(Seite 9) Welche Verfahren zählen zu den psychodynamischen Psychotherapien?
Zur psychodynamischen Psychotherapie gehören zwei psychoanalytisch begründete Richtlinienverfahren:
Analytische Psychotherapie (AP)
Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie (TP / TfP)
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Beide beruhen auf der Psychoanalyse Freuds und unterscheiden sich vor allem in Setting, Frequenz und Zielrichtung.
(Seite 13–14) Welche Psychotherapieverfahren sind laut G-BA sozialrechtlich anerkannt?
Nach der Psychotherapierichtlinie (§ 15 PT-RL) gelten als Richtlinienverfahren:
Psychoanalytisch begründete Verfahren (AP + TP)
Verhaltenstherapie (VT)
Systemische Therapie
→ Voraussetzung: ein Theoriesystem der Krankheitsentstehung und empirisch belegte Wirksamkeit.
(Seite 17) Wie unterscheiden sich AP und TP in Praxis und Dauer?
Merkmal
TP
AP
Dauer (finanziert)
bis 100 h
bis 300 h
Frequenz
1–2×/Woche
2–5×/Woche
Setting
Sitzend
Couch oder sitzend
Fokus
Übertragung nutzen
Übertragung & Regression fördern
Gemeinsame Grundlage: Psychoanalyse.
(Seite 18–19) Was ist das Ziel psychodynamischer Psychotherapie?
Ein vertieftes Verstehen und Annehmen der eigenen Persönlichkeit und Geschichte (Rudolf 2010).
→ Förderung von Freiheit und Verantwortung.
Freud: Wiedererlangen von Liebes- und Arbeitsfähigkeit durch Bewusstmachen unbewusster Prozesse.
(Seite 22) Welche Geschichten bilden das zentrale Material der Therapie?
Therapiematerial nach Rudolf (2019):
Beziehungsepisoden
Sozial- und Emotionsgeschichte
Krankengeschichte
Persönliche Mythen & Selbstreflexion
Diese ermöglichen das Nachvollziehen der individuellen Psychodynamik.
(Seite 23) Welche Phasen durchläuft eine psychodynamische Therapie?
Eröffnungsphase
Durcharbeitungsphase
Beendigungsphase
Zentrale Prozesse: Erleben – Erkennen – Anerkennen – Verstehen → Veränderung & Verantwortungsübernahme.
(Seite 29–30) Was bedeutet Psychodynamik?
Psychodynamik beschreibt das Zusammenspiel innerer Kräfte und unbewusster Konflikte.
Beinhaltet:
Strukturierung des psychischen Systems
Internalisierung früher Beziehungserfahrungen
Bedeutung unbewusster Vorgänge
Begriff leitet sich vom „dynamischen Unbewussten“ ab und wird international als psychodynamic verwendet.
(Seite 30–31) Wie entwickelte sich die TP als eigenständiges Verfahren?
1967: Einführung der TP neben AP als Kassenleistung
1999: Psychotherapeutengesetz – Approbation für PP
2004: Zusammenfassung von TP + AP zu „Psychodynamischer Psychotherapie“ (WB Psychotherapie)
Ziel: breitere Versorgung & eigenständige Position der TP.
(Seite 33–37) Was gilt als Hauptwerkzeug der psychodynamischen Therapie?
Die therapeutische Beziehung:
Schutz durch Regelmäßigkeit, Abstinenz, Distanz, Diskretion
Raum für emotionale Neubeziehungen („korrigierende Erfahrungen“) → Beziehung als Entwicklungs- und Möglichkeitsraum.
(Seite 39) Wer war Sigmund Freud und welche Schritte führten zur Entstehung der Psychoanalyse?
Sigmund Freud (1856–1939) war Arzt, Neurologe und Begründer der Psychoanalyse.
Wichtige Stationen:
1885 – Aufenthalt bei Charcot in Paris → Hypnose & Hysterie
1895 – „Studien über Hysterie“ (mit Breuer) → Beginn der „Redekur“
1900 – Veröffentlichung der „Traumdeutung“ → Grundstein der Psychoanalyse
Freud floh 1938 nach London, wo er 1939 starb.
(Seite 41) Welche Schriften gelten als besonders wichtig für das Verständnis der Psychoanalyse?
Wichtige Werke von Freud:
„Die Traumdeutung“ (1900) → Grundlegende Theorie des Unbewussten
„Zur Dynamik der Übertragung“ (1912)
„Erinnern, Wiederholen, Durcharbeiten“ (1914)
„Abriß der Psychoanalyse“ (1938)
Freud illustrierte seine Theorien anhand klinischer Fallgeschichten (z. B. Dora, Rattenmann).
(Seite 42) Wie entwickelte sich die psychoanalytische Bewegung?
1900: „Traumdeutung“ → Gründungsdokument
1902: Mittwochsgesellschaft in Wien
1907–1910: Kontakt zu C. G. Jung und Abraham, Gründung der IPA (Internationale Psychoanalytische Vereinigung)
1909: Reise in die USA → internationale Verbreitung
→ Beginn einer wissenschaftlichen Bewegung mit Freud als Zentralfigur.
(Seite 43) Wie unterschied sich C. G. Jung von Freud?
C. G. Jung (1875–1961):
Begründer der Analytischen Psychologie
Fokus auf Individuationsprozess und Persönlichkeitstypen (introvertiert / extravertiert)
Therapieziel: Selbstverwirklichung („Werde, der du bist“)
Abgrenzung:
Während Freud das Unbewusste auf Triebe bezog, betonte Jung kollektive Symbole und Archetypen.
(Seite 44) Was geschah mit der Psychoanalyse im Dritten Reich?
Vertreibung jüdischer Psychoanalytiker:innen
Verbot und Gleichschaltung psychoanalytischen Gedankenguts
Reichsinstitute ersetzten die Psychoanalyse durch „Deutsche Seelenkunde“
1938: Flucht Freuds nach London (mit Hilfe von Marie Bonaparte)
→ Massiver Einbruch der wissenschaftlichen Entwicklung.
(Seite 47) Wie gestaltete sich die Nachkriegszeit der Psychoanalyse in Deutschland?
Zersplitterung in mehrere Richtungen:
DPV → klassisch freudianisch, in Kontakt mit IPA
DPG → neopsychoanalytisch (H. Schultz-Hencke)
Ab 1985: Aufarbeitung (NS-Zeit, Holocaust) – Kongress „Scham und Schuld“
Ab 2002: Wiederaufnahme der DPG in die IPA
→ Schrittweise Rehabilitation und erneute Integration in die internationale Forschung.
(Seite 49) Wer war Anna Freud und welchen Beitrag leistete sie zur Psychoanalyse?
Anna Freud (1895–1982) war Lehrerin, Kinderanalytikerin und Tochter von Sigmund Freud.
Ihre zentralen Beiträge:
Begründerin der Ich-Psychologie (Konzept der Abwehrmechanismen)
Pionierin der Kinder- und Traumatherapie
Gründung der Hampstead Nurseries und später der Hampstead Clinic (heute Anna-Freud-Centre)
Wichtige Werke:
„Das Ich und die Abwehrmechanismen“ (1936)
„Einführung in die Technik der Kinderanalyse“ (1927)
(Seite 50) Welche Ideen prägte Donald W. Winnicott?
Winnicott (1886–1971), Kinderarzt und Psychoanalytiker der „unabhängigen britischen Gruppe“, betonte:
Falsches Selbst (Anpassung an Erwartungen statt authentisches Selbst)
Holding (emotionale Haltgebung durch Bezugsperson)
Übergangsobjekt (z. B. Teddy) als Symbol für die Verbindung zwischen innerer und äußerer Welt
Ziel: Eine „fördernde Umwelt“, die Reifungsprozesse ermöglicht.
(Seite 51) Wer ist Irvin Yalom und wie verbindet er Psychoanalyse mit Existenzialismus?
Irvin D. Yalom (*1931) – Psychiater, Psychoanalytiker und Schriftsteller.
Bekannt für:
Existentielle Psychotherapie (Tod, Freiheit, Isolation, Sinn)
Gruppenpsychotherapie (Lehrbuchklassiker)
Literarische Werke wie „Die rote Couch“ oder „Und Nietzsche weinte“
Kernidee: Therapie als gemeinsame, sinnstiftende Auseinandersetzung mit existenziellen Themen.
(Seite 52) Welche Haltung vertritt Eva Jaeggi in der psychodynamischen Arbeit?
Eva Jaeggi (*1934):
Diplom-Psychologin, Verhaltenstherapeutin & Psychoanalytikerin
Betonung von Identität als Beziehungsleistung
Verbindung von humanistischem und tiefenpsychologischem Denken
Wichtige Publikationen:
„Techniken und Theorie der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie“ (mit Riegels, 2008)
„Wer ich bin? Frag doch die anderen“ (2014)
(Seite 54) Welche Merkmale kennzeichnen die psychodynamische Haltung?
Charakteristische Merkmale:
Anerkennung unbewusster Prozesse
Beziehungsorientierung (Übertragung)
Hermeneutik – Deutung von Bedeutungen, Symbolen, Symptomen
Anerkennung existenzieller Grenzen
Wertschätzung individueller Entwicklung vor Anpassung und Optimierung
(Seite 55) Welche existenziellen Themen betonen Money-Kyrle und Yalom?
Money-Kyrle (1971) – „Facts of life“:
Abhängigkeit („die Brust“)
Geschlechts- & Generationenunterschiede (Ödipus)
Endlichkeit und Verlust
Yalom (2004) – „Existenzielle Hauptprobleme“:
Tod
Freiheit
Isolation
Sinnhaftigkeit
→ Beide sehen die Anerkennung dieser Realitäten als Grundlage psychischer Reifung.
(Seite 56–57) Was bedeutet Übertragung in der Psychoanalyse?
Freud (1914): Übertragung ist der „Tummelplatz“, auf dem unbewusste Beziehungsmuster des Patienten wiederbelebt werden.
→ Therapeut ermöglicht freies Ausagieren, um unbewusste Konflikte bewusst zu machen.
Psychodynamische Haltung dazu:
Respekt und Zuhören ohne Wertung
Alles kann Bedeutung haben
Die Beziehung selbst ist zentrales therapeutisches Werkzeug
(Seite 58–60) Was versteht man unter der analytischen Grundregel in der Psychoanalyse?
Sie besteht aus zwei komplementären Haltungen:
1. Freie Assoziation (Patient:in)
→ „Sagen Sie alles, was Ihnen in den Sinn kommt.“ (Freud, 1913)
→ Ohne Zensur oder Auswahl – jedes Detail kann Bedeutung tragen.
2. Gleichschwebende Aufmerksamkeit (Therapeut:in)
→ Zuhören ohne bewusste Selektion, „mit dem unbewussten Gedächtnis“. (Freud, 1912)
→ Aufmerksam für Gesagtes, Ungesagtes und Emotionen.
Beide Prinzipien schaffen den Raum, in dem Unbewusstes sichtbar und verstehbar wird.
(Seite 61–62) Welche Aufgaben haben Therapeut:in und Patient:in nach Freud?
Therapeut:in / Analytiker:in:
Gleichschwebende Aufmerksamkeit
Diskretion & Abstinenz
Patient:in / Analysand:in:
Freie Assoziation
Volle Aufrichtigkeit
→ „Volle Aufrichtigkeit gegen strenge Diskretion“ (Freud, 1938).
(Seite 63–64) Was bedeutet „gleichschwebende Aufmerksamkeit“ genauer?
Ein besonderes Zuhören:
Offen für Gesagtes, Ungesagtes, Inszeniertes, Verschwiegtes
„Zwei Unbewusste kommunizieren miteinander“ (Nissen, 2022)
„Hören mit dem dritten Ohr“ (Reik)
Haltung der Reverie (Grabska, 2000): träumerisches Mitschwingen
Ziel: unbewusste Bedeutungen aufnehmen, bevor sie intellektuell gefiltert werden.
(Seite 65) Welche Kompetenzen sollte ein:e psychodynamische:r Therapeut:in besitzen?
Nach H. Will (2006):
Gleichschwebend zuhören und Zurückhaltung wahren
Mit Gegenübertragung arbeiten
Eine hilfreiche Beziehung gestalten
Mit Angst, Spannung und Konflikten umgehen
Deuten, Selbstreflexion und theoretische Einbettung → Ziel: den analytischen Prozess initiieren, begleiten und abschließen.
(Seite 67–68) Welche Besonderheiten kennzeichnen das Erstgespräch in der psychodynamischen Therapie?
Hoher Leidensdruck & Erwartungen beim Patienten
Neue, oft verunsichernde Situation
Erste Beziehungsgestaltung entscheidend
Drei Informationsquellen nach Argelander (1970):
Objektiv: biografische Fakten
Subjektiv: Eindruck & Selbsterleben
Szenisch: unmittelbares Beziehungserleben im Gespräch
(Seite 69–71) Wie kann die Gegenübertragung im Erstgespräch genutzt werden?
Beispiel (Argelander, 1972):
Ein distanzierter Jurist erzeugt beim Therapeuten Verärgerung → Hinweis auf Beziehungsangebot („Ich bin unerreichbar“).
→ Durch eine deutende Intervention („Es muss schwer sein, so erfolgreich zu sein“) öffnet sich der Patient emotional.
Ziel:
Übertragungsdynamik erkennen
Beziehung als Zugang zum Unbewussten nutzen.
(Seite 72) Welche Haltung zeigt der Therapeut in der psychodynamischen Gesprächsführung?
Ruhiges Abwarten
Zuwendung & Interesse
Kontrollierte Spontaneität
Wirkung auf Patient:innen:
→ Erleichtertes Sprechen, Offenheit, manchmal Frustration über fehlende Ratschläge.
(Seite 74) Was rät Yalom (2002) Therapeut:innen für die therapeutische Beziehung?
Empfehlungen aus „Der Panama-Hut“:
Hindernisse für Wachstum beseitigen
Keine vorschnelle Diagnose
Therapeut & Patient als gemeinsam Reisende
Empathie – „mit den Augen des Patienten sehen“
Patient darf wichtig werden
→ Beziehung als gemeinsamer, authentischer Entwicklungsweg.
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