Einordnung von Lernstörungen ins ICD 10
Kapitel und thematische Einordnung
ICD 10-WHO Version 2019:
Kapitel V: Psychische und Verhaltensstörungen
F80-89: Entwicklungsstörungen
F81: Umschriebene Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten (F81.0- F81.9)
F81.0 Lese- und Rechtschreibstörung, F81.1 Isolierte Rechtschreibstörung; F81.2 Rechenstörung;
F81.3 Kombinierte Störungen schulischer Fertigkeiten, F81.8 Sonstige Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten,
F81.9 Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten, nicht näher bezeichnet)
Worauf dürfen Lernstörungen nicht zurückzuführen sein?
-Mangel an Lerngelegenheiten: (längere Abwesenheit v. Schule, unangemessenen Unterricht)
-Intelligenzminderung: IQ-Grenze: 70
-Hirnschädigungen/ -krankheiten
-Sinnesschädigungen: Visusprobleme
Grobe Skizzierung zur Epidemiologie von LRS
LRS= mehr Jungen
MS= Mädche und Jungnen gleich
kombinierte LRS+MS= mehr Mädchen
Wann liegt eine Lernstörung vor?
Minderleistungen im Bereich des Lesens, des schriftlichen Ausdrucks (inkl. Rechtschreibung) und/ oder des Rechnens:
Leistung muss deutlich unter dem Niveau liegen:
a) des Alters,
b) der allgemeinen Intelligenz (allg. Denkfähigkeit: IQ > 70) und
c) der Beschulung/ Klassenstufe
Diskrepanz zwischen den Lern- und Leistungsmöglichkeiten (Alter, IQ) und den schulbezogenen Teilleistungen (Lesen, Schreiben, Rechnen):
Diskrepanzwert: 1,2 - 1,5 Standardabweichungen (SD) vom mittleren Erwartungswert der Altersgruppe => entspricht einem PR < 16
Arten von Lernstörungen nach Klauer und Lauth
(partiell- generell, passager- persistend)
Wann liegt eine Lernbehinderung vor?
Lernbehinderung =
„schwerwiegende, anhaltende und umfängliche Schwierigkeiten bei der Bewältigung von intellektuellen Leistungsanforderungen“ (S. 76)
„besonders ausgeprägte Form einer Minderleistung bei der absichtsvollen und aktiven Verarbeitung sowie bei der Abspeicherung von Wissen“ (S. 76)
„deutliche[s] Zurückbleiben schulischer Leistungen hinter den gesellschaftlich festgelegten schulischen Normen“ (S. 77)
Schulorganisatorischer Begriff in Deutschland
—> wird in internationalen Klassifikationssystemen (ICD-10 oder DSM-5) nicht erwähnt bzw. nicht eindeutig definiert
Rückstände: in mehreren Schulfächern, min 2 Jahre, IQ zwischen 55 und 85, Label für Kinder, betrifft nicht nur Kinder, oft Synonym für Schulversagen
Merkmale von Kindern mit Lernbehinderung
Grünke und Grosche, 2014
Definition Diagnostik
„das systematische Sammeln und Aufbereiten von Informationen mit dem Ziel, Entscheidungen und daraus resultierende (förderliche) Handlungen zu begründen, zu kontrollieren und zu optimieren“ (Jäger & Petermann, 1995, S.11)
„differenzierte Erhebung von psychischen Auffälligkeiten von Kindern und Jugendlichen auf der Ebene des Denkens, der Affekte und des Verhaltens sowie der körperlichen, individuellen und psychosozialen Bedingungen, die zur Entstehung und Aufrechterhaltung der psychischen Auffälligkeiten beitragen. Hauptziel der Diagnostik ist die Indikationsstellung und differenzierte Planung von [...] Interventionen zur Verminderung der psychischen Auffälligkeiten“ (Döpfner & Petermann, 2012, S. 1)
Hauptfragen im diagnostischen Prozess
1 Hat das Kind Auffälligkeiten? Wie äußern sich diese?
2 Welche Ursachen gibt es für die Auffälligkeiten?
3 Welche Faktoren führen zur Aufrechterhaltung?
4 Welche Stärken und Kompetenzen hat das Kind und sein Umfeld?
5 Ist eine Intervention notwendig? Wie ist vermutlich der weitere Verlauf ohne Intervention?
6 Welche Intervention ist wahrscheinlich am erfolgreichsten?
Stufen im diagnostischen Prozess
1. ausführliche Exploration des Kindes und wichtiger Bezugspersonen (Erziehungsberechtigte, Lehrer...) über Auffälligkeiten (Entstehung und Verlauf) und Kompetenzen
2. Einsatz von diagnostischen Verfahren (Tests, Fragebögen, Verhaltensbeobachtung...) für eine differenzierte Erfassung der Auffälligkeiten
3. Auswertung und Integration der gesamten Ergebnisse Beschreibung der Auffälligkeiten, Diagnosestellung Bedingungsanalyse (Entstehungs- und Verstärkungsfaktoren) Analyse der Änderungsmotivation aller Beteiligten
4. Interventionsplanung und –durchführung mit Evaluation
Definition von Ziel und Intervention
Lateinisch: „intervenire“ (dazwischentreten)
„Unter Interventionsmaßnahmen verstehen wir jede Art von außengesteuerter, zielorientierter und systematischer Beeinflussung von Personen- und/oder Systemmerkmalen. Jede Interventionsmaßnahme besteht mindestens aus einer Menge von zu bearbeitenden Aufgaben bzw. Problemen und mindestens einer Methode der Instruktion“ (Perrez & Baumann, 1998, S.309)
Ziel (im Allgemeinen): Beseitigung eines unmittelbar problematischen Sachverhalts
—> Veränderung bzw. Verbesserung von Verhalten
In Wissenschaft: Beantwortung von Forschungsfragen
3 Arten von Interventionen
Primäre Intervention (Prävention):
Ziel der Maßnahmen: Auftreten von Störungen von vornherein verhindern
Sekundäre Intervention:
Ziel der Maßnahmen: Manifest-werden von Störungen durch Krisen verhindern Mögl Krisen verhindern: individuell (Trauer), entwicklungsbedingt (Trennung in Entwicklung) o. Institutionell (Schulwechsel)
Tertiäre Intervention:
Ziel der Maßnahmen: bei vorhandener Störung Veränderungen bewirken, um „Sekundärschäden“ + deren Manifest-Werden zu verhindern
—>meist als Therapie bezeichnet
2 Arten von Prävention
Universelle Prävention:
Unausgelesene Gruppen (keine Probleme/ Risiko)
—> Arbeit mit gesamter Gruppe
Beispiel: kognitive Förderprogramme für alle Vorschulkinder
Gezielte Prävention:
Ausgelesene Gruppen
—> Selektive Prävention = Arbeit mit Risikogruppe
—> Indizierte Prävention = Arbeit mit Gruppe mit Vorläuferproblemen oder leichten Problemen
Beispiel: Mathe-Förderprogramm für Kinder mit leichten Rechenproblemen
Vor und Nachteile von universeller vs. gezielter Prävention
4 Funktionen von Rehabilitation
1. Funktion der allgemeinen Förderung (auch ohne Vorliegen eines Defizits)
2. Funktion der Prävention —>Vorbeugung von zukünftig zu erwartenden Defiziten
3. Kurative Funktion —> Beseitigung/ Abbau bereits manifest gewordener Störungen
4. Funktion der Rehabilitation —> Wiederaufbau von Fertigkeiten, die durch z.B. äußere Einflüsse beeinträchtigt wurden oder verloren gegangen sind
Bewertungskriterien, ob Interventionsprogramm geeignet ist (10 Punkte)
Transfer von interventionseffekten
Definition Evaluation + Evaluationskonzepte
(wissenschaftliche) Evaluation untersucht wissenschaftsgestützt unter Berücksichtigung der geltenden Qualitätsstandards die Effektivität (Ausmaß der Zielerreichung) und Effizienz (ökonomische Ressourcennutzung; Verhältnis von Kosten und Nutzen) von gesetzten Maßnahmen.“
+
Evaluationskonzepte
Formative vs. summative Evaluation (begleitend vs. abschließend)
Baseline-Erhebung (Ausgangslage)
Prospektive Evaluation (Bewertung der Konzeption) Evaluation der Effizienz (Wirtschaftlichkeit) Impact Evaluation (langfristige Wirkung)
Selbst- vs. Fremdevaluation (Durchführung)
Intern vs. extern konzipierte Evaluation (Konzepterstellung)
Methodische Anforderung an Evaluationsstudien
(Bewertung, o Studie gut ist)
-Kontrollgruppe (KG)
-Vergleichbarkeit des Leistungsniveaus zu Beginn der Studie (parallele KG)
-Was wirkt? (alle Komponenten betrachten)
-Dauer des Trainings und Nachhaltigkeit der erzielten Effekte
-Art der Veröffentlichung
INVO-Modell
Kontruktionshypothese zum Vorwissen
1 Nivellierung: Vereinfachen von Sachverhalten
2 Akzentuierung: Hervorheben und Überbetonen bestimmter Details
3 Assimilation: Veränderung von Details —> bessere Übereinstimmung von Gehörten/Gelesenen mit eigenen Vorwissen
1 vereinfachen
2 hervorheben
3 verändern
3 Prozesse der Informationsverarbeitung, welche durch Vorwissen gefördert werden können
Vorwissen über neu zu lernende Inhalte fördert die Qualität der Informationsverarbeitung über mindestens drei Prozesse:
1. erleichtert Entscheidung über Relevanz v. Informationen + unterstützt Prozesse der selektiven Aufmerksamkeit;
2. entlastet AG durch schnellere Aktivierung v. Konzepten und leichtere Verknüpfung dieser Konzepte untereinander; 3. steigert Interesse am Lerngegenstand + erhöht Bereitschaft, weitere Ressourcen für den Lernprozess zu mobilisieren.
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