(Seite 3) Was sind die zentralen Lernziele beim Thema „Psychodynamische Persönlichkeitstheorien“?
Die Studierenden sollen:
Basisannahmen psychodynamischer Ansätze erläutern können.
Freuds Theorien und deren Bedeutung für die Persönlichkeit wiedergeben.
Kritik an Freud nachvollziehen.
Das Weiterwirken seiner Ideen in heutiger Forschung und Praxis erkennen.
(Seite 4) Wer sind die wichtigsten Vertreter psychodynamischer Theorien neben Freud?
Weitere zentrale Vertreter:
Carl Gustav Jung → Analytische Psychologie
Alfred Adler → Individualpsychologie
Erik H. Erikson → Identitätssuche
Melanie Klein → Objektbeziehungstheorie
John Bowlby & Mary Ainsworth → Bindungstheorie
(Seite 4) Welches Menschenbild liegt den psychodynamischen Theorien zugrunde?
Kernaussagen des Menschenbildes:
Verhalten = Ergebnis intrapsychischer Prozesse
Zentrale Rolle des Unbewussten
Mensch als Energiesystem (psychische Energie wird verbraucht & erhalten)
Homöostase- & Hedonismusprinzip
Frühkindliche Erfahrungen prägen Persönlichkeit
Psychologischer Determinismus: jedes Verhalten ist kausal bestimmt
Details merken:
Psychische Energie dient der Triebbefriedigung – sie treibt Verhalten an.
(Seite 5) Welche frühen Stationen prägten Freuds Werdegang bis zur Entwicklung der Psychoanalyse?
1856: Geburt in Freiberg (Mähren)
1873: Studium der Medizin & Physiologie in Wien
1876–1881: Tätigkeit im physiologischen Institut bei Ernst Brücke
1881: Promotion über das Rückenmark von Fischen
Begegnung mit Josef Breuer → Behandlung der „Anna O.“ (Berta Pappenheim) mit kathartischer Methode → Ursprung der Psychoanalyse
1882–1885: Experimente mit Kokain, teils Selbstkonsum
Die „kathartische Methode“ (Gefühlsabreagierung) gilt als Startpunkt der Psychoanalyse.
(Seite 6) Welche weiteren Lebensstationen beeinflussten Freuds Theorien maßgeblich?
1885: Aufenthalt bei Jean-Martin Charcot in Paris (Hypnose, Hysterie-Forschung)
1886: Eröffnung einer neurologischen Praxis in Wien, Heirat mit Martha Bernays
Ab 1897: Entwicklung zentraler Konzepte wie
Ödipus-Komplex
Verdrängungs-, Neurosen- & Sexualtheorie
Traumdeutung, Hypnose, Suggestion als Methoden
1923: Erkrankung an Gaumenkrebs
1938: Flucht ins Exil nach London, dort Tod 1939
(Seite 7, Übergang) Welche vier Modelle beschreiben Freuds Persönlichkeitstheorie im Kern?
Dynamisches Modell → Trieblehre
Topographisches Modell → Bewusstseinsebenen
Strukturmodell → Instanzenlehre
Entwicklungsmodell → Psychosexuelle Phasen
Später kommen dazu: Kritik & Weiterwirken dieser Theorien in Forschung und Therapie.
(Seite 8) Was bedeutet es, wenn Freud die Psyche als „Energiesystem“ beschreibt?
Alle psychischen Prozesse (Gefühle, Gedanken, Handlungen) benötigen Energie.
Diese Energie stammt aus biologisch verankerten Trieben.
Triebspannung → verlangt nach Entladung oder Befriedigung.
Entladung = Lust, Aufstauung = Unlust.
Persönlichkeitsunterschiede erklären sich durch individuelle Triebstärke.
Jedes Verhalten ist motiviert durch das Streben nach Triebbefriedigung und Lustgewinn.
(Seite 9) Wie unterscheidet sich die Triebbefriedigung des Menschen von der des Tieres?
Der Mensch kann Triebbefriedigung aufschieben oder modifizieren.
Er ist also fähig, Triebimpulse zu kontrollieren oder sozialverträglich umzulenken.
Das Tier folgt dagegen unmittelbar dem Triebimpuls.
(Seite 10) Welche drei Bewusstseinsebenen unterscheidet Freud in seinem topographischen Modell?
Bewusstes
Enthält Gedanken, Vorstellungen, Erinnerungen, die willentlich abrufbar sind.
Vorbewusstes
Inhalte sind momentan nicht aktiv, aber prinzipiell zugänglich (z. B. Gedächtnisinhalte).
Unbewusstes
Bereich mit verdrängten Wünschen, Trieben, Traumata, nicht direkt zugänglich.
Diese drei Ebenen bilden die „Schichten“ der Psyche – entscheidend für psychodynamisches Verständnis von Verhalten.
(Seite 11) Mit welchen Methoden versuchte Freud, das Unbewusste zugänglich zu machen?
Typische Techniken zur Bewusstmachung:
Traumdeutung („via regia“ – Königsweg zum Unbewussten)
Freie Assoziation (spontanes Aussprechen von Gedanken)
Fehlleistungen (z. B. Versprecher, Vergessen)
Diese Methoden dienen sowohl als Therapieinstrumente bei Störungen als auch als Forschungsmittel, um unbewusste Prozesse zu verstehen.
(Seite 12) Was zeigen Traumdatenbanken über die Häufigkeit sexueller Inhalte in Träumen?
Nur 1–2 % der Träume sind sexueller Natur.
Verzicht auf Sexualität führt nicht zu mehr erotischen Träumen (Karacan, 1970).
Das stellt Freuds Idee von Träumen als Ventil für sexuelle Wünsche in Frage.
Manche Forschende (McNamara et al., 2002) deuten jedoch auch nicht-sexuelle Träume als indirekte Erfüllung sexueller Wünsche (evolutionäre Perspektive).
(Seite 13) Welche typischen Merkmale zeigen Träume laut empirischer Forschung?
Doppelt so viele negative wie positive Emotionen.
< 1 % markante Trauminhalte (z. B. Zähne fallen aus).
83 % beziehen sich auf autobiografische Erlebnisse, 40 % auf Ereignisse des Vortags.
23 % greifen aktuelle Sorgen auf.
Persönlichkeitsfaktoren wie die „Dunkle Triade“ (Narzissmus, Machiavellismus, Psychopathie) sind mit mehr aggressiven & sexuellen Träumen assoziiert (Lyons et al., 2019).
(Seite 14) Wie unterscheiden sich zentrale Traumtheorien von Freud, Hobson und Schredl?
Freud: Träume sind Ventil unbewusster Wünsche, v. a. verdrängter Begierden; Inhalte erscheinen maskiert.
Hobson (Harvard): Träume haben keine tiefere Bedeutung – sie sind das Ergebnis zufälliger Hirnstammaktivität.
Schredl (ZI Mannheim): Wach-Traum-Kontinuität – Trauminhalte spiegeln Alltagsthemen, Interessen und Sorgen.
(Seite 15) Welche Funktion schreiben Revonsuo und Arnulf et al. (2014) dem Träumen zu?
Revonsuo: Träume dienen als mentales Trainingsprogramm, um Gefahren & Herausforderungen zu simulieren.
Sie fördern Emotionsregulation und Abschwächung intensiver Erinnerungen.
Arnulf-Studie (n = 719):
60 % Studierende träumten vor Prüfungen von der Klausur (meist negativ).
Häufigeres Träumen über die Prüfung → bessere Noten.
Träume können also adaptiv wirken und Lern- & Bewältigungsprozesse unterstützen.
(Seite 16) Welche drei psychischen Instanzen beschreibt Freud in seinem Strukturmodell?
ES → Ursprung der Triebe und unbewusster Wünsche
ICH → Vermittler zwischen inneren Impulsen, Moral und Realität
ÜBER-ICH → Verinnerlichte Werte, Normen und Verbote
Menschen unterscheiden sich darin, wie stark und wie ausbalanciert diese Instanzen sind.
(Seite 17) Welche zentralen Merkmale kennzeichnen das „ES“?
Sitz der Triebe, Wünsche, Impulse
Existiert von Geburt an
Handelt nach dem Lustprinzip (irrational, sucht sofortige Befriedigung)
Kein Kontakt zur Außenwelt – kann Triebenergie nicht direkt umsetzen
Enthält auch verdrängte Inhalte
Zitat Freud: „Das Es ist die älteste psychische Instanz … es enthält die Triebe aus der Körperorganisation.“
(Seite 18) Welche Funktionen erfüllt das „ÜBER-ICH“ in Freuds Theorie?
Sitz der internalisierten Werte und Normen (durch Eltern & Sozialisation)
Besteht aus
Ich-Ideal (Gebote)
Gewissen (Verbote)
Entsteht etwa ab dem 3. Lebensjahr
Handelt nach dem Moralprinzip → bestraft Regelverstöße mit Schuldgefühlen
(Seite 19) Welche Aufgaben übernimmt das „ICH“?
Exekutive der Persönlichkeit → bewusste Wahrnehmung & Handlungskontrolle
Vermittelt zwischen ES, ÜBER-ICH & Realität
Versucht Triebbefriedigung realistisch & moralisch vertretbar zu gestalten
Handelt nach dem Realitätsprinzip (vernünftig, lösungsorientiert)
Ziel: Kompromiss zwischen inneren Impulsen und äußeren Anforderungen
Ein unausgeglichenes Verhältnis zwischen den Instanzen führt zu inneren Konflikten.
(Seite 20) Welche Angstformen unterscheidet Freud, wenn das ICH überfordert ist?
Realangst → Bedrohung durch äußere Gefahren
Moralische Angst → Verstöße gegen das ÜBER-ICH („Gewissensbisse“)
Neurotische Angst → Angst vor Kontrollverlust über das ES
Zur Bewältigung dieser Konflikte nutzt das ICH Abwehrmechanismen (z. B. Verdrängung, Projektion, Rationalisierung).
(Seite 21–22) Welche Funktion haben Abwehrmechanismen im psychodynamischen Modell?
Funktion: Schutz des ICH vor Angst, die durch Konflikte zwischen ES, ÜBER-ICH und Realität entsteht.
Sie wirken unbewusst und verzerren die Realität, um Spannungen zu reduzieren.
Menschen unterscheiden sich in ihrer bevorzugten Nutzung bestimmter Mechanismen, was Persönlichkeitsunterschiede erklärt.
Beispiele (nach Schmitt & Altstötter-Gleich, 2013):
Verdrängung – unerwünschte Impulse werden ins Unbewusste gedrängt
Projektion – eigene Wünsche/Gefühle werden anderen zugeschrieben
Rationalisierung – logische Begründungen für unbewusste Motive
Sublimierung – Triebe werden in sozial akzeptable Leistungen umgewandelt
(Seite 23) Wie erklärt Freud den Einfluss der frühkindlichen Entwicklung auf die Persönlichkeit?
Persönlichkeit entsteht durch Erfahrungen in den psychosexuellen Entwicklungsphasen.
In jeder Phase ist eine andere erogene Zone Quelle der Triebbefriedigung.
Fixierung: Wenn Befriedigung in einer Phase zu stark oder zu schwach ist → Verhaftung auf dieser Stufe → typische Charakterzüge im Erwachsenenalter.
(Seite 24) Welche Merkmale kennzeichnen die orale Phase?
Zeitraum: 0–1 Jahr
Erogene Zone: Mund (Saugen, Kauen, Beißen)
Thema: Abhängigkeit & Aufnahme von Lust
Fixierung: Oraler Charakter → sucht Ersatzbefriedigung (Essen, Rauchen, Drogen) → Eigenschaften: passiv, fordernd, unselbstständig, selbstbezogen
(Seite 25) Was passiert in der analen Phase, und welche Charaktertypen können sich entwickeln?
Zeitraum: 1.–3. Lebensjahr
Erogene Zone: Anus
Lustgewinn durch Ausscheiden oder Zurückhalten von Kot
Anal-retentiver Charakter: geizig, zwanghaft, ordnungsliebend
Anal-expulsiver Charakter: verschwenderisch, unordentlich, destruktiv
(Seite 26) Welche Konflikte prägen die phallische Phase?
Zeitraum: 3.–5. Lebensjahr
Erogene Zone: Genitalien
Zentrale Erfahrung: Entdeckung der Geschlechtsunterschiede
Entstehung des Ödipus-Konflikts → Begehren des gegengeschlechtlichen Elternteils
Fixierung:
Männer → machohaft
Frauen → kokett-naiv
Der Begriff stammt aus der griechischen Sage um Ödipus, der unwissentlich Vatermord und Inzest beging.
(Seite 27) Wie verläuft die Lösung des Ödipus-Konflikts bei Jungen laut Freud?
Begehren der Mutter, Vater als Rivale → Kastrationsangst.
Lösung durch Identifikation mit dem Vater:
Übernahme väterlicher Werte → Bildung des ÜBER-ICH.
Verdrängung der sexuellen Wünsche → „sublimierte Mutterliebe“.
(Seite 28) Welche Phasen folgen auf die phallische Phase, und was kennzeichnet sie?
Latenzphase (6–12 Jahre):
Sexualtrieb tritt zurück → Energie fließt in Wissensdrang & soziale Beziehungen.
Freundschaften und geistige Entwicklung stehen im Vordergrund.
Genitale Phase (Pubertät):
Sexualtrieb richtet sich auf Gleichaltrige → Basis erwachsener Sexualität.
Reife Objektwahl (Partnerschaft, Familie).
(Seite 29) Welche zentralen Stärken der Freud’schen Theorien werden hervorgehoben?
Grundlegend für die Entwicklung psychotherapeutischer Verfahren.
Betonung der Entwicklungsaspekte und des Einflusses frühkindlicher Erfahrungen.
Schuf ein dauerhaft wirksames konzeptionelles Modell der Persönlichkeit.
(Seite 29–30) Welche Hauptkritikpunkte werden an Freuds Ansatz geäußert?
Überbetonung pathologischer Mechanismen – Übertragung von Krankheitsprozessen auf Normalverhalten.
Pessimistisches Menschenbild – Fixierung auf destruktive Triebe.
Einseitiger Fokus auf Sexual- und Aggressionstriebe; Vernachlässigung anderer Motive (z. B. Macht, Leistung, Zugehörigkeit).
Unprüfbarkeit vieler Annahmen (nicht falsifizierbar).
Verwendung unklarer, schwer operationalisierbarer Begriffe.
Immunisierung gegen Kritik – jede Beobachtung wird als Bestätigung gedeutet.
Schwache methodische Güte z. B. bei der Traumdeutung.
(Seite 31) Wie wurde Freuds Ansatz in der modernen Forschung wieder aufgegriffen?
Entstehung der Neuropsychoanalyse (Mark Solms):
Ziel: Überprüfung psychoanalytischer Konzepte mit neurowissenschaftlichen Methoden.
Beispielhafte Quellen:
Discover Magazine: “The Second Coming of Sigmund Freud”
Zeitschrift Neuro-Psychoanalysis.
Die Neuropsychoanalyse sucht Brücken zwischen Psychoanalyse und Gehirnforschung, besonders bei Emotion und Gedächtnis.
(Seite 32) Was zeigen neuere Studien zur Verdrängung aus neurowissenschaftlicher Perspektive?
Anderson et al. (2001):
In einer „Verdrängungsbedingung“ war der Erinnerungsabruf geringer als in der Kontrollbedingung.
Aktivierung im präfrontalen Cortex und rechten Hippocampus sagte das Ausmaß des Vergessens voraus.
Interpretation: Neurowissenschaftliche Belege für Hemmungsmechanismen, die an Freuds Verdrängungskonzept erinnern.
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