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Skript Ausweisungsrecht

AB
by Andrea B.

Bewertung und Abwägung im Einzelfall unter Beachtung des § 53 II AufenthG


Die Entscheidung, ob der Ausländer ausgewiesen wird oder nicht, ist nach § 53 I AufenthG unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls im Wege der Abwägung der öffentlichen Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet zu treffen. In die Abwägung sind die in §§ 54 und 55 AufenthG vorgesehenen Ausweisungs- und Bleibeinteressen mit der im Gesetz vorgenommenen grundsätzlichen Gewichtung einzubeziehen.


Das Gewicht des Ausweisungs- gegen das Bleibeinteresse muss im Einzelfall bemessen werden.

Der Gesetzgeber versteht die in §§ 54 und 55 AufenthG aufgeführten Interessen also als Typisierungen, deren Richtigkeit im Einzelfall hinterfragt werden muss.


Sind sowohl das Ausweisungsinteresse als auch das Bleibeinteresse im Einzelfall gewichtet, ist abzuwägen, welches Interesse überwiegt. Dabei sind auch allgemeine rechtsstaatliche Anforderungen zu berücksichtigen, insbesondere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Das Prinzip der Angemessenheit ist bereits über §§ 53 II und 55 AufenthG einbezogen. Es bleibt aber noch zu klären, ob nicht mildere Mittel die Ausweisung entbehrlich machen. Geeignet dafür sind vor allem Maßnahmen auf dem Gebiet des besonderen Ordnungsrechts, auf dem der Ausländer eine Gefährdung darstellt, z.B.:

  • Die Gefahr weiterer Trunkenheitsfahrten im Straßenverkehr kann bereits weitgehend dadurch ausgeschlossen werden, dass die Fahrerlaubnis nicht wiedererteilt wird.

  • Gefahren im Zusammenhang mit einer Gewerbeausübung können durch die Entziehung der Gewerbeerlaubnis oder eine Gewerbeuntersagung abgewehrt werden.

Ein wichtiges Mittel, um die einschneidenden Folgen einer Ausweisung für die persönliche Lebensführung des Ausländers einzuschränken und damit verhältnismäßig zu gestalten, ist die Befristung des mit der Ausweisung zu erlassenden Einreise- und Aufenthaltsverbots gem. § 11 AufenthG.


Eine Rolle spielen kann auch der sich aus Art. 20 III GG herleitende Grundsatz des Vertrauensschutzes, insbesondere wenn die Behörde die Ausweisung nach einer Straftat erst gegen Ende der Haft verfügt



Die Rechtsfolgen der Ausweisung


Ergibt die Abwägung, dass das Ausweisungsinteresse überwiegt, wird der Ausländer ausgewiesen. An den Ausspruch der Ausweisung knüpft das Gesetz vielfältige Rechtsfolgen:

  • Mit der Ausweisung erlischt der Aufenthaltstitel (§ 51 I Nr. 5 AufenthG).

  • Damit ist der Ausländer zur Ausreise verpflichtet (§ 50 I AufenthG). Er hat das Bundesgebiet unverzüglich oder, wenn ihm eine Ausreisefrist gesetzt ist, bis zum Ablauf der Frist zu verlassen (§ 50 II AufenthG).

  • Ein Ausländer, gegen den eine Ausweisungsverfügung auf Grund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 I Nrn. 2–5 AufenthG besteht, unterliegt der Überwachung aus Gründen der inneren Sicherheit nach § 56 AufenthG.

  • Der Ausländer ist abzuschieben, wenn die Ausreisepflicht vollziehbar ist, eine Ausreisefrist nicht gewährt wurde oder diese abgelaufen ist, und die freiwillige Erfüllung der Ausreisepflicht nicht gesichert ist oder aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eine Überwachung der Ausreise erforderlich erscheint (§ 58 I 1 AufenthG). Die Überwachung der Ausreise ist insbesondere erforderlich, wenn der Ausländer auf Grund eines besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses nach § 54 I iVm § 53 AufenthG ausgewiesen worden ist (§ 58 III Nr. 3 AufenthG).

  • Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden (§ 11 I AufenthG). Dieses Einreise- und Aufenthaltsverbot ist von Amts wegen zu befristen (§ 11 II 3 AufenthG).

  • Die Einreise eines Ausländers in das Bundesgebiet ist unerlaubt, wenn er nach § 11 I, VI oder VII AufenthG nicht einreisen darf, es sei denn, er besitzt eine Betretenserlaubnis nach § 11 VIII AufenthG (§ 14 I Nr. 3 AufenthG).

  • Ein Ausländer, der unerlaubt einreisen will, wird an der Grenze zurückgewiesen (§ 15 I AufenthG).


Rechtsschutz


Gegen die Ausweisung stehen als förmliche Rechtsbehelfe der Anfechtungswiderspruch (§ 68 I VwGO) und die Anfechtungsklage (§ 42 I Var. 1 VwGO) zur Verfügung. Auf Grund von Art. 6 I GG sind der Ehegatte und minderjährige Kinder des Ausländers klagebefugt nach § 42 II VwGO.

Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung ist seit 2007 bei allen Ausländern einheitlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts maßgeblich. So kann insbesondere die Annahme einer Wiederholungsgefahr mit erneuten Straftaten belegt oder umgekehrt mit erfolgreich absolvierten Therapien und anderen positiven Veränderungen in der Lebensführung ausgeräumt werden.


Der Erlass eines Einreise- und Aufenthaltsverbots stellt einen selbständigen Verwaltungsakt dar, der mit Anfechtungswiderspruch und Anfechtungsklage angegriffen werden kann. Da das Gesetz dessen Anordnung aber ausnahmslos vorschreibt, macht das praktisch keinen Sinn.


Sinnvoller Angriffspunkt kann daher nur die Befristungsentscheidung sein. Diese ist „ein eigener VA, der … mit eigenen Rechtsmitteln angegriffen werden kann.“

Statthaft ist nicht mehr die Verpflichtungsklage, sondern die Anfechtungsklage. Das wird bestätigt durch § 84 I Nr. 7 AufenthG, da nur die Anfechtungsklage nach § 80 I VwGO aufschiebende Wirkung entfaltet. Klageziel ist nicht die Aufhebung der Befristung, denn diese wirkt ja zu Gunsten des Ausländers, sondern die Verkürzung der Frist. Es handelt sich also um eine Teilanfechtungsklage.


§ 84 I Nr. 7 AufenthG bestimmt, dass Widerspruch und Klage gegen die Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 AufenthG keine aufschiebende Wirkung haben. Durch diese Regelung soll betont werden, dass ein Rechtsbehelf des Ausländers gegen die Befristungsentscheidung die Durchsetzung der Ausreisepflicht unberührt lässt. Die Ausweisung ist in § 84 I AufenthG nicht aufgeführt. Widerspruch und Klage gegen die Ausweisung entfalten daher grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Die Ausländerbehörde kann diese aber durch Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 II 1 Nr. 4 iVm III VwGO ausschließen. Dagegen sind Anträge auf Aussetzung der Vollziehung nach § 80 IV und V VwGO statthaft.

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Andrea B.

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