Die prozessuale Tat - Begriff
• Tat im prozessualen Sinn ist der nach der Lebensauffassung
einheitliche geschichtliche Vorgang, innerhalb derer der Angeklagte
Straftatbestände verwirklicht haben soll.
• Eine Tat liegt vor bei solch engem sachlichem, räumlichem und
zeitlichem Zusammenhang, dass eine getrennte Würdigung als
unnatürliche Aufspaltung eines einheitlichen Lebensvorgangs
empfunden würde.
Oberste Regel!
Innerhalb einer Tat im prozessualen Sinn (§ 264 StPO) kann ich nur entweder
anklagen oder einstellen.
Zweifelsfälle, wo erörtern und Formulierung ?
Im Hilfsgutachten:
„Eine Teileinstellung war veranlasst, da es sich um mehrere Taten im proz.
Sinne ( § 264 StPO) handelt.
Bei der eingestellten Tat handelt es sich um eine gesonderte
prozessuale Tat, da sich Tatzeit (…) , -ort (…), -opfer (…) und verletztes
Rechtsgut (…) von der der angeklagten Tat unterschieden, es sich also
gerade nicht um einen einheitlichen historischen Lebenssachverhalt
handelte.“
Bedeutung der prozessualen Tat für das
Strafverfahren
1. Für jede prozessuale Tat muss die StA gesondert entscheiden: Einstellung
oder Anklage, §§ 170 I, II
2. Nur soweit der historische Sachverhalt angeklagt ist, tritt Rechtshängigkeit
ein.
3. Innerhalb der angeklagten strafprozessualen Tat darf das Gericht den
Sachverhalt ermitteln und urteilen, §§ 155 I, 207 II, 264 I.
4. Strafklageverbrauch (Art. 103 III GG: ne bis in idem) reicht so weit, wie die
abgeurteilte prozessuale Tat reicht.
5. § 154 - § 154a hängt davon ab, ob mehrere (§ 154) oder eine prozessuale Tat
(§ 154a) vorliegen.
Beispiel Trunkenheitsfahrt
§ 315c I Nr. 1a, III, Nr. 2 StGB § 142 I Nr. 1; 53 StGB da durch den Unfall = Zäsur = neuer Willensentschluss weiterzufahren
sodannn bei Weiterfahrt § 142 I Nr. 1 + 316 I; 52 StGB
ABER = Alles zusammen ist eine prozessuale Tat !!!
1. Tatkomplex: Verhalten bis Unfall
(1) § 315c I Nr. 1a, III Nr. 2 StGB
(a) Führen eines Fahrzeugs im Straßenverkehr (+)
(b) Alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit bei 1,4 Promille (+)
(c) Konkrete Gefährdung durch Tathandlung infolge Fahruntüchtigkeit4
(+), wenn Unfall Folge eines alkoholbedingten Fahrfehlers ist, weil A z.B.
wegen alkoholbedingter Unaufmerksamkeit zu spät bremst.
(d) subj.T.: Im Zweifel: Fahrlässig bezüglich Fahruntüchtigkeit und bezüglich Gefahr, §
315c III Nr. 2 StGB
(2) § 316 I, II = formell subsidiär zu § 315c
2. Tatkomplex: Verhalten nach Unfall
(1) § 316 I?
(a) Grundsätzlich (+): Spätestens nach Unfall muss A um seine alkoholbedingte
Fahruntüchtigkeit wissen → Vorsatz!
(b) Subsidiarität zu § 315c?
(-), wenn neues, von § 315c materiellrechtlich zu trennendes Delikt iSd § 53
StGB
→ Nicht anhalten allein heißt nicht, dass alles materiell-rechtlich als
„eins“ zu behandeln ist
→ Unfall = Zäsur:
Ab da neuer Willensentschluss des A: Nicht mehr nur
einfach nach Hause fahren, sondern v.a. auch Flucht
(BGHSt 21, 203; F § 316 Rn. 56)
→ Neues materiell rechtliches Geschehen ab Unfall (+) → Subsidiarität zu §
315c (-)
(2) § 142 I Nr. 1 (+)
A = Unfallbeteiligter nach § 142 V; Vorstellungspflicht nach § 142 I Nr. 1 verletzt;
Vorsatz
Konkurrenzen und Ergebnis:
Tatkomplexe stehen in Tatmehrheit zueinander, weil Unfall = Zäsur, s.o.!
→ §§ 315c I Nr. 1a in Tatmehrheit mit § 316 I in Tateinheit mit § 142 I Nr. 1
b) Anzahl der prozessualen Taten:
(1) Tatmehrheit spricht für zwei prozessuale Taten
(2) Aber BGH: Letztlich trotz Zäsur (Unfall) ein Lebensvorgang:
Handlungen gehen ineinander über;
Unfallflucht kann im Prozess nicht beurteilt werden, ohne die Umstände, die zum
Unfall geführt haben
Welche Veränderungen sind von der Anklage erfasst und erfordern lediglich
einen Hinweis nach § 265?
Nämlichkeit der Tat ?
Verändert sich im Verlauf des Verfahrens das Bild des Geschehens, wie es in
der Anklageschrift und dem Eröffnungsbeschluss umschrieben ist, so ist die
Prüfung der Frage, ob die Identität der prozessualen Tat trotz der Veränderung8
des Tatbildes noch gewahrt ist, nach dem Kriterium der „Nämlichkeit“ der Tat
zu beurteilen.
Nämlichkeit ist gegeben, „wenn ungeachtet
möglicher erst in der Hauptverhandlung aufgeklärter Einzelheiten bestimmte
Merkmale die Tat weiterhin als einmaliges unverwechselbares Geschehen
kennzeichnen“.
Einstellung erfolgt wann?
§ 170 II StPO = “Andernfalls”
Dh. wenn der BEschuldigte der Straftat nicht hinreichend verdächtig ist
d.h. es muss nach vorläufiger Bewertung des Sachverhalts eine Verurteilung des BEschuldigten nicht mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein
Abgrenzung zu § 152 II StPO
Voraussetzungen des § 170 II StPO
Fehlen des hinreichenden Tatverdachts aus:
rechtlichen Gründen
Nicht verfolgbar
Angezeigte Tat nicht strafbar
tatsächlichen Gründen
angezeigte Tat nicht nachweisbar
Zuletzt geändertvor 10 Tagen