Buffl

Grundbegriffe & Forschungsbegriffe

CC
von Cathérine C.

Qualitative und Quantitative Methoden der Sozialwissenschaften und Mixed Methodes

Zentrale Merkmale:

Dimension

Qualitative Meth.

Quantitative Meth.

Forschungsziel

verstehen

erklären

Forschungsprozess

zirkulär

linear

Fallzahl

gering

viele

Forschungsdaten

Worte

Zahlen

Hypothesen

generierend

- anfangs sehr allgemein, um neue Aspekte im Untersuchungsprozess berücksichtigen zu können.

-werden dann fortlaufend präzisiert, modifiziert und revidiert

prüfend

-werden explizit vor Datenerhebung formuliert, basierend auf Theorie und bestehendem Forschungsstand.

-Ziel: Überprüfung von Zusammenhängen

-Ergebnis der Prüfung= (vorläufige) Bestätigung oder Falsifizierung

Forschungslogik

Induktion

-Von Einzelfall (Beobachtung) auf allgemeine Regel (Gesetz)

Deduktion

-vom Allgemeine auf das Besondere

Auswertung

offen

Verfahren nach Przyborski:

  • Methodologie der Grounded Theory

  • Verfahren der Narrationsanalyse

  • objektive Hermeneutik

  • dokumentarische Methode

statistische Verfahren

z.B: quantit. Datenerhebung

  • Empirische Informationen werden numerisch kodiert (z. B. politische Interesse: 0 = „überhaupt nicht“, 3 = „sehr interessiert“).

  • Zahlen ermöglichen statistische Auswertungen.

Genelralisierung

= Erkenntnisse über den Einzelfall hinaus auf allgemeine Zusammenhänge übertragen (Abstraktion).

gering

hoch

  • Fallauswahl meist durch Zufallsstichproben.

  • Mit Inferenzstatistik lassen sich Ergebnisse innerhalb bestimmter Fehlergrenzen auf die Grundgesamtheit übertragen.


Gemeinsamkeiten

  • arbeiten mit empirischen Informationen.

  • Ziel, Erkenntnisse über gesellschaftliche Strukturen und Handlungen zu erlangen, die über den konkreten Einzelfall hinausweisen

  1. Intersubjektive Nachvollziehbarkeit (Prüfbarkeit)

    • andere Forschende müssen verstehen können, wie man zu den Ergebnissen gekommen ist.

  2. Fundierte Generalisierungen

    • Schlussfolgerungen, die über einzelne Fälle hinausgehen, basierend auf tiefgehender Kenntnis des Untersuchungsgegenstands

  3. Kritische Reflexion der Ergebnisse

    • z.B. Wo könnten Fehler, Verzerrungen oder methodische Schwächen liegen?

    • Ziel: Verlässlichkeit und Transparenz der Forschung


Mixed Methodes

= Kombination beider Ansätze, weil Viele Forschungsfragen lassen sich sowohl qualitativ als auch quantitativ bearbeiten

Methodenmix:

  • Quantitative Daten: standardisierte Befragungen, Bibliotheksstatistiken

  • Qualitative Daten: Beobachtungen, Schulaufsätze, informelle Gespräche

Durch foolgende Strategien:

  • Sequenziell: qualitative und quantitative Forschung folgen nacheinander.

  • Komplementär: beide Methoden ergänzen sich gleichzeitig.

Aktuelle Tendenz:

  • Zunahme von Mixed-Methods-Studien (Baur et al. 2018),

  • Mehrheit der Forschung bleibt jedoch klar qualitativ oder quantitativ.


4 Kriterien zur Charakterisierung sozialwissenschaftlicher Forschung

  1. Ziel wiss. Forschung = Inferenz (vgl. Schlussfolgerung)

    -> Erklärung soz. Sachverhalte auf Basis empirischer Daten, durch:

    1. deskriptive Inferenz, bei der aus beobachteten Daten auf nicht beobachtete Fakten geschlossen wird, oder

    2. kausale Inferenz, bei der Erklärungen für die Beobachtungen entwickelt werden.

  2. Wissenschaftl. Vorgehensweise = öffentlich

    -> sozialwiss. Forschung erfordert transparente und nachvollziehbare Methoden, durch:

    • Offenlegung von empirischen Beobachtungen, theoretischer Argumentation, methodischem Vorgehen und Schlussfolgerungen

    • Möglichkeit für andere, diese kritisch zu prüfen, nachzuvollziehen und zu replizieren

    → ohne Transparenz kein überprüfbarer, öffentlicher wissenschaftlicher Akt.

  3. Schlussfolgerungen sind unsicher (vgl. Fehleranfälligkeit)

    -> bei Erhebung, Analyse und Interpretation von Daten können Fehler entstehen -> wissenschaftliche Schlussfolgerungen sind daher grundsätzlich unsicher -> Ausmaß dieser Unsicherheit kann jedoch abgeschätzt werden

  4. Gemeinsamkeit ist die Methode

    -> Sozialwissenschaftliche Forschung lässt sich nicht über Inhalte definieren, sondern nur über ihre Methode.

    Heißt: Forschungslogik, Strategien und Techniken bilden die Grundlage der Wissenschaft.


Wichtig - nach King et al. (1994, S. 9:

Wissenschaft ist ein soziales Unternehmen: Trotz unvermeidbarer Fehler trägt Forschung nur dann zum Erkenntnisfortschritt bei, wenn ihre Methoden verstanden, offengelegt und kritisch diskutiert werden – so können alle an Beschreibung, Theorieentwicklung und Theorietestung mitwirken.

2 Grundmodelle der Erklärung sozialer Sachverhalte

  1. Deduktiv-nomologisches Modell (auch: D-N-Modell / Hempel-Oppenheim-Modell)

Quantitative Sozialforschung nutzt das D-N-Modell als Grundmodell der Erklärung.

Bestandteile:

  • Explanandum: „Zu erklärendes Phänomen“ – die Aussage über den Sachverhalt, z. B. „Die Wahlbeteiligung in Deutschland sank von 1998–2009“.

  • Explanas: „Erklärende“ – umfasst allgemeines Gesetz (Allaussage) + Randbedingungen (konkrete situative Angaben).

Funktionsweise:

  1. Wenn-Dann-Beziehung: Allgemeines Gesetz beschreibt zeitlich und räumlich unbeschränkten Zusammenhang zwischen zwei Sachverhalten

  2. Randbedingungen beziehen sich auf die konkrete Situation.

  3. Erklärung durch deduktive Ableitung: Explanandum wird aus Gesetz + Randbedingungen logisch gefolgert.

= Gesetz(G): Wenn ein Faden mit einer Mindestlast belastet wird, dann reißt er + Randbedingung 1 (R1) Maximalbelastung 1kg + R2: Angehängtes Gewicht 2kg -> Explanandum: Faden reißt


Voraussetzungen einer DN-Erklärung:

  • Explanandum muss logisch korrekt aus dem Explanans ableitbar sein.

  • Explanans muss ein allgemeines Gesetz enthalten.

  • Explanans muss wahr sein.

  • Explanans muss empirisch überprüfbar sein (Gesetz + Randbedingungen).

  • Erweiterung nach Esser (1999b): Explanandum muss empirisch wahr sein.


  1. Induktiv-statistisches Modell (auch: I-S-Modell / probabilistische Erklärung)

In den Sozialwissenschaften gibt es keine strikten, allgemein gültigen Gesetze wie in den Naturwissenschaften. Deshalb wird das D-N-Modell modifiziert: statt absoluter Gesetze werden Wahrscheinlichkeiten verwendet.

Ziel: Vorhersage sozialer Phänomene mit Wahrscheinlichkeit, nicht mit logischer Sicherheit.


Bestandteile

  • Probabilistische Gesetz (PG): Gesetz in Form einer Wahrscheinlichkeit.

    • Beispiel: Bürger, die sich sehr für Politik interessieren, gehen wahrscheinlich wählen

  • Randbedingung: die nur für konkrete Situationen gelten

    • Beispiel: Max Mustermann interessiert sich sehr für Politik

  • Explanandum: zu erklärendes Phänomen

    • Beispiel: Max Mustermann beteiligt sich wahrscheinlich an den Wahlen

Heißt: Je höher die Wahrscheinlichkeit im Gesetz, desto wahrscheinlicher ist das Explanandum, aber keine Sicherheit.


Vergleich:

Merkmal

D-N-Modell

I-S-Modell

Gesetz

Allgemeingültig (Allaussage), zeitlich-räumlich unbeschränkt

Probabilistisches Gesetz (statistische Wahrscheinlichkeit)

Explanandum

Kann deduktiv abgeleitet werden

Kann nur mit Wahrscheinlichkeit prognostiziert werden

Sicherheit

Logisch zwingend

Nicht sicher, auch bei richtigem Explanans kann Explanandum falsch sein

Fachbegriff

D-N-Erklärung

I-S-Erklärung oder I-S-Begründung


Wissenschaftstheorie - Kritischer Rationalismus

Wissenschaftstheorie = „Aussagenbündel darüber, was Wissenschaft ist und wie sie vorzugehen hat“ (Gehring & Weins 2009).

Allgemeine Prinzipien für:

  • Formulierung inhaltlicher Theorien

  • Methodisches Vorgehen bei Untersuchungen

  • Synonyme: Metatheorien oder „Theorien über Theorien“

Funktion der Wissenschaftstheorie (Häder 2019)

  1. Beschäftigt sich mit der Logik des Forschens.

  2. Legt Spielregeln für wissenschaftliches Arbeiten fest und begründet sie.

  3. Vergleich: gutes Kochbuch – sagt nicht nur wie, sondern auch warum bestimmte Vorgehensweisen sinnvoll sind.

= Wissenschaftstheorie legt die Regeln und Prinzipien wissenschaftlichen Arbeitens fest, erklärt deren Begründung, und dient als Metaebene, um Theorien und Methoden systematisch zu gestalten.


Kritischer Rationalismus (Karl Popper)

Wissenschaft soll wahre Aussagen über die Realität machen — aber: absolute Wahrheit kann nie endgültig bewiesen werden

Stattdessen sollen Theorien kritisch geprüft werden und an Realität scheitern können.Nur so kann Wissenschaft lernen und Fortschritt erzeugen.

Merkmale:

  • Falsifizierbarkeit: Laut Popper sind nur Aussagen wissenschaftlich, die an der Realität überprüfbar sind und widerlegt (falsifiziert) werden können.

    • ungleich: Verifikation = Versuch, eine Aussage endgültig zu bestätigen („beweisen”)

  • Vorläufigkeit: Auch bestätigte Aussagen gelten nur vorläufig („bewährt“).

  • Empirischer Bezug: Begriffe beziehen sich auf beobachtbare Realität

  • Kritik statt Bestätigung: Ziel, Aussagen kritisch zu prüfen, statt blind zu bestätigen

Aber Achtung vor: Basissatzproblem

  • Basissatz: durch Konventionen beschlossene Festsetzungen, die sich auf intersubjetiv beobachtbare Sachverhalte beziehen.

  • Aussagen werden nicht direkt durch „die Realität“ geprüft, sondern durch Beobachtungssätze (Aussagen über Beobachtungen).

  • Diese Beobachtungssätze können fehlerhaft sein → eine direkte, unproblematische Prüfung ist nicht möglich.

Beispiel:

> Du kannst nie alle Raben der Welt sehen → also nie beweisen, dass alle schwarz sind.

> Aber: ein einziger weißer Rabe reicht, um die Aussage

Poppers Lösung

  • Beobachtungssätze (Basissätze) werden konventionell anerkannt: man akzeptiert sie per Beschluss vorläufig als Prüfgrundlage = Diese Anerkennung ist vorläufig

Praktische Konsequenzen für Forschende

  1. Intersubjektive Nachvollziehbarkeit:

    • Der gesamte Forschungsprozess muss so dokumentiert werden, dass Dritte nachvollziehen können, wie Ergebnisse zustande gekommen sind (Methoden, Entscheidungen, Kriterien).

  2. Methodische Sorgfalt:

    • Bei Datenerhebung und -auswertung sind die höchstmöglichen methodischen Standards anzuwenden, damit die Basissätze (Beobachtungen) so zuverlässig wie möglich sind.



10 Projektphasen sozialwissenschaftlicher Forschungsprojekte


Klärung, ob man Quantitativ oder Qualititativ forschen möchte. Unterschiede bestehen in der Art, wie man vorgeht (z. B. Datenerhebung, Analyse), aber:

  • Beide müssen Themen wählen, Begriffe klären, Daten erheben, auswerten und veröffentlichen. → Die Gemeinsamkeiten sind größer als die Unterschiede

Ablauf:

(1) Festlegung des Forschungsthemas

│Beispiel: „Politisches Vertrauen“ ist ein Thema – aber noch keine konkrete Forschungsfrage

(2) Auseinandersetzung mit dem Stand der Forschung

│ → Beide zusammen führen zu…

(3) Formulierung der Forschungsfrage

konkret und überprüfbar

(4) Konzeptspezifikation (Begriffsdefinition)

│Begriffe müssen präzise theoretisch geklärt werden, um eindeutig und messbar zu sein

  • Beispiel: Was meint man genau mit „Vertrauen“ oder „Legitimität“?

  • Alltagsbegriffe müssen in wissenschaftliche Konzepte übersetzt werden.

    • z. B. „Wutbürger“ → ein Konzept sozialer Proteste, das man empirisch untersuchen kann.

(5) Hypothesenbildung

│Hypothesen = theoriegeleitete Vermutungen über Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge.

  • Wichtig: Hypothesen müssen falsifizierbar sein – also an der Realität scheitern können (Prinzip des Kritischen Rationalismus).

(6) Operationalisierung

│Übersetzung theoretischer Begriffe in beobachtbare Indikatoren, um Theorien empirisch messbar zu machen, über Korrespondenzregeln.

  • z. B. das theoretische Konzept „Vertrauen“ → messbar durch Fragen wie „Wie sehr vertrauen Sie der Regierung?“

(7) Prüfung: Liegen geeignete Daten vor?

├──► JA → (8) Sekundäranalyse

└──► NEIN → (9) Primäranalyse: Entwicklung eines Forschungsdesigns

│Wichtige Entscheidungen:

  1. Untersuchungsebene: Gesellschaft (Makro) oder Individuum (Mikro)?

  2. Art der Studie: Experimentell (Labor, Feld) oder nicht-experimentell (Querschnitt, Panel, Trend)?

  3. Zeitdimension: Einmalige oder wiederholte Erhebung?

  1. Ziel: Ein Design wählen, das zur Frage und zu den Ressourcen passt.

(10) Auswahlverfahren: Über wen/welche Einheiten will man Aussagen treffen?

|

(11) Datenerhebung:

Formen: Befragung, Beobachtung, Inhaltsanalyse

| Arten

  • Vollerhebung: z.B. Bundestagswahl: alle wahlberechtigten Bürger*innen

  • Vorteile: vollständige Datenbasis.

  • Nachteile: sehr aufwändig, oft nicht praktikabel, häufig unnötig.

  • Teilerhebung: nur einer Auswahl der Elemente der Grundgesamtheit als dominantes Verfahren in den Sozialwissenschaften.

    • Zufallsverfahren → nach mathematischem Zufallsprinzip.

      • repräsentativ, statistisch sauber.

    • Nicht-zufällige Verfahren → z. B. bewusste Auswahl (oft in qualitativer Forschung).

    • Stichprobe: Elemente aus der Grundgesamtheit nach festen Regeln ausgewählt

    • Willkürliche Auswahl: keine festen Regeln; Elemente werden frei oder opportunistisch gewählt.

(12) Datenaufbereitung & Datenanalyse

│Daten müssen bereinigt, strukturiert und ausgewertet werden.

  • Bereinigung = Fehlerkorrektur, Umgang mit fehlenden Werten usw.

  • Analyseverfahren hängen von Forschungsfrage & Datentyp ab (z. B. Regressionsanalyse, qualitative Inhaltsanalyse).

(13) Publikation der Ergebnisse

  • Ergebnisse müssen veröffentlicht werden, sonst tragen sie nicht zum wissenschaftlichen Fortschritt bei.

  • Typische Formen:

    • Abschlussbericht (oft intern)

    • Bücher, Zeitschriftenartikel (öffentlich & wissenschaftlich relevant)


Konzeptspezifikation

Warum Konzeptspezifikation?

  • Viele sozialwissenschaftliche Begriffe (z. B. Politikverdrossenheit, Vertrauen, politische Beteiligung) stammen aus dem Alltag.

  • Alltagssprache ist oft mehrdeutig, wertend und unpräzise → keine einheitliche Definition.

  • Problem: Unscharfe Begriffe führen zu:

    • Schwieriger Interpretation empirischer Befunde

    • Unklaren Hypothesen

    • Eingeschränkter kumulativer Forschung

> „Concepts are central to the enterprise of political science. The concepts we use shape the world we see… Without solid conceptual foundations, the edifice of political science is insecure.“ (Schedler 2011, S. 370-371)

> „Concept formation thus lies at the heart of all social science endeavor… It is impossible even to conceptualize a topic, as the term suggests, without putting a label on it.“ (Gerring 2001, S. 35)


Ziel der Konzeptspezifikation

  • Begriffe eindeutig definieren, um sie von ähnlichen Konzepten abzugrenzen

  • Grundlage für:

    • Empirische Forschung

    • Hypothesenformulierung

    • Valide Operationalisierung

  • Ziel: Identifikation, Definition und systematischer Vergleich relevanter Konzepte.


Grundprinzipien guter Konzeptspezifikation

  1. Eindeutige Definition: Begriff klar beschreiben

  2. Abgrenzung: Ähnliche Begriffe differenzieren

  3. Operationalisierung: Messbare Indikatoren ableiten

  4. Empirische Relevanz: Begriff erlaubt konkrete Hypothesen und Forschung

Elemente eines Konzepts (Gerring 2001)

  1. Term: Name/Label des Konzepts (z. B. „Politikverdrossenheit“)

  2. Intension: Menge der Attribute/Eigenschaften, die ein Objekt haben muss, um unter das Konzept zu fallen

    • Beispiel „Auto“: Motor, Räder, Türen

  3. Extension: Gesamtheit der Objekte, die die Attribute der Intension erfüllen

    • Beispiel „Auto“: alle realen Autos mit Motor, Rädern und Türen

Merksatz: Je größer die Intension (mehr Attribute), desto kleiner die Extension (weniger Objekte fallen darunter).


Qualitätsmerkmale

  • Präzision: Wie genau lässt sich ein Objekt oder Ereignis dem Konzept zuordnen?

  • Eindeutigkeit: Konsistente Verwendung des Konzepts durch verschiedene Personen

  • Adäquatheit: Passung von Intension und Extension; das Konzept umfasst relevante Objekte, aber nicht zu viele oder zu wenige

Vier Schritte der erfolgreichen Konzeptspezif. (Wonka 2007)

= zeigt, was untersucht wird, wie es verstanden wird und warum es so sinnvoll ist

  1. Zentrale Konzepte identifizieren

  • Ausgangspunkt: Forschungsthema bzw. Forschungsfrage.

  • Zentrale Konzepte = meist abhängige und unabhängige Variablen.

  • Beispiele:

    • Forschung zu sozialem Vertrauen → Konzept „Soziales Vertrauen“

    • Forschung zu Europäisierung → Konzept „Europäisierung“

  • Ziel: Festlegen, welche Schlüsselbegriffe die Untersuchung strukturieren.

  1. Spezifikation in der Fachliteratur prüfen

  • Orientierung an etablierten Konzepten der Disziplindurch intensive Literaturrecherche → kumulatives Wissen

  • Bei unterschiedlichen Bedeutungen:

    • passendste Spezifikation für Forschungsfrage auswählen und begründen.

    • Falls nötig → Re-Spezifizierung prüfen (Anpassung an neuen Kontext).

  1. Intension gewählter Konzeptspezifikation offenlegen

  • Wichtig: Bedeutung und Attribute des Konzepts klar darstellen. Beispiel: „Sozialkapital“ (Bourdieu vs. Putnam).

  • Ziel: Intersubjektive Nachvollziehbarkeit → Grundlage für wissenschaftlichen Diskurs

  1. Präzision, Eindeutigkeit und Adäquatheit prüfen

    1. Präzision: Wie genau ist das Konzept definiert?

    2. Eindeutigkeit: Wird es konsistent verwendet?

    3. Adäquatheit: Passt es zur Forschungsfrage?

  • Zweckmäßigkeit der Spezifikation ist kontextabhängig – sie kann nur im Hinblick auf das konkrete Forschungsthema beurteilt werden.


Negativ-Beispiel: Politikverdrossenheit

  • Heterogenes Konzept (Arzheimer 2002):

    • Objekte: Parteien, Politiker, Regierung, Demokratieprinzip, Verwaltungen, Kirchen, Gewerkschaften

    • Einstellungen: Unzufriedenheit, Enttäuschung, Misstrauen, Desinteresse, Angst, manchmal politisches Interesse

  • Problem: keine einheitliche Definition → unklare empirische Forschung

  • Lösung: Präzisere Konzepte nutzen, z. B. politische Unterstützung

Positiv-Beispiel: Politische Unterstützung (Easton 1965)

  • Objekte politischer Unterstützung:

    1. Politische Gemeinschaft

    2. Politisches Regime

    3. Politische Autoritäten

  • Arten politischer Unterstützung:

    • Spezifisch: abhängig von Leistungen der Institution

    • Diffus: unabhängig von konkreten Leistungen

  • Bedeutung:

    • Zentral in der empirischen Demokratieforschung

    • Grundlage für zahlreiche Weiterentwicklungen (z. B. Fuchs 1989; Norris 1999; Braun & Schmitt 2009)


Praxisbezogenheit:

  • Begriffe müssen definiert und abgegrenzt werden, bevor sie empirisch untersucht werden.

  • Beispiel „Politikverdrossenheit“: heterogen, unklar → ersetzt durch präzisere Konzepte wie politische Unterstützung (Easton 1965).

  • Wissenschaftliche Begriffe ermöglichen:

    • Formulierung gehaltvoller Hypothesen

    • Validierbare Operationalisierung

    • Kumulative Forschung


Zentrale Schwierigkeiten:

  • Gleicher Begriff, unterschiedliche Bedeutung (Intension)

    • Viele Konzepte nutzen denselben Begriff, aber unterschiedliche Definitionen (Attribute).

    • Beispiel: „Sozialkapital“

      • Bourdieu (1983): Ressourcen durch Zugehörigkeit zu Netzwerken („Vitamin B“)

      • Putnam (2000): Netzwerke, Normen & Vertrauen als Quelle sozialer Kooperation

    • → Beide nutzen denselben Term, aber mit verschiedener Intension.

    • Konsequenz: Begriffliche Unklarheit, Missverständnisse, nicht vergleichbare Forschung.

    • Lösung: Offenlegung der verwendeten Konzeptspezifikation im Forschungsprozess.

  • Kontextabhängigkeit der Konzepte → evtl. Re-Spezifizierung nötig

    • Konzepte sind oft zeitlich oder räumlich gebunden.

    • Bei Anwendung in anderem Kontext → prüfen, ob Konzept noch passend („Fit“)

      • Wenn nicht: Re-Spezifizierung erforderlich

        • = Anpassung eines Konzepts an neuen Untersuchungsgegenstand, z. B. durch Änderung oder Erweiterung der Attribute.

        • Beispiel:

          • Früher: Nur Wahlbeteiligung (Verba & Nie 1972)

          • Erweiterung auf alle freiwilligen Tätigkeiten zur Einflussnahme auf Politik→ z. B. Demonstrationen, Unterschriftenaktionen (Kaase 1995)

          • Später: Diskussion über individualisierte Formen (politischer Konsum, Online-Aktivismus)→ erneute Re-Spezifizierung (van Deth 2014 ff.)

      • Gefahr: falsche analytische Erfassung und fehlerhafte Schlussfolgerungen (Wonka 2007)

    • = Konzepte sind nie „neutral“ → Bedeutung hängt vom theoretischen Kontext ab.

    • Offenlegung, Präzisierung und Kontextanpassung sind entscheidend für wissenschaftliche Nachvollziehbarkeit.

    • Re-Spezifizierung hält Konzepte anschlussfähig und empirisch brauchbar.



Detailliert:

Forschungsthema

Forschungsstand (Literaturrecherche)

Forschungsfrage

Das Forschungsthema bildet den Ausgangspunkt jedes Forschungsprojekts.

  • = grober Rahmen , ist aber noch keine ausreichende Arbeitsgrundlage.

  • Erst die Forschungsfrage macht ein Projekt konkret, überprüfbar und zielgerichtet.

  • Relevanz = entscheidend, damit die Arbeit nicht nur geschrieben, sondern auch gelesen wird (Stykow et al. 2010).

🔹 Vom Thema zur Frage – Vorgehen

  1. Themenwahl: Orientierung an persönlichem Interesse (Auftrag) und wissenschaftlicher Relevanz durch Auseinandersetzung mit bestehendem Forschungsstand

    • Dimensionen der Relevanz: Idealfall: Forschungsprojekt erfüllt beide Kriterien.

      • Theoretisch: Beitrag zum wissenschaftlichen Diskurs, zur Erweiterung des Wissens, Prüfung von Hypothesen, Verbesserung von Theorien oder Methoden

        • Empirische Prüfung ungetesteter Hypothesen

        • Aufdeckung von Inkonsistenzen in Theorien

        • Identifizierung empirischer Fälle, die Theorien bisher nicht erklären

        • Entwicklung klarer Konzepte oder Messinstrumente

        • Formulierung alternativer Erklärungen

        • Anwendung einer bestehenden Theorie auf neues Forschungsfeld

      • Gesellschaftlich: Bedeutung für die „reale Welt“, zum Verständnis und Vorhersage sozialer, politischer oder ökonomischer Phänomene, die viele Menschen betreffen

        • Wer ist betroffen? – Identifikation der betroffenen Personengruppen

        • Wie lassen sich die Effekte bewerten? – Analyse der Konsequenzen; Bewertung nach mehreren, explizit ausgewählten Maßstäben

        • Welche Ratschläge können erteilt werden? – Diskussion praktischer Implikationen; Empfehlungen müssen normativ fundiert und argumentativ nachvollziehbar sein

        • ⚠️ Appelle, persönliche Meinungen oder emotionale Kommentare gehören nicht in wissenschaftliche Texte.

      • Beispiel: Direkte Demokratie

        • Vorteile: politische Aufmerksamkeit, politisches Lernen, staatsbürgerliche Verantwortung („Schule der Demokratie“)

        • Problem: geringe Beteiligung → soziale Selektivität (überproportional Gebildete, Männer)

        • Bewertung abhängig vom Demokratieverständnis:

          • Liberales Modell: problematisch → verletzt politische Gleichheit

          • Elitäres Modell: positiv → qualifiziertere Entscheidungen

  2. Thema eingrenzen:

    • Breite Themen wie „soziale Ungleichheit“ → zu groß. Eingrenzen nach:

      • Ebene: lokal, national, international

      • Zeit: z. B. Entwicklung über die Jahre

      • Dimension: Mikro- oder Makroebene

    • oder Präzisierung durch Kombination von Kernbegriffen

      • z. B. statt „Wahlforschung“

      • → „Lokale Unterschiede der Wahlbeteiligung in Deutschland“.

  3. Forschungsstand analysieren:

    • Gibt Kenntnis über bestehende Erkenntnisse, Theorien und offener Fragen zum Erkennen von:

      • theoretischen Ansätzen

      • empirischen Ergebnissen

      • Forschungslücken

    • Vermeidung von Überschneidungen mit bereits erforschten Themen.

      • Auseinandersetzung mit dem Forschungsstand sichert den kumulativen Charakter der Wissenschaft → Forschung baut aufeinander auf (Lehnert et al. 2007).

    • Literaturrecherche gibt Überblick über den aktuellen Forschungsstand gewinnen.

      • = Grundlage für Formulierung der Forschungsfrage.

      • Wissenschaftliche Texte = Texte, die wissenschaftlich geprüft, nachvollziehbar und theoretisch fundiert sind.

      • Erkennbar an:

        • Literaturverzeichnis / Quellenangaben

        • Autorenschaft durch Fachwissenschaftler

        • Veröffentlichung in anerkannten wissenschaftlichen Verlagen oder Zeitschriften

      • Kriterien zur Bewertung von Fachliteratur

        • Zitierfähigkeit: Quelle ist öffentlich zugänglich und nachvollziehbar

        • Zitierwürdigkeit: Quelle erfüllt wissenschaftliche Qualitätsstandards

        • Relevanz: Quelle ist inhaltlich relevant zur Forschungsfrage

      • Leitfragen: Was suche ich? (Thema grob festlegen)→ Wo suche ich? (Rechercheorte & -mittel, Thema weiter eingrenzen)

      • Erst bei einer ungefähren Forschungsfrage → systematische Recherche (nach Stykow)

        • wenn alle verfügbaren Bibliotheks- und elektronischen Recherchemittel konsequent genutzt werden, um sämtliche Erscheinungsformen wissenschaftlicher Information abzudecken

      • Arten wiss. Fachliteratur

        • Monografie: Buch zu einzelnem Thema oder Forschungsproblem, unterteilt in:

          • Lehrbücher: Überblick & Grundlagen (z. B. Diekmann 2011; Schnell et al. 2023)

          • Studien: spezifische Forschungsfragen, oft aus Dissertationen/Habilitationen

          • Schlüsselwerke: prägende Klassiker (z. B. Almond & Verba 1963, Huntington 1996, Lijphart 1999)

          • Rechercheort:

            • Online-Kataloge der Universitätsbibliotheken

              • OPAC (Online Public Access Catalogue)

            • KVK (Karlsruher Virtueller Katalog: Meta-Suchmaschine, durchsucht mehrere Bibliothekskataloge gleichzeitig.

            • BASE (Bielefeld Academic Search Engine): Eine der weltweit größten Suchmaschinen für wissenschaftliche Web-Dokumente (> 340 Mio.).

            • Pollux (FID Politikwissenschaft): Fachinformationsdienst speziell für Politikwissenschaft, ca. 12 Mio. Nachweise.

        • Sammelbände: Sammlung mehrerer Beiträge verschiedener Autoren

          • Herausgegeben von Fachwissenschaftlern

          • z.B. Handbuch empirische Sozialforschung (Baur & Blasius 2022)

          • Rechercheort: wie Monografie

        • Fachzeitschriften: z.B: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie (KZfSS)

          • Fachaufsätze = zentrale Kommunikationsmedium, i.F. aktuellste und verlässlichste Quelle für neue Forschungsergebnisse

          • Rechercheort:

            • Web-of-Science

            • SSCI (Social Science Citation Index): Wichtigste Fachdatenbank der Sozialwissenschaften.

            • IBZ: monatlich aktualisiert > 3,5 Mio. Aufsätze aus 11.500 Zeitschriften (seit 1983) ABER nicht alle Zeitschriften erfüllen wissenschaftliche Standards

            • JSTOR: Online-Archiv älterer Fachzeitschriftenausgaben.

        • Statistiken & Forschungsdaten:

          • Amtliche Statistiken:

            • Statistischen Bundesamt

            • Eurostat

            • OECD

            • Weltbank

            • ACHTEN AUF Datenharmonisierung bei internationalen Vergleichen

            • als PRIMÄRQUELLEN bevorzugt

          • Komerzielle Datenportale: Statista

          • Sozialwissenschaftl. Datensätze: von Forschungsinstituten

            • z.B. Gesis: größte deutsche Infrastruktureinrichtung für Sozialwissenschaften

            • Politbarometer

            • ALLBUS

            • Grundlage für empirische Sekundäranalysen

      • Formen der Literaturübersicht:

        • Narrative Review (traditionelle Literaturübersicht):

          • unsystematisch / subjektiv, Typisch für theoretisch-argumentative Arbeiten

        • Systematic Review (systematische Literaturübersicht)

          • Auswahl: nach festgelegten Kriterien (Ein-/Ausschlusskriterien, Datenbanken, Suchbegriffe) = transparent und nachvollziehbar für objektive Zusammenfassung des Forschungsstands

          • Grundlage häufig für Metaanalysen oder quantitative Vergleiche

      • Wichtige Begriffe bei Recherche:

        • Open Access: Freier und kostenloser Zugang zur Maximierung der Verbreitung

        • DOI (Digital Objekt Identifier): Dauerhafte, eindeutige Kennung zur Online-Version eines Dokuments

      • Zentrale Prinzipien:

        • Primärquellen vor Sekundärquellen!

        • Kombination mehrerer Recherchemittel notwendig.

        • Abstracts helfen bei schneller Relevanzbewertung.

        • Zitationshäufigkeit (Times Cited) = Indikator für Bedeutung eines Werks.

        • VPN-Verbindung oft nötig für Volltextzugriff.

  4. Entwicklung der Forschungsfrage:

    • Leitet sich aus Lücken oder offener Probleme des Forschungsstands ab.

    • Muss präzise, forschungsleitend und beantwortbar sein und dient Strukturierung des gesamten Projekts (Theorie, Methode, Analyse).

    • Grundformen

      • Deskriptiv: meist WIE-Fragen zur Erfassung & Darstellung von Fakten

      • Erklärend (analytisch): meist WARUM-Fragen zur Untersuchung von Ursachen und Zusammenhängen

        • In den Sozialwis. zentral!

    • Strategien zur Entwicklung nach Westle & Stykow

      • Identifizierung neuer Phänomene: Gesellschaftliche, technologische oder ökonomische Veränderungen führen zu neuen Fragestellungen.

        • Beispiel: Wie beeinflusst das Internet die politische Partizipation?

      • Theorienkonkurrenz: Vergleich unterschiedlicher theoretischer Ansätze zur Erklärung eines Phänomens; empirische Überprüfung, welche Theorie zutreffender ist.

        • Beispiel: Welcher Ansatz erklärt am besten die Zustimmung zur EU? (Gabel 1998)

      • Wiss. Rästel (puzzles): Überraschende empirische Befunde, die bestehenden Theorien widersprechen → Erklärungsbedarf.

        • Beispiel: Warum fördert das Internet nicht die politische Partizipation, obwohl es Informationskosten senkt?

      • Zentrale Methode: Formulierung einer Warum-Frage, um Diskrepanzen zwischen Theorie und Empirie zu erklären.

    • Kriterien für eine gute Forschungsfrage

    1. Klarheit: eindeutig und verständlich formuliert

    2. Begründbarkeit: theoretisch und empirisch relevant

    3. Machbarkeit: im Rahmen des Projekts bearbeitbar

    4. Prüfbarkeit: empirisch untersuchbar (z. B. durch Daten)

    5. Bezug zur Theorie: knüpft an bestehende Forschung an


Merksätze:

  • Forschungsfragen entstehen nicht aus dem Bauchgefühl, sondern aus dem Forschungsstand.

  • Deskriptive Fragen sind Basiswissen – erklärende Fragen treiben Forschung voran.

  • Gute Fragen beginnen mit „Warum“ und zielen auf Kausalzusammenhänge.

  • In Hausarbeiten steht die Reflexion und Anwendung existierender Literatur im Mittelpunkt, nicht originäre Forschung.

  • Forschungsfrage grenzt das Projekt ein, bearbeitet ein Problem und wird als Frage formuliert.



Author

Cathérine C.

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