Buffl

Psychodynamische Psychotherapie

vs
von viola S.

Grundbegriffe: Das Unbewusste

„Das Unbewußte ist das eigentlich reale Psychische, uns nach seiner inneren Natur so unbekannt wie das Reale der Außenwelt und uns durch die Daten des Bewußtseins ebenso unvollständig gegeben wie die Außenwelt durch die Angaben unserer Sinnesorgane“, schreibt Freud (1900/1972) in der Traumdeutung.

Aus dieser Annahme leitet sich sich die Notwendigkeit eines verstehend-interpretierenden Zuganges zu psychischen Phänomenen ab. Freud konzipierte die psychische Realität in einer Parallelführung zur materiellen Wirklichkeit: Ebenso wie sich die in ihrer Oberflächenstruktur vergleichsweise solide erscheinende Welt der alltäglichen Gebrauchsgegenstände bei tiefergehender physikalischer Analyse als eine atomare Suppe entpuppt, deren Strukturen nur noch als Wahrscheinlichkeitsfunktionen adäquat zu beschreiben sind, so zeigt sich hinter der vertrauten Welt des bewussten Psychischen und der deskriptiv erfassbaren Symptome die abgründige Welt des Unbewussten mit ihren Trieben und Konflikten. Ähnlich wie der Physiker für den Zugang zur Welt der Atome und Wellen ein Mikroskop benötigt, so benötigt die psychodynamisch arbeitende Therapeutin ein spezifisches Instrumentarium für den Zugang zur Welt des Unbewussten. Freud unterschied im Hinblick auf die Trennung von bewusst und unbewusst zwei grundlegend verschiedene Funktionsmodi des psychischen Geschehens:

  • Unbewusste Phänomene folgen den Gesetzmäßigkeiten des vom Lustprinzip beherrschten Primärprozesses (Gleichgültigkeit gegenüber der Realität, keine Negation, keine Zeit, keine Zweifel, keine Grade von Sicherheit), welche uns aus unseren Träumen, unseren Fantasien und aus der Interaktion mit unseren Kindern mehr oder weniger vertraut sind.

  • Bewusste Prozesse hingegen gehorchen den am Realitätsprinzip orientierten Gesetzmäßigkeiten des Sekundärprozesses, welche uns aus unserem erwachsenen Alltag nur allzu bekannt sind. Im Gegensatz zum Lustprinzip ermöglicht uns das Realitätsprinzip so heikle psychische Leistungen wie Bedürfnisaufschub oder gar den Glauben an scheinbar tröstliche Redensarten wie „Zeit heilt alle Wunden“.



Grundbegriffe: Träume

Freuds Interesse galt der Welt des Unbewussten und damit der Nachtseite unseres Seelenlebens. Im Traum erblickte er einen privilegierten Zugang hierzu. Freud verstand Träume dabei als Ergebnis eines durch den Schlaf begünstigten regressiven Prozesses (s. „Regression“), in dessen Verlauf eine latente Traumbedeutung in Bilder verwandelt wird, welche wir als manifesten Trauminhalt erinnern können. Diesen Umwandlungsprozess nannte er Traumarbeit und kennzeichnete ihn durch vier Mechanismen, deren ersten beiden besondere Bedeutung zukommt insofern sie in allen Bildungen des Unbewussten, also auch in Symptomen, wirksam sind:

  • Verdichtung: Ein manifestes Traumelement vertritt mehrere latente Traumelemente. Dies führt dazu, dass der manifeste Traumtext im Vergleich zum latenten Inhalt oft radikal abgekürzt erscheint. Verdichtung kann durch Auslassung von latenten Traumelementen oder durch Verschmelzung mehrerer latenter Elemente zu einem manifesten Element erzeugt werden. Eine Verdichtung findet sich z. B. in der Metapher der „Tiefe“ und den in ihr komprimierten Bedeutungshorizonten.

  • Verschiebung: Ersetzung eines latenten Traumelementes durch ein benachbartes oder verwandtes Element (z. B. Repräsentation durchs Gegenteil oder des Ganzen durch ein Teil). Eine Verschiebung findet sich z. B. in der metonymischen Wendung „Ich habe den ganzen Freud gelesen“, in welcher der Autor stellvertretend für sein Werk steht. Verschiebung ist zugleich ein Abwehrmechanismus.

  • Rücksicht auf Darstellbarkeit: Latente Traumelemente erfahren eine Auswahl und Modifikation mit dem Ziel, in plastischen, konkreten, meist visuellen Bildern vorgestellt werden zu können.

  • Sekundäre Bearbeitung (Rücksicht auf Verständlichkeit): Nachträgliche Glättung und Überarbeitung des Traumes mit dem Ziel, ihn als eine mehr oder weniger kohärente, gut komponierte Geschichte zu präsentieren. Ergebnis der Traumarbeit ist die Entstellung.

  • Die durch die Traumdeutung zu leistende Deutungsarbeit schlägt die der Traumarbeit entgegengesetzte Richtung ein, indem sie versucht, die archaische, primärprozesshafte Bildsprache der Träume unter Zuhilfenahme der Assoziationen des Patienten (s. „freie Assoziation“, S. 323) in die (Wort-)Sprache unseres Wachdenkens zu übersetzen und damit die Entstellung rückgängig zu machen. Die hiermit durch die Traumdeutung etablierte Grundidee der therapeutischen Übersetzung von Oberflächen- in Tiefenstruktur wurde später als ein Paradigma für den Umgang mit sämtlichen Mitteilungen der Patientin etabliert.


Die vier psychoanalytischen Schulen

Trieb-Psychologie (auch Trieb-Struktur-Modell; Sigmund Freud u. a.): Das ursprüngliche Interesse Freuds galt der Erforschung – und damit in gewisser Weise auch der Bewusstmachung – des Unbewussten und Triebhaften im Menschen. Entsprechend denkt das triebtheoretische Modell von dem im Subjekt lauernden Unbekannten – dem Es – her:

  • Es betont ausschließlich oder vor allem die intrapsychische Perspektive („Ein-Personen-Psychologie“).

  • Das Objekt wird verstanden als Objekt der Triebe. Es ist etwas im Bezug zum Trieb lediglich Sekundäres – „das variabelste am Triebe“ (Freud, 1915/1975b, S. 86) – und nur insoweit von Bedeutung als es sich zur Befriedigung eines Triebes als geeignet erweist.

  • Im Menschenbild der Triebtheorie sind wir vor allem Lustsucher.

  • Im Zentrum der Erklärung von Entwicklung, psychischer Struktur und Psychopathologie steht entsprechend die Frage nach Triebschicksalen.

Ich-Psychologie (Anna Freud, Heinz Hartmann u. a.): In Abgrenzung von der ursprünglichen „Es-Psychologie“ Freuds werden hier die Autonomie des Ichs und seine Anpassungsmöglichkeiten betont. Besondere Aufmerksamkeit kommt den Ich-Funktionen zu.

Selbstpsychologie (Heinz Kohut u. a.): In Abgrenzung zu Freuds Theorie der Triebentwicklung wird eine Theorie der Entwicklung und Entfaltung des Selbst und seiner Talente und Fertigkeiten konzipiert. Das Selbst bildet den Kern der Persönlichkeit und ist lebenslang angewiesen auf empathische Objekte und die Spiegelung durch diese. Aggression und Wut werden nicht wie im triebtheoretischen Modell als primäre Manifestationen der in allen Menschen von Geburt an wirksamen zerstörerischen (Todes-)Triebe verstanden, sondern als sekundäre Reaktionen auf eine frustrierende und entwicklungshemmende Außenwelt.

Objektbeziehungstheorie (auch Beziehungs-Struktur-Modell; Melanie Klein, William R. D. Fairbairn u. a.): Im Vordergrund des Interesses der Objektbeziehungstheorie steht die fundamentale Bedeutung von Beziehungen und von jenen (meist belebten) Objekten, zu denen Beziehungen aufgenommen werden. Das objektbeziehungstheoretische Modell lässt sich im Kontrast zur klassischen Triebpsychologie charakterisieren: Es betont vor allem die interpersonelle bzw. relationale Perspektive („Zwei-Personen-Psychologie“).

  • Das Objekt wird verstanden als das Gegenüber. Es ist das Primäre.

  • Im Menschenbild der Objektbeziehungstheorie sind wir vor allem Objektsucher.

  • Im Zentrum der Erklärung von Entwicklung, psychischer Struktur und Psychopathologie steht entsprechend die Frage nach Bindungsschicksalen.



Entwicklungs des Selbst und seiner Objektbeziehungen (Mahler)

Margaret Mahler (1978) befasste sich mit der kindlichen Individuationsentwicklung und der damit einhergehenden Bildung von Selbst- und Objektrepräsentanzen innerhalb der ersten drei Lebensjahre. Entscheidend ist dabei der Ausbruch des Kindes aus der undifferenzierten, symbiotischen, „ozeanischen“ Mutter-Kind-­Einheit in die Welt der Objekte und der zwischenmenschlichen Beziehungen. Ist das Kind zunächst lediglich körperlich geboren, so vollziehe sich in der auf die Symbiose folgenden Separations-Individuations-Phase die psychische Geburt des Menschen. Separation meint dabei die Erfahrung, unabhängig und autonom von der Mutter funktionieren zu können (und dennoch zwischenmenschlich mit ihr verbunden zu sein); Individuation hingegen nennt die Bestrebungen des Kindes, eine eigene Identität zu entwickeln. Mahler konzipierte ursprünglich ein vor der Symbiose liegendes autistisches Stadium. Dieses Postulat ist mit den Ergebnissen der empirischen Säuglingsforschung unvereinbar. Auch das Konzept eines symbiotischen Stadiums erscheint vor diesem Hintergrund als zumindest problematisch. Es gibt jedoch eine Reihe erfolgversprechender Versuche, das Symbiosekonzept theoretisch zu rehabilitieren. Am Ende der von Mahler gezeichneten Entwicklungslinie steht die Herausbildung der Fähigkeit zur Internalisierung und damit die Möglichkeit, auf stabile, differenzierte und integrierte innere Objekt- und Selbstrepräsentanzen zurückgreifen zu können.

In der sich auf Mahlers Modell berufenden objektbeziehungstheoretischen Traditionslinie lässt sich Entwicklung verstehen als eine Abfolge von Schritten der Differenzierung und Integration, die mit einer Entwicklung von archaischen (gut vs. böse) hin zu reifen, integrierten (sowohl positive als auch negative Aspekte einschließenden) Selbst- und Objektrepräsentanzen einhergehen.



Modelle der Symptomentstehung: Konfliktpathologie

Abwehr

Abwehr: ein unbewusst durchgeführtes, selbsttäuschendes Verhalten mit dem Ziel der Unlustvermeidung und des Schutzes des Selbstbildes. Aufgabe der Abwehr ist es, alle die Konstanz und Integrität des Individuums gefährdenden Strebungen einzuschränken oder zu unterdrücken und das diese Konstanz verkörpernde Ich sowohl vor überbordenden Triebansprüchen als auch vor den Unzumutbarkeiten der äußeren Realität zu schützen. Die Instanz des Ich spielt in der Abwehr sowohl eine passive als auch eine aktive Rolle: Die Abwehr kann als eine unbewusste Ich-Funktion beschrieben werden. Der Abwehrvorgang bedient sich bestimmter in der Psychoanalyse uneinheitlich systematisierter Abwehrmechanismen, nach denen in Klausuren wirklich gerne gefragt wird.

Reife vs. unreife Abwehr: Reife Abwehr gruppiert sich um den Mechanismus der Verdrängung, unreife um jenen der Spaltung. Unreife Abwehrmechanismen umfassen vor allem Spaltung bzw. Idealisierung/Entwertung und projektive Identifizierung und werden oft als ein Indikator für das Vorhandensein struktureller Defizite angesehen. Als reife (neurotische) Abwehrmechanismen werden neben der Verdrängung oft Verschiebung, Reaktionsbildung, Rationalisierung, Intellektualisierung und Isolierung genannt. Reife Abwehr zeichnet sich dabei durch eine Flexibilität der eingesetzten Mechanismen und durch ein geringes Maß an Realitätsverzerrung aus. Unreife Abwehr hingegen ist gekennzeichnet durch ihre charakteristische Rigidität und durch eine signifikante Realitätsverzerrung. Abwehr ist nicht per se pathologisch, sondern schließt in ihren adaptiven Formen auch das mit ein, was in anderer theoretischer Ausrichtung als Coping (s. S. 42 f.) bezeichnet werden kann: Antizipation, Humor und Sublimierung. Die Fähigkeit zur Abwehr ist eine wesentliche Voraussetzung für die Herausbildung einer Charakterstruktur.

Diagnostisches Erstgespräch und Interview

Erstinterview (Hermann Argelander): Es handelt sich hierbei um eine weitestgehend unstrukturierte, „ungewöhnliche Gesprächssituation“ (Argelander, 1970, S. 16), in der der Patientin größtenteils die Aktivität überlassen wird. Der Therapeut verfolgt das Ziel, die eigene Person dabei in einem umfassenden Sinne als Instrument zu nutzen, wobei ihm hierbei nach Argelander (1970, S. 12 ff.) drei Informationsquellen zur Verfügung stehen, deren dritte – die szenische Information – den Clou des psychodynamischen Interaktionsverständnisses ausmacht (s. Tabelle 28.1).

Biografische Anamnese (Annemarie Dührssen): Der Gegenwartskonflikt und seine Vorgeschichte bilden das zentrale Interesse von Dührssens (1981, 136 ff.) Anamneseschema, welches teilweise auch dem Bericht für den Psychotherapieantrag in der gesetzlichen Krankenversicherung zugrunde liegt (Symptomatik – auslösende Situation – aktuelle Lebensumstände – Herkunftsfamilie und Kindheitsgeschichte – Schul- und Berufsentwicklung – Sexualentwicklung, Liebesbeziehungen).

Strukturelles Interview (Otto Kernberg): spezielles, leitfadengestütztes Interview, welches die deskriptiv-psychiatrische und die psychoanalytische Perspektive miteinander verbindet. Ziel des Interviews ist die diagnostische Differenzierung von neurotischer, Borderline- und psychotischer Persönlichkeitsstruktur. Kernberg (1981, S. 169 f.) beschreibt dabei drei übergeordnete strukturelle Charakteristiken, die es unter Berücksichtigung der Beziehungsdynamik innerhalb der Interviewsituation zu explorieren gilt:

1. Integrierte vs. diffuse Identität und entsprechende Qualität der Objektbeziehungen (neurotisch vs. Borderline und psychotisch).

2. Verwendung reifer vs. unreifer Abwehrmechanismen (neurotisch vs. Borderline und psychotisch).

3. Ausreichend intakte vs. signifikant eingeschränkte Fähigkeit zur Realitätsprüfung (neurotisch und Borderline vs. psychotisch)

Beziehungsdiagnostik

Zentrales Beziehungskonfliktthema (CCRT bzw. ZBKT, Luborsky & Crits-Christoph, 1990): Analyse von Interaktionserlebnissen des Patienten bezüglich

1. des häufigsten Wunsches gegenüber einer anderen Person und den daran geknüpften Erwartungen,

2. der häufigsten Reaktion der anderen und

3. der häufigsten Reaktion des Patienten auf die Reaktion der anderen.

Zyklisch maladaptives Beziehungsmuster (CMP, Strupp & Binder, 1984): Konzeptualisierung von zirkulär unbefriedigenden Strukturen, welche sich in Beziehungen (z. B. in Paarbeziehungen oder in therapeutischen Beziehungen) einstellen können und die dem Muster folgen:

1. Reaktion, die sich die Patientin von einer anderen Person wünscht,

2. negative Reaktion, die sie stattdessen von anderen Personen erwartet,

3. daraus resultierendes Verhalten der Patientin anderen gegenüber,

4. entsprechendes Verhalten der anderen gegenüber der Patientin,

5. Verhalten der Patientin gegenüber sich selbst im Sinne einer Auseinandersetzung mit maladaptiven Introjekten.

Strukturelle Analyse sozialen Verhaltens (SASB, Benjamin, 1974): Fragebogenverfahren zur Beziehungsanalyse basierend auf dem Postulat, dass sich alle interpersonellen Verhaltensweisen auf einem Zirkumplexmodell (s. Abbildung 28.2) mit den beiden Achsen „Affiliation“ (mit den Polen: hasserfüllt – liebevoll) und „Interdependenz“ (mit den Polen: autonom – abhängig) abbilden lassen. Das Modell erfasst dabei sowohl interpersonelle Aktivität (transitives Verhalten mit dem Ziel beim Gegenüber etwas zu erreichen), interpersonelle Reaktivität (intransitive Antworten auf das Verhalten des Gegenübers) als auch die intrapsychische Dimension (Verhalten zu sich selbst im Sinne einer Auseinandersetzung mit den eigenen Introjekten). Das Modell eignet sich dazu, soziale Austauschprozesse (z. B. Übertragungs-Gegenübertragungs-Arrangements, s. Kap. 29.1) abzubilden.

OPD: Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik

Achse 4

Achse IV (Struktur): Die OPD unterscheidet vier Strukturniveaus und versucht, diese durch Operationalisierung bestimmter selbst- und objektbezogener Fähigkeiten zu erfassen (Tabelle 28.3):

1. Gut integriert: strukturierter psychischer Binnenraum, in welchem sich Konflikte abspielen können, Regulationsfähigkeit auch in Belastungssituationen verfügbar, Selbstreflexion und realitätsgerechte Wahrnehmung von anderen, ausreichend gute innere Objekte, zentrale Angst: Verlust der Zuneigung des Objekts.

2. Mäßig integriert: Übersteuerung und eingeschränkte Selbstwertregulierung, ausgeprägte innere Konflikte (gierige Bedürftigkeit vs. rigide Verbote), situative Einschränkung intrapsychischer und interpersoneller Regualtionsmechanismen, Objektbilder und Beziehungsentwürfe auf wenige Muster eingeschränkt, zentrale Angst: Verlust oder Zerstörung des wichtigen (stützenden oder steuernden) Objektes.

3. Gering integriert: Wenig entwickelter psychischer Binnenraum, interpersonelle statt intrapsychische Konflikte, dauerhafte Einschränkung regulierender Funktionen, Identitätsdiffusion, Intoleranz gegenüber negativen Affekten, Spaltung, verfolgende und strafende innere Objekte, zentrale Angst: Zerstörung des Selbst durch das böse Objekt oder durch den Verlust des guten Objekts.

4. Desintegriert: keine kohärente Selbststruktur, in Belastungssituationen Fragmentierung und psychotisches Erleben, zentrale Angst: Verschmelzung von Selbst- und Objektrepräsentanzen mit Folge des Selbstverlustes.



psychodynamische Verfahren (außerhalb der PT-Richlinien)

Über die in der Psychotherapie-Richtlinie genannten psychoanalytisch begründeten Verfahren hinausgehend gibt es natürlich eine Vielzahl weiterer spezieller psychodynamischer Verfahren im Einzelsetting. Für die Klausur sind u. a. folgende besonders relevant:

Supportiv-expressive Psychotherapie (SET, Lester Luborsky): Veränderung konflikthafter Beziehungsmuster (ZBKT, s. o. Kap. 28.3) durch Kombination supportiver und expressiver Interventionen. Als expressive Techniken versteht Luborsky (1984, S. 10 f.) dabei das Standardarsenal psychoanalytischer Interventionen (Konfrontation, Klarifikation, Deutung; s. „Techniken“, S. 323 f.), welche allesamt das Ziel verfolgen, dass die Patientin ihre Gedanken und Gefühle ausdrückt und versteht. Diesen Techniken stellt Luborsky supportive Aspekte zur Seite, worunter er alles versteht, was dazu beiträgt, dass die Patientin die Therapie und die therapeutische Beziehung als hilfreich erleben kann. Luborsky identifiziert diese supportiven Aspekte mit den in allen Therapieformen vorhandenen unspezifischen Wirkfaktoren.

Übertragungsfokussierte Psychotherapie (Transference Focused Psychotherapy, TFP, Otto Kernberg): Clarkin, Yeomans und Kernberg (2008) entwickelten speziell für Patienten mit schweren (Borderline-)Persönlichkeitstsörungen eine stark strukturierte, manualisierte Langzeittherapie, deren Schwerpunkt dennoch auf konfrontativ-deutenden Interventionen liegt.

Mentalisierungbasierte Therapie (MBT, Peter Fonagy): Auf dem Mentalisierungskonzept (s. S. 301) aufbauende Therapiemethode, welche es insbesondere an strukturellen Störungen leiden Patientinnen ermöglichen soll, ein besseres Verständnis für sich und andere zu entwickeln.

Tiefenpsychologisch orientierte Verfahren: Verfahren, die (im Gegensatz zu den tiefenpsychologisch fundierten) nicht direkt aus der Psychoanalyse hervorgegangen sind, wie z. B. die Katathym imaginative Psychotherapie (KIP):

• Ablauf: Nach einer Entspannungsphase gibt die Therapeutin in der ca. 30 Minuten dauernden imaginativen Phase ein Motiv (Wiese, Löwe, Sumpfloch) vor, welches der Patient entsprechend seinen eigenen (bewussten, vorbewussten und unbewussten) Fantasien ausgestaltet. Der Patient beschreibt der Therapeutin seine Imaginationen. Gemeinsam wird deren nonverbaler Symbolgehalt entschlüsselt und versprachlicht.

• Voraussetzung: stabile Ich-Funktionen.

Indikation innerhalb der verschiedenen Verfahren

Die wichtigsten Kriterien für eine differenzielle Indikation innerhalb der verschiedenen psychoanalytisch begründeten Therapieverfahren sind:

Eingrenzbarkeit von Störung und Konflikt: Eine Therapie kann in ihrem Stundenumfang umso kürzer angelegt werden, je klarer abgrenzbar die aktuelle Symptomatik und der ihr zugrunde liegende Konflikt sind: Wurde durch einen aktuellen situativen Auslöser (z. B. ein äußeres Lebensereignis) ein bis dahin aufgrund einer weitestgehend adaptiven Persönlichkeitsentwicklung bestehendes inneres Gleichgewicht soweit labilisiert, dass es zur Symptombildung gekommen ist, ist in der Regel ein tiefenpsychologisch fundiertes Vorgehen indiziert. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn Zielsetzung und Lebensumstände des Patienten eine rasche Entlastung erfordern. Ist die biografische Entwicklung hingegen durch ungünstige und sehr starre repetitive, maladaptive Beziehungs- und Bewältigungsmuster gekennzeichnet, welche sich in der Regel in einer chronifizierten Symptomatik abbilden, so ist eher eine analytische Psychotherapie ins Auge zu fassen.

Einschätzung des Strukturniveaus: Je stärker strukturelle Defizite im Vordergrund des Behandlungsanliegens stehen, desto mehr muss das therapeutische Setting – im Sinne eines stützenden tiefenpsychologischen oder eines modifizierten analytischen Vorgehens – strukturiert werden.

Passung: Neben einer Einigung über Ziele und Aufgaben der Therapie (s. „therapeutische Allianz“, S. 32) meint Passung hier vor allem die Fähigkeit des Therapeuten, einem bestimmten Patienten ein verstehendes Angebot zu machen und die korrespondierende Fähigkeit des Patienten, auf dieses verstehende Angebot affektiv eingehen zu können (in diesem Sinne wird auch von „subjektiver Indikation“ gesprochen).

Indikation für tiefenpsychologisch fundierte vs analytische Verfahren

Indikation für tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie:

  • Nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot (SGB V, § 12; s. „WANZ“, S. 69) sollte bei konkurrierenden Methoden jener der Vorzug gegeben werden, welche das entsprechende Behandlungsziel mit weniger Aufwand erreichen kann.

  • Vorliegen eines klar umrissenen unbewussten Konflikts und einer auslösenden Situation, die zur Symptombildung führt.

  • Bereitschaft des Patienten, sich dem symptomtragenden Konflikthintergrund zuzuwenden.

  • Bildung eines Behandlungsfokus ist möglich (z. B. nach OPD).

  • spezielle Indikation bei Persönlichkeitsstörungen, wenn die Gefahr maligner Regression im analytischen Setting besteht.

Indikation für analytische Psychotherapie:

  • Ich-Stärke, Frustrationstoleranz, Lebensumstände, die ein langfristiges hochfrequentes Arbeiten ermöglichen, Introspektions- und Reflexionsvermögen („sick enough to need it and healthy enough to stand it“; Thomä & Kächele, 1989, S. 188)

  • Fähigkeit zur therapeutischen Ich-Spaltung (Richard Sterba): Fähigkeit, das Ich in einen beobachtenden und einen erlebenden Teil zu zerteilen. Fähigkeit des Patienten, eine effektive („unneurotische“) Arbeitsbeziehung (Arbeitsbündnis, Ralph Greenson) zur Analytikerin aufrecht zu erhalten, obgleich er in den Klauen einer heftigen Übertragungsneurose steckt.

Indikation für Kurzzeittherapie

  • Es liegt keine chronische Symptomatik, sondern ein akutes Beschwerdebild vor, sodass ein klar abgrenzbarer Fokus formulierbar ist.

  • Ein Arbeitsbündnis lässt sich unproblematisch herstellen.

  • Die Persönlichkeitsstruktur der Patientin ist relativ intakt, was mit einer weiterhin stabilen Abwehr und tendenziell eher reifen Objektbeziehungen einhergeht.


Behandlungstheorie und Technik:

Übertragung

Übertragung: Die Inszenierung komplexer innerer Verhältnisse im Hier-und-Jetzt der therapeutischen Beziehung nach dem Vorbild eines Rollenspiels, in welchem der Patient sich selbst eine Rolle zuweist und seiner Therapeutin eine komplementäre Rolle anträgt. Die Übertragung stellt einen Versuch des Patienten dar, zwischen sich und seiner Therapeutin eine bestimmte Form der interaktiven Wechselbeziehung durchzusetzen. Der Beitrag des Patienten zur Übertragung liegt in der psychodynamisch ausschlaggebenden und unbewussten Tendenz zur Wiederholung der Vergangenheit in der Gegenwart (Bedürfnis nach Familiarität) und dem damit einhergehenden unbewussten Bestreben, die therapeutische Beziehung als eine Neuauflage infantiler Objektbeziehungen zu gestalten. Der Beitrag der Therapeutin zum Zweipersonenstück der Übertragung liegt in den persönlichen Charakteristika, die sie selbst in die therapeutische Szene mit einbringt. Das klassische analytische Arrangement – Couch, Schweigen, grauer Anzug (s. Abbildung 28.4 b, S. 316) – verfolgt das Ziel, Übertragungsphänomene durch Minimalstrukturierung des Settings zu fördern. Übertragung ist ein ubiquitäres Phänomen und tritt auch außerhalb des Behandlungsraumes auf. Man unterscheidet die für die Therapie notwendige „unanstößige“ (Freud, 1912/1975, S. 165), mild positive Übertragung von der positiven (die Therapeutin idealisierenden oder sexualisierenden) und der negativen (die Therapeutin entwertenden) Übertragung. Im Gegensatz zur bewusstseinsfähigen, mild positiven Übertragung sind die beiden anderen Übertragungsmodalitäten dem Patienten unbewusst.

Behandlungstheorie und Technik:

Widerstand

Kriegerische Bezeichnung für alle unbewussten, vorbewussten und bewussten Kräfte, die sich gegen den Fortschritt der Behandlung stellen. Prinzipiell kann jedes Verhalten im Sinne eines Widerstandes genutzt werden. Widerstände können dabei relativ grob und offensichtlich zu Tage treten oder sich auch in subtilerer und unauffälliger Weise hinter scheinbar den Erfordernissen des therapeutischen Prozesses bereitwillig folgenden Verhaltensweisen verbergen.

Ich-Widerstände

  • Verdrängungswiderstand: Widerstand gegen das Bewusstswerden des Unbewussten. Dieser Widerstand entstammt der Abwehrfunktion des Ichs (s. das Konzept der Abwehrmechanismen) und kann als Ausdruck des primären Krankheitsgewinns angesehen werden.

  • Übertragungswiderstand: Widerstand gegen das Bewusstwerden der Übertragung und/oder gegen ihre Auflösung. Hierher gehören sowohl das bewusste Zurückhalten von Gedanken über den Therapeuten als auch die Abwehr unbewusster, die Übertragung betreffender Fantasien.

  • Widerstand aus dem sekundären Krankheitsgewinn: Widerstand gegen den Verzicht auf Befriedigungen oder Erleichterungen, welche aus dem Kranksein gezogen werden (s. „sekundärer Krankheitsgewinn“).

Es-Widerstand: Widerstand aller Triebregungen gegen jegliche Form der Änderung ihrer Äußerungsmodalitäten und dagegen, einmal Erlerntes und Gebahntes wieder aufzugeben. Freud spricht in diesem Zusammenhang auch vom Wiederholungszwang als der unbewussten Tendenz, leidvolle Erfahrungen immer wieder aktiv herzustellen und somit Vertrautes zu wiederholen. Freud sah den Wiederholungszwang letztlich nicht in einer bestimmten konflikthaften Dynamik, sondern im konservierenden Charakter der Triebe, in der „Klebrigkeit der Libido“, begründet. Der Wiederholungszwang leistet sowohl einen Beitrag am Zustandekommen bestimmter Übertragungsangebote als auch an der Herausbildung von Widerständen gegen die Etablierung neuer, unvertrauter Beziehungsmuster, selbst wenn diese langfristig heilsamer sein mögen.

Über-Ich-Widerstand: Dieser entstammt dem Schuldbewusstsein oder dem Strafbedürfnis des Patienten, welche sich jedem Erfolg widersetzen und den Patienten das Leiden der Heilung vorziehen lassen. Eine besondere Form des Über-Ich-Widerstandes stellt die negative therapeutische Reaktion dar: Immer dann, wenn Fortschritte im therapeutischen Prozess eine Besserung wahrscheinlich machen, stellt sich eine Verschlimmerung der Symptomatik ein.

Therapeutische Haltung:

Gleichschwebende Aufmerksamkeit

Gleichschwebende Aufmerksamkeit: Der Forderung an den Patienten, sich an der analytischen Grundregel der freien Assoziation zu orientieren, steht auf Seiten des Therapeuten die technische Empfehlung gegenüber, dem Patienten in einer Weise zuzuhören, in der er kein Element von dessen Erzählungen von vornherein bevorzugt behandelt und sich weitestgehend seiner eigenen unbewussten Geistestätigkeit überlässt. Wilfred Bion forderte in diesem Sinne vom Therapeuten die disziplinierte Verleugnung von Gedächtnis, Wünschen und Verstehen-Wollen und fasste dies in die plakative Formel: „No memory, desire, understandig.“ (Bion, 1970/1977, S. 129). In Ergänzung zur gleichschwebenden Aufmerksamkeit konzeptualiserte Joseph Sandler (1976) eine gleichschwebende Bereitschaft zur Rollenübernahme im Sinne einer spielerischen Reaktionsbereitschaft des Therapeuten, sich auf das Spiel des Patienten einzulassen.

Diese Bereitschaft setzt beim Therapeuten die Fähigkeit voraus, die Rollenangebote des Patienten anzunehmen – sie also nicht an der vermeintlichen Realität der eigenen Person zu prüfen –und sich so vorübergehend mit den Beziehungsobjekten des Patienten zu identifizieren. Um nicht agierend im Spiel des Patienten zu versinken, sollte der Therapeut die Beziehungsobjekte des Patienten aber auch wieder loslassen können. Hierzu muss er mehr oder weniger gelernt haben, seine eigenen inneren Objekte loslassen zu können. Dies ist eine wesentliche Aufgabe der Lehranalyse/Lehrtherapie und verdeutlicht deren zentralen Stellenwert in der psychodynamischen Ausbildung.

Interventionen

Techniken

Techniken: Die klassische psychoanalytische Behandlungstechnik unterscheidet vier Interventionen, wobei der Schwerpunkt orthodoxer Psychoanalyse eindeutig auf der Intervention des Deutens liegt: Alle anderen Interventionen verfolgen hier das Ziel, eine Deutung einzuleiten oder wirksam zu machen.

1. Konfrontation: Die Therapeutin macht den Patienten auf das Vorhandensein eines näher zu untersuchenden Phänomens aufmerksam (ein Schweigen, ein wiederholtes Zuspätkommen, einen Versprecher, eine eigentümliche Formulierung etc.). Das in der Folge zu Klärende, zu Deutende und Durchzuarbeitende wird in diesem ersten Schritt zunächst dem bewussten Ich des Patienten zur Verfügung gestellt.

2. Klarifikation bzw. Klärung: Das mit der Konfrontation in den Aufmerksamkeitsfokus gerückte Phänomen wird näher untersucht und gewinnt an Kontur und Kontext. (Z. B. Was geht der Patientin beim Schweigen durch den Kopf? Wie fühlt sie sich dabei? Was hat die Zuspätkommende aufgehalten?)

3. Deutung: Deuten im psychoanalytischen Sinne meint nichts anderes, als ein unbewusstes Phänomen bewusst zu machen. Behandlungstechnisch geschieht dies durch die Verbalisierung einer Hypothese über einen unbewussten Sinnzusammenhang („Sie schweigen, weil Sie möchten, dass ich mich um Sie bemühe.“). Das Ziel besteht dabei darin, dem Patienten Zugang zu der latenten Bedeutung („Tiefe“) der von ihm manifest gezeigten Verhaltensweisen oder geäußerten Worte („Oberfläche“) zu verschaffen und ihm somit Einsicht zu ermöglichen. Die Deutung geht über das Beobachtbare hinaus (s. Abbildung 25.1, S. 293) und greift dazu auf den Verstehensmodus des szenischen Verstehens (s. „Erstinterview“, S. 309) und die Analyse der eigenen Gegenübertragung (s. S. 320 f.) zurück. Deutungen lassen sich in drei Typen unterscheiden (s. Tabelle 29.1):

  • Inhaltsdeutungen: Ein Phänomen wird aus dem Kontext heraus, in dem es vom Patienten berichtet wird, gedeutet. Dies kann entweder eingegrenzt auf die aktuelle Situation (Inhaltsdeutung im Hier und Jetzt) oder mit Bezug auf die Biografie der Patientin (genetische Inhaltsdeutung) geschehen. Innerhalb begrenzt in der Übertragung arbeitender tiefenpsychologischer Therapieformen ist die Inhaltsdeutung der vorherrschende Deutungstypus.

  • Übertragungsdeutungen: Ein Phänomen wird aus dem Kontext der aktuellen Übertragungs-Gegenübertragungsbeziehung gedeutet, d. h. das Material des Patienten wird – unabhängig davon, ob dieser manifest etwas über die Beziehung zum Therapeuten sagt („Ich fühlte mich von Ihnen in der letzten Stunde bevormundet.“) oder über etwas scheinbar mit dieser Beziehung in keinem logischen Zusammenhang Stehendes („Gestern habe ich mich von meinem Chef wirklich bevormundet gefühlt.“) – daraufhin befragt, was er damit, dass er diesen Inhalt gerade jetzt berichtet, über die Beziehung zum Therapeuten sagen will. Über die eher schlichte Gleichsetzung anderer Beziehungspersonen mit der des Therapeuten („Der Patient redet über seinen Chef, meint aber ‚eigentlich‘ den Therapeuten“) hinausgehend sind Übertragungsdeutungen Antworten auf die Frage „Was passiert hier eigentlich gerade zwischen uns?“ bzw. „Zu wem macht mich der Patient?“ („Ich muss gestehen, ich habe mich da schon ein wenig von meinem Chef bevormundet gefühlt.“ z. B. evoziert die Situation eines Verhörs oder einer Gerichtsverhandlung und weist dem Therapeuten zugleich eine entsprechende Rolle als Ankläger, Verteidiger oder Richter zu). Auch hier lassen sich Übertragungsdeutungen im Hier und Jetzt von genetischen Übertragungsdeutungen unterscheiden.

  • Widerstands- oder Abwehrdeutungen: Deutung des Bewältigungs- und Abwehrverhaltens innerhalb der Therapie. Abwehrdeutungen thematisieren den Aspekt, dass die Patientin sich in einer bestimmten Weise verhält, um etwas zu vermeiden, ohne das Vermiedene – wie in der Inhaltsdeutung – bereits näher zu benennen. Innerhalb der psychoanalytischen Therapie liegt der Schwerpunkt der Arbeit auf Übertragungs- und Widerstandsdeutungen.

4. Durcharbeiten: Einzelne Deutungen bewirken keine dauerhafte Veränderung. Durcharbeiten bezeichnet die ausdauernde und geduldige Arbeit gegen den Wiederholungszwang, selbst nach einem Einsichtsgewinn durch eine wirksame Deutung.



Psychodynamische Paartherapie:

Begriffsklärung Kollusion und Therapeutische Ansätze

Kollusion (Willi, 1975): unbewusste Komplizenschaft von Partnern in einem Beziehungsspiel mit dem Ziel der Angstabwehr und der infantilen Wunscherfüllung. Gemeint ist damit eine besondere Beziehungsform zwischen zwei oder mehr Menschen, bei der sich deren unbewusste und oft neurotische Beziehungsbedürfnisse komplementär ergänzen. Kollusionen in Paarbeziehungen sind oftmals derart strukturiert, dass ein Partner die progressive (aktive im OPD-Sinne), der andere die regressive (passive im OPD-Sinne) Seite einer für beide relevanten Konfliktdynamik einnimmt: Bei der oralen Kollusion (Autarkie-Versorgungs-Konflikt im OPD-Sinne) z. B. pflegt, füttert und umsorgt der eine Partner, der andere lässt sich pflegen, füttern und umsorgen. Analog kann auch von einer narzisstischen Kollusion (Chefarzt und Krankenschwester) oder einer anal-sadistischen Kollusion (Lehrerin und Hausmeister) gesprochen werden. In der Paartherapie nach Willi wird, ausgehend vom Kollusionsmodell,das Bewusstwerden des unbewussten und auf die Partner aufgeteilten gemeinsamen Konfliktes angestrebt.

Therapeutische Ansätze: Die Mehrgenerationen-Familientherapie (Massing, Reich & Sperling, 2006) führt mindestens drei Generationen einer Familie zusammen mit dem Ziel, den intrafamiliären Wiederholungszwang bewusst zu machen. Die psychoanalytisch orientierte Familien- und Sozialtherapie (Richter, 1972) unterscheidet die symptomneurotische und die charakterneurotische Familie. In der symptomneurotischen Familie wird ein Familienmitglied zum Indexpatienten und droht, aus der Familiengemeinschaft ausgeschlossen zu werden. Die charakterneurotische Familie hingegen teilt als ganze eine dysfunktionale und eingeschränkte Weltsicht. In diesem Sinne beschrieb Richter die paranoide Festungsfamilie, die hysterische Theaterfamilie und die angstneurotische Sanatoriumsfamilie.

Psychodynamische Gruppentherapie

Formen, Wirkfaktoren und Indikation

Spezifische Formen:

  • Gruppenanalyse und analytische Gruppenpsychotherapie: Minimalstrukturierung zur Regressionsförderung, Bearbeitung von Übertragungsprozessen, Primat von Gruppen gegenüber Einzeldeutungen.

  • Tiefenpsychologisch fundierte Gruppenpsychotherapie: Regressionsbegrenzung, Bearbeitung spezifischer Konfliktmuster.

  • Psychoanalytisch-interaktionelle Gruppenpsychotherapie (Heigl-Evers): Gruppenkonzept für Patientinnen mit vorwiegend strukturellen Störungen mit dem Ziel der Förderung der Ich-Funktionen der Teilnehmenden. Fokussierung auf Beziehungsmuster innerhalb der Gruppe, relativ hohe Strukturierung durch Therapeuten, Prinzip Antwort.

  • Intendierte dynamische Gruppentherapie (Kurt Hock): bedeutendste Psychotherapieform der DDR, die psychoanalytische und sozialpsychologische Sichtweisen miteinander verbindet; Konzeption eines phasenspezifischen Verlaufs (Revolte, Kippprozess) und relativ aktive Strukturierung durch den Therapeuten.

Wirkfaktoren in Gruppen (Irvin Yalom): Yalom (1996, S. 21 ff.) fand in empirischen Untersuchungen von Gruppenprozessen elf therapeutische Wirkfaktoren:

1. Hoffnung einflößen

2. Universalität des Leidens

3. Mitteilung von Information

4. Altruismus

5. Korrigierende Rekapitulation der primären Familiengruppe

6. Entwicklung von Techniken des mitmenschlichen Umgangs

7. Nachahmendes Verhalten

8. Interpersonelles Lernen

9. Gruppenkohäsion

10. Katharsis

11. Existenzielle Faktoren

Bei der Indikationsstellung für psychoanalytisch begründete Gruppenverfahren ist zu berücksichtigen, dass Patienten aufgrund des Settings – die Therapeutin muss im Gegensatz zum Einzelsetting scheinbar mit den anderen Gruppenteilnehmenden „geteilt“ werden, es macht also zunächst den Eindruck, als bekäme der Einzelne weniger – über eine ausreichend große Frustrationstoleranz verfügen müssen. Das Indikationsspektrum ist nicht auf bestimmte Störungsbereiche eingeschränkt.

Psychodynamische Gruppentherapie

Behandlungstechnik und Gruppenmatrix

Hinsichtlich der Behandlungstechnik in psychoanalytisch begründeten Gruppenverfahren gilt die Grundregel der freien Interaktion: Entsprechend der einzeltherapeutischen Grundregel der freien Assoziation wird den Teilnehmenden nahegelegt, sich so unverblümt wie möglich zu äußern, darüber hinaus jedoch nicht zu handeln (s. „Agieren“, S. 322). Entsprechend soll auch der Gruppentherapeut idealerweise der Regel der gleichschwebenden Aufmerksamkeit folgen.

Gruppenmatrix (Siegfried Foulkes): Aus der Idee, dass die Gemeinschaft dem Individuum konstitutionsgenetisch vorausgeht, von Foulkes (1964/1992, S. 30 ff.) geprägter Begriff zur Bezeichnung des Strukturprinzips vernetzter – bewusster und unbewusster – Kommunikation in Gruppen. Einzeläußerungen oder dyadische Interaktionen werden somit immer als Ausdruck einer Gesamtgruppenstruktur verstanden. Der manifesten multipersonalen Kommunikationsmatrix entspricht auf der latenten Ebene eine gruppenspezifische Übertragungsmatrix.

Psychodynamische Gruppenpositionen: Raoul Schindler (1957) benannte vier in allen Gruppenkonstellationen wirksame Rollen:

1. Alpha-Position: der Anführer, Repräsentantin des Gruppenanliegens

2. Beta-Position: die Fachfrau und Experte („Ja, aber …“)

3. Gamma-Position: der Arbeiter, Anhänger der Anführerin (dieser kann sowohl aktiv mit der Anführerin zusammenarbeiten, sie kontrollierend antreiben, ohne selber mitzuarbeiten, oder passiv-komplementär von ihr nutznießen)

4. Omega-Position: das schwarze Schaf (nicht fähig oder nicht willens, den Zielen des Anführers zu folgen), Repräsentantin des Gegners der Gruppe, vertritt auf Gruppenebene das von der Gruppe Abgewehrte

Störungsspezifische Modelle

Grundkonflikte nach Rudolf

Psychodynamische Therapieansätze sind traditionell störungsübergreifend ausgerichtet. Die Behandlungsplanung erfolgt dabei nicht anhand der nosologischen Kategorien, welche z. B. von der ICD-10 zur Verfügung gestellt werden, sondern aufgrund einer Einschätzung von Konflikt, Abwehr und Struktur. Insofern tendieren auch die Klausurfragen zum Bereich psychoanalytisch begründeter Therapieverfahren ganz deutlich – und im Gegensatz zu den Fragen des Bereichs Verhaltenstherapie – in eine störungsübergreifende Richtung.

Zur Illustration des psychodynamischen Verständnisses einzelner symptomatischer Störungsbilder eignet sich das Modell der Grundkonflikte (Gerd Rudolf), welches gewisse Parallelen zur OPD aufweist, gut. Rudolf (1993) beschreibt vier Grundkonflikte, welche entwicklungsgenetisch aufeinander folgen:

1. Grundkonflikt der Nähe: Wunsch nach Nähe vs. Angst vor Überwältigung,

2. Grundkonflikt der Bindung (depressiver Grundkonflikt): Wunsch nach einem idealisierten Objekt vs. Angst vor Enttäuschung durch das Objekt, 3. Grundkonflikt der Autonomie: Wunsch nach Autonomie vs. Angst vor Verlust der sicherheitsgebenden Objekte,

4. Grundkonflikt der Identität: Wunsch nach eigener Identität vs. Angst Erwartungen und Verbote anderer nicht zu erfüllen

Symptomatische Störungen werden nun als das Resultat spezifischer Verarbeitungsweisen einzelner Konflikte auf verschiedenen Strukturniveaus verstanden, indem entweder die Verarbeitung so starre und unflexible Züge gewinnt, dass sie selbst symptomwertig wird oder indem die Verarbeitung angesichts bestimmter auslösender Situationen zusammenbricht. Ein und derselbe Grundkonflikt kann also je nach Verarbeitungsweise phänomenologisch in vollkommen anderen Symptomatiken erscheinen.



Störungsspezifische Modelle

Depression

Oralität – Ambivalenz – Narzissmus: Freud (1917/1975) beschrieb die narzisstische Identifizierung mit einem ursprünglich geliebten aber verlorenen Objekt und die anschließende Wendung der auf dieses Objekt gerichteten Verlustaggression gegen das eigene Selbst als einen zentralen Mechanismus depressiver Erkrankungen. In der Depression ist das Über-Ich damit auf das Ich in einer Weise wütend, wie es das Ich auf das Objekt hätte sein sollen.

Neben dem von Freud beschriebenen Krankheitsmodell, welches den Verlust einer wichtigen Bezugsperson in den Fokus rückt, betonen andere psychodynamische Ansätze die zentrale Rolle von mangelndem Selbstwerterleben und wiederholten Hilflosigkeitserfahrungen oder verstehen Depression als eine regressive Schutzreaktion. Sidney Blatt (Blatt & Zuroff, 1991) unterschied

  • anaklitische Depression: Anklammernde, regressive, beziehungsorientierte (Es-)Depression, in der das Erleben von Urheberschaft über das eigene Leben zugunsten von Bezogenheit aufgegeben wird, und

  • introjektive Depression: Verinnerlichte, (pseudo)progressive, betont autonomieorientierte (Über-Ich-)Depression, welche durch hohe Selbstanforderungen gekennzeichnet ist und Individuation auf Kosten von Bezogenheit durchsetzt.

Exemplarische Abwehrmechanismen: Introjektion, Wendung gegen das Selbst.

Aspekte der Therapie: Die gehemmte Aggressivität einer regressiv akzentuierten Depression kann sich im Übertragungsgeschehen z. B. in Form aufopferungsbereiter Bedürfnislosigkeit auf Seiten des Patienten zeigen, wobei zugleich untergründig Wiedergutmachungsansprüche spürbar werden können, die sich in der Gegenübertragung in einem latenten Gefühl, kontrolliert zu werden, äußern. In der Therapie würde es dann fokussiert um die Bearbeitung der Ängste vor Aggressivität und der Fantasien, andere durch die eigene Aggression zerstören zu können, gehen. Bei einer progressiven Richtung der depressiven Konfliktthematik ginge es hingegen eher um die Themen Scham, Selbstzweifel und Idealisierung. In der Gegenübertragung würden Themen von Selbstzweifel und Sich-Entwertet-Fühlen eine Rolle spielen. Es ginge dann darum, der Patientin die Entidealisierung des Therapeuten ohne Beziehungsabbruch zu ermöglichen und mit ihm ein Aushalten von Mittelmäßigkeit zu erfahren. Diese Erfahrung könnte dann eine Integration der abgewehrten Abhängigkeitswünsche ermöglichen.

Störungsspezifische Modelle

Zwang

Über-Ich – Über-Ich – Über-Ich: Nach psychoanalytischer Vorstellung verfügt der Zwangsneurotiker über ein besonders strenges und rigides Über-Ich, welches sich den zugleich im Es vorhandenen ausgeprägten archaischen, anal-erotischen Tendenzen unangenehm unbarmherzig entgegenstellt. Die Züge des immer wieder karikierten zwanghaften Charakters – Ordentlichkeit, Reinlichkeit, Gewissenhaftigkeit, Sparsamkeit – lassen sich dann als Reaktionsbildungen gegen die Triebansprüche des Es verstehen. Exemplarische Abwehrmechanismen: Reaktionsbildung, Affektisolierung, Rationalisierung, Ungeschehenmachen.

Plombe im Ich: Alternativ kann Zwang (verstanden als Einengung, Beschränkung, Bindung) auch allgemein als Gegenpol und Gegenbewegung zum Chaos (verstanden als Zerfall, Entgrenzung, Bindungslosigkeit) gesehen werden. In diesem Sinne können Zwänge oder zwanghafte Charakterstrukturen auf niederem Strukturniveau auch zur Abwehr einer Fragmentierung des Selbst und von drohendem psychotischem Erleben eingesetzt werden.

Aspekte der Therapie: In der Therapie von Zwangsstörungen auf höherem Strukturniveau geht es entsprechend um eine Reduktion und Flexibilisierung rigider Über-Ich-Anteile mit dem Ziel einer Integration inkongruenter, bislang abgewehrter Selbstanteile. Werden Zwangssymptome hingegen nicht zur Triebabwehr, sondern zur Ichstabilisierung eingesetzt, so sind Deutungen, welche Konflikte zwischen Trieb und rigidem Über-Ich fokussieren, kontraindiziert, da sie desintegrierend wirken. Stattdessen sind vielmehr unter strukturellem Gesichtspunkt stützende und stabilisierende Interventionen notwendig.

Störungsspezifische Modelle

Persönlichkeitsstörungen

Insbesondere die narzisstische und die Borderline-Persönlichkeitsstörung faszinieren psychodynamische Therapeuten und Theoretiker offenbar nachhaltig. Unterschieden werden muss dabei die symptomatische Borderline-Persönlichkeitsstörung im Sinne der ICD-10 von der Borderline-Persönlichkeitsorganisation als einer Einschätzung des Strukturniveaus, welche z. B. auch bei einer deskriptiv diagnostizierten depressiven Symptomatik anzutreffen sein kann. Die in der ICD-10 nicht als eigenständige nosologische Kategorie enthaltene narzisstische Persönlichkeitsstörung kann psychodynamisch als ein Spaltungsphänomen verstanden werden, bei welchem ein kompensatorisch überhöhtes Größenselbst und ein minderwertiges Selbst auseinandergehalten werden müssen (Volkan & Ast, 1994).

Aspekte der Behandlung: Persönlichkeitsstörungen auf niedrigem Strukturniveau (Borderline-Persönlichkeitsstörung, maligne narzisstische Persönlichkeitstörung, antisoziale Persönlichkeitsstörung, schizotype Persönlichkeitsstörung) erfordern es, die Behandlung so zu modifizieren, dass diese den Erfordernissen einer Strukturpathologie Rechnung trägt. In der Behandlung narzisstischer Persönlichkeitsstörungen nach dem oben genannten Modell würde es z. B. unter Nutzung der spezifisch narzisstischen Übertragungsangebote (Spiegelübertragung, idealisierende Übertragung, Selbstobjektübertragung) wesentlich um die Integration positiver und negativer Selbstanteile gehen.

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viola S.

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