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Vertragsverletzungsverfahren, Art. 258-250 AEUV
Vertragsverletzungsverfahren
I. Zulässigkeit
Zuständiges Gericht
-> EuGH
Beteiligtenfähigkeit
aktiv: Kommission und andere Mitgliedsstaat (Art. 285, 259 AEUV)
passiv: Mitgliedstaaten, vgl. Art. 258, 259 AEUV
Klagegenstand
= Vertragsverletzung, also jeder mitgliedstaatlicher verstoß gegen primäres oder sekundäres EU-Recht
-> Klagegenstand muss mit dem Gegenstand des Vorverfahren identisch sein
Klageberechtigung
“Auffassung sein”, Art. 258 I, 259 I AEUV meint, dass die klagende Partei von der Vertragsverletzung überzeugt sein muss
Vorverfahren
-> abhängig von klagender Partei
a) gem. Art. 258 AEUV
1. Mahnschreiben (Mitteilung der Tatsache des vertragsverstoßes und verletzte EU-Rechtsnorm, Erklärung zur Einleitung eines Verfahrens und Aufforderung zur Äußerung innerhalb 2 Monaten)
begründete Stellungnahme nach Ablauf der Äußerungsfrist des Mitgliedstaats und Fristsetzung zur Beseitigung des Verstoßes
Kommission nicht verpflichtet Vorverfahren einzuleiten, auch nicht verpflichtet nach erfolglosem Vorverfahren Klage zu erheben
b) gem. Art. 259 AEUV
Mitgliedstaat stellt Antrag, Feststellung der Rechtswidirgkeit des Verhaltens des anderen Mitgliedstaates mit begründeter Stellungnahme
Kommission gibt beteiligtem Mitgliedstaat Gelegenheit zur Stellungnahme
Dann kann geklagt werden
keine Verpflichtung zur Einleitung des Verfahrens
Ordnungsgemäße Klageerhebung
Art. 21 Satzung des Gerichtshofs, Art. 120 VerfO EuGH
Klagefrist
-> Klageerhebung unzulässig vor Ablauf der in Art, 258 II, 259 IV AEUV genannten Fristen
Rechtsschutzbedürfnis
fehlt bei Beseitung des Verstoßes innherhalb der gesetzten Frist
bleibt bestehen, wenn Verstoß erst nach Fristablauf beseitigt wurde
II. Begründetheit
-> wenn der beklagte Staat tatsächlich einen zurechenbaren Verstoß gegen das EU-Recht begangen hat
zwei Verteidigungsmöglichkeiten:
Betreitung des Sachverhalts
Vorbringen rechtlicher Gründe, die gegen Verstoß sprechen
-> Feststellungsurteil, Art. 260 AEUV
keine Vollstreckung
-> daher häufig: zweite Verurteilung
Sondersituation: Zwangsgeld
-> beachte: Abs. 3 bei Richtlinienumsetzung
Grundfreiheiten - Prüfungsschema
I. Schutzbereich
kein spezielles Sekundärrecht
unmittelbare innerstaatliche Anwendbarkeit
Grenzüberschreitender Sachverhalt
Sachlich
keine Bereichsausnahme
persönlich
II. Beeinträchtigung
Handeln eines Verpflichteten
Diskriminierung
a) Offene Diskriminierung
b) Versteckte (mittelbare) Diskriminierung
Beschränkung
III. Rechtfertigung
Ausdrückliche Schranken
Ungeschriebene Schranken
Schranken-Schranken
Vorabentscheidungsverfahren, Art. 267 AEUV
I. Annahmefähigkeit der Vorlagefrage
Zuständigkeit
-> Sachliche Zuständigkeit des EuGH (Art. 256 Abs. 3 AEUV i. V. m. Art. 19 Abs. 3lit. b) EUV), solange in der Satzung noch keine Festlegung über Zuständigkeit desEuG getroffen worden ist (Art. 23 Abs. 1 EuGH-Satzung)
Vorlagegegenstand
> Vorlagefrage zur
(1) Auslegung des primären und abgeleiteten Unionsrechts (Art. 267 Abs. 1 lit. a) bzw.b) AEUV)
(2) Gültigkeit von Handlungen der Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen derUnion (Art. 267 Abs. 1 lit. b) AEUV)
Vorlageberechtigung mitgliedstaatlicher Gerichte
= Mitgliedstaatliches „Gericht“ = Eine unabhängige durch oder aufgrund eines Gesetzes eingerichtete Instanz, die im Rahmen einer obligatorischen, nicht bloß gewillkürten Zuständigkeit in einem Verfahren, das auf eine Entscheidung mit Rechtsprechungscharakterabzielt, bindend und unter Anwendung von Rechtsnormen entscheidet.
Vorlagerecht und Vorlagepflicht
a) Vorlagerecht mitgliedstaatlicher Gerichte (Art. 267 Abs. 2 AEUV):
Zweifel an der Gültigkeit oder Auslegung von Unionsrecht und
Erheblichkeit der Vorlagefrage für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits
-> wird generell vermutet
-> Ausnahmen:
wenn die Vorlagefrage offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsverfahrens steht oder
wenn die Vorlagefrage rein hypothetischer Natur ist oder
wenn die zur Beantwortung der Vorlagefragen erforderlichen tatsächlichenoder rechtlichen Angaben unzureichend sind
b) Vorlagepflicht mitgliedstaatlicher Gerichte:
wenn die Entscheidung im Ausgangsverfahren nicht mehr mit Rechtsbehelfendes innerstaatlichen Rechts angegriffen werden kann (konkreteBetrachtungsweise; Art. 267 Abs. 3 AEUV) oder
wenn eine Unionshandlung wegen Zweifeln an ihrer Gültigkeit unangewendetbleiben soll (Foto-Frost-Doktrin) oder
wenn im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ein mitgliedstaatlicherVollzugsakt in seiner Anwendung vorübergehend ausgesetzt werden soll(Vorlagepflicht im Hauptsacheverfahren)
c) Ausnahmen von der Vorlagepflicht:
wenn die aufgeworfene Frage bereits in einem gleichgelagerten Fall vorgelegt unddurch den EuGH beantwortet wurde oder
wenn eine gesicherte unionsgerichtliche Rechtsprechung zu dieser Frage vorliegt,durch welche die Rechtsfrage geklärt ist (acte éclairé), oder
wenn die richtige Auslegung des Unionsrechts so offensichtlich ist, dass keinRaum für vernünftige Zweifel an der Entscheidung der gestellten Frage bleibtund die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und der EuGH keine Zweifel andieser Auslegung haben würden (acte clair).
Vorlagefrage
Die Formulierung der Vorlagefrage muss bei Auslegungsvorlagen abstrakt undausschließlich auf die Auslegung des entscheidungserheblichen Unionsrechts bezogensein
Fragen nach der Gültigkeit eines EU-Rechtsakts müssen konkret formuliert sein:
„Ist Art. X der Verordnung des Rates (...) dahin auszulegen, dass (...)“ bzw.
„Ist Art. X der Verordnung ... rechtsgültig“.Die Vorlage muss alle relevanten rechtlichen und tatsächlichen Tatsachen sowie eineErklärung enthalten, aus welchem Grund die Frage vorgelegt wird.
Form der Vorlage
-> Keine besonderen Formerfordernisse; Art. 23 Abs. 1 EuGH-Satzung sieht lediglichÜbermittlung des Aussetzungs- und Vorlagebeschlusses durch das mitgliedstaatlicheGericht an den EuGH vor.
Keine Bestandskraft des Sekundärrechtsakts bei Gültigkeitskontrolle(Umgehung der Frist des Art. 263 Abs. 6 AEUV)
-> Wäre tatsächlich unterlasseneErhebung der Individualnichtigkeitsklage nach Art. 263 Abs. 4 AEUV offensichtlichzulässig gewesen?
-> Wenn ja, ist die Gültigkeitsvorlage gemäß Art. 267 AEUV nach Ablauf der Nichtigkeitsklagefrist unstatthaft
II. Beantwortung der Vorlagefrage durch Urteil des EuGH
Auslegung des vorgelegten Primärrechts (Art. 267 Abs. 1 lit. a) AEUV) oder dervorgelegten Unionsrechtshandlung (Art. 267 Abs. 1 lit. b) AEUV) im Urteilstenor undVorgabe der Auslegungskriterien in den Entscheidungsgründen, um dem mitgliedstaatlichen Gericht die Vereinbarkeitsprüfung der nationalen mit der unionalenRechtsnorm zu ermöglichen.
Gültig- bzw. Ungültigerklärung der Organhandlung im Urteilstenor und Feststellung derVereinbarkeit bzw. Unvereinbarkeit mit höherrangigem Unionsrecht in den Entscheidungsgründen (Art. 267 Abs. 1 lit. b) AEUV)
III. Rechtskraftwirkungen des Vorabentscheidungsurteils
Für mitgliedstaatliche Gerichte:
> Die Vorabentscheidung bindet das vorlegende sowie sämtliche in der gleichenRechtssache entscheidenden (Instanz-)Gerichte in anderen Verfahren:
(1) Auslegungsurteile entfalten eingeschränkte erga omnes-Rechtskraftwirkungen
-> Mitgliedstaatliche Gerichte sind verpflichtet, das Unionsrecht in der Auslegung desEuGH anzuwenden oder bei Zweifeln an der Richtigkeit der Auslegung erneutvorzulegen. Die erga omnes-Urteilswirkung sperrt nicht künftige Vorlagen,sondern verbietet lediglich eigenmächtiges Abweichen von der Vorabentscheidungdurch mitgliedstaatliche Gerichte. Vor einem Abweichen ist der nationale Richterstets vorlageverpflichtet
(2) Ungültigkeitsurteile entfalten dagegen umfassende erga omnes-Rechtskraftwirkungen:
-> Ungültigkeitsfeststellung schließt erneutes Vorlageverfahren aus, nur beiGültigkeitsentscheidung können die nationalen Gerichte bei neuen Zweifelnerneut vorlegen.
Für mitgliedstaatliche Verwaltungsorgane:
Vorabentscheidungen binden auch nationale Verwaltungsorgane.
DieseBindungswirkung umfasst die Pflicht, ggf. vor Tätigwerden des mitgliedstaatlichenGesetzgebers das nationale Recht unionskonform auszulegen bzw. eine mit demUnionsrecht unvereinbare nationale Vorschrift unangewendet zu lassen.
Zeitliche Wirkung:Vorabentscheidungsurteile entfalten grundsätzlich Rückwirkung (ex tunc-Wirkung)
-> EuGH kann jedoch die Wirkungen seiner Auslegungs- undUngültigkeitsentscheidungen unter bestimmten Voraussetzungen ex nunc begrenzen
Nichtigkeitsklage, Art. 263 AEUV
Sachliche Zuständigkeit
EuG zuständig für Klagen von natürlichen und juristischen Personen undbestimmte Klagen der Mitgliedstaaten (Art. 256 Abs. 1 AEUV i. V. m. Art. 51EuGH-Satzung)
EuGH zuständig für Organklagen und sonstige Klagen der Mitgliedstaaten
Fachgerichtszuständigkeit nach Art. 257 AEUV
Parteifähigkeit
a) aktive Parteifähigkeit
Mitgliedstaaten, Kommission, Rat, Parlament (Art. 263 Abs. 2 AEUV)
Rechnungshof, EZB, Ausschuss der Regionen (Art. 263 Abs. 3 AEUV)
natürliche und juristische Personen (Art. 263 Abs. 4 AEUV)
b) passive Parteifähigkeit
Rat, Kommission, Europäisches Parlament, EZB, Europäischer Rat,Einrichtungen und sonstige Stellen der Union
Klagegegenstand
a) Organklagen oder Klagen der Mitgliedstaaten
Verordnungen
Richtlinien
Beschlüsse
alle anderen Handlungen der Unionsorgane, soweit dazu bestimmt, Rechtswirkungen nach außen zu erzeugen; keine GASP-Maßnahmen außer nach Art. 275 Abs. 2 AEUV
b) Individualklagen
an Kläger gerichtete Handlungen (Beschluss i. S. v. Art. 288 Abs. 4 Satz 2AEUV)
sonstige Handlungen
Rechtsakte mit Verordnungscharakter (= Normativakte, die keineGesetzgebungsakte sind), die keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen
Richtiger Beklagter
-> Die Nichtigkeitsklage ist gegen das Unionsorgan zu richten, das den streitgegenständlichen Rechtsakt erlassen hat.
a) Rat, Kommission, Parlament sowie die Mitgliedstaaten sind ohne Weiteresklageberechtigt (Art. 263 Abs. 2 AEUV).
b) Rechnungshof, EZB und Ausschuss der Regionen sind nur klageberechtigt, wenndie Nichtigkeitsklage dem Schutz der eigenen (organschaftlichen) Befugnisse dient(Art. 263 Abs. 3 AEUV).
c) Bei natürlichen und juristischen Personen ist zu differenzieren:
als Adressaten einer angefochtenen Handlung sind sie uneingeschränktklageberechtigt (Art. 263 Abs. 4, 1. Alt. AEUV), ansonsten nur:
wenn sie unmittelbar und individuell durch den angegriffenen Rechtsaktbetroffen sind (Art. 263 Abs. 4, 2. Alt. AEUV):
„Betroffenheit“ = Beeinträchtigung eines tatsächlichen Interesses des Klägers
„unmittelbar“ = Rechtsakt selbst und nicht erst eine in seiner Folgehinzutretende Durchführungsmaßnahme greift in den Interessenkreis desKlägers ein (formelle unmittelbare Betroffenheit)
-> außer wenn der Durchführungsakt gewiss ist, zwingend ergehen muss (agency-Situation) oderbereits erlassen wurde (materielle unmittelbare Betroffenheit)
„individuell“ = streitige Vorschrift berührt den Kläger wegen bestimmterpersönlicher Eigenschaften oder besonderer, ihn aus dem Kreis aller übrigenPersonen heraushebender Umstände und individualisiert ihn daher in ähnlicherWeise wie den Adressaten einer Entscheidung (alten Rechts) („Plaumann-Formel“)
bei Rechtsakten mit Verordnungscharakter, die keinen Durchführungsakt nachsich ziehen, genügt unmittelbare Betroffenheit (Art. 263 Abs. 4, 3. Alt. AEUV)
Geltendmachung eines Nichtigkeitsgrundes (Art. 263 Abs. 2 AEUV)
-> Der Kläger muss das Vorliegen der von ihm behaupteten Nichtigkeitsgründe schlüssigdarlegen.
Form der Klageerhebung
-> Die Klageschrift muss den Vorschriften des Art. 21 Abs. 1 Satz 2 EuGH-Satzung sowie des Art. 38 VerfO-EuGH bzw. Art. 76 VerfO-EuG genügen.
-> Klageerhebung binnen zwei Monaten nach Bekanntgabe oder Kenntniserlangung(Art. 263 Abs. 6 AEUV)
-> Nur problematisch, wenn der fehlerhafte Rechtsakt zum Zeitpunkt der Klageerhebungbereits aufgehoben oder der Mangel vollständig beseitigt ist, ein spezifischesRechtsschutzbedürfnis liegt in diesen Fällen dennoch vor, wenn:
konkrete Wiederholungsgefahr besteht,
Rechtsfragen von grundlegender Bedeutung für das Funktionieren der Unionbetroffen sind oder
die Verurteilung des Unionsorgans die Grundlage für einenAmtshaftungsanspruch des Klägers gegen die Union begründen kann (Art. 340Abs. 2 AEUV)
Die Nichtigkeitsklage ist begründet, wenn der angefochtene Rechtsakt des beklagtenUnionsorgans mit einem der in Art. 263 Abs. 2 AEUV genanntenNichtigkeitsgründe – zumindest teilweise – behaftet ist und dieser unionsrechtlicheVerstoß vom Kläger geltend gemacht oder vom Gericht ex officio aufgegriffen wird.
abschließenden Nichtigkeitsgründe:
Unzuständigkeit
Verletzung wesentlicher Formvorschriften
Verletzung der Verträge oder einer bei ihrer Durchführung anzuwendendenRechtsnorm
Ermessensmissbrauch
Stellt der Gerichtshof die Fehlerhaftigkeit des angegriffenen Rechtsakts fest, so erklärt er die angefochtene Handlung rückwirkend (ex tunc) und gegenüber jedermann (ergaomnes) für nichtig (Art. 264 Abs. 1 AEUV)
Erklärt der EuGH eine Handlung fürnichtig, so kann er gleichwohl die Rechtswirkungen des für nichtig erklärtenRechtsakts oder einzelner Bestimmungen desselben aufrechterhalten (vgl. Art. 264Abs. 2 AEU
Grundfreiheiten - Beeinträchtigung des Schutzbereichs
II. Beeinträchtigung des Schutzbereichs
Beeinträchtigung durch Handeln eines Mitgliedstaates möglich
-> Mitgliedstaaten und Untergliederungen sind verpflichtet
EU und Organe haben Grundfreiheiten zu beachten
str.: Verpflichtung von Subjekten des Privatesrechts
-> EuGH hat dies für den Fall anerkannt, dass private Verbände eine ähnliche Macht wie der Staat ausübt
ansonsten effektive Durchsetzung der Grundfreieheiten gefährdet
Vorliegen einer Diskriminierung
> vorliegend, wenn ein grenzüberschreitender Sachverhalt schlechter behandelt wird als ein Vorgang, der sich nur im Mitgliedstaat abspielt (weiter Diskrimminierungsbegriff)
a) offene Diskriminierung
= wenn eine Maßnahme ausdrücklich zwischen dem inländischen udn dem grenzüberschreitenden Sachverhalt differenzieren
b) versteckte Diskriminierung
= wenn Produkte oder Personen aus dem EU-Ausland zwar nicht ausdrücklich schlechter behandelt werden, jedoch sie die mitgliedstaatliche Maßnahme typischerweise stärker belastet, als die rein inländichen Personen oder Produkte
Vorliegen einer Beschränkung
a) Dassonville-Formel
Beeinträchtigungen können nicht allein durch Diskriminierungen geschehen
-> auch durch unterschiedlos wirkende Maßnahmen
= Beschränkung liegt vor, wenn eine staatliche Regelung den grenzüberscheitenden Verkehr mittelbar oder unmittelbar behindert oder behindern kann, unabhängig davon, ob sie diskriminierend oder unterschiedslos wirkt
b) Ausklammerung i.S.d. sog. Keck-Rspr.
bzgl. Warenverkehrsfreiheit: Verneinung eines Eingriffs durch EuGH, wenn eine unterschiedslos, also nicht diskriminierend wirkende mitgliedstaatliche Maßnahme Verkaufsmodalitäten regelt
-> Unterscheidung zw. produktbezogenen (Eingriff) und vertriebsbezogenen (kein Eingriff) Maßnahmen
-> Korrektur der Dassonville-Formel
auch Übertragung auf Personenverkehrsfreiheit
-> Differenzierung zwischen dem “OB” und dem “WIE”
-> bei “WIE” nicht unbedingt Eingriff
-> Eingriff auch durch Unterlassen möglich
Pflicht zum Tätigwerden zum Schutze der Grundfreiheiten folgt aus Loyalitätsgebot aus Art. 4 III EUV
Grunfreiheiten: Schutzbereich (sachlicher SB extra!)
-> kein Sekundärrecht, das den streitigen Fall regelt
-> wenn doch: Überprüfung der fraglichen Maßnahme ausschließlich am Sekundärrecht (lex specialis)
= alle Grundfreiheiten sind unmittelbar innerstaatlich anwendbar und begründen Individualrechte, so dass sich der Begünstigte ggü. Gerichten und Behörden auf sie berufen kann
-> nur kurz festzustellen
> keine Anwendung auf Sachverhalte, die die Grenzen eines Mitgliedstaates nicht überschreiten
kann dazu führen, dass Unionsbürger besse gestellt sind als Staatsbürger
-> keine Erfassung der sog. Inländerdiskriminierung
Sachlicher Schutzbereich
a) Warenverkehrsfreiheit, Art. 34 AEUV
erfasst den grenzüberschreitenden Handel mit körperlichen und sonstigen gegenständen, die einen Marktwert haben und Gegenstand eines Handelsgeschäftes sein können
Waren = alle Objekte, die Gegenstand von Handel sind in zumindest einem Land legal sind
beachte Art. 28 II AEUV: “aus den Mitgliedstaaten stammende Waren” wenn dort die letzte wirtschaftlich gerechtfertigte wesentliche Verarbeitung in dazu eingerichteten Unternehmen durchgeführt wurde und zu einer neuen relevanten Herstellungsstufe geführt hat
“Waren aus dritten Ländern, die sich in den Mitgliedstaaten im freien Verkehr befinden” = dass die Einfuhrförmlichenkeiten in dem betreffenden Mitgliedstaat erfüllt, die vorgeschriebenen Zölle und Abgaben gleicher Wirkung erhoben und nicht rückvergütet worden sind, Art. 29 AEUV
b) Arbeitnehmerfreizügigkeit, Art. 45 AEUV
= Arbeitnehmer sind Personen, die während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbirngen, für die sie als Gegenleistung enen Vergütung erhalten
Tätigkeit darf nicht einen so geringen Umfang haben, dass sie als völlig untergeordnet und unwesentlich zu qualifizieren ist
Inhalt ergibt sich aus Art. 45 III AEUV
c) Niederlassungsfreiheit, Art. 49 AEUV
= Die auf Dauer angelegte, selbstständige (vgl. Art. 49 II AEUV) Berufsbetätigung an einem festen Standort in einem anderen Mitgliedstaat
Selbstständigkeit grenzt die Niederlassungsfrehiet von der Arbeitnehmerfreizügigkeit ab
-> erfordert Tätigwerden auf eigene Rechnung und eigenes Risiko
d) Dientsleistungsfreiheit, Art. 56 AEUV
= eine Dienstleistung ist eine selbstständige Tätigkeit, die in der Regel gegen Entgelt erbracht wird, zeitlich begrenzt ist (Art. 57 III AEUV) unf eine Grenze überschreitet
Abgrenzung zur Niederlassungsfreiheit: vorübergehende, nicht dauerhafte Tätigkeit
Abgrenzung zur Arbeitnehmerfreizügigkeit: Voraussetzung der Selbstständigkeit
e) Kapitalverkehrsfreiheit, Art. 63 I AEUV
= Kapitalverkehr beinhaltet jede über die grenzen eines Mitgliedstaates der EU hinweg stattfindende einseitige Übertragung von Geld- oder Sachkapital, die primär zu Anlagezwecken erfolgt
Zahlungsverkehrsfreiheit schützt den Transfer von Kapitalmitteln als Gegenleistung i.R. e. Vertrags
-> notwendige Gegenstück zu anderen Grundfreiheiten
-> sachlicher SB kann weit ausgelegt werden
-> Art. 45 IV, 51 I, 62 i.V.m. Art. 51 I AEUV
keine Schranke, sindern bestimmte Bereiche werden vom SB ausgeschlossen
enge Auslegung wegen Ausnahmecharakter
-> nur Tätigkeiten, die eine unmittlebare oder mittelbare Teilnahme an der Ausübung hoheitlicher Befugnisse und an der Wahrnehmung von Aufgaben mit sich bringen, die auf die Wahrung der allgemeinen Belange des Staates gerichtet sind, sodas sie ein Verhältnis besonderer Verbundenheit des jeweiligen Stelleninhabers zum Staat sowie die Gegenseitigkeit der Rechte und Pflichten voraussetzt, die dem Staatsangehörigkeitsband zugrunde liegen
Persönlicher Schutzbereich
> Warenverkehrsfreiheit und Kapitalverkehrsfreiheit: Staatsangehörigkeit des Herstellers oder Käufers unerheblich
> Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit schützen auch Gesellschaften
Kriterium des Erwerbszwecks ist weit auszulegen
Grundfreiheiten - Rechtfertigung der Beeinträchtigung
III. Rechtfertigung der Beeinträchtigung
-> Abschließende Aufzählung in Art. 36, 45 III, 52 (i.V.m. Art. 62), 64 I, 65 I AEUV
-> enge Auslegung
Rechtfertigung nur durch eine ausdrückliche Schranke
-> Vorliegen eines erheblichen Verstoßes gegen das Ziel des gemeinsamen Binnenmarktes
b) versteckte Diskriminierungen/Beschränkungen
Abgrenzung zw. versteckter Diskriminierung und sonstigen Beschränkunge (Dassonville) schwierig
-> Gleichbehandlung bzgl. Rechtfertigung
Beachte: cassis de Dijon-Rspr. bei allen Grundrechte anwendbar
Beeinträchtigung gerechtfertigt, wenn zwingende Gründe des Allgemeinwohls für den Eingriff sprechen
-> zwingende Gründe keine wirt. Interessen
Schranken-Schrankn
a) Verhältnismäßigkeit
b) sonstiges Primärrecht
-> insbes. keine Verletzung der EU-Grundrechte (Art. 6 I UAbs. 1 EUV i.V.m. GR-Charta)
-> Prüfungsaufbau wie bei deutschen GR:
Schutzbereich:
-> persönlich und sachlich
persönlich: alle natürlichen Personen, außer das GR nennt ausdrücklich nur Unionsbürger
-> bei jur. Personen: gleiche Problematik wie bei deutschen GR
sachlich: beachte Transferklausel Art. 52 III 1 GR-Charta
Eingriff
= eine hinreichende direkte und bedeutsame Auswirkung auf das grundrechtlich geschützte Verhalten
Rechtfertigung
falls Grundrecht seinem Schutz nach nur Maßnahmen des nationalen Rechts entfaltet: nationales Recht regelt Schranken
wenn nicht: Art. 52 I - III GR-Charta
Schranken-Schranken: Wesensgehaltsgarantie und Verhältnismäßigkeitsprinzip, Art. 52 I 1, 2 GR-Charta
Individualbeschwerde, Art. 34 EMRK
A. Zulässigkeit
I. Zuständigkeit des EuGHMR (Art. 34 EMRK)
-> Entscheidung über Individualbeschwerde (zur Staatenbeschwerde s. Art. 33 EMRK)
II. Beschwerdefähigkeit
Natürliche Personen
Nichtstaatliche Organisationen
Sonstige Personengruppen
III. Beschwerdegegenstand
Staatliches Verhalten (Tun und Unterlassen – Abwehrrecht und positive Pflichten [Schutzpflichten])
Problem: „Beteiligung“ der EG/EU, insbes.: Durchführung von Gemeinschaftsrecht durch dieVertrags- und Mitgliedstaaten ohne eigenen Entscheidungsspielraum (Verordnungs-vollzug: Bosphorus-Konstellation [konventionsrechtliche Verantwortlichkeit nachArt. 1 EMRK]).
IV. Beschwerdebefugnis
-> Behauptung, durch das staatliche Verhalten in einem der in der Konvention oder den Protokollendazu anerkannten Rechte verletzt zu sein: plausible Darlegung der
eigenen,
gegenwärtigen und
unmittelbaren Betroffenheit(
-> Problem: Eingriffsgefahr, insbes. in Abschiebungsfällen: real risk-Test
V. Rechtswegerschöpfung (Art. 35 Abs. 1 EMRK)
-> Ergreifen aller innerstaatlichen Rechtsbehelfe, mit welchen wenigstens sinngemäß der geltendgemachten Konventionsverletzung abgeholfen werden kann
in Deutschland einschl. derVerfassungsbeschwerde [z.T. streitig, insbes. bei überlanger Verfahrensdauer]
VI. Beschwerdefrist (Art. 35 Abs. 1 EMRK)
-> sechs Monate ab endgültiger innerstaatlicher Entscheidung
VII. Form (Art. 35 Abs. 2 lit. a EMRK)
-> insbes. keine anonyme Beschwerde (Art. 35 Abs. 2 lit. a EMRK)
VIII. Entgegenstehende Rechtskraft und Befassung anderer internationalerInstanz (Art. 35 Abs. 2 lit. b EMRK)
-> bei „wesentlicher Übereinstimmung“ und Fehlen neuer Tatsachen (insbes. Menschenrechtsaus-schuss der Vereinten Nationen)
B. Begründetheit
-> Die Individualbeschwerde ist begründet, wenn das angegriffene staatliche Verhalten (Tun oderUnterlassen) Rechte des Beschwerdeführers aus der Konvention oder ihren Zusatzprotokollen verletzt undkein entgegenstehender zulässiger Vorbehalt nach Art. 57 EMRK eingreift.
I. Vorbehalt (Art. 57 EMRK)
-> Selten!
Wenn Vorbehalt in Rede steht i.d.R. Zulässigkeit problematisch (insbes. keine allgemeinen Vorbehalte [Art. 57 Abs. 1 EMRK] + kurze Darstellung des entsprechendenGesetzes [Art. 57 Abs. 2 EMRK])
II. Rechtsverletzung
Schutzbereich
Beeinträchtigung
Eingriff oder Nichterfüllung von positiven Pflichen (Schutzpflichten)
Abgrenzung wird vom EuGHMR häufig offen gelassen, Entscheidung im Wege derAbwägung nach ähnlichen Grundsätzen („faires Gleichgewicht“/fair balance-Formel)
-> s. insbes. die Absätze 2 der Art. 8 bis 11 EMRK – keine Rechtfertigung beiEingriff in Art. 3 EMRK [str. – Folterfälle] – Bedeutung des Beurteilungsspielraums derVertragsstaaten [sog. margin of appreciation], wobei eine besondere Begründungslastbesteht, wenn ein Vertragsstaat von der mehrheitlichen Praxis anderer abweicht
III. Ggf. Entschädigung (Art. 41 EMRK)
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