Lernziele:
- Definition psychischer Störungen
- Kennzeichen psychischer Störungen (4x4 -> die vier Besonderheiten und wodurch die vier Besonderheiten definiert sind)
- Klassifikationsprozess/ -systeme (ICD 10; DSM-5)
Was ist klinische Psychologie?
-> Aufgabenbereiche und Fokus
• Deskription psychischer Störungen (Symptomatologie)
• Klassifikation psychischer Störungen
• Psychologische Diagnostik
• Ätiologie- und Bedingungsanalyse, auch der psychischen Aspekte somatischer Störungen
• Intervention (Gesundheitsförderung, primäre und sekundäre Prävention, Therapie, Rehabilitation)
Fokus: Erleben und Verhalten, das mit außergewöhnlichem Ausmaß an Leid oder Funktionsbeeinträchtigung einhergeht
-> psychische Störungen als zentrales Thema der Klinischen Psychologie in Forschung und Praxis
Was ist die Goldwater-Rule?
-> Senator der in den USA amtierte
-> verlor die Wahl aufgrund einer Kampagne, die meinte, dass er eine psychologische Störung hatte (meinten viele Psycholog:innen aufgrund seiner Medienpräsenz)
-> Medien wurden verklagt
-> es entstand die Goldwater-Rule
-> man darf keine Spekulationen aufstellen, keine vorschnellen Diagnosen von Menschen, die man nur aus den Medien kennt
-> ansonsten gilt es als Verletzung der Berufsehre
Kennzeichen psychischer Störungen
Besonderheiten im Bereich von:
• Emotionen (z.B. ängstlich, verzweifelt, bedrückt etc.)
• Denken (z.B. unlogische Gedankenketten – formal, wahnhaft, unrealistisch negativ)
• Verhalten (aggressiv, verlangsamt, wiederholtes Händewaschen)
• Körperliche Funktionen und Empfindungen (müde, kurzatmig, Herzrasen)
Besonderheiten definiert durch…
• Devianz (abweichend von statistischer oder gesellschaftlicher Norm, d.h. anders, extrem, ungewöhnlich, bizarr)
• Leidensdruck (belastend und unangenehm)
• Beeinträchtigung (störend bis hin zur Unfähigkeit, alltägliche Handlungen konstruktiv zu verrichten)
• Gefährdung (sich selbst oder andere)
-> Devianz
-> Arten von Normen
1. Statistische Norm
2. Subjektive Norm
3. Soziale Norm
4. Funktionsnorm
5. Idealnorm
Statistische Norm:
-> Definiert anhand empirischer Durchschnittswerte
-> Normal ist, wer sich in einem bestimmten Bereich um den Mittelwert befindet
-> z.B. auffälliger BMI, aber: hoher IQ (abweichend, aber positiv abweichend)
Subjektive Norm (auch funktionale Norm):
-> Individuelle Vorstellungen als Maßstab zur Beurteilung
-> z.B. „Mir geht es nicht gut!“ , Soll-Ist-Vergleich, aber: Manie, Hypochondrie
Soziale Norm:
-> Gesellschaftlich definierte Verhaltensnormen
-> z.B. dissoziales Verhalten, skurriles Auftreten, aber: Künstler, Prominente
Funktionsnorm:
-> Jemand erfüllt seine Funktion, Krankheit ist aus einer Funktionsbeeinträchtigung ersichtlich
-> z.B. Rollenfunktionen wie Vater, Arbeiter etc. werden erfüllt, aber: Sexualität
Ideale Norm:
-> Allgemeingültig postulierte und philosophisch-weltanschaulich begründete Zustände der Vollkommenheit
-> z.B. kreativ sein, aber: Realität
Psychische Störung (APA, 2013)
„... als Syndrom definiert, welches durch klinisch bedeutsame Störungen in den Kognitionen, der Emotionsregulation oder des Verhaltens einer Person charakterisiert ist. Diese Störungen sind Ausdruck von dysfunktionalen psychologischen, biologischen oder entwicklungsbezogenen Prozessen, die psychischen und seelischen Funktionen zugrunde liegen. Psychische Störungen sind typischerweise verbunden mit bedeutsamem Leiden oder Behinderung hinsichtlich sozialer oder berufs-/ausbildungsbezogener und anderer wichtiger Aktivitäten.“
KEINE psychische Störung (APA, 2013)
„... Eine normativ erwartete und kulturell anerkannte Reaktion auf übliche Stressoren oder Verlust, wie z.B. der Tod einer geliebten Person sollte nicht als psychische Störung angesehen werden. Sozial abweichende Verhaltensweisen (z. B. politischer, religiöser oder sexueller Art) und Konflikte zwischen Individuum und Gesellschaft sind keine psychischen Störungen, es sei denn, der Abweichung oder dem Konflikt liegt eine der oben genannten Dysfunktionen zugrunde.“
-> Was ist Klassifikation?
-> Klassifikationsprozess
Was ist Klassifikation?
• Klassifikation: Einteilung und Anordnung von klinisch bedeutsamen Phänomenen (z. B. Symptome), die durch gemeinsame Merkmale gekennzeichnet sind, in ein nach Klassen eingeteiltes System (= Klassifikationssystem)
• Klassifikatorische Diagnostik: Untersuchungs- und Entscheidungsprozess, der zur Vergabe von einer oder mehreren Diagnosen führt
Klassifikationsprozess
• Bestimmte Verhaltensaspekte (z.B. Klagen und Beschwerden des Patienten („sein Leiden“) physiologisch, verhaltensbezogen, kognitiv-affektiv) werden
○ über diagnostische Konventionen (= Nomenklatur/ Glossar) als diagnostisch relevante Symptome definiert
○ und dann aufgrund der Störungslehre (Nosologie) zunächst in Syndromen
○ und dann über Zusatzannahmen (diagnostische Hierarchien/Differentialdiagnostik) zu Diagnosen verarbeitet.
• Je besser und differenzierter die Merkmale und Kriterien explizit beschrieben sind, umso zuverlässiger sind sie beurteilbar!
• Klassifikationssysteme sind nie ideal! (Konsensus)
Patient kommt: er ist traurig, redet leise, kann nicht schlafen, hat keine Motivation, geht nicht raus, isst nicht
-> Einzelsymptom: körperliche Inaktivität
-> Einzelsymptom tritt gemeinsam mit affektiver Verstimmung auf (z.B. körperliche Inaktivität und Interessenverlust) -> depressives Syndrom
-> depressives Syndrom rechtfertigt noch nicht die Diagnose Depression (kann auch bei anderen Erkrankungen auftreten)
-> Diagnose setzt sich aus Symptomen, Syndromen und unterschiedlichen Zusatzkriterien
-> Symptom
-> Syndrom
Symptom
• Merkmal einer Störung, kleinste beschreibbare Untersuchungseinheit in der Klinischen Psychologie bzw. Medizin
• Spezifische/ obligate (= Kern- oder Leitsymptome)
○ Stimmenhören: kommentierende oder dialogische Stimmen
○ Intrusionen: unwillkürliche, belastende Erinnerungen
○ Kontrollverlust beim Essen/Trinken
• Unspezifische/ fakultative (= akzessorische Symptome)
○ Grübeln: bei Depressionen, Angststörungen, Persönlichkeitsstörungen
○ Sozialer Rückzug: bei vielen psych. Störungen
○ Schlafprobleme: bei fast allen psych. Störungen
Syndrom
• von griech. syn~: , zusammen und drómos: Weg / Lauf
• Synonyme: Symptomkomplex, Symptomatik
• Doppelbedeutung:
○ Untergruppe einer Diagnose:
- paranoide, hebephrene und katatone Syndrome der Schizophrenie
- Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom der ADHS
○ Krankheiten mit Multiorgan-Manifestationen:
- fragiles X-(Chromosom)-Syn.: Intelligenzminderung, motorische Stör., Schädelverform.
- Hyperthyreose-Syndrom: Exopthalmus, Struma, Tachykardie
Rosenhan-Studie
-> Können sich gesunde Personen in eine Psychiatrie einweisen lassen und kommen sie da auch wieder heraus?
-> unterschiedliche Menschen
-> sollten sagen, dass sie Stimmen hören und sehen verwahrlost aus
-> drinnen haben sie sich wieder ganz normal/gesund verhalten
-> gesundes Verhalten wurde von den Ärzten übersehen und alle bekamen eine Diagnose
-> bekamen Medikamente
-> wurden nicht entlarvt
-> alle wurden am Ende entlassen, jedoch erst nach Wochen nach einer "Heilung"
-> Schubladendenken in der psychiatrischen Diagnostik
-> Rosenhan: Klassifikation psychischer Störungen uneindeutig und schlimmstenfalls schädlich
-> Studie gab wichtigen Anstoß für moderne operationalisierte Diagnostik
• Acht psychisch gesunde Menschen (ein Psychologiestudent, drei Psychologen, ein Psychiater, ein Kinderarzt, ein Maler und eine Hausfrau) nahmen als Pseudopatienten an dem Experiment teil und ließen sich in verschiedene psychiatrische Anstalten einweisen
• Vorspiegelung von Halluzinationen (behaupteten sie würden Stimmen hören, die „leer“, „hohl“ und „dumpf“ sagten. Es wurden keine weiteren Symptome berichtet.)
• Ergebnis: Alle acht normalen Personen wurden fälschlich als psychisch krank diagnostizierte (Diagnose i.d.R. Schizophrenie).
• Nachdem sie in die jeweilige Klinik aufgenommen worden waren, haben sie sich wieder völlig normal verhalten.
• nach durchschnittlich 19 Tagen (in einem Fall 52 Tagen) wurden sie entlassen, allerdings nicht als geheilt, sondern als symptomfrei.
• Die anderen Patienten haben die Täuschung schnell durchschaut und die Testpersonen als Journalisten oder Professoren bezeichnet.
Geschichte
Was sind die heute besonders bekannten Klassifikationssysteme?
„In Deutschland haben wir doch die gute alte ICD...“
• DSM-5 ist das Klassifikationssystem der USA. Es beinhaltet im Vergleich zum ICD speziellere und genauere diagnostische Kriterien
• In Deutschland ist das DSM-5 als eine ausführliche Ergänzung für die reguläre Klassifikation mit der ICD anzusehen. Für die Forschung gilt das DSM-5 als relevant
• DSM-5 berücksichtigt im Gegensatz zur ICD-10 geschlechtsspezifische Unterschiede und geht genauer auf kulturelle Besonderheiten ein
• DSM-5 ist teils expliziter, präziser und „härter“
• DSM-5 als Wegweiser für ICD-11
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