Abgrenzung zu anderen Theorien der kognitiven Entwicklung
Domänenspezifität (= Bereichsspezifität bzw. Begrenzung auf bestimmten Inhaltsbereich) der kognitiven Entwicklung
In Abgrenzung zu Piagets Theorie und Informationsverarbeitungtheorien:
Nicht: Allgemeine Lernfähigkeiten sind angeboren und ziehen bereichsübergreifende Entwicklungsveränderungen nach sich
Sondern: Domänenspezifische Lernmechanismen und domänenspezifisches Wissen (Kernwissen) sind angeboren und bilden die Grundlage für eine schnelle Erweiterung des Wissens in evolutionsgeschichtlich bedeutsamen Inhaltsbereichen
Kernwissenstheorien
Nicht nur allgemeine Lernfähigkeiten sind angeboren, sondern auch domänenspezifische Lernmechanismen und domänenspezifisches Wissen (= Kernwissen)
Diese angeborenen Mechanismen und das Kernwissen ermöglichen eine schnelle Erweiterung des Wissens in den jeweiligen Inhaltsbereichen
= Kernwissen ist angeborenes Wissen in Inhaltsbereichen, die evolutionsgeschichtlich bedeutsam sind d.h. eine Überlebensfunktion haben
Rudimentäres begriffliches (= konzeptuelles) Wissen, das …
… angeboren ist
… domänenspezifisch ist
… implizit ist d.h. unbewusst und nicht verbalisierbar (keine bewussten Annahmen von Säuglingen)
… den Wissenserwerb über die gesamte Lebensspanne leitet
Weil es mit den Methoden der Säuglingsforschung untersucht und scheinbar nachgewiesen werden konnte
Methode der Erwartungsverletzung:
Säuglingen wird ein Ereignis gezeigt, dass Interesse oder Überraschung auslösen sollte, wenn es dem widerspricht, was sie wissen oder für zutreffend halten
Messung der Blickdauer (Verlängerte Blickdauer -> Dishabituation -> Widerspruch zum Wissen des Säuglings)
Schlussfolgerung: Dishabituation ist nur möglich, weil Säuglinge bereits ein Kernwissen haben, auf das sie für die Beurteilung eines widersprechenden Ereignisses zurückgreifen können
Die Reaktion der Säuglinge muss nicht zwingend durch Kernwissen begründet sein
Auch allgemeine Lernfähigkeiten, die ein schnelles Erlernen dieses Wissens ermöglichen, könnten die Ursache dafür sein (Ergebnis früher erfahrungsgetriebener induktiver Lernprozesse)
Biologie
Gesichtererkennung
Mathematik
Physik
Psychologie
Sprache
Kohäsionsprinzip
Kontinuitätsprinzip
Kontaktprinzip
= Das Kohäsionsprinzip besagt, dass sich Objekte als zusammenhängende, begrenzte Einheiten bewegen
= Das Kontinuitätsprinzip besagt, dass Objekte feste Körper und kontinuierlich existierende Entitäten sind
= Das Kontaktprinzip besagt, dass ein Objekt die Bewegung eines anderen Objekts zur über physischen Kontakt und nicht aus der Distanz beeinflussen kann
Eine Studie von Spelke et al. zeigt, dass sie ein unmögliches Ereignis länger betrachten als ein mögliches Ereignis
Schlussfolgerung: Verständnis von Kontinuität
Eine Studie von Spelke et al. zeigt, dass sie ein unmögliches Ereignis länger betrachten als ein mögliches Ereignis, wenn es sich um unbelebte Objekte handelt (richtig)
Schlussfolgerung: Verständnis für das Kontaktprinzip
Intuitive Theorien
Wie entwickelt sich begriffliches Wissen auf der Grundlage des Kernwissens weiter?
Wie entwickelt sich explizites (statt implizites) begriffliches Wissen?
= Intuitive Theorien sind das Ergebnis einer Strukturierung von Wissen in wichtigen Inhaltsbereichen d.h. explizites Wissen wird in größere begriffliche Systeme eingebettet
…. nicht angeboren ist, sondern im kulturellen Kontext konstruiert wird
… informell ist und keinen wissenschaftlichen Charakter hat
… explizit und sprachlich repräsentiert ist d.h. bewusst und verbalisierbar (bewusste Annahmen von Kindern)
… keine Konstanz über die Lebensspanne hinweg hat
“Theorien”, weil das Wissen der Kinder in sich organisiert ist
Wenn es in die bestehende Organisation der Inhalte passt
Wenn sich die gesamte Organisation an das neue Wissen anpasst
Es kommt dann zu Schwierigkeiten, wenn das neue Wissen nicht in die bestehende Organisation der Inhalte passt
Beispiel: Die Tatsache, dass Pflanzen auch Lebewesen sind, können viele Vorschulkinder (3- bis 6-Jährige) nicht integrieren, weil die Vernetzung der bestehenden Informationen in diesem Inhaltsbereich dagegen spricht
Physik (Wissen über Objekte)
Psychologie (Wissen über Menschen) -> Theory of Mind
Biologie (Wissen über Pflanzen und Tiere)
Aufgrund der evolutionären Vergangenheit
Wissen über Objekte ist erforderlich für die Wahrnehmung der Welt und Bewegung in der Welt, ohne sich zu verletzen
Wissen über Menschen ist erforderlich für die Mitteilung von Bedürfnissen und gemeinsame Verfolgung von Zielen
Wissen über Tiere und Pflanzen ist erforderlich für den Schutz vor Raubtieren und Giften
Intuitive Theorien - Intuitive Physik
“Gerade-nach-unten-Regel”
Begriff des Gewichts
Begriff der Dichte
= Die “Gerade-nach-unten-Regel” ist die Annahme, dass ein Objekt immer gerade nach unten fällt, wenn es um die Vorhersage der Bahn eines fallenden Objekts geht
Beispiel: Studie von Hood
Kinder (2- bis 4-Jährige) bekommen die Aufgabe, einen Ball zu finden, der durch eine von drei undurchsichtigen Röhren gerollt ist -> Alle Kinder wenden die “Gerade-nach-unten-Regel” an und suchen sie an der Stelle unterhalb des Einstecklochs d.h. sie erwarten einen senkrechten Fall, obwohl die Wahrnehmung der Röhren die Umlenkung des Balls nahe legt
Fehlendes Verständnis von Gewicht als konstituierendes Merkmal von Materie
Das Urteil darüber, ob etwas Gewicht hat, erfolgt in Abhängigkeit von der Wahrnehmbarkeit des Gewichts
Beispiel: Befragung zum Gewicht eines Objekts
Kinder werden gefragt, ob ein Objekt nichts wiegen kann (verschiedene Fragestellungen) -> Erst 12-Jährige antworten mehrheitlich, dass dies nicht möglich ist
Mangelnde Differenzierung zwischen Gewicht und Dichte d.h. zwischen dem absoluten Gewicht eines Objekts und dem spezifischen Material, aus dem es gemacht ist
Beispiel: Befragung zu zwei gleich schweren (aber unterschiedlich großen) und zwei unterschiedlich schweren (aber gleich großen) Objekten verschiedenen Materials
Kinder (8- bis 10-Jährige) werden gefragt, ob ein Aluminium- und Stahlzylinder gleicher Größe gleich viel wiegen, nachdem sie gezeigt bekommen haben, dass ein Aluminium- und Stahlzylinder unterschiedlicher Größe gleich viel wiegen -> Alle Kinder sagen vorher, dass beide Zylinder gleich viel wiegen
Intuitive Theorien - Intuitive Psychologie
= Theory of Mind ist das intutive Verständnis des Einflusses von Gedanken, Überzeugungen und Absichten auf das Verhalten
= Theory of Mind meint alltagspsychologische Konzepte, die wir benutzen, um uns selbst und anderen mentale Zustände zuzuschreiben
Kinder verstehen, dass …
… sie und andere Menschen Wünsche haben
… Menschen andere Wünsche haben können als sie selbst
… Menschen in Übereinstimmung mit ihren eigenen Wünschen handeln
… Wünsche Handlungen hervorrufen können
Kinder …
… wissen wenig darüber, dass auch Überzeugungen handlungsleitend sind
… zeigen ein beginnendes Verständnis mentaler Zustände
… benutzen mentale Verben (z.B. denken, glauben, erinnern)
… verstehen gewissermaßen, dass auch Überzeugungen handlungsleitend sind (z.B. „Warum sucht Billy nach seinem Hund?“ – „Weil er glaubt, dass er weggelaufen ist.“)
… haben ein begrenztes Verständnis des Zusammenhangs zwischen Überzeugungen und Handlungen
… fokussieren auf Wünsche, wenn sie die Handlungen anderer erklären sollen, nicht auf Gedanken und Überzeugungen
… können False-Belief-Aufgaben nicht richtig lösen
… nutzen mentale Zustände für das Verständnis des eigenen Verhaltens und des Verhaltens anderer
… verstehen, dass Verhalten von den Überzeugungen über Ereignisse und Situationen abhängig ist, selbst dann, wenn diese Überzeugungen falsch sind
… können False-Belief-Aufgaben richtig lösen
= Bei False-Belief-Aufgaben bzw. Aufgaben des Typs “falsche Überzeugung” hält ein anderer Mensch etwas für wahr, von dem das Kind weiß, dass es falsch ist
Ob das Kind versteht, dass sich der Andere gemäß seiner falschen Überzeugung verhalten wird -> Verständnis, dass Handlungen anderer von deren Überzeugungen abhängig sind
Oder ob das Kind denkt, dass sich der Andere so verhalten wird, wie es der tatsächlichen Situation im Verständnis des Kindes entspricht -> Annahme, dass Handlungen anderer von der objektiven Wahrheit oder dem Wissen des Kindes abhänging sind
Smartie-Aufgabe
Sally-Anne-Aufgabe nach Kail und Cavanaugh
Intuitive Theorien - Intuitive Biologie
Kinder wissen, dass Lebewesen sich selbst bewegen, während unbelebte Objekte nur von anderen Objekten oder Menschen bewegt werden können
Kinder gehen davon aus, dass sich Tiere unregelmäßig und unvorhersehbar, Maschinen jedoch regelmäßig und vorhersehbar bewegen
Kinder wissen, dass das Innenleben belebter Objekte etwas anderes enthält als das Innenleben von Lebewesen
Kinder wissen, dass körperliche Eigenschaften von den Eltern an ihre Kinder weitergegeben werden
Kinder wissen, dass bestimmte Aspekte der Entwicklung angeboren sind und nicht von der Umwelt bestimmt werden (z.B. dass ein Tier, das von einer anderen Spezies aufgezogen wird, trotzdem seine Spezieszugehörigkeit behält)
Kinder wissen, dass Krankheiten durch Krankheitserreger verursacht sein können
Kinder wissen, dass psychische Prozesse allein keine Krankheiten verursachen können (z.B. dass man nicht krank wird, nur weil man weiß, dass ein Essen Krankheitserreger enthält)
Kinder wissen, dass Verletzungen von Lebewesen selbst heilen, während unbelebte Objekte von Menschen repariert werden müssen
Kinder wissen, dass Tiere wachsen, wenn sie älter werden
Fehlannahmen zur Vererbung
Fehlannahme, dass der Mensch kein Tier sein
Fehlannahme, dass Pflanzen keine Lebewesen seien
Kinder denken, dass die Wünsche der Mutter Einfluss auf die körperlichen Merkmale des Kindes hätten
Kinder denken, das die Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen bezüglich bevorzugter Spiele und Fähigkeiten allein auf Vererbung zurückzuführen seien
Weil sie Schweirigkeiten haben, zu verstehen, dass der Mensch anderen Tieren ähnelt
Obwohl Kinder wissen, dass Pflanzen wachsen, bei Verletzung selbst heilen und sterben, denken die meisten Vorschulkinder, dass sie keine Lebewesen seien
Grund: Kinder betrachten zielgerichtete Bewegungen als Hauptcharakteristikum des Lebens, welches bei Pflanzen nur schwer beobachtet werden kann
Erst 7- bis 9-Jährige beurteilen Pflanzen als Lebewesen
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