Benedetto Croces
Croce’s Kritik:
Croce stellt in seiner Ästhetik von 1902 die Gattungen als künstliche Einteilungen in Frage.
Er argumentiert, dass wahre Kunstwerke nicht durch Gattungsdefinitionen beschrieben werden können.
„Wahre Kunst“ spricht nicht durch Begriffe, sondern wird über Intuition wahrgenommen. Sie ist einzigartig und nicht analysierbar.
Gattung als „normale“ Kategorisierung:
Croce kritisiert, dass Kunstwerke nicht danach beurteilt werden sollten, ob sie den Gesetzen einer bestimmten Gattung (z.B. episches Gedicht, Tragödie) entsprechen.
Stattdessen sollten Kunstwerke nach ihrer Expressivität und dem Ausdruck dessen, was sie vermitteln, beurteilt werden.
„Gattungsverletzung“ als Kennzeichen wahre Kunst:
Wahre Kunstwerke verstoßen bewusst gegen Gattungsregeln und verwirren die Kritiker, was zu einer Erweiterung der Gattungen führt.
Probleme der Gattungsdefinitionen:
Croce erklärt, dass jede Erweiterung von Gattungen zu neuen Verwirrungen führt und die ursprünglichen Gattungsdefinitionen immer wieder hinterfragt werden müssen.
„Wahre Kunst“ ist in Croces Theorie nicht klassifizierbar, weil sie die bestehenden Gattungsgrenzenüberschreitet.
Kritik an der wissenschaftlichen Definition der Gattungen:
Obwohl Croce gegen die strikte Gattungseinordnung ist, erkennt er an, dass Gattungsbezeichner für die praktische Kommunikation notwendig sind.
Namen für Textgruppen sind für die Kategorisierung und den Diskurs wichtig, auch wenn sie nicht als „wirkliche“ Gattungen existieren.
Gattungen als „Sortimentsbezeichnungen“:
Croce sieht Gattungen eher als zufällig zusammengefasste Kategorien (ähnlich einem Sortiment), die keine natürliche oder tiefere Einheit darstellen.
Gattung = eine kontingente Zusammenstellung, die nicht zwangsläufig etwas gemeinsam hat (im Gegensatz zu einer „natürlichen“ Klassifikation).
Gattungstheorie heute:
Moderne Gattungstheorien sind sich bewusst, dass Gattungen nicht „wirklich“ existieren, sondern durch Begriffe konstruiert werden.
Gattungstheorien beschäftigen sich mit der Existenzweise von Gattungen und fragen, ob diese Klassifikationen tatsächlich gegebene Kategorien oder nur praktische Konstruktionen sind.
Beispiel Kriminalroman:
Frage: Kann es eine exakte wissenschaftliche Definition für den Kriminalroman geben?
Antwort: Ja, aber wir müssen den modernen Gebrauch dieses Begriffs analysieren und rekonstruieren.
Moderne Gattungstheorie und Genres:
Croce beschreibt eine moderne Dialektik, bei der Gattungen durchbrochen oder erweitert werden, was zu neuen Formen führt.
Das Überschreiten von Gattungsgrenzen ist ein Wesensmerkmal der modernen Kunst, das zu einer ständigen Weiterentwicklung der Gattungen führt.
Croce’s Argument:
Gattungen sind nicht naturgegeben, sondern künstlich.
Wahre Kunstwerke verstoßen gegen Gattungsnormen und treiben die Erweiterung von Gattungen voran.
Wichtige Lehren:
Die Gattungstheorie sollte nicht starr sein, sondern die Veränderlichkeit und Verschmelzung von Gattungen anerkennen.
Die moderne Literatur überschreitet zunehmend Gattungsgrenzen, was zu neuen Genres und Formenführt.
Croce kritisiert die klassifizierenden Gattungen und fordert, dass wahrhafte Kunstwerke über die bestehenden Gattungsdefinitionen hinausgehen.
Gattung ist eine künstliche Konstruktion, die nicht als „wirklich“ existent betrachtet werden sollte, sondern als praktisches Werkzeug in der Literaturwissenschaft.
Die moderne Gattungstheorie erweitert die Grenzen der Gattungen, indem sie Verschmelzungen und Veränderungen in den literarischen Formen akzeptiert.
Friedrich Gundolf
Gundolfs Kritik an der Gattungstrias:
In seiner Monografie über Goethe (1916) lehnt Gundolf die traditionelle Einordnung von Goethes Werken nach der Gattungstrias ab.
Argument: Wenn man den „konkreten Menschen“ betrachtet und die Formen erforschen will, in denen sich ein bestimmter Lebensgehalt entfaltet, sind vorgegebene Gattungsbegriffe unzureichend.
Goethe als Ausnahme:
Goethe sei ein einzigartiges Phänomen, das sich nicht in klassische Gattungen einordnen lässt.
Die Einmaligkeit des einzelnen Kunstwerks ist unvergleichlich, und Gattungsbegriffe können ihm nicht gerecht werden.
Frage: Wie setzt sich ein neuer Geist mit alten Gattungen auseinander? Wie verändern diese alten Gattungen sich durch den neuen Geist?
Gattungen im Wandel der Zeit:
Früher waren Gattungen für Gundolf nicht bloß Begriffe, sondern Formen mit immanenter Notwendigkeit.
In der Antike waren Gattungen tief mit dem kulturellen Leben und den kultischen Traditionen verbunden.
Antike Gattungen: Sie waren nicht willkürliche Klassifikationen, sondern lebendige Formen, die von der Gesellschaft geteilt wurden.
Verfall der Gattungen:
Moderne Gattungen sind nur noch begriffsgebundene Einteilungen und keine immanenten Formen mehr.
Gundolfs Kritik: Mit dem Ende der normativen Gattungspoetiken sind Gattungen zu bloßen Kategoriengeworden, die von Gelehrten zur Einordnung von Texten verwendet werden.
Gundolfs Darstellung der Antike:
In der Antike war der Begriff der Gattung beinahe religiös und war mit dem kulturellen Leben und den rituellen Praktiken verbunden.
Gegensatz zur Moderne: In der Antike war der Dichter ein Ausführender von göttlichen Geboten, ähnlich einem Priester.
Moderne Gattungen haben diesen göttlichen Bezug verloren.
Gundolfs Fokus auf den „großen Menschen“:
Gundolf betont, dass die moderne Literatur sich von Gattungen befreit hat und individuelle Originalitätim Vordergrund steht.
Moderne Dichter (z.B. Dante, Shakespeare, Goethe) kümmern sich nicht um Gattungen, sondern überschreiten diese, was ihre Originalität und Genialität ausmacht.
Innovation und Gattungen:
Gattungsdurchbrechungen sind nicht das Ziel der großen Dichter, sondern eine Antwort auf neue Herausforderungen.
Shakespeare revolutionierte das Drama, aber nicht als Gattungszerstörer, sondern als Antwort auf Theaterkulturen und gesellschaftliche Veränderungen.
Innovation durch Nachahmung:
Originalität entsteht nicht jenseits der Gattungen, sondern durch Innovation innerhalb der Gattungen.
Gattungen bleiben am Leben, weil Dichter durch Innovationen diese weiterentwickeln.
Wahre Kunst ist nicht nur Neuschöpfung, sondern Veränderung und Anpassung bestehender Gattungen.
Gattung oder Genre?
Gundolfs Ansicht entspricht einer Fixierung auf große Autoren, die als „Genies“ die Gattungen überschreiten.
Der Begriff der Gattung in der modernen Literaturtheorie hat sich zu einem Begriff der Genresweiterentwickelt, die durch Innovation und Veränderung wachsen.
Gattungen als soziale Konstruktion:
Gundolfs Ansicht zeigt eine historische Entwicklung der Gattungen und ihre Umwandlung von lebendigen Formen zu theoretischen Einteilungen.
Die Gattungen heute:
Gattungen sind notwendig, um Literatur zu klassifizieren, aber auch Veränderung und Innovationinnerhalb der Gattungen sind essenziell.
Moderne Kunst überschreitet Gattungsgrenzen, was zu neuen Formen und Genres führt.
Gundolfs Kritik: Gattungen waren in der Antike lebendige, kulturell verankerte Formen, die heute in der Moderne zu theoretischen Kategorisierungen reduziert wurden.
Der „große Mensch“: In der modernen Literatur überschreiten große Autoren Gattungsgrenzen, was ihre Originalität ausmacht.
Innovation und Gattungen: Gattungen leben durch Innovation, nicht durch Gattungszerstörung. Shakespeare und andere Dichter haben Gattungen weiterentwickelt, um den neuen Anforderungen gerecht zu werden.
Hans Magnus Enzensberger
Enzensberger’s Fragen:
Gibt es literarische Gattungen? Wenn ja, wie viele?
Nutzen und Nachteil der Gattungen für das literarische Leben?
Müssen Gattungen sein? Soll man sie abschaffen?
Zweck der Gattungen: Sind sie nur zur Verständigung oder erlauben sie eine wirkliche Klassifikation?
Enzensberger stellt diese kritischen Fragen in seiner Poetikvorlesung von 1964/1965, inspiriert von Nietzsche’s Werk.
Enzensberger’s Urteil:
Er bezeichnet die Gattungstheorie als das „trübseligste Kapitel der Literaturwissenschaft“.
Trotz der umfangreichen Anstrengungen und philosophischen Begriffe sei die Gattungstheorie von verwirrenden Spekulationen und scholastischen Debatten geprägt.
Kritik an der Gattungstrias:
Enzensberger zitiert Emil Staiger und andere Gattungstheoretiker, die sich nicht einigen können und schrullige Dinge behaupten.
Schlussfolgerung: Gattungsbegriffe können nicht außerhalb der Literatur verankert werden.
Metaphysische, psychologische oder anthropologische Begründung für Gattungen ist nicht möglich.
Möglicher Nutzen der Gattungen:
Gattungen können als Ordnungsbegriffe innerhalb der Literatur brauchbar sein.
Gattungen als „gutes Sortiment“: Sie helfen bei der Klassifikation literarischer Werke, auch wenn sie nicht auf tiefere, metaphysische Prinzipien basieren.
Beispiel für eine sinnvolle Klassifikation:
Das Linnésche System der Pflanzen als Vorbild:
Eine gute Klassifikation muss systematisch, umfassend und eindeutig sein.
Gattungen und ihre Schwierigkeiten:
Enzensberger präsentiert ein Beispiel eines literarischen Textes, der sich nicht eindeutig einer Gattungzuordnen lässt.
Dieser Text lässt sich nicht klar in Epik, Lyrik oder Drama einordnen.
Viele mögliche Gattungen:
Montage, Parodie, Autobiographisches Fragment, Feuilleton, Gebrauchslyrik usw.
Das Problem:
Die Gattungen überschneiden sich und schließen sich teilweise gegenseitig aus.
Enzensberger nennt es einen „terminologischen Faschingsball“, da die verschiedenen Klassifikationen nicht eindeutig sind und die Gattungsbezeichner über das spezifische Werk nichts aussagen.
Gattungen als Institutionen:
Auch wenn Enzensberger die wissenschaftliche Klassifikation der Gattungen ablehnt, sind Gattungen weiterhin notwendig für die Kommunikation über Literatur.
Sie sind Institutionen, die verwendet werden, um Literatur zu verstehen und zu klassifizieren.
Gattungen ermöglichen es, über Literatur zu sprechen, z.B. den historischen Roman zu definieren.
Zusammenfassung von Enzensberger’s Haltung:
Gattungen sind nützlich, aber ihre wissenschaftliche Klassifikation ist problematisch.
Gattungen sind nicht metaphysisch begründbar, aber trotzdem notwendig für die Kommunikation und das Verständnis von Literatur.
Sie sind Institutionen, die zur Kategorisierung und zum Verstehen von Texten gebraucht werden.
Gattungen als „kulturelle Normen“:
Enzensberger beeinflusst die moderne Literaturwissenschaft, indem er die Gattungen als kulturelle und institutionelle Konstrukte betrachtet, die zwar notwendig, aber nicht rigide sind.
Neues Verständnis von Literatur:
Er fordert ein offenes Verständnis von Literatur, bei dem Gattungen nicht als starre Kategorien, sondern als flexible Werkzeuge zur Ordnung und Kommunikation dienen.
Enzensberger stellt die Nützlichkeit und den Nachteil der Gattungen infrage und betont, dass Gattungen nicht metaphysisch begründet werden können.
Kritik an der strengen Gattungsklassifikation: Gattungen sind institutionelle Begriffe, die zur Ordnung und Kommunikation in der Literatur benötigt werden, aber nicht die Wirklichkeit der Werke vollständig erfassen können.
Gattungen als notwendige Institutionen, aber nicht als rigide Klassifikationen.
Enzensberger 2
Enzensberger’s Ansicht:
Die Gattungen sind für Enzensberger literarische Institutionen, die Macht und Einfluss auf den Schreibprozess haben.
Warum?: Gattungen sind keine metaphysischen Konzepte, sondern historische und institutionelle Formen, die in der Literaturwissenschaft verwendet werden, um Werke zu klassifizieren.
Gattungen als normative Institutionen:
Gattungen wirken wie Institutionen (z.B. die Universität), die sich metaphysisch begründen und oft vergessen, dass sie historisch gewachsen sind.
Enzensberger’s Urteil: Alle etablierten Institutionen haben einen normativen Zug, auch die Gattungen, die sich über die Zeit weiterentwickelt haben, aber ihren institutionellen Charakter beibehalten haben.
Einfluss der Gattungen auf den Schreibprozess:
Frage: Wie beeinflussen Gattungen den Schriftsteller bei seiner Arbeit?
Enzensberger’s Antwort: Die Gattungen entscheiden mit, bevor der Schriftsteller den ersten Satz schreibt.
Vorwissen und Gattungsbezug: Jeder literarische Entwurf basiert auf einem Vorwissen von existierenden Gattungen – der Schriftsteller ist sich dieser Gattungsbezüge oft nicht bewusst, sie beeinflussen jedoch seine Konzepte.
Das „vorbewusste Halbdunkel“:
Enzensberger’s Vermutung: In der frühen Phase des Schreibprozesses, noch bevor der erste Satz formuliert wird, ist der Schriftsteller oft von Gattungsimperativen beeinflusst.
Das „vorbewusste Halbdunkel“ beschreibt die vagen und subbewussten Vorstellungen des Autors, die die Wahl der Gattung betreffen.
Die Rolle der Gattungen:
Enzensberger argumentiert, dass Gattungen nicht nur Einschränkungen, sondern auch Orientierung und Halt für den Schriftsteller bieten.
Auch wenn ein Werk keine klare Gattung hat, wird der Autor sich trotzdem an bestehenden Gattungenorientieren und diese als Rahmen verwenden.
Zitat: „Es ist eben nicht möglich, einfach nur ‚etwas‘ zu schreiben.“
Wichtige Frage: Kann ein Schriftsteller etwas schreiben, ohne sich irgendwo zu orientieren?
Antwort: Nein. Der Autor ist immer an vorhandene Formen gebunden, selbst wenn er sich von diesen abheben möchte.
Gattungen bieten Struktur: Sie geben Orientierung und erlauben es, Ideen zu strukturieren, auch wenn der Schriftsteller sie verändern oder erweitern möchte.
Enzensberger’s Schlussfolgerung:
Der Gedanke an Literatur ohne institutionelle Verfestigung ist utopisch.
Es ist unvorstellbar, dass Literatur ohne Gattungsnamen funktioniert, da diese beim Verstehen und Kommunizieren von Texten notwendig sind.
Leviathane als Symbol:
Enzensberger endet mit der Metapher der „Leviathane“ im Kopf der Schriftsteller – ein absolutes, unaufhebbbares Konzept, das an Thomas Hobbes’ politischen Leviathan erinnert.
Gattungen als Leviathane: Gattungen sind so fest verankert, dass sie auch durch neue Herausforderungennicht verschwinden werden – sie sind ein unaufhebbarer Teil der literarischen Produktion.
Enzensberger’s Fazit:
Gattungen sind notwendig und spielen eine wichtige Rolle, aber sie sind institutionelle Konstrukte, die durch die Literaturgeschichte gewachsen sind.
Sie sind flexibel, da sie durch Innovation und Veränderung immer wieder neu definiert und angepasstwerden.
Die Gattungen als Institutionen bieten Struktur, Orientierung und Verständnis für den Schriftsteller und die Leserschaft.
Enzensberger sieht Gattungen als literarische Institutionen, die Macht und Einfluss auf den Schreibprozess haben.
Gattungen bieten Orientierung, auch wenn ein Schriftsteller sich von ihnen befreien möchte, und sind ein wesentlicher Bestandteil der literarischen Kommunikation.
Obwohl Enzensberger die institutionelle Festlegung von Gattungen als utopisch ablehnt, bleibt ihre Existenz für das Verstehen und Schreiben von Literatur unvermeidlich.
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