Wer ist im strafprozessualen Sinn der „Beschuldigte“?
Der Tatverdächtige, gegen den das Verfahren als Beschuldigten betrieben wird.
Wodurch wird die Beschuldigteneigenschaft begründet?
Durch einen Willensakt der zuständigen Strafverfolgungsbehörde (idR Staatsanwaltschaft) aufgrund eines Tatverdachts.
Kann die Beschuldigteneigenschaft auch ohne ausdrücklichen Willensakt entstehen?
Ja, wenn der Tatverdacht so stark ist, dass ein Übergang von Zeugen- zu Beschuldigtenstellung zwingend geboten ist.
Welche Maßnahmen können eine konkludente Beschuldigtenstellung begründen?
Mitnahme zur Polizeiwache, Durchsuchung, vorläufige Festnahme oder ähnliche Maßnahmen, die klar auf Strafverfolgung abzielen.
Wie grenzt man Verdächtigen, Zeugen und Beschuldigten voneinander ab?
Verdächtiger = kommt als Täter in Betracht, aber noch kein Beschuldigter.
Zeuge = soll eigene Wahrnehmungen bekunden, ist nicht Beschuldigter.
Beschuldigter = durch Willensakt oder zwingend durch Tatverdachtslage bestimmt.
Welche Folge hat eine unzulässige Zeugenvernehmung eines Verdächtigen, der schon Beschuldigter ist?
Die Vernehmung ist rechtswidrig; Aussagen dürfen nicht verwertet werden (Verstoß gegen Belehrungspflichten nach §§ 163a IV 2, 136 I 2 StPO).
Beispiel: Polizeistreife findet Verdächtigen mit Aufbruchswerkzeug nahe Tatort, legt Handschellen an, vernimmt ihn als Zeugen. Zulässig?
Nein! Hier liegt bereits Beschuldigtenstellung vor. Die Zeugenvernehmung ist rechtswidrig, Aussage unverwertbar.
Welche Bezeichnungen verwendet die StPO für den Beschuldigten in den verschiedenen Stadien?
Ermittlungsverfahren: BeschuldigterZwischenverfahren: AngeschuldigterHauptverfahren: AngeklagterNach rechtskräftiger Verurteilung: Verurteilter
Wer kann Verteidiger im Strafprozess sein?
Grundsätzlich ein Rechtsanwalt (§ 138 I StPO). Er ist ein selbständiges, der Justiz gleichgestelltes Organ der Rechtspflege.
Welche Arten von Verteidigung unterscheidet die StPO?
Wahlverteidigung (§ 138 StPO) und Pflichtverteidigung (§ 140 StPO).
Was ist ein Wahlverteidiger?
Ein vom Beschuldigten frei gewählter Anwalt, der sich gegenüber den Behörden bestellt und i.d.R. Akteneinsicht verlangt (§ 147 StPO).
Wann besteht Anspruch auf Pflichtverteidigung (§ 140 I StPO)?
In bestimmten Fällen notwendiger Verteidigung, u.a.:
Hauptverhandlung vor Schöffengericht, LG oder OLG (§ 140 I Nr. 1 StPO)
Vorwurf eines Verbrechens (§ 140 I Nr. 2 StPO)
Bei Vorführung zur Haft- oder Unterbringungsentscheidung (§ 140 I Nr. 4 StPO)
Bei richterlicher Vernehmung (§ 140 I Nr. 10 StPO)
Welche Generalklausel gibt es für die Pflichtverteidigung?
§ 140 II StPO: Pflichtverteidigung, wenn Schwere der Tat, Rechtsfolgen, Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage oder fehlende Fähigkeit zur Selbstverteidigung dies erfordern.
Spielt die finanzielle Lage des Beschuldigten eine Rolle für Pflichtverteidigung?
Nein. Wirtschaftliche Verhältnisse sind irrelevant (anders als in der ZPO mit Prozesskostenhilfe).
Ab wann kann ein Pflichtverteidiger bestellt werden?
Bereits vor Vernehmung zur Sache auf Antrag (§ 141 I StPO). Auch ohne Antrag, z. B. bei Vorführung zur Haft (§ 141 II StPO), bei Unfähigkeit zur Selbstverteidigung oder nach Zustellung der Anklage.
Was regelt § 141a StPO?
Ausnahmevorschrift: trotz notwendiger Verteidigung kann Beschuldigter in dringenden Fällen auch ohne Verteidiger vernommen werden.
Wer ist im Ermittlungsverfahren für die Pflichtverteidigerbestellung zuständig?
Der Ermittlungsrichter (§ 142 III StPO), Antrag läuft über die Staatsanwaltschaft. Diese gibt zuvor eine Stellungnahme ab (§ 142 I 2 StPO).
Kann die Staatsanwaltschaft selbst einen Pflichtverteidiger bestellen?
Ja, in Eilfällen mit Vorabentscheidungskompetenz (§ 142 IV StPO).
Welche Vorschriften regeln die Aufhebung oder den Wechsel des Pflichtverteidigers?
§ 143 StPO: Aufhebung der Bestellung
§ 143a StPO: Verteidigerwechsel
Was ermöglicht § 144 StPO?
Bestellung zusätzlicher Pflichtverteidiger (sog. Sicherungsverteidiger), um eine zügige Verfahrensführung sicherzustellen.
Welche Klausurrelevanz haben Probleme rund um die Pflichtverteidigerbestellung?
Häufig relevant bei der Frage der Verwertbarkeit von Geständnissen ohne Verteidiger oder als Revisionsgrund (§ 338 Nr. 5 StPO).
Welche Stellung hat die Staatsanwaltschaft im Strafverfahren?
Sie ist die „Herrin des Ermittlungsverfahrens“ (§ 152 II, § 160 I StPO) und entscheidet, ob öffentliche Klage erhoben wird.
Wann muss die Staatsanwaltschaft einschreiten?
Bei Vorliegen zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte für eine Straftat (Anfangsverdacht, § 152 II StPO).
Welche Pflichten hat die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren?
Den Sachverhalt zu erforschen (§ 160 I StPO) und sowohl belastende als auch entlastende Umstände zu ermitteln (§ 160 II StPO).
Unterliegt die Staatsanwaltschaft Weisungen?
Ja, sie ist hierarchisch organisiert (§§ 145–147 GVG). Beamte haben dienstliche Weisungen von Vorgesetzten zu befolgen.
Der einzelne Staatsanwalt handelt stets als Vertreter des ersten Beamten der S., der die Sache jederzeit an sich ziehen (Devolutionsrecht)und einen anderen Staatsanwalt mit ihrer Wahrnehmung betrauen kann (Substitutionsrecht)
Wer ist Behördenleiter der Staatsanwaltschaft?
Meist der Leitende Oberstaatsanwalt. Daneben gibt es Oberstaatsanwälte als Stellvertreter und Abteilungsleiter.
Wie ist die Hierarchie der Justizbehörden (Dienstaufsicht/Weisungsrecht) gegliedert?
Bayerisches Justizministerium → Generalstaatsanwaltschaft (bei OLG) → Staatsanwaltschaft (bei LG).
Gibt es Weisungsrechte zwischen Bundes- und Landesjustizbehörden?
Nein. Das BMJ ist nur gegenüber dem Generalbundesanwalt weisungsbefugt (§ 147 Nr. 1 GVG).
In welchem Verhältnis steht die Polizei zur Staatsanwaltschaft?
Polizei ermittelt unter Leitung der Staatsanwaltschaft (§ 161 I StPO). Die StA hat ein Sachweisungsrecht.
Wie ist die Polizei in Bayern organisiert?
Dreistufig: Innenministerium → Polizeipräsidien → Polizeiinspektionen (ggf. mit Stationen).
Wer ist Ermittlungsperson der Staatsanwaltschaft?
Meist Polizeibeamte (§ 152 GVG i.V.m. Landesrecht), aber auch andere Beamte/Angestellte (z. B. Zoll, Forst, Steuer).
Welche Maßnahmen darf jeder Polizeibeamte selbst durchführen?
Vorläufige Festnahme (§§ 127, 163b StPO), erkennungsdienstliche Maßnahmen (§ 81b StPO).
Welche Maßnahmen dürfen nur Ermittlungspersonen der StA bei Gefahr im Verzug anordnen?
Körperliche Untersuchungen (§ 81a II, § 81c V StPO), Beschlagnahmen (§ 98 StPO), Durchsuchungen (§ 105 I 1 StPO).
Was sind Aufgaben der Polizei nach § 163 StPO?
Straftaten erforschen, alle unaufschiebbaren Anordnungen treffen, Verdunkelungsgefahr verhindern.
Wer entscheidet über die Beendigung eines Ermittlungsverfahrens?
Ausschließlich die Staatsanwaltschaft – niemals die Polizei.
Welche Behörden haben eine ähnliche Stellung wie die Staatsanwaltschaft?
Finanzbehörden, v.a. die Bußgeld- und Strafsachenstellen (§§ 386 ff. AO).
Wer ist der Ermittlungsrichter?
Ein Richter am Amtsgericht (§ 162 StPO), der vor Erhebung der öffentlichen Klage für gerichtliche Untersuchungshandlungen zuständig ist.
Für welche Maßnahmen ist der Ermittlungsrichter zuständig?
Für richterliche Anordnungen im Ermittlungsverfahren, z. B.:
Körperliche Untersuchung (§ 81 I StPO)
Blutentnahme (§ 81a II StPO)
Beschlagnahme (§ 98 StPO)
Telefonüberwachung (§ 100b StPO)
Haftbefehl (§ 114 StPO)
Welches Gericht ist in Eilfällen zuständig, wenn der zuständige Ermittlungsrichter nicht erreichbar ist?
Auch das Gericht am Ort der Untersuchungshandlung kann angerufen werden (§ 162 I 3 StPO).
Welche besonderen Ausnahmen gibt es bei der richterlichen Zuständigkeit?
Für besonders eingriffsintensive Maßnahmen (z. B. Online-Durchsuchung, akustische Wohnraumüberwachung) ist die Kammer des Landgerichts zuständig (§ 100e II StPO i.V.m. § 74a IV GVG).
Muss der Beschuldigte einer polizeilichen Ladung Folge leisten?
Nein. Der Beschuldigte muss nur auf Ladung der Staatsanwaltschaft (§ 163a III StPO) erscheinen, nicht auf Ladung der Polizei.
Wie verhält es sich mit der Zeugenpflicht vor der Polizei?
Zeugen müssen seit neuerer Rechtslage auch auf polizeiliche Ladung erscheinen (§ 163 III StPO), wenn eine Anordnung der Staatsanwaltschaft zugrunde liegt.
Wer entscheidet über zentrale Maßnahmen wie Erlass eines Haftbefehls oder Erhebung der Anklage?
Nicht die Polizei, sondern ausschließlich die Staatsanwaltschaft.
Hat die StPO eine Legaldefinition für den Begriff „Verletzter“?
Nein, das Gesetz definiert den Begriff nicht. Im Strafverfahren ist der Verletzte grundsätzlich Zeuge; durch das Opferschutzgesetz (§§ 406d ff. StPO) wurde er aber auch selbständiger Verfahrensbeteiligter.
Welche Rolle hat das Opfer im Strafverfahren gegen den Beschuldigten?
Es ist in erster Linie Zeuge, kann aber zusätzliche Rechte als selbständiger Verfahrensbeteiligter geltend machen.
Welchen Anspruch gewährt § 171 StPO dem Opfer?
Anspruch auf eine mit Gründen versehene Bescheidung seiner Anzeige (ggf. Hinweis auf das Klageerzwingungsverfahren).
Was ist das Klageerzwingungsverfahren (§ 172 StPO)?
Ein Rechtsbehelf des Opfers gegen die Einstellung des Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft.
Welche Beteiligungsformen stehen dem Opfer im 5. Buch der StPO offen?
Privatklage (§§ 374–394 StPO)
Nebenklage (§§ 395–402 StPO, § 406h StPO)
Adhäsionsverfahren (Entschädigung §§ 403–406c StPO)
Welche Informationsrechte hat das Opfer?
Mitteilungspflichten über Verfahrensausgang oder Freilassung des Beschuldigten (§ 406d StPO).
Welche Akteneinsichtsrechte hat das Opfer?
§ 406e StPO:
Anwalt des Verletzten: Einsicht in Akten und Beweismittel
Verletzter selbst: eingeschränkte Einsicht, wenn nicht anwaltlich vertreten
Auf welche Unterstützung hat das Opfer Anspruch?
Recht auf Beistand (§ 406f ff. StPO), z. B. Opferanwalt oder psychosoziale Prozessbegleitung.
Wie wird das Opfer über seine Rechte informiert?
Durch Hinweise gemäß § 406i StPO, in der Praxis meist über „Opferschutzblätter“ bei Polizei oder StA.
Welches Verfassungsprinzip ist für die Gerichtsbesetzung maßgeblich?
Der Grundsatz des gesetzlichen Richters (Art. 101 GG).
Wer ist in erster Instanz grundsätzlich zuständig?
Amtsgericht (§ 24 GVG), außer wenn Katalogfälle des § 24 I GVG vorliegen.
Zuständigkeit Amtsgericht – welche Spruchkörper gibt es?
Strafrichter (§ 25 GVG): Straferwartung bis 2 Jahre, Privatklagedelikte.
Schöffengericht (§ 28, 29 GVG): Verbrechen, Straferwartung 2–4 Jahre.
Zuständigkeit Landgericht?
Straferwartung über 4 Jahre
Verbrechen mit besonderer Bedeutung (§ 24 I Nr. 3 GVG)
Unterbringung in psychiatrischem Krankenhaus oder Sicherungsverwahrung
Schwurgericht (§ 74 II GVG)
Zuständigkeit Oberlandesgericht?
Erstinstanzlich in Staatsschutzsachen (§ 120 GVG).
Nach welchen Regeln richtet sich die örtliche Zuständigkeit?
§§ 7–9 StPO (Tatort-, Wohnsitz-, Ergreifungs- bzw. Zusammenhangsgerichtsstand).
Bis wann prüft das Gericht die örtliche Zuständigkeit von Amts wegen?
Bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 203 StPO). Danach nur auf Rüge (§ 16 StPO).
Was umfasst die funktionelle Zuständigkeit?
Verteilung innerhalb des Gerichts (z. B. Vorsitzender vs. Kammer/Senat, besondere Strafkammern §§ 74 II, 74a, 74c GVG).
Wie lange prüft das Gericht die funktionelle Zuständigkeit von Amts wegen?
Grundsätzlich immer; bei besonderen Strafkammern (§ 6a StPO) nur bis zum Eröffnungsbeschluss.
Wer regelt die Geschäftsverteilung?
Das Präsidium des Gerichts (§ 21e GVG). Plan muss vorab feststehen, Änderungen nur ausnahmsweise zulässig.
Instanzenzug
Gegen Urteile des Amtsgerichts?
Gegen Urteile des Landgerichts (erstinstanzlich)?
Gegen Berufungsurteile des Landgerichts?
Berufung zum Landgericht (§ 312 StPO) oder Sprungrevision zum OLG (§ 335 StPO).
Revision zum BGH (§ 333 StPO).
Revision zum OLG (§ 121 GVG).
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