was er damit, dass er diesen Inhalt gerade jetzt berichtet, über die Beziehung zum Therapeuten sagen will. Über die eher schlichte Gleichsetzung anderer Beziehungspersonen mit der des Therapeuten („Der Patient redet über seinen Chef, meint aber ‚eigentlich‘ den Therapeuten“) hinausgehend sind Übertragungsdeutungen Antworten auf die Frage „Was passiert hier eigentlich gerade zwischen uns?“ bzw. „Zu wem macht mich der Patient?“ („Ich muss gestehen, ich habe mich da schon ein wenig von meinem Chef bevormundet gefühlt.“ z. B. evoziert die Situation eines Verhörs oder einer Gerichtsverhandlung und weist dem Therapeuten zugleich eine entsprechende Rolle als Ankläger, Verteidiger oder Richter zu). Auch hier lassen sich Übertragungsdeutungen im Hier und Jetzt von genetischen Übertragungsdeutungen unterscheiden.
Widerstands- oder Abwehrdeutungen: Deutung des Bewältigungs- und Abwehrverhaltens innerhalb der Therapie. Abwehrdeutungen thematisieren den Aspekt, dass die Patientin sich in einer bestimmten Weise verhält, um etwas zu vermeiden, ohne das Vermiedene – wie in der Inhaltsdeutung – bereits näher zu benennen. Innerhalb der psychoanalytischen Therapie liegt der Schwerpunkt der Arbeit auf Übertragungs- und Widerstandsdeutungen.
4. Durcharbeiten: Einzelne Deutungen bewirken keine dauerhafte Veränderung. Durcharbeiten bezeichnet die ausdauernde und geduldige Arbeit gegen den Wiederholungszwang, selbst nach einem Einsichtsgewinn durch eine wirksame Deutung.
Containing (Bion) and Holding (Winnicott)
Containing (Wilfred Bion): Konzept der Behälterfunktion des Therapeuten, hervorgegangen aus der kleinianischen Sichtweise, dass eine Person einen Teil einer anderen Person enthalten kann (s. „projektive Identifizierung“, Tabelle 27.1, S. 305). Ursprünglich als Konzept für den emotionalen Kontakt zwischen Mutter und Säugling, zwischen Brust und Mund, entworfen, entwickelte sich die Idee der Containerfunktion zu einer Beschreibung des psychoanalytischen Kontakts (Bion, 1962/1977, S. 90 ff.): Es ist die Aufgabe des Therapeuten, das für den Patienten Unverdauliche, Nicht-Symbolisierungsfähige und aus der Sprache Ausgeschlossene – z. B. unerträgliche Affekte – über ihm mit der Übertragung angebotene projektive Identifizierungen in sich aufzunehmen, zu verdauen und dem Patienten in Form einer Deutung zur Wiederaufnahme (introjektive Identifizierung) anzubieten.
Holding Function/Holding Environment (Donald Winnicott): Herstellung einer haltenden, von vornherein nicht traumatisierenden, aber auch nicht beengenden und einschränkenden Umgebung, in welcher neue Erfahrungen möglich werden. Haltung der Mutter (good-enough mother) ihrem Kind gegenüber, welche die Therapeutin ebenfalls einnehmen soll, wenn sie wirksam sein will. Winnicott (1965/2002) betont damit die mütterliche, haltend-stützende Funktion der Therapeutin (im Gegensatz zur „väterlichen“, dagegenhaltend-konfrontierenden).
Fokusbildung
Fokusbildung: Beschränkung auf einen bedeutsamen Konfliktbereich und dessen beziehungsdynamischen Hintergrund, der zum ausschließlichen Thema der Behandlung gemacht wird. Damit ist – im Gegensatz zur Konzeption der klassischen Psychoanalyse, die im Idealfall gleichschwebend und tendenzlos verlaufen sollte – eine Zielbegrenzung psychodynamischer Therapien angesprochen. Als Fokus können z. B. diejenigen Merkmale des OPD-Befundes dienen, die als ursächliche und aufrechterhaltende Faktoren der Störung erscheinen und damit in der Psychodynamik eine herausgehobene Rolle spielen. Das OPD-Manual empfiehlt die Festlegung von maximal fünf Foki, die sich aus den Bereichen Beziehung (obligatorisch), Konflikt und Struktur zusammensetzen können (Arbeitskreis OPD, 2006, S. 331 ff.). In der tiefenpsychologisch fundierten Therapie werden alle Emotionen, Wünsche und maladaptiven Verhaltensmuster, die zum Fokus gehören, möglichst lebendig und affektiv spürbar gehalten, alle anderen Phänomene an der Entfaltung gehindert und entaktualisiert.
Strukturgebende, haltende Interventionen
Prinzip Antwort
Strukturgebende, haltende Interventionen: bei strukturell beieinträchtigten Patientinnen oder in akuten Krisensituationen: supportive Imaginationen, Entspannungstechniken, Strukturierung, Entpathologisierung, Ressourcenverstärkung, Bestätigung von Fortschritten, Förderung und Stärkung von Ich-Funktionen etc.
Prinzip Antwort: Von Heigl-Evers und Heigl (1988) als Alternative zum „Prinzip Deutung“ formulierte Interventionsstrategie in der Behandlung strukturell gestörter Patienten. Mit dem „Prinzip Antwort“ wird der Therapeutin eine selektiv authentische Mitteilung der eigenen Gegenübertragungsgefühle nahegelegt.
Psychodynamische Paartherapie:
Begriffsklärung Kollusion und Therapeutische Ansätze
Kollusion (Willi, 1975): unbewusste Komplizenschaft von Partnern in einem Beziehungsspiel mit dem Ziel der Angstabwehr und der infantilen Wunscherfüllung. Gemeint ist damit eine besondere Beziehungsform zwischen zwei oder mehr Menschen, bei der sich deren unbewusste und oft neurotische Beziehungsbedürfnisse komplementär ergänzen. Kollusionen in Paarbeziehungen sind oftmals derart strukturiert, dass ein Partner die progressive (aktive im OPD-Sinne), der andere die regressive (passive im OPD-Sinne) Seite einer für beide relevanten Konfliktdynamik einnimmt: Bei der oralen Kollusion (Autarkie-Versorgungs-Konflikt im OPD-Sinne) z. B. pflegt, füttert und umsorgt der eine Partner, der andere lässt sich pflegen, füttern und umsorgen. Analog kann auch von einer narzisstischen Kollusion (Chefarzt und Krankenschwester) oder einer anal-sadistischen Kollusion (Lehrerin und Hausmeister) gesprochen werden. In der Paartherapie nach Willi wird, ausgehend vom Kollusionsmodell,das Bewusstwerden des unbewussten und auf die Partner aufgeteilten gemeinsamen Konfliktes angestrebt.
Therapeutische Ansätze: Die Mehrgenerationen-Familientherapie (Massing, Reich & Sperling, 2006) führt mindestens drei Generationen einer Familie zusammen mit dem Ziel, den intrafamiliären Wiederholungszwang bewusst zu machen. Die psychoanalytisch orientierte Familien- und Sozialtherapie (Richter, 1972) unterscheidet die symptomneurotische und die charakterneurotische Familie. In der symptomneurotischen Familie wird ein Familienmitglied zum Indexpatienten und droht, aus der Familiengemeinschaft ausgeschlossen zu werden. Die charakterneurotische Familie hingegen teilt als ganze eine dysfunktionale und eingeschränkte Weltsicht. In diesem Sinne beschrieb Richter die paranoide Festungsfamilie, die hysterische Theaterfamilie und die angstneurotische Sanatoriumsfamilie.
Psychodynamische Gruppentherapie
Formen, Wirkfaktoren und Indikation
Spezifische Formen:
Gruppenanalyse und analytische Gruppenpsychotherapie: Minimalstrukturierung zur Regressionsförderung, Bearbeitung von Übertragungsprozessen, Primat von Gruppen gegenüber Einzeldeutungen.
Tiefenpsychologisch fundierte Gruppenpsychotherapie: Regressionsbegrenzung, Bearbeitung spezifischer Konfliktmuster.
Psychoanalytisch-interaktionelle Gruppenpsychotherapie (Heigl-Evers): Gruppenkonzept für Patientinnen mit vorwiegend strukturellen Störungen mit dem Ziel der Förderung der Ich-Funktionen der Teilnehmenden. Fokussierung auf Beziehungsmuster innerhalb der Gruppe, relativ hohe Strukturierung durch Therapeuten, Prinzip Antwort.
Intendierte dynamische Gruppentherapie (Kurt Hock): bedeutendste Psychotherapieform der DDR, die psychoanalytische und sozialpsychologische Sichtweisen miteinander verbindet; Konzeption eines phasenspezifischen Verlaufs (Revolte, Kippprozess) und relativ aktive Strukturierung durch den Therapeuten.
Wirkfaktoren in Gruppen (Irvin Yalom): Yalom (1996, S. 21 ff.) fand in empirischen Untersuchungen von Gruppenprozessen elf therapeutische Wirkfaktoren:
1. Hoffnung einflößen
2. Universalität des Leidens
3. Mitteilung von Information
4. Altruismus
5. Korrigierende Rekapitulation der primären Familiengruppe
6. Entwicklung von Techniken des mitmenschlichen Umgangs
7. Nachahmendes Verhalten
8. Interpersonelles Lernen
9. Gruppenkohäsion
10. Katharsis
11. Existenzielle Faktoren
Bei der Indikationsstellung für psychoanalytisch begründete Gruppenverfahren ist zu berücksichtigen, dass Patienten aufgrund des Settings – die Therapeutin muss im Gegensatz zum Einzelsetting scheinbar mit den anderen Gruppenteilnehmenden „geteilt“ werden, es macht also zunächst den Eindruck, als bekäme der Einzelne weniger – über eine ausreichend große Frustrationstoleranz verfügen müssen. Das Indikationsspektrum ist nicht auf bestimmte Störungsbereiche eingeschränkt.
Behandlungstechnik und Gruppenmatrix
Hinsichtlich der Behandlungstechnik in psychoanalytisch begründeten Gruppenverfahren gilt die Grundregel der freien Interaktion: Entsprechend der einzeltherapeutischen Grundregel der freien Assoziation wird den Teilnehmenden nahegelegt, sich so unverblümt wie möglich zu äußern, darüber hinaus jedoch nicht zu handeln (s. „Agieren“, S. 322). Entsprechend soll auch der Gruppentherapeut idealerweise der Regel der gleichschwebenden Aufmerksamkeit folgen.
Gruppenmatrix (Siegfried Foulkes): Aus der Idee, dass die Gemeinschaft dem Individuum konstitutionsgenetisch vorausgeht, von Foulkes (1964/1992, S. 30 ff.) geprägter Begriff zur Bezeichnung des Strukturprinzips vernetzter – bewusster und unbewusster – Kommunikation in Gruppen. Einzeläußerungen oder dyadische Interaktionen werden somit immer als Ausdruck einer Gesamtgruppenstruktur verstanden. Der manifesten multipersonalen Kommunikationsmatrix entspricht auf der latenten Ebene eine gruppenspezifische Übertragungsmatrix.
Psychodynamische Gruppenpositionen: Raoul Schindler (1957) benannte vier in allen Gruppenkonstellationen wirksame Rollen:
1. Alpha-Position: der Anführer, Repräsentantin des Gruppenanliegens
2. Beta-Position: die Fachfrau und Experte („Ja, aber …“)
3. Gamma-Position: der Arbeiter, Anhänger der Anführerin (dieser kann sowohl aktiv mit der Anführerin zusammenarbeiten, sie kontrollierend antreiben, ohne selber mitzuarbeiten, oder passiv-komplementär von ihr nutznießen)
4. Omega-Position: das schwarze Schaf (nicht fähig oder nicht willens, den Zielen des Anführers zu folgen), Repräsentantin des Gegners der Gruppe, vertritt auf Gruppenebene das von der Gruppe Abgewehrte
Störungsspezifische Modelle
Grundkonflikte nach Rudolf
Psychodynamische Therapieansätze sind traditionell störungsübergreifend ausgerichtet. Die Behandlungsplanung erfolgt dabei nicht anhand der nosologischen Kategorien, welche z. B. von der ICD-10 zur Verfügung gestellt werden, sondern aufgrund einer Einschätzung von Konflikt, Abwehr und Struktur. Insofern tendieren auch die Klausurfragen zum Bereich psychoanalytisch begründeter Therapieverfahren ganz deutlich – und im Gegensatz zu den Fragen des Bereichs Verhaltenstherapie – in eine störungsübergreifende Richtung.
Zur Illustration des psychodynamischen Verständnisses einzelner symptomatischer Störungsbilder eignet sich das Modell der Grundkonflikte (Gerd Rudolf), welches gewisse Parallelen zur OPD aufweist, gut. Rudolf (1993) beschreibt vier Grundkonflikte, welche entwicklungsgenetisch aufeinander folgen:
1. Grundkonflikt der Nähe: Wunsch nach Nähe vs. Angst vor Überwältigung,
2. Grundkonflikt der Bindung (depressiver Grundkonflikt): Wunsch nach einem idealisierten Objekt vs. Angst vor Enttäuschung durch das Objekt, 3. Grundkonflikt der Autonomie: Wunsch nach Autonomie vs. Angst vor Verlust der sicherheitsgebenden Objekte,
4. Grundkonflikt der Identität: Wunsch nach eigener Identität vs. Angst Erwartungen und Verbote anderer nicht zu erfüllen
Symptomatische Störungen werden nun als das Resultat spezifischer Verarbeitungsweisen einzelner Konflikte auf verschiedenen Strukturniveaus verstanden, indem entweder die Verarbeitung so starre und unflexible Züge gewinnt, dass sie selbst symptomwertig wird oder indem die Verarbeitung angesichts bestimmter auslösender Situationen zusammenbricht. Ein und derselbe Grundkonflikt kann also je nach Verarbeitungsweise phänomenologisch in vollkommen anderen Symptomatiken erscheinen.
Sucht
Sucht stellt unter psychodynamischem Blickwinkel lediglich den manifest sichtbaren Teil einer weitergehenden Erkrankungsdynamik dar und kann mit jeder anderen Konflikt-, Struktur-oder Traumapathologie zusammen auftreten. Ein Suchtmittel kann dabei im weitesten Sinne entweder als ein Substitut für zwischenmenschliche Beziehungen verwendet werden oder aber helfen, entwicklungsbedingte oder traumaassoziierte Defizite mehr oder weniger gut zu kompensieren oder nicht deutlich werden zu lassen. Als illusorische Befriedigung von Beziehungsbedürfnissen stillen Süchte die Sehnsucht nach einem immer konstant verfügbaren und in der eigenen Kontrolle befindlichen Objekt in einer Weise, in der dies belebte Objekte klassischerweise nicht zu tun in der Lage und willens sind. Als Stabilisator bei struktureller Ich-Schwäche werden Suchtmittel hingegen genutzt um temporär Regulationsstörungen im Selbstwerterleben und im Affekthaushalt auszugleichen (Minderwertigkeitserleben wegkoksen, Aggression wegrauchen etc.). Exemplarische Abwehrmechanismen: Regression in ein immer verfügbares Glücksgefühl, Verleugnung der äußeren Realität.
Aspekte der Therapie: Psychodynamische Suchttherapie verfolgt zwei wesentliche Ziele: erstens die Herstellung und Sicherung der Abstinenz mit strukturierenden Methoden und zweitens die daran anschließende psychodynamische Bearbeitung der Grundstörung, als deren symptomatischer Ausdruck die Sucht verstanden wurde.
Störungsspezifische Modelle:
Schizophrenie
Selbst und/oder Objekt: Psychotisches Erleben lässt sich als eine Form struktureller Entdifferenzierung beschreiben, bei der insbesondere die Fähigkeit zur Selbst-Objekt-Differenzierung verloren geht, sodass es zu extremen Formen von Verschmelzung (vom Objekt verfolgt, gelenkt, beeinflusst werden) oder Objektlosigkeit (Autismus) kommt. Es wurden verschiedene theoretische Modelle vorgeschlagen, die Psychose als Konfliktlösung, als Störung der Symbolisierungsfunktion oder als extreme Modalität der Beziehungsregulation verstehen.
Aspekte der Therapie: Vorrangig geht es darum, dass es eine Kommunikation zwischen Patientin und Therapeutin geben kann – deren mögliche Inhalte auch Wahn und Halluzinationen einschließen – mit dem Ziel einer verbesserten Selbstwahrnehmung der Patientin in Beziehungen. Es gibt eine lange Tradition namhafter Analytikerinnen und Analytiker, welche sich in teils sehr kreativer Weise mit der Psychosetherapie auseinandersetzten – Melanie Klein, Harry Stack Sullivan, Ronald David Laing, Gaetano Benedetti und Stavros Mentzos sind einige davon. Klassische Psychoanalyse wird konsensuell bei Psychosepatienten für kontraindiziert gehalten.
Depression
Oralität – Ambivalenz – Narzissmus: Freud (1917/1975) beschrieb die narzisstische Identifizierung mit einem ursprünglich geliebten aber verlorenen Objekt und die anschließende Wendung der auf dieses Objekt gerichteten Verlustaggression gegen das eigene Selbst als einen zentralen Mechanismus depressiver Erkrankungen. In der Depression ist das Über-Ich damit auf das Ich in einer Weise wütend, wie es das Ich auf das Objekt hätte sein sollen.
Neben dem von Freud beschriebenen Krankheitsmodell, welches den Verlust einer wichtigen Bezugsperson in den Fokus rückt, betonen andere psychodynamische Ansätze die zentrale Rolle von mangelndem Selbstwerterleben und wiederholten Hilflosigkeitserfahrungen oder verstehen Depression als eine regressive Schutzreaktion. Sidney Blatt (Blatt & Zuroff, 1991) unterschied
anaklitische Depression: Anklammernde, regressive, beziehungsorientierte (Es-)Depression, in der das Erleben von Urheberschaft über das eigene Leben zugunsten von Bezogenheit aufgegeben wird, und
introjektive Depression: Verinnerlichte, (pseudo)progressive, betont autonomieorientierte (Über-Ich-)Depression, welche durch hohe Selbstanforderungen gekennzeichnet ist und Individuation auf Kosten von Bezogenheit durchsetzt.
Exemplarische Abwehrmechanismen: Introjektion, Wendung gegen das Selbst.
Aspekte der Therapie: Die gehemmte Aggressivität einer regressiv akzentuierten Depression kann sich im Übertragungsgeschehen z. B. in Form aufopferungsbereiter Bedürfnislosigkeit auf Seiten des Patienten zeigen, wobei zugleich untergründig Wiedergutmachungsansprüche spürbar werden können, die sich in der Gegenübertragung in einem latenten Gefühl, kontrolliert zu werden, äußern. In der Therapie würde es dann fokussiert um die Bearbeitung der Ängste vor Aggressivität und der Fantasien, andere durch die eigene Aggression zerstören zu können, gehen. Bei einer progressiven Richtung der depressiven Konfliktthematik ginge es hingegen eher um die Themen Scham, Selbstzweifel und Idealisierung. In der Gegenübertragung würden Themen von Selbstzweifel und Sich-Entwertet-Fühlen eine Rolle spielen. Es ginge dann darum, der Patientin die Entidealisierung des Therapeuten ohne Beziehungsabbruch zu ermöglichen und mit ihm ein Aushalten von Mittelmäßigkeit zu erfahren. Diese Erfahrung könnte dann eine Integration der abgewehrten Abhängigkeitswünsche ermöglichen.
Angst
Verdrängung – Verschiebung – Vermeidung: Vor dem Hintergrund des Konfliktmodells entstehen phobische Störungen, wenn die Angst vor einem intrapsychischen Konflikt – oft sexuelle oder aggressive Triebregungen und entgegenstehende Verbote – nach außen verschoben wird. Das nun nicht mehr im eigenen Inneren, sondern im Außen lokalisierte Symbol für die Quelle der Angst hat den ungemeinen Vorteil, dass es vermieden werden kann.
Generalisierte Angststörungen hingegen werden eher vor dem Hintergrund des Defizitmodells verstanden: Hier steht weniger die Vermeidungskomponente im Vordergrund als vielmehr das Angewiesensein auf ein Schutz und Geborgenheit spendendes, steuerndes Objekt, an welches Ich-Funktionen abgegeben werden können.
Exemplarische Abwehrmechanismen: Externalisierung, Verschiebung.
Aspekte der Therapie: Konfliktorientiert geht es in der Therapie um die Erforschung und Integration der konfliktrelevanten Fantasien. In gewissem Umfang ist hierzu eine Konfrontation mit den angstbesetzten Objekten oder Situationen ebenso unerlässlich wie im verhaltenstherapeutischen Setting. Beim Vorliegen struktureller Defizite geht es dagegen zunächst primär um eine Förderung jener Ich-Funktionen, die zur Angstbewältigung erforderlich sind.
Zwang
Über-Ich – Über-Ich – Über-Ich: Nach psychoanalytischer Vorstellung verfügt der Zwangsneurotiker über ein besonders strenges und rigides Über-Ich, welches sich den zugleich im Es vorhandenen ausgeprägten archaischen, anal-erotischen Tendenzen unangenehm unbarmherzig entgegenstellt. Die Züge des immer wieder karikierten zwanghaften Charakters – Ordentlichkeit, Reinlichkeit, Gewissenhaftigkeit, Sparsamkeit – lassen sich dann als Reaktionsbildungen gegen die Triebansprüche des Es verstehen. Exemplarische Abwehrmechanismen: Reaktionsbildung, Affektisolierung, Rationalisierung, Ungeschehenmachen.
Plombe im Ich: Alternativ kann Zwang (verstanden als Einengung, Beschränkung, Bindung) auch allgemein als Gegenpol und Gegenbewegung zum Chaos (verstanden als Zerfall, Entgrenzung, Bindungslosigkeit) gesehen werden. In diesem Sinne können Zwänge oder zwanghafte Charakterstrukturen auf niederem Strukturniveau auch zur Abwehr einer Fragmentierung des Selbst und von drohendem psychotischem Erleben eingesetzt werden.
Aspekte der Therapie: In der Therapie von Zwangsstörungen auf höherem Strukturniveau geht es entsprechend um eine Reduktion und Flexibilisierung rigider Über-Ich-Anteile mit dem Ziel einer Integration inkongruenter, bislang abgewehrter Selbstanteile. Werden Zwangssymptome hingegen nicht zur Triebabwehr, sondern zur Ichstabilisierung eingesetzt, so sind Deutungen, welche Konflikte zwischen Trieb und rigidem Über-Ich fokussieren, kontraindiziert, da sie desintegrierend wirken. Stattdessen sind vielmehr unter strukturellem Gesichtspunkt stützende und stabilisierende Interventionen notwendig.
Persönlichkeitsstörungen
Insbesondere die narzisstische und die Borderline-Persönlichkeitsstörung faszinieren psychodynamische Therapeuten und Theoretiker offenbar nachhaltig. Unterschieden werden muss dabei die symptomatische Borderline-Persönlichkeitsstörung im Sinne der ICD-10 von der Borderline-Persönlichkeitsorganisation als einer Einschätzung des Strukturniveaus, welche z. B. auch bei einer deskriptiv diagnostizierten depressiven Symptomatik anzutreffen sein kann. Die in der ICD-10 nicht als eigenständige nosologische Kategorie enthaltene narzisstische Persönlichkeitsstörung kann psychodynamisch als ein Spaltungsphänomen verstanden werden, bei welchem ein kompensatorisch überhöhtes Größenselbst und ein minderwertiges Selbst auseinandergehalten werden müssen (Volkan & Ast, 1994).
Aspekte der Behandlung: Persönlichkeitsstörungen auf niedrigem Strukturniveau (Borderline-Persönlichkeitsstörung, maligne narzisstische Persönlichkeitstörung, antisoziale Persönlichkeitsstörung, schizotype Persönlichkeitsstörung) erfordern es, die Behandlung so zu modifizieren, dass diese den Erfordernissen einer Strukturpathologie Rechnung trägt. In der Behandlung narzisstischer Persönlichkeitsstörungen nach dem oben genannten Modell würde es z. B. unter Nutzung der spezifisch narzisstischen Übertragungsangebote (Spiegelübertragung, idealisierende Übertragung, Selbstobjektübertragung) wesentlich um die Integration positiver und negativer Selbstanteile gehen.
Zuletzt geändertvor einem Monat