Woher stammt der Begriff “Politik”?
Geht zurück auf den Titel der Aristotelischen Politik (genauer: “ta politika"; “das was die Stadt angeht”) —> hinter diesem steckt wiederum der Begriff “Polis”
der Dominikaner Wilhelm von Moerbeke übersetzt 1260 n. Chr. die Politik des Aristoteles ins Lateinische. Dabei werden die Begriffe “Politik” und “Polis” wie folgt übersetzt:
das Wort “Politik” wird latinisiert zu politica
das Wort “Polis” wird übersetzt mit civitas (“Bürgerschaft”) —> durch diese Übersetzung entstehen die Worte: city, citizen, citoyen und cité, città und cittadino
“Die Politik, das Politische, der Politiker blieb griechisch, der Staat und seine Bürger wurden lateinisch und so auch englisch, französisch, italienisch, spanisch.” (Dolf Sternberger)
Warum darf man die Politik bei den Griechen nicht verwechseln mit dem neuzeitlichen Politikbegriff?
Die Politik bei den Griechen war bezogen auf die Polis (die Stadt). Der neuzeitliche Politikbegriff ist auf den Staat bezogen. Diese unterscheidet sich vom Staat, was ihre Größe, ihre Territorialität und ihren Grad der Bürgerbeteiligung angeht
Politik war bei den Griechen nicht Staatspolitik, sondern Bürgerpolitik
Die Griechen entdeckten die Politik, aber nicht das Politische. Warum gerade sie zu dieser Entdeckung fähig waren, erklärt sich aus Eigentümlichkeiten ihrer Lebensweise und Kultur
Woher stammt der Begriff “Staat” und wann wurde er das erste mal verwendet?
“Staat” ist ein Begriff der Neuzeit und leitet sich vom römischen Wort status ab.
Die Verwendung des “Staatsbegriffes so wie wir ihn heute verstehen, setzte allerdings in der Neuzeit ein. Sie beginnt in der italienischen Renaissance (stato)
“Alle Staaten … sind entweder Republiken oder Fürstentümer” - Machiavelli, Il Principe (Der Fürst, 1513)
Die Karriere des Begriffs setzt sich fort in Spanien (estado) und Frankreich (l´état), um erst im 17. Jh. Deutschland zu erreichen.
Der Staat ist totz altrömische Vorläufer neuzeitlichen Ursprungs und somit eine Institution der Neuzeit
Durch welche typischen Elemente neuzeitlicher Politik ist der Staat geprägt?
Anspruch auf Souveränität
absolute, letzte Entscheidungsmacht (Gebietshoheit, Begriff des Staatsvolks, Nation)
moderne Repräsentativsystem
Wie kann man den Staat nach Max Weber verstehen?
Staat —> als Form rationaler Herrschaft und ihn durch die Art seiner Verwaltung, seines Rechts und seiner Monopolisierung der Gewalt
traditionelle Herrschaft
staatliche Herrschaft
persönlich
versachlicht
zersplittert
zentralisier
rechtlich willkürlich
Verfahren berechenbar
Was ist die Polis?
die Polis bildet - bis zur Bildung des Alexanderreichs - die Grundeinheit der Politik
Polis = ummauerte Stadt + dazugehöriges Stück Land (chora)
Es gab ca. 750 solcher Städte + einige hundert Kolonien
In welchen Punkten unterscheiden sich antike Polis und neuzeitlicher Staat?
Größe
Territorialität
Grad der Bürgerbeteiligung
Inwiefern unterschied sich die Größe der Polis von der eines neuzeitlichen Staates?
Athen
umfasste - zusammen mit dem Hafen Piräus - nicht mehr als 2.500 Quadratkilometer
Bürgerschaft: 60.000 (unter Perikles), 30.000 (unter Demosthenes) —> für heutige Verständnisse nicht mal eine Großstadt
neben dieser größten Polis, gab es sehr viele kleinere die manchmal nur 100 Quadratkilometer und 1.000 Einwohner groß waren
Welche Bedeutung hatte die Territorialität eines Staates, auch im Unterschied zur Polis?
Georg Jellinek (Allgemeine Staatslehre, 1914): Staat = Staatsvolk + Staatsgewalt + Staatsgebiet
der Staat der Neuzeit ist ein Flächen- und Territorialstaat
Die Territorialität ist für die Polis nicht (so) bedeutsam
die Polis ist ein Personenverband
die Polis ist die Bürgerschaft und die Verfassung, nicht das Gebiet, Land oder Territorium
“Männer bilden eine Stadt, nicht Mauern noch männerlose Schiffe” - Thukydides
das eine politische Einheit nach dem Land bezeichnet wird (England, Deutschland) ist bei den Griechen nicht denkbar —> ihre politische Einheit ist die Stadt —> diese besteht wiederum aus ihren Bürgern
es gab sogar Poleis ohne Territorium (das waren Städte, die rechtlich als Städte weiterbestanden, obwohl ihr Land Eigentum anderer Städte geworden war)
Wie sah der Grad der Bürgerbeteiligung in der Polis aus und wie im neuzeitlichen Staat?
Neuzeitlicher Staat
Polis
Demokratie in Form eines repräsentativen Systems
direkte Demokratie
niedriger Grad an direkter Bürgerbeteiligung
Politik ist Sache der Repräsentanten (Abgeordneten); ab dem 19. Jh. wird Politik nur noch von Berufspolitikern und Parteien gemacht
hoher Grad an Bürgerbeteiligung (Volksversammlung, Gerichtsversammlungen)
Politik wird von den Bürgern gemacht (Politk = Bürgerpolitik)
Bürger ist von - bis auf wenige Ausnahmen, wie Schöffenamt - von ehrenamtlicher Tätigkeit freigesetzt
keine Unterscheidung zwischen professionell und ehrenamtlich, weil Politik die ureigene Angelegenheit ist
Eignet sich der Begriff des Politischen besser als der Begriff Politik/ Staat um die Verhältnisse der Griechen zu beschreiben?
Diese These vertritt u.a. Christian Meier “Die Entstehtung des Politischen bei den Griechen” (1983)
These: Carl Schmitts “Begriff des Politischen” (1927) scheint sich zur Kennzeichnung der griechischen Politik anzubiete, weil er manche ihrer Eigenschaften besser erfaßt als der Staatsbegriff
Der Begriff des Politischen eignet sich nicht zur Erfassung der politischen Lage bei den Griechen, weil:
Es gab bei den Griechen kein frei vagabundierendes “Politische” —> alle Politik war auf die Polis und damit auch ihre Bürger bezogen
siehe. Werke der pol. Philosoph. der Zeit Aristoteles Politik, Platons Politeia
Der Begriff des Politischen steht für ein nach staatliches Zeitalter und eine Art Ende der Neuzeit
Alle Politik ist durch den Gegensatz von Freund und Feind und in diesem Sinne mag der Begriff des Politischen zur Erfassung der Lage eignen, aber bei Schmitt ist der Begriff durch Existenzphilosophie, Nihilismus und einer politischen Theologie geprägt
das Politische ist für Schmitt der Leben um Kampf und Tod, Sein oder Nichtsein
der Begriff ist dezisionistisch
ein solches Denken ist den Griechen aber fremd: Politik als eine Form sittlichen lebens, geprägt von Recht, Sitte, Maß und Gerechtigkeit
Was besagt der Streit zwischen Altem und Modernem bezogen auf die Poltik?
Antike
Moderne
Der Mensch als politisches Tier “zoon politikon”
“antikisierende Republikaner” (Rousseau,
neoklassische Philosophen (Arendt, Strauss, Voeglin)
Kommunitaristen (meist Fürsprecher antikisierender Positionen)
Liberale (Locke, Kant, Hobbes, Bacon, Rawls)
szientistisch-empiristische Schule der Politikwissenschaft
Kritik an der Antike
kannte nicht die Freiheit des Privatlebens und die modernen Rechte (Benjamin Constant, 1819)
antike Demokratie lediglich die Organisation irrationaler Massen (Jacob Burckhardt)
die Polis sei eine absolute Staatsmacht (Fustel de Coulanges)
die antike Demokratie sei eine militaristische und aktivistische, ja eine tendziell totalitäre Ordnung gewesen (Althistoriker Veyne)
Was ist an der Kritik dran?
die Kritik verrät den Geist der Zeit aus der sie stammt
so meint Burckhardt mit seiner Kritik die heraufziehende Massendemokratie,
Totalistarismus des 20. Jh. (Veyne),
Fustel hatte wenn er von absoluter Staatsmacht sprach, Sparta im Blick
Ist an der Kritik von der Moderne dass die antike Demokratie totalitär sein, was dran?
Totalitarismus ist ein Kind des 20. Jh.
Vieles was den Totalitarismus kennzeichnet, kannten die Griechen nicht (die moderne Massenbewegung, Parteien, die moderne Entwurzelung und Vermassung, Säkularisierung, Mobilisierung durch Ideologien)
das Zusammenleben der antiken Griechen war enger
der anspruch auf ein individuelles und privates Leben fern der Stadt ist erst im Hellenismus aufgekommen (und dort existierte die Polis bereits nicht mehr)
Die Polis war weder unfreiheitlich noch total
zwischen Privatem und Öffentlichem wurden unterschieden (Haus und Stadt wurden getrennt, s. Aristoteles)
das Recht des freien Wortes war gegeben
führenden Politiker werden in Komödien verspottet
Seit wann kann man von Politik in einem anspruchsvollem Sinne sprechen und warum?
Erst seit den Griechen, weil bei Ihnen das Handeln-Können und die Verantwortlichkeit, die Wahlfreiheit und das Subjekt entdeckt worden sind
Politik besteht im Miteinander handeln und wird durch miteinander reden gemacht
viele Eigentümlichkeiten der Griechen haben die Entdeckung der Politik möglich gemacht (Religion, Kultur des Wettstreits [des agon], der Daseinsernst, Hochschätzung von Mitte und Maß)
Erläutere die Entdeckung des Handelns bei den Griechen und ihre Bedeutung
Politik im heutigen Sinne setzt die griechische Entdeckung des Handeln-Könnens voraus (im Sinne der Wahl und Entscheidung
Diese Entdeckung des Handeln-Könnens setzt schon bei den homerischen Helden ein, die sich nicht mehr nur als Spielbäller der Götter begreifen
die Entwicklung setzt sich fort bei der Entdeckung der politischen Verantwortlichkeit bei Solon, die Entdeckung der Handlungsrationalität bei Thukydides
Philosophisch untermauert wird das Handeln-Können bei Sokrates, Platon und Aristoteles, die den Menschen sein Leben wählen und nach eigener Wahl führen sehen
Um diese Entdeckung zu würdigen, muss man sie abgrenzen von mythischen und rituellen Formen des “Handelns”, in denen nicht entschieden, sondern die Ordnung des Himmels und der Welt repräsentiert wird
bei den alten Ägyptern: Pharao muss das kosimische Ordnungsprinzip, die Ma`at wahren
Erläutere die Bedeutung des Miteinander-Handeln und Miteinander-Reden für die Entstehung der Politik
setzt das Handeln-Können voraus, ohne Handeln-Können kein Miteinander-Handeln
Miteinander-Handeln setzt die Entwicklung eines Gemeinschaftsbewusstseins voraus, dass sich ab dem 8. und 7. Jh. zu bilden begann
es bedurfte also der Herausbildung des “Polis-Bewusstseins” (Bewusstseins der Gemeinsamkeit) und der Anerkennung der Gleichheit, dass jeder in der Lage ist, ein auctor seiner Taten zu sein
Miteinander-Handeln bedarf der Kommunikation (dem Reden)
Politik wird bei den Griechen durch Miteinander-Reden gemacht (für die Griechen geht Politik nicht in Befehl und Zwang auf)
Gewalt ist bei den Griechen stumm und kann nicht diskutieren
schon die griechische Adelskultur kennt einen öffentlichen Raum der Rede (Entdeckung der Rhetorik)
eine Stadt gründet sich auf Peitho (Überredung)
Welche Rolle spielte die griechische Religion bei der Entstehung der Politik bei den Griechen?
Die Religion der Griechen ist gekennzeichnet durch die Nähe ihrer Götter
die griechischen Götter werden durch Dichter (Homer und Hesiod) geschaffen
“Vom gleichen Stamm sind Götter und Menschen” - Hesiod
Götter sind zwar in allen größer und mächtiger, aber sie sind Menschen mit all ihren Eigenschaften/ und Zügen
bedeutendste Konsequenz: eine politische Theologie eines transzendenten Gottes (und eines dementsprechend “transzendenten” Monarchen) lässt sich nicht entwickeln, weil:
Götter jeweils primus inter pares sind
Götter vermögen viel, aber nicht alles
sind keine Weltenschöpfer, sind nicht allwissend und nicht allmächtig
ringen selbst mit dem Schicksal
vergöttlichte Monarchen begegnen einem erst in der Alexanderzeit, wo Könige zu “Heilanden” und “Rettern” der Menschen werden
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