Inhalt/Lernziele
• Prävalenz/Komorbidität/Klassifikation von Persönlichkeitsstörungen (PS) wissen und das
Konzept kritisch diskutieren können
• Kognitive Theorie der PS (Beck) verstehen und erläutern
• Behandlungsrichtlinien und therapeutische Techniken kennen
Persönlichkeitsstil bist -Störung ()
Dimensionale Betrachtung!
Vom DSM-IVR zum DSM-5: Neuordung (4)
Nach 25 Jahren intensiver
PersönIichkeitsstörungsforschung stehen wir vor der
Notwendigkeit einer neuen Klassifikation.
Gründe:
• Überhöhte Prävalenzen an Störungskategorien
• Exzessive Komorbidität (nur 50% der Patienten erfüllen die Kriterien lediglich
einer Persönlichkeitsstörung (PS), im Mittel werden die Kriterien von drei PS
erfüllt, es werden bis zu sieben PS bei einer Person gestellt)
• Wenig valide Diagnosen
• Geringe Stabilität der Diagnosen bei andauernder Dysfunktionalität
DSM-5: allgemeine Kriterien (5)
A-Kriterium:
übergreifendes, soziokulturellen Erwartungen widersprechendes Erleben & Verhalten: im Denken & Schlussfolgern oder Affektivität oder zwischenmenschlichen Beziehungen oder Impulskontrolle
B-Kriterium:
Leid & Beeinträchtigung in sozialen, beruflichen oderandere wichtigen Bereichen
C
Stabil und langandauernd
D
nicht besser durch andere psych. Störung erklärbar
E
keine physiologische oder medizinische Krankheit
DSM-5: Alternatives Modell PS (5)
Kategorial & dimensional
A: Beeinträchtigung des Funktonsniveaus d. Persönlichkeit in den Dimensionen Identität, Selbstbestimmung, Empathie & Intimität)
B: probl. Persönlichkeitsmerkmale (5 Bereiche: neg. Affektivität, Verschlossenheit, Antagonismus, Enthemmtheit & Psychotizismus)
DSM-5: Schweregrad d. Beeinträchtigung (4)
Schweregrad der Beeinträchtigung
0. Keine Beeinträchtigung. Selbsteinschätzung und
zwischenmenschlichen Beziehungen sind weitgehend intakt
1. Milde Beeinträchtigung: Leichte Variation in Selbsteinschätzung (z. B.
Übergewichtung einzelner Aspekte (Zielkonflikte) und Inkonsistenzen in der
Wahrnehmung von Interaktionen (z. B. Idealisierungen)
2. Moderate Beeinträchtigung: Kontextabhängige Selbstwahrnehmung
(z. B. Externalisierung) und Beziehungen eher instrumentell und oberflächlich
3. Ernsthafte Beeinträchtigung: Durchlässiges Selbstbild mit unklaren
Zielen/Ansprüchen; in Beziehungen Mangel an Empathie, sozialen
Kompetenzen und sozialen Wahrnehmungen
4. Extreme Beeinträchtigung: Kaum Selbstreflektion und –regulation bei
diskontinuierlicher und fragmentarischer Selbstwahrnehmung; Beziehungen
sind sehr instabil und auf primäre Bedürfnisse reduziert
DSM-IV-R: Cluster im DSM 5 (3)
Epidemiologie und Komorbidität von
Persönlichkeitsstörungen (PS)
Gemäß DSM-IVR bzw. ICD-10
Prävalenz (DSM-IV) von Persönlichkeitsstörungen in Deutschland
Zusammenfassung: Klinische Bedeutung von PS
• 10 % der Allgemeinbevölkerung
• 40 % unter unausgelesenen psychiatrischen Patienten
• ca. 8 % mit letalem Ausgang
• beeinflusst den Verlauf und die Prognose psychischer
Störungen?
• bildet eine eigene diagnostische Achse im
psychiatrischen Klassifikationssystem DSM-5
Valide Diagnosen! (3)
Valide Diagnosen!
Notwendig sind Interviews, z.B. mittels
– SKID-II (DSM-IV-TR; Achse II);
– IPDE (enthält DSM- und ICD Kriterien);
– Fragebögen und Interviews
• Nicht hinreichend reliabel und valide
– ausschließlich Fragebögen; Check-Listen;
Eindrucksdiagnostik
• Überhaupt nicht reliabel und valide:
– Angehörigen-Befragungen
Diagnose PS bei U18? ()
ja, wenn
tiefgreifend
mind. 1 Jahr
nicht auf Entwicklungsphase rückführbar oder andere psych. Störung
AUßER: antisoziale PS! erst ab 18
Komorbidität: CAVE: Depression! ()
Die meisten Patienten erfüllen die
Kriterien für weitere PS und Achse-I
Störungen
CAVE: Persönlichkeit variiert mit der Depression !
• Vorsicht:
• Depression kann die Persönlichkeit
verändern!
• Auffällig sind:
– Dependenz
– Ängstlich vermeidend
– Negativismus, Pessimismus
– Widerständige Verhaltensmuster („passiv-aggressiv“)
Exkurs: dissoziative Identitätsstörung
(multiple Persönlichkeitsstörung)
Multiple Persönlichkeit oder abgespaltene
Emotionen?
• Beispiel Susan (aus Watkins & Watkins, 2003;
Ego States, S. 97)
– Seit mehreren Jahren mind. 13 Personen (optisch
und akustisch)
– Unter Stress nimmt die Symptomatik zu
Umgang mit multiplen ICHs
• Ego-State Theorie: Ich Anteile herausarbeiten und Benennung der Anteile als separate
Persönlichkeiten
• Mein Ansatz: eher PS-Anteile als abgespaltene Emotionen verstehen und Emotionserkennung
und Ausdruck fördern
Ursachen und Modelle
Genetik, Familiarität, Diathese-Stress
Familiarität: % Kinder (Alter jetzt etwa 19 Jahre, N=334) die eine PS entwickelten
Von Eltern mti dieser spezifischen PS (Cluster)
Biologische Perspektive
Phineas Gage
In this regard his mind was radically changed, so decidedly that his friends and
acquaintances said he was “no longer Gage”.
• berufliche „Wiedereingliederung“
• gute soziale Funktionalität
• Einschätzung als „geheilt“
—>Damasios Fehler
• Dr. Myron L. Fox
Psychosoziale Umwelt: Ergebnisse von
Risikostudien
Ist die Eltern-Kind-Beziehung ein Risikofaktor? Ja,
aber
– Zwischen Kindern, die in einer Familie aufwachsen,
bestehen erhebliche Unterschiede in Persönlichkeits-
Eigenschaften und –Stilen
– z.B. in Familien mit ängstlichen Eltern finden sich
ängstliche, weniger ängstliche oder gar nicht ängstliche
Kinder
(Literatur Fiedler & Herpertz, 2016, Persönlichkeitsstörungen,
Auflage 7)
Bindungsforschung (+/n.)
• Attachment/Bindungsverhalten
– Bisher fast ausschließlich retrospektive
Befragungen mit Patienten
– Untersucht bisher nur Autonomie vs.
Bindung/Zuneigung (Liebe) vs. Ablehnung
(Feindseligkeit)
Bindung und Erziehungsstile ()
Bindung und Erziehungsstile
• Ablehnende Bindungsstile, eher feindselige
Erziehungsstile
• Invalidierung (v.a. BPS, Linehan, 1996; Barnow et al., 2006)
• Überbehütung
• CAVE: viele Befunde finden sich auch bei anderen (u.a. Achse I Störungen), sie sind also UNSPEZIFISCH!
Vernachlässigung, Missbrauch
• Viele Studien zeigen erhöhte Raten
– Sexueller Missbrauch (BPS, ASPD (AntiSociaPersonalityDisorder?))
– Körperliche Misshandlungen (Cluster A, B)
– Emotionale Vernachlässigung (Cluster A,B,C,)
• Aber auch hier: die berichteten Raten von 30-
70% zeigen sich z.T. auch bei anderen
Störungen, sind also eher UNSPEZIFISCH (außer BPS)
Emotionsdysregulation bei PS
Prozessbasierter Ansatz
Studien zu Emotionsdysregulation bei PS seit
2007, nach Cluster
Results of the HRA examining the unique and independent contributions of emotion
dysregulation in predicting PD-traits above and beyond the influence of symptom severity and
interpersonal problems (N=478)
Fazit: Emotionsdysregulation bei Cluster A and B PS
• Individuals with paranoid (Cluster A), histrionic, narcissistic PDs (Cluster B)
– difficulties controlling impulsive behaviors +++
– less reappraisal +
– non-acceptance +
– emotion suppression +
– emotional over-control and avoidance ++
• Borderline PD (Cluster B):
– lack of emotional clarity ++
– increased emotion suppression (negative and positive emotions) ++
• Antisocial PD (Cluster B)
– non acceptance ++
– difficulties controlling impulsive behavior +++
++/+++ consistent empirical findings, + few studies, +/- inconsistent
Zusammenfassung:
Dimensionaler Ansatz: HEID-PS
(Heidelberger Modell PS)
HEID-PS (Dimensionales Heidelberger PS-Modell)
Beschreibung des Modells LB Hoyer&Knappe, S. 1307ff
Behandlung von Persönlichkeitsstörungen: Therapeutische „Grundlagen“ zur
Behandlung von PS (Übung)
Therapeutische „Grundlagen“ zur
Allgemeine Behandlungsrichtlinien (4)
• Schritt 1: Beziehungsaufbau (siehe Tabelle zu professionellen
Reaktion bei PS)
• Schritt 2: Positive Funktionsanalyse der bisherigen
Persönlichkeitsstile (Vorsicht: keine Reaktanz provozierende
Stigmatisierung !)
• Schritt 3: Änderungsmotivation (Kosten-Nutzen) Suche nach
interpersonellen Problemen und Konfliktbereichen, in denen sich
die bisherigen Persönlichkeitsstile als nicht hinreichend erwiesen
haben (negative Funktionsanalyse)
• Schritt 4: Anreicherung und Ausgestaltung der Persönlichkeit,
Transfer in den Alltag
Beziehungsaufbau
• Dialektische Vorgehensweise:
uneingeschränkte Akzeptanz und gleichzeitig
Erwartung von Änderung
• Therapeut als authentischer
Interaktionspartner mit Emotionen und
klarem Gesprächsstil
• Unaufhörliches Bemühen, Worte für Gefühle
zu finden
• Grundlegende Validierungstechniken (Welche?)
Psychoedukation
• Persönlichkeitsstil – Stärken und dysfunktionale Zuspitzungen
– Positive Funktionsanalyse: Warum herausgebildet, wo hilfreich? (Nutzen)
– Negative Funktionsanalyse: Wann wirkt sich der Persönlichkeitsstil negativ aus und warum?
(heutige Kosten)
(• Übung: Imagination eines unerwünschten Persönlichkeitsstils (positive Funktionsanalyse))
Empirisch-Basierte Behandlungen (siehe Livesley & Larstone, 2018, S. 481ff)
• Kognitive Analytische Therapie
• Kognitive Verhaltenstherapie
• Dialektisch-Behaviorale Therapie (siehe VL Borderline)
• Mentalisationsbasierte Therapie (siehe VL Borderline)
• Schematherapie
• Übertragungsfokussierte Therapie (siehe VL Borderline)
• (Pharmakotherapie)
• (Systematisches Training und Psychoedukation)
Becks' kognitive Therapie der PS und
Modifikationen (Schematherapie (Young)
Basis: andauernde, hypervalente Schemata und Grundannahmen
Bedingtes Schema entscheidet welche Strategien zur Anwendung kommen (weil das Core Schema dasselbe sein kann)
Arbeit an kognitiven Mustern/Grundannahmen
• Grundannahmen
• Abbau kognitiver Verzerrungen, bes. dichotomes Denken
• Kognitive Umstrukturierung, sokratischer Dialog
Veränderung von Schemata: Methoden
4 Techniken der Veränderung gemäß Schematherapie
1. Modifikation
• Schema wird abgeschwächt (100% wertlos, z.B. erst einmal in der Stärke verringern)
2. Schema Rekonstruktion
• altes Schema wird durch neues adaptives ersetzt (selten, nicht immer gewollt: „ich bin
100% ungeliebt“ in ?)
Reinterpretation: Wo kann das eine Stärke sein?
Camouflage: “fake it till oyu make it”; “so tun” als wäre ich gut gelaunt um Reaktion der anderen zu erfahren
Kognitive Techniken zur Schemarekonstruktion, Modifikation
Kognitive Techniken zur
Schemarekonstruktion, Modifikation
• Karteikarten:
– Meine alte Annahme war:... Ich denke das jedoch nicht mehr, weil: ...
– Meine neue Annahme ist: . .
• Historischer Test der Schemata:
– „ich bin schlecht“: müsste schon von Geburt an so sein, welche Evidenzen liegen vor, sagen wir von 0-2 LJ, 3-5 Lj, 6-10.LJ usw. Gibt es Argumente dagegen? (geht auch in Richtung sokratischer Dialog)
3. Schema Re-Interpretation
• nicht Schemaänderung im Fokus, sondern
funktionalere Nutzung (z.B. histrionische PS:
Beruf in dem sie viel Aufmerksamkeit
bekommt, sich sozial engagieren)
Metaphern als Reflektionsgrundlage
Eine antike Stadt baute einen hohen
Schutzwall um sich vor einem reißenden Fluss
zu schützen, Jahrhunderte später ist der Fluss
ausgetrocknet, doch die Stadt investiert nach
wie vor beträchtliche Mittel in den Erhalt der
Mauer ...
modifiziert nach Irvin Yalom: Die Schopenhauer Kur
Camouflage ()
4. Camouflage
• Primär Training von Verhalten, dass das
Schema „verhüllt“, z.B. Freundlichkeit bei
schizotypischer Störung (Grüßen, Hand geben
usw., Skills)
5. Kontinuumstechnik
Weitere Techniken zur Arbeit mit Schemata : Verhaltensbezogene Techniken
Verhaltensbezogene Techniken
• Realitätstestung (z.B. langsamer Abbau Vermeidung)
• Sich gegen eigene Rollen verhalten (z.B. nicht ordentlich, pünktlich)
• Rollenspiele
• Psychodrama
Training Affektregulation und Impulskontrolle
• Exakte Analyse und Aufzeichnung des
Problemverhaltens (z. B. Spaltentechnik)
• Anleitung zur Selbstbeobachtung
• Selbstverstärkung
– Karteikarten mit positiven Selbstkonzepten, konträr zu Annahmen
Verbesserung von Affektregulation und
Impulskontrolle
• Erarbeitung einer adaptiven Spannungsabfuhr
– Sportliche Aktivitäten
– Intensive körperliche Reize setzen
– Erarbeitung konkreter Selbstinstruktionen
• Imagination eines „sicheren Ortes“ oder Visualisierungstechniken
• Soziale Unterstützung suchen
• Bedarfsmedikation
Affektwahrnehmung
Anleitung zur Affektwahrnehmung und
Affektdifferenzierung
• Affekte nicht-bewertend beschreiben
• Aktives Anbieten von Gefühlsbegriffen (Spiegeln)
• Verbalisierung zum non-verbalen Gefühlsausdruck
Effizienz: Lassen sich PS ebenso gut
wie Achse-I Störungen behandeln?
• Effektstärken eher moderat
• Effekte unterscheiden sich nicht signifikant
bezüglich der in Folie 52 dargestellten
spezifischen Therapien
• Supportive Ansätze sind ähnlich effektiv
• wichtig scheint v.a. ein strukturiertes
Vorgehen und längere Dauer
(siehe Livesley & Larstone, 2018, S. 484)
Gruppentherapie oder Einzeltherapie?
Kann man PS allein mit Gruppentherapie behandeln?
Gruppentherapie bei Persönlichkeitsstörungen?
• MERKE: Gruppentherapie allein ist nicht
ausreichend, bewährt hat sich hingegen die
Kombination aus Einzel- und Gruppentherapie, wobei
bisher keine Studie spezifische Effekte angibt
Psychopharmakotherapie bei PS
Psychopharmakotherapie bei PS: Richtlinien
• Alleinige pharmakologische Behandlung wirkt
nicht bei PS, sondern reduziert einzelne
Symptomcluster
– Am ehesten SSRI (affektive Instabilität und
Impulsivität, aber kaum Studien)
– Bei kognitiven Problemen (Gedankenrasen,
Pseudohalluzinationen etc.) atypische Neuroleptika
(Olanzapin, Quetiapin)
– Carbamazepin keine Effekte!!!
– Benzodiazepine obsolet (Abhängigkeit, Impulsivität)
Leitlinien Behandlung PS
• Lange Therapiedauer und hohe Dosis, Booster
Sessions, begleitende Medikation möglich
• Hoch strukturiert und übergreifend, aber auch
spezifische Therapieelemente (Skills)
• Sehr gut geschulte (talentierte) TherapeutInnen
• Kombination aus Einzel & Gruppentherapie
• Supervision!
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