Was ist das Gedächtnis?
Gedächtnis = Sammelbegriff für Prozesse und Systeme, die für die
Einspeicherung,
die Aufbewahrung,
den Abruf,
das Vergessen und
die Anwendung
von Informationen zuständig sind, sobald die ursprüngliche Quelle der Information nicht mehr verfügbar ist.
kein einheitliches Konzept
Unterschiedliche Systeme, Prozesse, Defizite
Welche evolutionären Vorteile bieten Lernen und Erinnerung?
es wird möglich zukünftige Ergebnisse auf der Grundlage von Erfahrungen vorherzusagen und sich an neue Situationen anzupassen.
Kann das Gedächtnis vollständig verloren werden?
es gibt keine Fälle, in denen das Gedächtnis vollständig verloren geht oder gestört wird
sogar Patient*innen mit Amnesie können lernen und sich an bestimmte Dinge erinnern
Wie kann man die Gedächtnissysteme unterscheiden?
Die unter dem Begriff Gedächtnis zusammengefassten Speichersysteme (Gedächtnissysteme) können hinsichtlich der
Zeit,
der Modalitäten (verbales vs. nonverbales),
der beteiligten Prozesse
oder des Bewusstseinsgrades der jeweiligen Gedächtnisfunktion
unterschieden werden.
Welche Gedächtnissysteme werden unterschieden?
Gedächtnissysteme - Kapazität und Dauer
Sensorische Aufzeichnungen (Millisekunden)
Kurzzeitgedächtnis
Sekunden bis Minuten (Wiederholung)
Magische Zahl 7 (plus minus 2)
Arbeitsgedächtnis
Neuere Erinnerung (mittelfristig)
Langzeitgedächtnis (Jahre bis zum Leben)
Was enthält der sensorische Speicher?
Echoische Erinnerung -> auditiv
Ikonische Erinnerung -> visuell
Haptisches Gedächtnis
Atkison & Shiffin Model
Das einflussreiche Modell von Atkinson und Shiffrin (1968) betrachtete das Kurzzeitgedächtmnis als eine einzige Einheit, die für das gesamte Langzeitlernen unerlässlich ist.
Kritik am Atkison & Shiffin Modell
wenn sowohl das KZG für verbales Material (z.B. Wörter) als auch das KZG für visuell- räumliches Material (z.B. Routen) dasselbe System mit begrenzter Kapazität nutzen, dann sollte es nicht möglich sein, beide Arten von Informationen gleichzeitig im Gedächtnis zu behalten, ohne dass es zu erheblichen Interferenzen kommt.
Dies ist jedoch nicht der Fall, was darauf hindeutet, dass es verschiedene Arten von Kurzzeitgedächtnis gibt, je nach Art der Informationen, die im Gedächtnis gespeichert werden (z.B. verbal, visuell), die jeweils ihre eigene begrenzte Kapazität haben.
einige Arten des langfristigen Lernens (z.B. das Zuordnen von Wörtern) sind möglich trotz beeinträchtigtem KZG (Warrington & Shallice, 1969) —> der Zugriff auf das LZG kann getrennt vom KZG erfolgen.
Mehrkomponentenmodell - Baddeley & Hitch
Es wurde als ein Modell des Arbeitsgedächtnisses und nicht nur des KZG betrachtet.
URSPRÜNGLICH
besteht aus drei Komponenten.
zwei Speicherkomponenten:
für verbales Material ->die phonologische Schleife)
für visuelles Material -> visuell-räumlichen Skizzenblock
zentrale Exekutive
koordiniert die Speicherkomponenten und die Kognition im Allgemeinen, indem sie Aufgabenziele festlegt, kognitive Routinen einleitet und beendet, usw.
In der Folge wurde ein zusätzliches KZG-System - der episodische Puffer - in das Modell aufgenommen
um Informationen aus dem episodischen LZG zu erhalten und zu verarbeiten
Was ist das Arbeitsgedächtnis?
Arbeitsgedächtnis = Ein System für die vorübergehende Speicherung und Bearbeitung von Informationen.
Was ist der Hauptunterschied zwischen Arbeitsgedächtnis & Kurzzeitgedächtnis?
Der Hauptunterschied besteht darin, dass das Arbeitsgedächtnis eine umfassendere Rolle bei der Kognition (Denken, Verstehen usw.) spielt, während das Kurzzeitgedächtnis oft als passiveres Behalten von Material verstanden wird.
Alternative Modelle
Grundanahme —> Es gibt keine Kurzzeitspeicher.
Arbeitsgedächtnis = vorübergehende Aktivierung von Langzeitspeichern
(einschließlich der Wahrnehmungsrepräsentationen von Wörtern und Objekten) durch ein präfrontales/exekutives System
(Cowan, 2001; D'Esposito & Postle, 2015).
Wie wird das Langzeitgedächtis am häufigsten eingeteilt?
Worauf geht diese Einteilung zurück?
am gebräuchlichsten ist die Einteilung hinsichtlich des Bewusstwerdens der jeweiligen Gedächtnisprozesse.
Explizites/deklaratives Gedächtnis -> bewusst
Implizites/nicht deklaratives Gedächtnis -> unbewusst
Diese Einteilung geht v. a. auf Studien mit und Beobachtungen von Läsionspatienten zurück, durch die gezeigt werden konnte, dass Patienten mit Läsionen in mesiotemporalen Hirnbereichen (insbesondere im Hippocampus) typischerweise einen Verlust oder zumindest eine Einschränkung von Gedächtnisinhalten aufweisen, die normalerweise bewusst angegeben werden können, v. a. Fakten oder Episoden (z. B. wer wann was mit wem gemacht hat).
Unbewusste Gedächtnisinhalte, z. B. Handlungsabläufe (Autofahren, sportliche Tätigkeiten), aber auch Regeln (z. B. Grammatikregeln) sowie Wahrnehmungsaspekte bleiben bei Läsionen des mesiotemporalen Gedächtnissystems erhalten.
Was enthält das deklarative Gedächtnis?
Semantisches Gedächtnis
Episodisches Gedächtnis
Was enthält das nicht-deklarative Gedächtnis?
perzeptuelles Wissen
prozedurales Gedächtnis
Gewohnheiten und motorische Programme
Mühsames/schrittweises Lernen
Wiederholung und Übung
Automatische Aktivierung
Fertigkeiten
Priming
Konditionierung
Was bedeutet Priming?
Priming: Die Exposition gegenüber einem Reiz (z. B. einem Wahrnehmungsmuster oder einem Wort) beeinflusst die Reaktion auf einen anderen Reiz.
z.B. Anhand von wenigen Tönen eine Melodie erkennen
Wie äußert sich Priming auf einer neuronalen Ebene?
Die neuronale Signatur des Primings scheint eine reduzierte Aktivität bei der zweiten Präsentation im Vergleich zur ersten zu sein (Schacter & Badgaiyan, 2001).
Welche Hirnregionen betrifft Priming wahrscheinlich?
Bildgebende Studien (Schacter & Badgaiyan, 2001) und ein Bericht über einen Patienten mit einer Läsion des Okzipitallappens (Gabrieli et al., 1995) stimmen mit der Vorstellung überein, dass das Priming Hirnregionen betrifft, die an der Wahrnehmung beteiligt sind.
Was enthält das prozedurale Gedächtnis?
Verhaltensgedächtni
Prozedurales Gedächtnis, z.B. Fahrrad fahren
Welche Bereiche sind beim prozeduralen Gedächtnis besonders wichtig?
Die Basalganglien wichtig sind für das Erlernen von prozeduralen Fähigkeiten und Gewohnheiten (Packard & Knowlton, 2002)
Welches Spiel gibt einen Hinweis auf implizites Lernen?
Knowlton et al. Spiel zur Wettervorhersage
Knowlton et al. (1994) haben ein Spiel zur Wettervorhersage entwickelt
Aufgabe
Geometrische Formen vorhersagen das Wetter mit einem gewissen Grad an Sicherheit (60-85 Prozent Vorhersagekraft)
Die Teilnehmer haben oft das Gefühl, dass sie raten, obwohl sie bei 50-100 Versuchen einen Lernerfolg zeigen. D.h. es gibt Hinweise auf implizites Lernen.
Was ist das semantische Gedächtnis?
Organisierter Wissensbestand über Wörter und Konzepte, kulturell erworbene Fakten/ formale Bildung
Was ist das episodische Gedächtnis?
Worauf beziehen sich die Erinnerungen im episodischen Gedächtnis?
episodisches Gedächtnis: Z.B. der erste Kuss
Explizites und deklaratives Gedächtnissystem,
das sich auf die Encodierung, Konsolidierung und Abruf von Erinnerungen an
persönlich erlebte Ereignisse bezieht,
die mit bestimmten zeitlich und räumlich definierten Kontexten in Verbindung gebracht werden können.
Das episodische Gedächtnis ist ein Ich-Erinnerungsmerkmal, d.h. die Erinnerungen beziehen sich auf einen selbst als Beobachter/Teilnehmer.
In welche Phasen können Gedächtnisprozesse eingeteilt werden?
Die Gedächtnisprozesse können in vier Phasen eingeteilt werden.
(1) Encodierung
(2) Konsolidierung
(3) Abruf
(4) Vergessen.
Was ist Encodierung?
Encodierung
erste Phase des Gedächtnisprozesses.
Sie wird häufig synonym mit dem Begriff Lernen verwendet.
Man versteht darunter die Abspeicherung bzw. Einspeicherung von Informationen.
Was ist Konsolidierung?
Konsolidierung
Konsolidierung = Prozess, durch den
momentane Veränderungen der Gehirnaktivität
in
dauerhafte strukturelle Veränderungen
im Gehirn umgesetzt werden
(z.B. durch die Bildung neuer neuronaler Verbindungen).
Was bedeutet Retention?
Konsoloidierung:
Die gespeicherten Informationen müssen aufrechterhalten werden. Man spricht in diesem Zusammenhang von Retention (englisch: retention).
Während dieser Phase (Retentionsphase oder Retentionsintervall) kann es zu einer neuronalen Festigung dieser Information (der Gedächtnisspur) kommen.
Was ist mit Abruf gemeint?
Um Gedächntiseinträge zu nutzen, müssen sie aus dem Gedächtnisspeicher abgerufen werden (engl. Recall)
Warum vergesssen wir etwas?
Vergessen = Die gespeicherten Informationen können verloren gehen oder mit der Zeit verblassen.
Warum vergessen wir was?
Registrierung/Encodierung nicht möglich
Wir können uns nicht erinnern
Kein Abruf möglich
Wir haben Informationen verloren - Keine Konsolidierung - “Vergessen”
Was bildet die anfängliche Bildung von Erinnerungen?
Erhöhung der Wahrscheinlichkeit, dass ein postsynaptisches Neuron feuert.
als Reaktion auf von präsynaptischen Neuronen freigesetzte Neurotransmitter
Im Labor wurde dies durch die Anwendung kurzer, hochfrequenter Stimulationen auf präsynaptische Neuronen untersucht.
Was ist Langzeitpotenzierung?
Langzeitpotenzierung (LTP)
Die induzierte Veränderung der Reaktionsfähigkeit des postsynaptischen Neurons wird als Langzeitpotenzierung (oder LTP) bezeichnet.
Diese synaptische Konsolidierung, die ursprünglich im Hippocampus untersucht wurde, erweist sich als eine universelle Eigenschaft des Nervensystems.
darauf basiert die schnelle synaptischen Konsolidierung, die überall im Nervensystem stattfinden kann
Welche Arten der Konsolidierung werden unterschieden?
Dudai (2004) - zwei Arten der Konsolidierung:
einer schnellen synaptischen Konsolidierung, die überall im Nervensystem stattfinden kann (und auf LTP basiert), und
einer langsameren Systemkonsolidierung, die insbesondere mit dem Hippocampus und dem deklarativen Gedächtnis zusammenhängt.
Was besagt Ribots Gesetz?
Die Erinnerung an Ereignisse in der retrograden Periode weist ein zeitliches Gefälle auf, sodass
Erinnerungen an frühere Lebensabschnitte leichter abrufbar sind als solche an spätere Lebensabschnitte.
Was besagt die Standardkonsolidierungstheorie?
Konsolidierungstheorie
ein Ereignis ist umso stärker konsolidiert,
je älter es ist, und
je weniger es vom Hippocampus abhängig ist
-> Die Erinnerung wird also langsam vom Hippocampus auf den Kortex übertragen.
Aber es gibt andere Erklärungen. Z.B konnektionistische Modelle.
Mehrspurentheorie
Theorie der kortikalen Karten
Was besagt die Mehrspurentheorie/ Spurentransformationstheorie?
Wie wird sie kritisiert?
bei jedem Abruf eines Ereignisses werden mehrere Gedächtnisspuren des Ereignisses erzeugt
und in verschiedenen Teilen des medialen Temporallappens abgelegt
-> ältere Ereignisse sind also aufgrund dieser multiplen Spuren vor Hirnschäden geschützt.
-> basiert auf Beobachung von zeitliche Gradienten (bei Amnesie)
Kritik:
Neuropsychologie: nicht alle Amnesiepatienten weisen zeitliche Gradienten auf und sind stattdessen bei allen entfernten Erinnerungen beeinträchtigt (Cipolotti et al., 2001).
fMRT: kein Unterschied in der Aktivität des medialen Temporallappens beim Vergleich der Erinnerung an autobiografische Ereignisse aus der jüngsten vs. fernen Vergangenheit (Gilboa et al., 2004).
der Hippocampus ist an einigen permanenten Aspekten der Gedächtnisspeicherung beteiligt (Nadel & Moscovitch, 1997)
Was besagt die Trace-Transformationstheorie ?
Verfeinerung der Mehrspurentheorie —> Trace-Transformationstheorie (Dudai et al., 2015).
nur kontextualisierte Erinnerungen, aber keine schematischen Erinnerungen (=semantisches Gedächtnis) sind vom Hippocampus abhängig
Verschiedene Regionen des medialen Temporallappens können auch unterschiedliche Beiträge zu diesen Prozessen leisten.
fMRI-Studie: der entorhinale Kortex berechnet die Ähnlichkeiten zwischen Ereignissen (schematisch, semantisch), während bestimmte Regionen im Hippocampus berechnen die Unterscheidungsmerkmale von Ereignissen (kontextuell, episodisch) (Bakker et al., 2008).
Der Prozess der Systemkonsolidierung
Erinnerungen werden im Laufe der Zeit umgewandelt (von kontextbezogenen zu schematischen Erinnerungen; obwohl die ursprünglichen kontextbezogenen Erinnerungen nicht verloren gehen müssen) und nicht unverändert von einer Gehirnregion in eine andere übertragen werden.
Was besagt die Theorie der kortikalen Karten?
70er-Jahre: Der Hippocampus enthält eine räumliche Karte der Umgebung
Einzelzellaufzeichnungen im Hippocampus von Primaten (Rolls et al., 1997) und Menschen (Ekstrom et al., 2003)
Funktionelle Bildgebung und Läsionsstudien beim Menschen —> Der Hippocampus speichert groß angelegte allozentrische Karten der Umwelt.
Warum bevorzugt der Hippocampus die jüngste Vergangenheit?
jüngste Erinnerungen enthalten detailliertere kontextuelle Hinweise als entfernte Erinnerungen.
Welche Teile vom Hippocampus spielen bei der Theorie der kortikalen Karten welche Rolle?
rechter Hippocampus: räumliches Gedächtnis
linker Hippocampus: Erinnern und Speichern anderer kontextueller Details
Welche Auffälligkeiten zeigen Patient*innen mit einer Schädigung des Hippocampus bei der Navigation durch die Stadt?
Gruppen von Patienten mit einer Schädigung des linken oder rechten Hippocampus:
Die Patienten mussten lernen, durch die Stadt zu navigieren. Während ihrer Erkundung sammelten sie verschiedene Objekte von verschiedenen Figuren an verschiedenen Orten.
Ihr Gedächtnis wurde durch das Zeichnen von Karten sowie durch das Wiedererkennen von Orten, Figuren und Objekten in einer Zwangsauswahl bewertet.
Patienten mit einer Schädigung des rechten Hippocampus:
Navigation
Zeichnen von Karten
Wiedererkennung von Szenen beeinträchtigt.
Patienten mit einer Schädigung des linken Hippocampus:
Probleme, sich daran zu erinnern, von wem sie die Objekte erhalten hatten und in
welcher Reihenfolge und an welchem Ort sie sie erhalten hatten.
Ist die Beteiligung des Hippocampus am räumlichen Gedächtnis zeitlich begrenzt (wie vom Standard-Konsolidierungsmodell vorhergesagt) oder speichert der Hippocampus permanente räumliche Karten (wie von der kognitiven Kartentheorie und der Multiple-Trace- Theorie vorhergesagt)?
Amnesiepatienten können sich in alten Vierteln zurechtfinden, obwohl sie nicht in der Lage sind, zu lernen, sich in neuen Vierteln zurechtzufinden (Rosenbaum et al., 2000).
—> Dies unterstützt das Standard-Konsolidierungsmodell.
ABER
dieses erhaltene räumliche Gedächtnis scheint schematisch und nicht detailliert zu sein, so dass der Hippocampus noch eine Rolle spielen könnte (Winocur et al., 2010).
z.B. ein Londoner Taxifahrer, der eine bilaterale Schädigung des Hippocampus erlitt, zeigte ein breites Wissen über die Stadt (die Hauptstraßen), aber kein detailliertes Wissen über die Nebenstraßen (Maguire et al., 2006).
Was wurde festgestellt als Londoner Taxifahrer zwei Orte innerhalb der Stadt angeben und eine plausible Route erstellen mussten?
Londoner Taxifahrer müssen eine Prüfung ablegen (genannt "The Knowledge"), bei der sie zwei Orte innerhalb der Stadt angeben und eine plausible Route erstellen müssen
Maguire et al. (2000) untersuchten das Volumen der grauen Substanz von Taxifahrern (mit Hilfe der voxelbasierten Morphometrie) und stellten fest, dass das Volumen im rechten Hippocampus größer ist als bei IQ-gemachteten Personen.
Könnte es sein, dass die Taxifahrer ihren Beruf gewählt haben, weil sie ein besseres räumliches Gedächtnis (und größere Hippocampi) haben?
Die Zeit, die man im Beruf verbringt, korreliert mit dem Volumen der Region.
Bestätigung durch eine Längsschnittstudie über das Gehirnvolumen der Hippocampi von Londoner Taxifahrern, während sie sich detailliertes Wissen über die Stadt anlernen (Woollett & Maguire, 20
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