Kommunikationsmodelle Einstieg
Die Kommunikationspsychologie nutzt unterschiedliche Modelle, um Kommunikation theoretisch zu erklären.
Warum verschiedene Modelle? -> Weil der Forschungsgegenstand Kommunikation sehr komplex ist: Er umfasst Bedeutungen, Absichten, Interpretationen, Perspektiven und soziale Kontexte.
Dadurch gibt es verschiedene konzeptuelle Ansätze, die sich unterscheiden hinsichtlich:
inhaltlichen Schwerpunkten,
Umfang,
interdisziplinärer oder psychologischer Ausrichtung.
Man unterscheidet dabei:
werden in verschiedenen Wissenschaften genutzt (z. B. Informatik, Soziologie, Medienwissenschaft)
eher breit gefasst
fokussieren auf individuelle, soziale und psychologische Prozesse beim Kommunizieren
berücksichtigen Interpretation, Absicht, Wahrnehmung, Perspektiven
Nach Krauss & Fussell (1996) werden psychologische Modelle in vier zentrale Gruppen eingeteilt:
2.1 Encoder-/Decoder-Modelle
Encoder-/Decoder-Modelle betrachten Kommunikation als Übertragung einer Botschaft, ähnlich wie in technischen Informationssystemen.
Der Ablauf ist:
Innere Repräsentationen (Gedanken, Bedeutungen) →
werden in einen Code übersetzt (enkodiert), z. B. Sprache →
über einen Kommunikationskanal transportiert (Sprechen, Schreiben) →
vom Empfänger dekodiert (entschlüsselt) →
und in eine innere Bedeutung zurückübersetzt.
Merke: → Fokus liegt auf Botschaft, Kodierung und Übertragung.
Sie ermöglichen Analysen über:
Verschlüsselung einer Botschaft
Übertragung
Entschlüsselung
mögliche Störungen im Kanal (z. B. Lärm, unklare Formulierungen, technische Ausfälle)
Die Modelle sind besonders wichtig für:
technische Kommunikation
Massenkommunikation
Informationsübertragungsprozesse
2.1.1 Kommunikationsmodell nach Lasswell (1948)
Eines der bekanntesten Encoder-/Decoder-basierten Modelle ist das Lasswell-Modell, ursprünglich entwickelt für die Analyse von Massenkommunikation.
Lasswell begreift Kommunikation als einseitigen Prozess, in dem ein Sender eine bestimmte Reaktion beim Empfänger hervorrufen möchte.
Die berühmte Lasswell-Formel lautet:
Who says What in Which Channel to Whom with What Effect?
Damit stellt Lasswell fünf zentrale Analysefragen:
Wer (Kommunikator / Sender → Kommunikatorforschung)
sagt was (Nachricht / Botschaft → Inhaltsanalyse)
zu wem (Empfänger / Rezipient → Rezipientenforschung)
durch welchen Kanal (Medium → Medienanalyse)
mit welchem Effekt (Wirkung → Wirkungsforschung)
Diese fünf Komponenten ermöglichen eine systematische Untersuchung von Kommunikationsprozessen.
Lasswell untersuchte vor allem:
wie man gezielt Reaktionen beeinflussen kann (Propaganda, politische Kommunikation)
wie Kommunikationsprozesse aufgebaut sind
wie Medien Menschen beeinflussen
Ermöglicht vollständige Analyse eines Kommunikationsprozesses
Klare Strukturierung verschiedener Forschungsfelder
Hoher Wert für die frühe Massenkommunikationsforschung
Die Schritte sind klar voneinander getrennt – dadurch wird das Kommunikationssystem übersichtlich und analytisch bearbeitbar.
Fehlende Berücksichtigung von Feedback
Das Modell ist unidirektional (eine Richtung) und zeigt Kommunikation ohne Rückkanal. Moderne Kommunikation ist jedoch bidirektional (Wechselwirkung).
Zu starke Trennung der Forschungsfelder
Die einzelnen Bereiche (Sender, Botschaft, Medium etc.) werden isoliert betrachtet, obwohl sie sich in der Realität ständig gegenseitig beeinflussen.
Reduktion auf Botschaftsübertragung Missverständnisse, kulturelle Einflüsse, Interpretationen und Beziehungen werden kaum berücksichtigt.
Trotz dieser Kritik war das Modell theoretisch sehr bedeutend und ein zentraler Ausgangspunkt für die Weiterentwicklung moderner Kommunikationsmodelle.
2.1.2 Kommunikationsmodell nach Shannon und Weaver
Das Kommunikationsmodell von Claude E. Shannon und Warren Weaver (1949) ist eines der einflussreichsten Übertragungsmodelle der Kommunikationsgeschichte.
Ursprünglich war es jedoch rein technisch und überhaupt nicht für menschliche Kommunikation gedacht.
Ausgangspunkt des Modells
Shannon & Weaver entwickelten das Modell für die Nachrichtentechnik, z. B. Telefon- oder Funkübertragung.
Wichtig:
➡ Das Modell beschäftigt sich nicht mit Bedeutung, Gefühlen, Interpretation oder Absichten.
➡ Es geht ausschließlich um die Frage: Wie kann eine Nachricht möglichst störungsfrei von A nach B übertragen werden?
➡ Kommunikation = Austausch von Informationen zwischen zwei technischen Systemen.
Die wichtigsten Komponenten sind:
Sender – Wählt eine Nachricht aus – Produziert die Information, die übertragen werden soll
Kodierer (Encoder) – verwandelt die Nachricht in ein Signal (z. B. Sprache, elektrische Impulse)
Signal – der kodierte Informationsstrom, der durch den Kanal läuft
Kanal – Transportweg für das Signal – Beispiele: Telefonleitung, Luft (beim Sprechen), Funkfrequenz
Störung / Rauschen – alles, was das Signal beeinträchtigt oder verändert – kann technisch oder menschlich verursacht sein
Dekodierer (Decoder) – entschlüsselt das Signal wieder in eine verständliche Form
Adressat (Empfänger) – erhält die entschlüsselte Nachricht
👉 Wichtig: Zwischen Sender und Empfänger kann es massive Unterschiede zwischen gesendeter und empfangener Botschaft geben.
Beispiel aus menschlicher Kommunikation (aus dem Text)
Wenn zwei Menschen telefonieren:
Sender = Gehirn der sprechenden Person
Kodierer = Stimmbänder, die Schall erzeugen
Kanal = Luft + Telefonleitung
Signal = Schallwellen / elektrische Impulse
Störung = Rauschen, Nebengeräusche, schlechte Verbindung
Dekodierer = Ohr + Gehirn der hörenden Person
Adressat = Person, die die Nachricht aufnimmt
Shannon und Weaver nennen jede Form von Störung „noise“ (Rauschen). Rauschen ist jede Veränderung einer Nachricht, die dazu führt, dass:
👉 gesendete und empfangene Botschaft nicht identisch sind
Beispiele:
technische Verzerrungen
laute Umgebung
undeutliche Aussprache
fehlerhafte Übertragung
Das Modell ist besonders empfindlich für Signalverluste und sieht die Lösung darin, die Übertragung möglichst störungsfrei zu gestalten.
Laut Shannon & Weaver:
Beidseitige Aufmerksamkeit – beide müssen sich auf den Kommunikationsprozess konzentrieren
Gemeinsamer Code – Sender und Empfänger müssen dieselbe Sprache bzw. Zeichensystem beherrschen – Beispiel: Deutsch sprechen, gemeinsame Bedeutung bestimmter Wörter kennen
Wenn der Code nicht identisch ist → entstehen Übertragungsfehler.
Obwohl das Modell wichtig ist, hat es aus psychologischer Sicht einige Schwächen:
✘ 1. Kein Kommunikationskontext
Keine Berücksichtigung von Beziehung, Emotionen, Absichten oder sozialen Einflüssen
✘ 2. Beschränkt auf verbale Kommunikation
Nonverbale Hinweise (Mimik, Gestik, Tonfall) fehlen → obwohl sie enorm wichtig sind
✘ 3. Vorstellung eines störungsfreien Kanals ist unrealistisch
Menschen interpretieren immer individuell
Sprache ist nie vollkommen eindeutig
✘ 4. Annahme eines „gemeinsamen Codes“
Empfänger können Wörter unterschiedlich interpretieren
Hintergrundwissen, Kultur, Erfahrungen beeinflussen das Verstehen (Winterhoff-Spurk, 2004)
✔ Einfach und klar strukturiert → Hilfreich zur Einführung in Kommunikationsprozesse
✔ Viele spätere Modelle (auch psychologische) nutzen seine Grundelemente:
Sender
Empfänger
Kodierung
Kanal
Störungen
✔ Bietet eine Basis zur Analyse technischer, aber auch menschlicher Kommunikationsstörungen.
✔ Hat die moderne Kommunikationsforschung stark beeinflusst, insbesondere:
Medienforschung
Informatik
Psycholinguistik
Kommunikationspsychologie
Heute weiß man, dass Diskrepanzen zwischen gesendeter und empfangener Botschaft nicht nur technische Ursachen haben. → Auch Kognitionen, Emotionen, Aufmerksamkeit und Interpretation spielen eine große Rolle.
2.1.3 Kommunikationsmodell nach Schulz von Thun
Das Vier-Seiten-Modell (auch Vier-Ohren-Modell) von Friedemann Schulz von Thun erweitert das klassische Sender-Empfänger-Modell von Shannon & Weaver um psychologische Dimensionen.
Während Shannon & Weaver sich auf die technische Übertragung konzentrieren, betont Schulz von Thun die Mehrschichtigkeit menschlicher Kommunikation.
Nach Schulz von Thun enthält jede Nachricht immer gleichzeitig vier verschiedene Botschaften:
Sachinhalt – Worüber ich informiere
Selbstoffenbarung – Was ich von mir selbst preisgebe
Beziehung – Was ich über unsere Beziehung ausdrücke
Appell – Was ich bei dir erreichen möchte
Diese vier Seiten können der Sender (vier „Schnäbel“) und der Empfänger (vier „Ohren“) unterschiedlich stark nutzen oder betonen.
→ Störungen entstehen immer dann, wenn Schnabel und Ohr nicht zusammenpassen.
Jede Kommunikation enthält simultan alle vier Perspektiven.
Die Kommunikationsqualität hängt demnach davon ab, wie störungsfrei die Entschlüsselung der Intention zwischen beiden Partnern gelingt.
Zusätzlich trägt eine einseitige Empfangsgewohnheit, also ein bevorzugtes ‚Ohr‘, bei einem Empfänger dazu bei, dass Kommunikationsstörungen auftreten
Einordnung des Modells in die psychologischen Kommunikationsmodelle
Das Vier-Seiten-Modell gilt zwar primär als intentionsorientiertes Modell (weil Absichten wichtig sind), wird aber häufig auch den Dialogmodellen zugeordnet, weil beide Kommunikationspartner aktiv beteiligt sind und Kommunikationsverläufe dynamisch betrachtet werden.
Es ist eines der praxisrelevantesten Modelle, besonders in:
Kommunikationstrainings
Teamberatung
Coaching
Konfliktklärung
1. Sachinhalt (Sach-Ohr / Sach-Schnabel)
umfasst reine Informationen, die der Sender mitteilen möchte
typische Fragen: Ist das wahr? Ist es relevant? Ist es vollständig? Beispiel: „Das Fenster ist offen.“ → reine Beobachtung
2. Selbstoffenbarung (Selbstoffenbarungs-Ohr / -Schnabel)
enthält Hinweise über den Sender:
Gefühle
Werte
Bedürfnisse
Persönlichkeit
kann bewusst (Selbstdarstellung) oder unbewusst (Selbstenthüllung) erfolgen Beispiel: „Das Fenster ist offen“ → könnte bedeuten: Mir ist kalt.
3. Beziehung (Beziehungs-Ohr / -Schnabel)
vermittelt, wie der Sender zum Empfänger steht
wird besonders über Tonfall, Gestik, Mimik und Ausdrucksweise transportiert
ist die häufigste Ursache für Missverständnisse Beispiel: „Das Fenster ist offen.“ → Das solltest du eigentlich wissen oder Du hast nicht aufgepasst.
4. Appell (Appell-Ohr / -Schnabel)
zeigt, was der Sender beim Empfänger erreichen möchte
beinhaltet Aufforderungen, Wünsche, Bitten Beispiel: „Das Fenster ist offen.“ → Mach es bitte zu.
Schulz von Thun erklärt Störungen durch:
1. Unterschiedliche Ebenen-Fokusse
Sender betont z. B. den Sachinhalt
Empfänger hört vor allem über die Beziehungsebene → Die Botschaft wird verzerrt wahrgenommen
Beispiel: Sender (neutral): „Du hast die Suppe verschüttet.“ Empfänger hört Beziehungsohr: Du bist unfähig!
2. Einseitige Hörgewohnheiten – das „Lieblingsohr“
Jeder Mensch hat eine bevorzugte Ebene. Beispiele:
Beziehungsohr stark ausgeprägt → sieht schnell Kritik, Ablehnung
Appellohr dominant → fühlt sich ständig unter Druck, alles erfüllen zu müssen
Selbstoffenbarungsohr dominant → interpretiert alles als Aussage über den anderen
Sachorientiertes Ohr → ignoriert emotionale oder soziale Botschaften
Dies führt zu typischen Missverständnissen, etwa:
Lachen wird als Auslachen interpretiert
Wegschauen wird als Ablehnung gedeutet
Hinweise werden als Befehle wahrgenommen
Kritik wird ignoriert, weil nur der Sachinhalt gehört wird
Wie entstehen Konflikte?
Kommunikationskonflikte entstehen laut Schulz von Thun dann, wenn:
Sender und Empfänger verschiedene Ebenen betonen
Schnabel ≠ Ohr
der Empfänger „mit halbem Ohr“ hört
Bedeutungen vorausgesetzt werden, die der andere gar nicht im Fokus hat
Nach Schulz von Thun können Kommunikationsstörungen nur durch Metakommunikation behoben werden.
Metakommunikation bedeutet:
"über die Kommunikation sprechen"
Klären, welche Ebene gemeint war
Eigene Wahrnehmung und Interpretation offenlegen
Missverständnisse transparent machen
Doch: In der Praxis wird Metakommunikation selten genutzt, weil viele Menschen sich scheuen oder nicht wissen, wie man sie einsetzt.
✔ erklärt Missverständnisse sehr differenziert
✔ berücksichtigt emotionale, soziale und intentionale Ebenen
✔ extrem praxisnah
✔ eignet sich zur Konfliktklärung und Selbstreflexion ✔ zeigt, warum Kommunikation selten „einfach“ ist
2.2 Intentionales Modell
Während Encoder-/Decoder-Modelle (z. B. Shannon & Weaver) den Fokus auf Übertragungstechniken legen, betrachten intentionale Modelle den Absichtscharakter von Kommunikation.
Kommunikation gelingt dann, wenn der Empfänger genau das versteht, was der Sender meint.
Der Fokus liegt auf:
Absicht des Senders
Zielsetzung der Botschaft
Einigung über Bedeutung
Regeln, die beide Seiten beachten müssen
Damit verschiebt sich die Frage von „Wie wird etwas übertragen?“ → zu „Wie wird etwas gemeint und verstanden?“
Intentionale Modelle gehen davon aus, dass beide Kommunikationspartner aktiv daran arbeiten, Missverständnisse zu vermeiden.
2.2.1 Kommunikationsmodell nach Grice – das Kooperationsprinzip
Der Philosoph H. Paul Grice (1975) schlug vor, Kommunikation als kooperative Bemühung zu verstehen.
Menschen kommunizieren nicht chaotisch, sondern folgen einem unausgesprochenen Kooperationsprinzip:
„Gestalte deinen Beitrag so, wie es für das gemeinsame Kommunikationsziel notwendig ist.“
Das bedeutet:
Sender und Empfänger bemühen sich, einander zu verstehen.
Kommunikation soll effizient, transparent und zielgerichtet sein.
Beide unterstützen sich gegenseitig bei der Bedeutungsfindung.
Um das Kooperationsprinzip umzusetzen, formulierte Grice vier Regeln – die Konversationsmaximen.
Sie beschreiben, wie man sprechen soll, damit Kommunikation gelingt.
Tabelle 1 aus deinem Studienheft fasst diese Maximen übersichtlich zusammen:
1. Qualitätsmaxime („Sei wahrhaftig“)
Nachrichten sollten wahr sein.
Der Sender soll:
nur sagen, was er für wahr hält
nichts behaupten, für das gute Gründe oder Belege fehlen
Verletzung der Maxime: Ironie, Übertreibungen, Gerüchte, falsche Behauptungen
2. Quantitätsmaxime („Sage nicht zu viel und nicht zu wenig“)
Nachrichten sollen genau so viel Information enthalten, wie nötig ist.
nicht mehr sagen als notwendig
nicht weniger sagen als nötig
überflüssige Informationen vermeiden
Verletzung: Zu viel reden → ausschweifend Zu wenig reden → uninformativ, lückenhaft
3. Relevanzmaxime („Sei relevant“)
Beiträge sollen zum Thema passen und von Bedeutung sein.
nichts sagen, was nicht zum Thema gehört
irrelevante Nebeninformationen vermeiden
Verletzung: Abschweifen, Themenwechsel, „am Thema vorbei“ reden
4. Klarheitsmaxime („Sei klar“)
Nachrichten sollen verständlich, geordnet und eindeutig sein.
klare Formulierungen wählen
Mehrdeutigkeit vermeiden
nicht umständlich oder verwirrend sprechen
logische Struktur einhalten
Verletzung: Unklare, vage, doppeldeutige oder wirre Aussagen
Die Maximen unterstützen:
Effizienz der Kommunikation
Missverständnisfreie Verständigung
Erfolgreiches Erkennen der Absicht des Senders
Wenn eine Maxime verletzt wird:
entstehen Missverständnisse
Kommunikation wird ineffizient
die Absicht des Senders wird möglicherweise verfehlt
Beispiel:Wenn jemand etwas sehr vage sagt (Verstoß gegen Klarheitsmaxime), kann der Empfänger nicht sicher verstehen, was gemeint war → Interpretationsspielraum → Missverständnisse.
Grice geht davon aus, dass Menschen die Maximen unbewusst beherrschen und anwenden. Wir erwarten automatisch, dass unser Gegenüber:
die Wahrheit sagt
relevante Infos gibt
verständlich bleibt
und nur das sagt, was nötig ist
Wenn das nicht passiert, fällt uns das sofort unangenehm auf.
Ironie, Sarkasmus, Höflichkeitsformeln oder indirekte Bitten verletzen oft bewusst eine Maxime, um eine zweite Ebeneder Bedeutung zu erzeugen.
Beispiel: „Hier ist es ja mega ordentlich.“ → Person meint das Gegenteil → absichtlicher Verstoß gegen die Qualitätsmaxime, um Ironie auszudrücken.
2.3 Perspektivübernahme-Modell
Perspektivübernahmemodelle stellen – im Gegensatz zu den vorherigen Modellen – nicht den Sender, sondern den Empfänger in den Mittelpunkt der Betrachtung.
Sie basieren auf dem Symbolischen Interaktionismus des Soziologen George Herbert Mead.
Erfolgreiche Kommunikation gelingt, wenn eine Person die Fähigkeit besitzt, die Situation und Botschaft so wahrzunehmen, wie das Gegenüber sie wahrnimmt.
Diese Fähigkeit nennt man Perspektivübernahme.
Das Modell beschreibt interpersonales Verhalten, also Verhalten zwischen Menschen.
Perspektivwechsel (Ich kann mich gedanklich in die Sichtweise des anderen hineinversetzen)
Empathie (emotionales Einfühlen in die Erlebniswelt des anderen)
Rückmeldung (Feedback) (dem Gesprächspartner spiegeln, dass man ihn verstanden hat)
Wechselseitigkeit (Kommunikation ist ein gegenseitiger Prozess, kein Einbahnstraßenmodell)
Kognitive Reflexion (eigene Einstellungen und Annahmen wahrnehmen und hinterfragen)
Die Perspektivübernahme-Modelle betonen:
➡ Verstehen ist aktives Mitdenken und Mitfühlen.
Der Psychologe Carl Rogers, Begründer der klientenzentrierten Gesprächsführung und zentraler Vertreter der humanistischen Psychologie, beschäftigte sich intensiv damit, wie Empathie in Kommunikation gelingen kann.
Ursprünglich für Therapie und Beratung entwickelt, wird sein Modell heute auch in:
Führung
Pädagogik
Personalarbeit
sozialer Arbeit angewendet.
Rogers geht davon aus:
Jeder Mensch strebt nach Autonomie und Selbstverwirklichung.
Damit ein Mensch sich öffnen, entwickeln und authentisch kommunizieren kann, braucht er eine vertrauensvolle Beziehung.
Diese entsteht nach Rogers nur, wenn der Gesprächspartner drei psychologische Grundhaltungen zeigt:
Diese sind in Abbildung 7 dargestellt:
Sie lauten:
Einfühlendes Verstehen (Empathie)
Echtheit (Kongruenz)
Emotionale positive Wertschätzung
Erst das Zusammenspiel aller drei Merkmale ermöglicht echte Verständigung auf Augenhöhe.
Empathie bedeutet:
Eintauchen in die persönliche Erfahrungswelt des Gegenübers
Verstehen ohne zu bewerten, wie die andere Person fühlt, denkt und wahrnimmt
Empathie bedeutet nicht, dass man ein Verhalten gutheißen muss.
Sie beinhaltet immer auch Rückmeldung, z. B. „Ich höre, dass du dich verletzt fühlst, weil…“
Empathie schafft Vertrauen und ermöglicht dem Gesprächspartner, sich wirklich zu öffnen.
Kongruenz bedeutet:
Der Kommunikator ist echt, authentisch und stimmt innerlich mit dem überein, was er nach außen zeigt.
Alle Kommunikationskanäle (verbal, nonverbal, vokal) senden die gleiche Botschaft.
Keine Freundlichkeit mit gleichzeitigem Augenrollen (→ Inkongruenz)
Wenn der Kommunikator Ablehnung empfindet, soll er dies klar und ehrlich, aber respektvoll ausdrücken.
Kongruenz setzt voraus:
Der Sprecher kennt seine eigenen Gefühle.
Er ist bereit, diese offen und wahrhaftig mitzuteilen.
Bedeutet:
Der Gesprächspartner wird bedingungslos akzeptiert
Der Respekt richtet sich auf die Person, nicht auf ihr Verhalten
Keine Bedingungen wie: „Ich schätze dich, wenn du…“
Das bedeutet nicht:
dass man Verhalten nicht kritisieren darf
dass man alles gutheißen muss
Nach Rogers soll der Kommunikator:
Verhalten kritisieren dürfen, ohne die Person abzuwerten
Zuerst wertfrei verstehen, was hinter einem Verhalten steht (z. B. „Wie kam es dazu, dass Sie so reagiert haben?“)
Rogers schreibt ihnen transformative Wirkung zu:
Empathie → ermöglicht inneres Öffnen
Echtheit → schafft Vertrauen
Wertschätzung → vermittelt Sicherheit und Annahme
Die Gesprächssituation wird dadurch zu einem Raum, in dem die Person:
sich authentisch zeigen kann
eigene Problemlösungen entwickelt
persönliche Entwicklung (Selbstaktualisierung) erfährt
2.4 Dialog-Modell
Während die zuvor beschriebenen Kommunikationsmodelle meist eine einzelne Person (Sender oder Empfänger) in den Fokus nehmen, betrachtet das Dialog-Modell Kommunikation als gemeinsame Aktivität zweier Beteiligter.
Kommunikation ist Interaktion – ein dynamischer Prozess zwischen Menschen, nicht das einseitige Übermitteln von Informationen.
Wechselseitige Abstimmung
Gemeinsame Bedeutungskonstruktion
Soziale Situation (Kontext, Beziehung, Rollen)
Interaktion statt Individuum
Nach Krauss & Fussel (1996) ist das Ziel jeder Kommunikation die Herstellung von:
Sender und Empfänger schaffen gemeinsam eine geteilte Bedeutung.
Diese gemeinsame Bedeutung entsteht nicht automatisch, sondern wird im Dialog ausgehandelt, angepasst und oft mehrfach verändert.
Die Konversationsanalyse (Clark & Wilkes-Gibbs, 1986) untersucht genau diese Absprachen, Reparaturen, Nachfragen und gegenseitigen Anpassungen in Gesprächen.
2.4.1 Kommunikationsmodell nach Watzlawick
Paul Watzlawick und Kollegen (Schule von Palo Alto) entwickelten eine Kommunikationstheorie, die beschreibt, wie Menschen interagieren und welche Muster dabei entstehen.
Sie betrachten Kommunikation als Pragmatik menschlicher Beziehungen – also als Verhalten, das immer Bedeutung hat.
Das Modell umfasst die berühmten fünf Axiome Watzlawicks.
Jede Kommunikation ist Verhalten – und man kann sich nicht nicht verhalten.
Schweigen, Wegschauen, Lächeln → sind ebenfalls Kommunikation
Auch wenn jemand nichts sagt, kommuniziert er etwas (z. B. Abwehr, Desinteresse, Zustimmung, Unsicherheit)
➡ Dieses Axiom war revolutionär, weil es nonverbale Kommunikation als vollwertigen, unvermeidbaren Anteil aller Kommunikation einführte.
„Der Beziehungsaspekt bestimmt den Inhaltsaspekt“
→ Sachinformation (vergleichbar mit Schulz von Thuns Sachinhalt)
→ Wird meist über nonverbale und paraverbale Signale vermittelt.
Wichtig: Der Beziehungsaspekt dominiert!
Ein Beispiel:
Lob (Inhalt)
in abfälligem Ton (Beziehung) → der Empfänger interpretiert es als Kritik.
Das Dialog-Modell betont, dass keine rein sachliche Kommunikation existiert, da Beziehungsbotschaften immer mitschwingen.
(Interpunktion von Ereignisfolgen)
Watzlawick beschreibt, dass jeder Kommunikationsprozess zirkulär ist – es gibt keinen echten Anfangspunkt.
Beispiel (Abbildung 8):
Ehefrau nörgelt, weil Ehemann sich zurückzieht
Ehemann zieht sich zurück, weil Ehefrau nörgelt
Beide erleben sich selbst als Reagierende und den anderen als Verursacher. Objektiv betrachtet entsteht ein Teufelskreis.
Wichtige Schlüsse:
Kommunikation ist zirkulär und nicht linear
Schuldzuweisungen sind sinnlos
Lösung: aus dem Muster aussteigen durch offene, neue, wertfreie Kommunikation
Abbildung 9 zeigt diese Unterscheidung:
Wörter, Sprache, Schrift
klare, logische Informationen
wenig Interpretationsspielraum
Watzlawicks Annahme: → Worte sind relativ eindeutig – z. B. „Hund“ bezeichnet eine Tierart.
Körpersprache
Mimik
Gestik
Tonfall → transportieren den Beziehungsaspekt
Gähnen → Langeweile? Müdigkeit? Unklar
Tränen → Trauer? Freude? Überwältigung?
Analoge Kommunikation erfordert Interpretation und ist laut Watzlawick die Quelle vieler Missverständnisse.
Wichtig: Aus heutiger Sicht weiß man: Auch Worte können mehrdeutig sein → Watzlawick vereinfachte diesen Punkt.
Beziehungen basieren entweder auf Gleichheit oder Unterschiedlichkeit.
beide auf Augenhöhe
gleichberechtigt
wechselseitiges Bemühen um Harmonie Beispiel: Freunde, Kollegen
Unterschiede prägen die Beziehung
eine Person ist „überlegen“, die andere eher „untergeordnet“ Beispiel: Eltern–Kind, Chef–Mitarbeiter
Beide Muster sind nicht negativ, sie erklären nur, wie Beziehungssysteme funktionieren.
Stärken:
Sehr praxisnah
erklärt Kommunikationsstörungen gut
berücksichtigt Beziehung, Verhalten und Zirkularität
integriert nonverbale Kommunikation
Schwächen / Vereinfachungen:
Worte sind nicht immer eindeutig (Gegenargument zur Digitalität)
Interpretation analoger Signale ist kultur- und situationsabhängig
2.5 Integratives Kommunikationsmodell nach Owen Hargie
Die zuvor behandelten Modelle (Encoder-/Decoder, intentionale Modelle, Perspektivübernahme, Dialogmodelle) beleuchten jeweils nur einzelne Aspekte der Kommunikation.
Hargie entwickelte deshalb ein integratives Hybridmodell, das diese Perspektiven verbindet und den gesamten Kommunikationsprozess möglichst umfassend beschreibt.
Nach Hargie & Dickson basiert menschliche Kommunikation auf drei psychologischen Grundprinzipien:
Menschen handeln zielgerichtet. Jede kommunikative Handlung verfolgt (bewusst oder unbewusst) ein Ziel.
Menschen achten auf die Konsequenzen ihres Verhaltens. Wir beobachten, welche Wirkung unser Verhalten hat.
Menschen passen ihr Verhalten aufgrund von Rückmeldungen an. Sie ändern ihre Kommunikation, wenn Feedback (intern oder extern) darauf hinweist, dass Anpassungen nötig sind.
Diese Annahmen machen Kommunikation zu einem dynamischen, flexiblen und interaktiven Prozess.
Abbildung 10 – Kommunikationsprozess nach Hargie & Dickson
Die Abbildung zeigt:
Kommunikation besteht aus einer Wechselwirkung zwischen zwei Personen.
Beide durchlaufen denselben Prozess: Wahrnehmung → vermittelnde Faktoren → Antwortverhalten → Rückmeldung.
Der gesamte Prozess findet im Person-Situation-Kontext statt.
Beide Kommunizierenden verfolgen eigene Ziele, die miteinander kompatibel oder inkompatibel sein können.
Die sechs Komponenten des Modells
Hargie unterscheidet sechs miteinander verbundene Komponenten, die den Kommunikationsprozess bestimmen.
Alle sechs können Quelle für Kommunikationsstörungen sein (anders als im Shannon-Weaver-Modell, wo Störungen primär im Übertragungskanal liegen).
Diese Faktoren beeinflussen, wie eine Person kommuniziert:
Wissen
Motivation
Einstellungen
Persönlichkeit (z. B. Extraversion, Neurotizismus)
Emotionen
Alter
Geschlecht
Sprachstil / Sprechweise
Umgebung (z. B. Raumsituation, Lärm, Licht, Sitzordnung)
Rollenstruktur (z. B. Chef–Mitarbeiter, Therapeut–Klient)
Zielstruktur
kulturelle Normen
➡ Diese Faktoren prägen immer, wie Kommunikation verstanden und produziert wird.
Menschen kommunizieren intentional. Ziele können sein:
Instrumentelle Ziele (etwas erreichen: informieren, überzeugen, beraten)
Konsumatorische Ziele (etwas erleben: Nähe, Humor, Entlastung)
Explizite Ziele (bewusst formuliert)
Implizite Ziele (unbewusst wirksam)
Hargie zeigt: Zielkompatibilität hat großen Einfluss auf den Erfolg der Kommunikation.
gleiche Ziele → Konfliktpotenzial (beide wollen reden, keiner will zuhören)
komplementäre Ziele → Kommunikation läuft (einer spricht, der andere hört zu)
gegensätzliche Ziele → Störungen entstehen
Diese Prozesse liegen zwischen Wahrnehmung und Verhalten.
Interpretation
Bewertung
Wissensaktivierung
Erwartungen
Schemata / mentale Strukturen (vgl. Kapitel 3.1 „Verbale Prozesse“)
→ Sie beeinflussen, wie wir Beobachtungen deuten und Sinn konstruieren.
Stimmungen
emotionale Reaktionen auf Verhalten des anderen
Hargie unterscheidet drei Formen emotionaler Kommunikation:
Emotionsmotivierte Kommunikation → Emotionen lösen Kommunikation aus (z. B. Wut = „Ich muss das sofort sagen“)
Emotionsdarstellende Kommunikation → Ausdruck der eigenen Gefühlslage (z. B. traurig wirken, frustriert klingen)
Emotionsinduzierende Kommunikation → zielgerichtet Emotionen beim Empfänger auslösen (z. B. beruhigen, motivieren)
Das Antwortverhalten ist die sichtbare Reaktion einer Person:
verbal (Wortwahl, Argumentation, Tonfall)
nonverbal (Mimik, Gestik, Blickkontakt, Haltung)
Dieses Verhalten ist das Ergebnis der vorherigen Schritte: Wahrnehmung → Vermittlung → Handlung.
Feedback kommt in zwei Formen vor:
körperliche Reaktionen (z. B. Herzklopfen, trockener Mund bei Stress)
innere Bewertungen (z. B. „Ich fühle mich unwohl“, „Ich war unklar“)
Reaktionen des Kommunikationspartners verbal: Zustimmung, Rückfragen, Kritik nonverbal: Nicken, Stirnrunzeln, Abwenden
Beide Feedbackformen beeinflussen den weiteren Kommunikationsverlauf → Menschen passen ihr Verhalten an.
Wahrnehmung ist selektiv, situationsabhängig und störanfällig.
Bei starkem Fokus auf Inhalte → Umgebung wird ausgeblendet
Bei Fokus auf äußere Gefahren → Inhalte werden überhört
Persönliche Erwartungen beeinflussen, was wir überhaupt wahrnehmen
→ Wahrnehmungsverzerrungen gehören zu den größten Fehlerquellen der Kommunikation.
Hargie betont nachdrücklich:
Kommunikation gelingt nur, wenn die Beteiligten einen gemeinsamen Wissenshintergrund („Common Ground“) haben.
Das betrifft:
geteilte Erfahrungen
gemeinsame Begriffe
kulturelle Übereinstimmungen
Wenn dieser gemeinsame Boden fehlt, muss er hergestellt werden (z. B. durch Nachfragen, Definitionen, Beispiele).
Extraversion → mehr Redebeiträge, mehr Lächeln, gezieltes Blickverhalten
niedriger Neurotizismus → bevorzugt direkte Kommunikation gegenüber schriftlicher
ältere Menschen werden oft mit sekundärem Babytalk angesprochen
sie nutzen selbst häufiger lange Wörter (Pennebaker & Stone, 2003)
Belegte Unterschiede:
Frauen: mehr Blickkontakt, Berührungen, geringere Distanz, mehr Lächeln, bessere Interpretation nonverbaler Signale
Männer: decken Lügen besser auf, kommunizieren dominanter
Hargie zeigt:
Störungen können in allen sechs Komponenten auftreten.
Damit ist das Modell deutlich differenzierter als vorherige Modelle wie Shannon & Weaver, die Störungen nur im Übertragungskanal verorten.
Fazit
Hargies Modell ist das umfassendste bisher vorgestellte Kommunikationsmodell.
Es integriert Ziele, Persönlichkeit, Emotionen, Situation, Wahrnehmung und Feedback in einem gemeinsamen Prozess.
Kommunikation ist dynamisch, zirkulär, interaktiv und von vielen Einflussfaktoren abhängig.
Das Modell zeigt, warum Missverständnisse so häufig entstehen – und an welchen Stellen man ansetzen kann.
Lernkontrollfragen
Aufgabe 2.1
Nennen Sie die vier klassischen Unterteilungen für Kommunikationsmo-
delle.
Aufgabe 2.2
Welche Elemente der Kommunikation können nach Shannon und Weaver
unterschieden werden?
Aufgabe 2.3
Welche vier Ohren werden im Kommunikationsmodell nach Schulz von
Thun unterschieden?
Aufgabe 2.4
Grice postulierte vier Maximen der Kommunikation. Welche Maxime wäre
im folgenden Beispiel verletzt? Ein Passant fragt Sie nach der Uhrzeit und
Sie antworten ihm: „Morgen soll es regnen.“
Aufgabe 2.5
Carl Rogers betont die Wichtigkeit von Empathie für gelingende Kommuni-
kation. Welche zwei Merkmale kennzeichnen Empathie?
Aufgabe 2.6
Erläutern Sie, wie die folgende exemplarische Situation in den vier Modellen
von Shannon & Weaver, Grice, Rogers und Watzlawick anhand von zugehöri-
gen Fragen und beispielhaften Antworten dargestellt werden könnte:
Paula und Tom sind befreundet. Tom möchte Paula seine Zuneigung geste-
hen.
Aufgabe 2.7
Welche sechs Bestandteile unterscheiden Hargie und Kollegen in ihrem
integrativen Kommunikationsmodell?
Aufgabe 2.8
Welche Merkmale der Person können, gemäß dem integrativen Kommu-
nikationsmodell nach Hargie und Kollegen, den Kommunikationsprozess
beeinflussen?
Aufgabe 2.9
Wie lautet die Lasswell-Formel im Original?
Zuletzt geändertvor 14 Stunden