VL3 - Psychodynamische Verfahren

• Oberbegriff für verschiedene, aus der Psychoanalyse hervorgegangene Therapieformen

• z.B. Psychoanalyse und tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie

• Fokus liegt auf unbewussten Aspekten des Selbst, die sich in der therapeutischen Beziehung manifestieren und diese beeinflussen

„In den Erinnerungen jedes Menschen gibt es Dinge, die er nicht allen mitteilt, höchstens seinen Freunden. Aber es gibt auch Dinge, die er nicht einmal den Freunden gesteht, sondern höchstens sich selbst und das auch nur unter dem Siegel der Verschwiegenheit. Schließlich gibt es auch solche Dinge, die der Mensch sogar sich selbst zu gestehen fürchtet, und solche Dinge sammeln sich bei jedem anständigen Menschen in ziemlicher Menge an.“

z.B. Konflikt-Theorie, Ich-Psychologie, Objektbeziehungstheorie, Selbstpsychologie

„Triebe und Anforderungen der Realität wirken gegensätzlich. Psychische Störungen entstehen, wenn eine gesunde Kompromissbildung misslingt. Der Kompromiss zeigt sich dann als Symptom.“

-> Aufdeckung und Auflösung von Sigmund Freud Konflikten und unbewussten Motiven

-> Sigmund Freud

„Das Ich ist siegreich, wenn seine Abwehrleistungen glücken, das heißt, wenn es ihm gelingt, mit ihrer Hilfe die Entwicklung von Angst und Unlust einzuschränken, ... Triebgenuss zu sichern und ... Harmonie zwischen Ich, Über-Ich und den Außenweltsmächten zu sichern.“

• Fokus auf aktuelle Probleme

• Stärken der adaptiven Ego-Funktionen

• Etablierung einer gefestigten Identität und Intimität

  -> Anna Freud

„Das Selbst ist eine übergreifende Instanz in der Persönlichkeit, die alle Instanzen sowie alle Objekte einschließt. Seine Funktionen sind die Selbstwahrnehmung, Selbststeuerung, Kommunikation und Bindung.“

• Fokus auf Introspektion und Entwicklung von Empathie des Therapeuten gegenüber der behandelten Person

• Heinz Kohut

„Objektbeziehung bezeichnet die phantasierte bzw. vorgestellte Beziehung zu einer Person, die durchaus von der realen Interaktion abweichen kann.“

• Modifizierung mentaler Repräsentationen interpersonaler Beziehungen die von frühen Bindungsbeziehungen stammen

• Nutzung der nährenden Therapeuten-beziehung um Veränderung zu unterstützen

-> Melanie Klein

Annahme

• Vergangene Konflikte bedingen gegenwärtige Störung

Ziel der Therapie

• Aufdeckung und Auflösung von Konflikten und unbewussten Motiven

1. Unbewusste Triebe, insb. sexuelle und aggressive Triebe, sind die primären Einflüsse auf unsere Persönlichkeit

2. Unsere frühe sexuelle Entwicklung formt maßgeblich unsere spätere Persönlichkeitsentwicklung

3. Träume und neurotische Symptome sind Symbole die eine tiefere Bedeutung haben

4. Das Bewusstmachung unbewusster Konflikte ist der einzige Weg zu Heilung psychischer Erkrankungen

(Sigmund Freud)

Heutige Forschungsergebnisse

1. Das Unbewusste besteht aus einer Vielzahl an mentalen Prozessen (z.B. Lern- und Wahrnehmungsprozesse die unterhalb unserer Wahrnehmungsschwelle ablaufen (Kihlstrom, 1999)

Frühe Erfahrungen können unsere Entwicklung beeinflussen (Jaffe et al., 2004)

Heutige Forschungsergebnisse

4. Es hat sich nicht bestätigen können dass Träume symbolisch innere Konflikte widerspiegeln

Psychodynamische Therapien sind effektiv, aber nicht effektiver als kognitive Therapien und nur effektiv für bestimmte psychische Erkrankungen. Meist sind psychodynamische Therapien dann effektiv wenn sie Elemente aus anderen Therapien beinhalten, z.B. Exposition von Angstgedanken (Paris, 2017)

Freie Assoziation

„Legen Sie sich hin und entspannen Sie sich. Sagen Sie was auch immer Ihnen spontan in den Sinn kommt ohne es zu bewerten.“

• die verschiedenen psychodynamischen Behandlungsansätze werden in Deutschland vom wissenschaftlichen Beirat berufsrechtlich als ein Verfahren angesehen

• Von den Kostenträgern sind sozialrechtlich die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie und die analytische Psychotherapie anerkannt

Allgemeines Vorgehen:

1. Fokus auf Affekt und Ausdruck von Emotionen: Exploration der Emotionen des Patienten; Hilfe zur Beschreibung problematischer oder widersprüchlicher Gefühle; emotionale Einsicht vs. intellektuelle Einsicht

2. Explorieren und Fokussieren von Vermeidungstendenzen (in Theorie = Widerstand und Abwehr): bewusste und unbewusste Abwehrmechanismen

3. Identifizieren wiederkehrender Themen und Muster: bei Gefühlen, Gedanken, Selbstkonzept, Beziehungen und Lebenserfahrungen; mehr oder weniger offensichtlich möglich

4. Behandlung und Diskussion vergangener Erlebnisse: Fokus auf dem Einfluss früherer Erfahrungen auf aktuelles psychisches Erleben; in Bezug zur Gegenwart (wiederkehrende Themen)

5. Fokus auf interpersonelle Beziehungen (Objektbeziehung und Bindung): Beziehungsmuster und -erfahrungen des Patienten als wichtiger Aspekt psychischer Schwierigkeiten

6. Fokus auf Therapiebeziehung (Übertragung und Gegenübertragung): wiederkehrende Muster in der Beziehung und Verhalten zeigen sich in der therapeutischen Beziehung → in vivo-Bearbeitung möglich

7. Exploration von Wünschen/Bedürfnissen/ Fantasien: als Quelle von Informationen über Selbst- und Fremdbild, Interpretation von Erfahrungen usw

• Erfolgen auf der Ebene des Erlebens.

• Spieltherapie wichtigster Zugang zum Unbewussten des Kindes

• Nutzen von Symbolspielen und Rollenspielen z.B. mit Puppen zur Darstellung bewusster und unbewusster Erlebnisse und Konflikte

• Langzeitpsychoanalyse bis max. 300 Stunden 2-3x die Woche, im Sitzen oder Liegen

• Meist Einzeltherapie

• Hohe Frequenz

• Liegend, Therapeut sitzt außerhalb des Blickfeldes

• Nutzung der freien Assoziation

• Grundregel: alles sagen was in den Sinn kommt

• Förderung regressiver Prozesse

• Konzentration auf Kindheit verweisende Übertragung (Wiederholung alter Beziehungserfahrungen) und Gegenübertragung

• Bearbeitung unbewusster früher Konflikte („Triebkonflikte“;„Ich-Strukturelle Defizite“)

• Hauptinterventionen: Deutung, Bearbeitung von Übertragungsphänomenen, Arbeit am Widerstand

Ziele:

• Aufdeckung unbewusster Konflikte durch freie Assoziation und Einsicht in unbewusste Prozesse

Zielgruppe

• Breiteres Spektrum von Patienten im Vergleich zur Psychoanalyse

• Ausreichendes Strukturniveau

„Das Strukturkonzept bezieht sich auf die in der frühen Eltern-Baby-Beziehung geförderte Entwicklung regulativer Funktionen, die für das Affekterleben, das Selbstverständnis und die Beziehungsregulierung maßgeblich werdenIm Falle früher Beziehungsstörungen durch psychische und soziale Überlastung der Eltern kommt es zu defizitären oder vulnerablen Strukturentwicklungen. Das führt unter Umständen bereits im Kindesalter zu Regulationsstörungen oder diese werden durch spezielle Bewältigungsmuster (z.B. schizoide oder narzisstische Persönlichkeitszüge) überdeckt, bis es angesichts von Lebensschwellen und zugehörigen Entwicklungsaufgaben zur Überforderung der Bewältigungsstrategien und zur strukturellen Symptombildung kommt.“

„Was in diesem frühen Stadium dank des Wechselspiels zwischen Säugling und Mutter tatsächlich geschieht, ist die Errichtung eines Fundaments für den Aufbau der Persönlichkeit, d.h. der mehr oder weniger erfolgreiche Start einer Reihe von Entwicklungslinien. Die Zusammenstöße, zu denen es in dieser Zeit kommt, ereignen sich äußerlich zwischen dem Kind und seiner Umgebung, nicht innerlich in einer noch nicht existierenden Struktur.“

• Frequenz 1 x Woche bis max. 100 Stunden -

• Unterschied zur Analyse:

  • Therapeut und Patient sitzen sich gegenüber

  • Aktivere Rolle des Therapeuten im Vergleich zu Psychoanalyse

  • Keine Konzentration auf Kindheit verweisende Übertragung und Regression – dafür mehr aktive Techniken des Therapie

Verzicht des Analytikers auf Erfüllung eigener Bedürfnisse, Wünsche

• Übertragung:

  • Unbewusste Wiederholung vergangener Beziehungserfahrungen des Analysanden in der Beziehung zum Analytiker

  • Soll durch Übertragungsdeutungen bewusst, transparent werden

• Gegenübertragung

  • Bewusste und unbewusste Reaktionen des Analytikers auf den Analysanden

• Analysand soll alles, was ihm durch den Kopf geht, ohne Zensur und Kontrolle aussprechen

• Analytiker kann auch Wörter, Bilder zur Assoziation vorgeben

• Haltung des Analytikers gegenüber den Assoziationen des Analysanden

Analytiker wertet nicht mit Bezug auf religiöse, moralische oder gesellschaftliche Fragen, gibt keine Ratschläge, enthüllt nicht seine persönlichen Ansichten

• Nachfragen, Zusammenfassen, Ordnen des Materials

• Erfragen der Gefühle, Gedanken, Impulse

Analytiker weist Analysanden auf konflikthafte, widersprüchliche Aspekte, Diskrepanzen zwischen verbalem und nonverbale, Verhalten, Widerstände hin

• Analytiker übersetzt Produktionen des Analysanden in ihre unbewussten Vorläufer; stellt Verbindungen zwischen manifestem Erleben und Verhalten und unbewussten Wünschen, Motiven, Gefühlen her

• Nutzt dafür alles Material, alle Informationsquellen

• Deutungen sind Hypothesen/Vorschläge

wiederholtes Klären, Konfrontieren, Deuten zur Überwindung der Widerstände des Analysanden

• Geringe Anzahl an empirischen Studien gemessen an der klinischen Bedeutung des Konzepts

• Mögliche Gründe dafür:

  • Mangel an konzeptueller Klarheit

  • Mangel an Messinstrumenten die die Komplexität des Konstrukts abdecken können