Klinische Diagnose der klassischen Migräne ohne Aura
Anamnestisch mind. fünf Attacken, die folgende Kriterien erfüllen und nicht auf eine andere Erkrankung zuruckzuführen sind:
Dauer (ca. 4-72 Stunden)
Mind. zwei der folgenden Kriterien bzgl. der Kopfschmerzen werden erfüllt:
meist einseitige Lokalisation
pulsierender Charakter
mittlere bis starke Intensität
Verstärkung durch körperliche Tätigkeiten
Auftreten von mind. einem der folgenden Begleitsymptome:
Übelkeit und/oder Erbrechen
Photophobie und Phonophobie
Red Flags Kopfschmerzen + durchzuführende Diagnostik
Akuter Beginn: SAB —> cCT, ggf. Liquor
Fieber+Meningismus: Meningitis, Hirnabszess, SAB —> cCT, cMRT, Liquor
Fokale Ausfälle: zerebrale Ischämie, ICB, Hirntumor —> cCT, cMRT
Assoziierte Halsschmerzen: Dissektion —> Doppler-Sonografie, Hals-MRT
Z.n. Sturz: Subduralhämatom —> cCT
Schwangerschaft: Sinusvenenthrombose -> venöse MR-Angiografie, CT-Angiografie
Vigilanzminderung
Hirndruckzeichen (z.B. Bewusstseinsstörungen oder Übelkeit/massives Erbrechen durch intrakranielle Raumforderung) -> Notfall-cCT
Augenschmerzen (z.B. bei Glaukomanfall)
Migräne mit prolongierter Aura
Aura-Symptome, die länger als 60 Minuten anhalten
Migräne mit Hirnstamm-Aura
= früher: Basilaris-Migräne
Okzipital betonter Kopfschmerz
Hirnnervenausfälle als Aura-Symptome (z.B. beidseitige Gesichtsfeldausfälle oder Doppeltsehen, Dysarthrie, Ataxie, Hörminderung, Tinnitus, SchwindeL)
! keine motorischen Defizite
Sporadische oder familiäre hemiplegische Migräne
Genetisch bedingte sporadische oder erbliche Kanalopathie (häufig Ca2+-Kanal-Defekt), die zu einer Hemiparese bzw. -plegie als Aura-Symptom führt
Pseudomigräne mit Pleozytose
Migräne-Attacken mit oder ohne Aura mit lymphozytärer Liquorpleozytose (erhöhter Zellzahl im Liquor), häufig bei Personen mittleren Alters ohne Migräne-Anamnese, selbstlimitierende Erkrankung, eher immunogen vermittelt
Status migraenosus
Über > 72h anhaltende Migräne-Attacke ohne spontanes Sistieren
Therapie:
Glucocorticoide p.o.
z.B.
Prednisolon p.o. 50-100 mg
Dexamethason p.o. 4-8 mg
Migräne Akuttherapie
NSAR
hochdosiert: Ibu 200-600 mg, ASS 1000 mg, Paracetamol 1000mg
nach Möglichkeit in löslicher Form
10 Minuten vor Einnahme NSAR: Antiemetikum
Kombinationspräparate, z.B. ASS+Paracetamol+Koffein
Triptane
= 5-HT1-Agonisten -> Hemmung der perivaskulären, aseptischen Entzündung im Bereich der Duraarterien; zudem Vasokonstriktion
z.B. Sumatriptan, Almotriptan (orale, nasale, rektale und subkutane Applikation möglich)
Sumatriptan s.c. ist die wirksamste Triptane und hat den schnellsten Wirkeintritt
bei fehlender Wirksamkeit NSAR
Migräneprophylaxe
Indikation:
≥ 3 Attacken/Monat bzw. mehr als 8 Tage Berufsausfall pro Monat
Migräneattacke < 72h oder lang anhaltende Auraphänomene
Nichtansprechen auf Akuttherapie
Z.n. migränösem Hirninfarkt
Lifestyle
Vermeidung von Triggerfaktoren (Identifizierung durch Kopfschmerztagebuch)
ausreichende körperliche Betätigung (v.a. Ausdauersport 3x/Woche)
Medikamentös
Beta-Blocker (Mittel der 1. Wahl; Metoprolol, Propranolol)
Kalzium-Kanal-Blocker (Flunarizin)
Antikonvulsiva (Topiramat, Valproat, Gabapentin, Lamotrigin)
Antidepressiva (Amitriptylin)
Botulinumtoxin
CGRP-Antikörper: Indiziert bei ≥ 4 Migränetagen/Monat (Erenumab, Fremanezumab)
Nicht-Medikamentös
Entspannungsübungen: autogenes Training
Biofeedback, progressive Muskelrelaxation, Meditation
Verhaltenstherapie
DD Migräne-Aura und TIA
Für eine Migräne-Aura und gegen eine TIA sprechen:
subakuter Beginn
wandernde Symptome
Positivphänomene (Kribbelparästhesien statt Hypästhesie, Flimmern statt Hemianopsie)
Symptome, die ein Gefäßterritorium überschreiten (Posterior- und Mediasymptome)
Spannungskopfschmerz Diagnosekriterien
Dauer von 30 min bis 7 Tage
Mindestens zwei der folgenden Charakteristika:
bilaterale Lokalisation
drückend und nicht pulsierend (“Schraubstockgefühl”)
leichte bis mittlere Intensität
keine Verstärkung unter Bewegung
Maximal ein Begleitsymptomr
Foto- oder Phonophobie
keine Übelkeit oder Erbrechen
Therapie Spannungskopfschmerz
Episodisch
medikamentös mit NSAR
Cave: Einnahmefrequenz; nicht > 8x/Monat
Chronisch
Multimodal:
Ausdauertraining
Physiotherapie
Progressive Muskelentspannung nach Jacobson
Prophylaxe Spannungskopfschmerz
Indiziert, wenn:
Häufigkeit < 10 Tage/Monat an mehr als 3 Monaten
Medikamentös:
Amitriptylin
Tizanidin
Mirtazapin
Venlafaxin
Nicht-medikamentös:
Verbessung der Ergonomie am Arbeitsplatz
Analgetikainduzierter Kopfschmerz
≠ medikamenteninduzierter Kopfschmerz
NSAR/ASS/Paracetamol: ≥ 15 Tage/Monat in mehr als 3 Monaten
Triptane/Opioide: ≥ 10 Tage/Monat in mehr als 3 Monaten
Symptomatik ähnelt der des primären Kopfschmerzes, Frequenz des Auftretens erhöht
Therapie
Behandlung der Entzugssymptome
medikamentöse Prophylaxe der zugrundeliegenden Kopfschmerzen
Verhaltenstherapeutische Mitbehandlung
Entzug dauert i.d.R. ca. 1 Woche; bei Triptanen kommt es nach 4 Tagen zu Intensitätssteigerung der zugrundeliegenden Kopfschmerzen
Vestibuläre Migräne
= häufigste Ursache spontan rezidivierender Schwindelattacken im mittleren Lebensalter
Symptome/Klinik
Schwindel als Bewegungsillusion der Umwelt als Migräneaura mit Zeichen einer peripher- oder zentral-vestibulären Störung
vestibuläre Aurasymptome können den migränetypischen Kopfschmerzen vorausgehen oder als isolierte Migräneaura auftreten
Diagnostik
ausführliche Anamnese
bei Erstmanifestation mit zentralen vestibulären Symptomen ist eine MRT-Bildgebung zum sicheren Ausschluss anderer zentraler Ursachen sinnvoll
Migräne: Indikationen für MRT-Zusatzdiagnostik
Erstmaliges Auftreten einer Migräne bei Patienten > 40 Jahre
sehr häufige Aurasymptomatik
veränderung des Kopfschmerzcharakters
bisher effektive Therapie nicht mehr wirksam
außergewöhnliche Klinik (z.B. Ausschluss einer Subarachnoidalblutung)
persistierende neurologische oder psychopathologische Auffälligkeiten
Mögliche Befunde: sog. “White Matter Lesions”
Triptane: Kontraindikationen
Überempfindlichkeit gegenüber dem Wirkstoff oder einem der Hilfsstoffe
KHK, Z.n. MI, Prinzmetal-Angina
pAVK
Ischämische Schlaganfälle, TIA in der Anamnese
Arterielle Hypertonie
Gleichzeitige Therapie mit
MAO-Hemmern
Ergotamin
Schwere Leberinsuffizienz
Eingeschränkte Nierenfunktion
Kinder < 12 Jahre
Schwangerschaft und Stillzeit (muttermilchgängig -> mind. 12h Stillpause nach Einnahme)
Chronische Migräne
Kopfschmerzen an ≥ 15 Tagen/Monat über ≥ 3 Monate, ohne das ein MÜG besteht
Dabei an ≥8 Tagen/Monat typische Migränesymptomatik
Cluster-Kopfschmerz: Kinik
Leitsymptomatik: stärkste einseitige Kopfschmerzattacken mit ipsilateraler autonomer Symptomatik
streng einseitg Augenregion
hohe oder sehr hohe Schmerzintensität; bohrend, stechend, brennend
häufig nachts auftretend
Dauer: 15-180 Minuten
Gehäuftes Auftreten in “Clusterperioden” mit bis zu 8 Attacken pro Tag
Autonome Symptome (mind. eines obligat und immer ipsilateral zu den Kopfschmerzen)
konjunktivale Injektion und/oder Lakrimation (Tränenfluss)
Inkomplettes Horner-Syndrom (nur Ptosis und/oder Miosis)
Rhinorrhöe und Schleimhautschwellung der Nase
Schwitzen
Gesichtsrötung
Cluster-Kopfschmerz: Episodisch vs. chronisch
Episodisch: mit Phasen der Remission (> 1 Monat): 75% der Betroffenen
Chronisch: ohne Phasen der Remission (fehlend oder < 1 Monat): 25%
Cluster-Kopfschmerz: Therapie
Allgemein: Nikotinabstinenz, Meiden von Triggerfaktoren in Clusterperioden (etwa Alkohol)
Akuttherapie
1. Wahl: Sumatriptan s.c., Zolmitriptan nasal, Inhalation O2 100%
2. Wahl: Lidocain (nasal)
Prophylaxe
1. Wahl: Verpamil
2. Wahl: Lithium
Interventionell
Blockade N. occipitalis major
Stimulation des n. occipitalis major
Stimulation des Ganglion sphenopalatinum
Tiefe Hirnstimulation des posterioren inferioren Hypothalamus
Spannungskopfschmerz: Episodisch vs. chronisch
Episodisch: insg. mind. 10 Episoden an durchschnittlich < 15 Tagen pro Monat über mind. 3 Monate
Chronisch: Kopfschmerzen an durchschnittlich ≥ 15 Tagen/Monat, über mindestens 3 Monate
Bei den meisten chronischen Patienten bestand vorher ein episodischer Spannungskopfschmerz der nur unzureichend behandelt wurde
Trigeminus-Neuralgie: Ätiologie
Klassisch
Pathologischer Gefäß-Nerven-Kontakt
In ca. 80% der Fälle Kompression des N. trigeminus durch die A. superior cerebelli (sog. “Jannetta-Mechanismus”); außerdem: A. inferior posterior cerebelli, A. basilaris, A. vertrebralis
-> neurovaskuläres Kompressionssyndrom
Symptomatisch
Multiple Sklerose
Raumforderungen (z.B. Meningeome oder Schwannome des N. VIII)
Trigeminus-Neuralgie: Klinik
Leitsymptome
blitzartig einschießende, heftige, einseitige Gesichtsschmerzen (Sekunden bis max. 2 Minuten)
Reflektorische Spasmen der mimischen Muskulatur
Spontan oder durch Triggerfaktoren ausgelöst: Kauen, Sprechen, Berührungen (Waschen des Gesichts, Zähneputzen, etc.)
Lokalisation
betroffen ist meist der zweite (N. maxillaris) und/oder der dritte Trigeminusast (N. mandibularis)
der Kornealreflex ist häufig ungestört auslösbar
Im Verlauf
dumpfer Dauerschmerz zwischen den Attacken möglich (aufgrund einer axonalen Schädigung)
Trigeminus-Neuralgie: Therapie
1. Wahl: Carbamazepin, Oxcarbazepin
2. Wahl: Baclofen, Lamotrigin, Gabapentin, Pregabalin, Phenytoin
Akuttherapie: Carbamazepin als Suspension oder bei schweren Exazerbationen Phenytoin i.v.
Operativ
mikrovaskuläre Dekompression nach Jannetta —> Aufhebung Gefäß-Nerven-Kontakts durch Einbringen eines kleinen Stück Materials (z.B. Teflon)
Perkutane Radiofrequenzthermokoagulation des Ganglion trigeminale (Ggl. Gasseri)
Radiochirurgisch: Hirnstammnahe stereotaktische Bestrahlung des N. trigeminus durch Gamma-Knife oder Linearbeschleuniger
Notfall-DDs sekundärer Kopfschmerz
SAB: apolektiformer Kopfschmerzbeginn, Meningismus, Donnerschlagkopfschmerz
Dissektion: ausstrahlede Hals- und Nackenschmerzen, Horner-Syndrom
SVT -> bei erhöhtem Thromboserisiko
Meningitis/Enzephalitis: Fieber, Meningismus
Hirndruck: massives Erbrechen
Amaurosis fugax: TIA, Behandlung wie Schlaganfall
Zentralarterienverschluss: monokuläre Visusminderung
Glaukomanfall: rotes Auge und/oder verhärtetes Auge, monokuläre Visusminderung
Arteriitis temporalis: druckschmerzhafte A. temporalis und/oder Claudicatio masticatoria
Idiopathische intrakranielle Hypertension
Kopfschmerzen
häufig pulsierender Charakter
Starke, über Stunden anhaltende Schmerzen
Ein- oder beidseitig
gelegentlich auch retrobulbäre Schmerzen
Sehstörungen infolge Stauungspapille (meist beidseitig)
Visusminderung
Kurzzeitige Verdunkelungen (“Obskurationen”)
Gesichtsfeldausfälle
Weitere Symptome
Gelegentlich Übelkeit, selten Erbrechen
Häufig pulsatiler Tinnitus
ggf. Hirnnervenausfälle, insb. Abduzensparesen (ein- oder beidseitig, v.a. im Kindesalter) -> horizontale Doppelbilder
keine Bewusstseinsstörung
IIH: Diagnostik
Klinisch-neurologisch
häufig unauffälliger Neurostatus
Ophtalmoskopie: Stauungspapille, i.d.R. bds. mit Vergrößerung des blinden Flecks in der Perimetrie
MRT
erweiterte Optikusscheiden
Empty sella
Liquor
Durchführung erst nach Bildgebung mit Ausschluss einer intrakraniellen Raumforderung
erhöhter Liquordruck (in Seitenlage, > 25 cm H2O)
Liquorbefund sonst unauffällig
Teilweise vorübergehende Symptombesserung durch diagnostische LP
IIH: Therapie
Gewichtsreduktion bei übergewichtigen Patienten
Pharmakotherapie: Acetazolamid
Wiederholte Lumbalpunktion
Interventionelle Therapie
Fensterung der Optikusscheide: mikrochirurgische Dekompression durch Inzision der Optikusscheide -> Liquorabfluss -> Rückgang der Stauungspapille -> Besserung der Sehstörung
Interne Liquorableitung (Liquorshunt)
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