Nach dem Trennungs- bzw. Abstraktionsprinzip des BGB werden Käufer und Verkäufer durch den Kaufvertrag nur verpflichtet, ihre gegenseitigen Vertragspflichten zu erfüllen; die Eigentumsverhältnisse an der Kaufsache ändert der Kaufvertrag nicht!
Was beschreibt das Schuldrecht?
Schuldrecht beschreibt die Beziehungen von Rechtssubjekten untereinander
Beispiel Kaufvertrag: Verkäufer wird zur Übergabe und Übereignung verpflichtet (§ 433 I BGB), Käufer zur Zahlung des Kaufpreises verpflichtet (§ 433 Abs. 2 BGB)
• aber keine Änderung der Güterzuordnung (wem gehört der Kaufgegenstand und das Geld?)
• Kaufvertrag gibt nur Anspruch (vgl. Legaldefinition in § 194 BGB) auf Erfüllung durch Übergabe und Übereignung
Was beschreibt das Sachenrecht?
Sachenrecht beschreibt die Beziehungen von Rechtssubjekten zu Rechtsobjekten
Beispiel 1: Die Baumaschine des Unternehmers E wird auf der Baustelle gestohlen. Als E die Maschine einige Zeit später auf einer anderen Baustelle erblickt, verlangt er vom Besitzer die Herausgabe
Herausgabeanspruch gem. § 985 BGB
Beispiel 2: Um sich während der Pausen einen Kaffee aufzubrühen, hat E eine Kaffeemaschine mit in den Betrieb genommen. Als sie bemerkt, dass die Maschine auch von Kolleg*innen benutzt wird, untersagt sie die Benutzung
Unterlassungsanspruch gem. §§ 1004 I, 903, 859, 861, 862 BGB
V verkauft K sein gebrauchtes Motorrad für 2.000,- €. Dazu unterzeichnen beide den schriftlichen Kaufvertrag. Anschließend übergibt V dem K Schlüssel und Fahrzeugpapiere und K dem V das Geld.
Hier schuldrechtliches Kausalgeschäft = Verpflichtungsgeschäft → Kaufvertrag gem. § 433 BGB
durch Kaufvertrag wird
Verkäufer V verpflichtet, Käufer K das Eigentum an Motorrad zu verschaffen und es an K zu übergeben
K verpflichtet, V das Eigentum an den Geldscheinen zu verschaffen und diesem die Geldscheine zu übergeben
also durch Kaufvertrag ist keine Änderung der Eigentumslage eingetreten → es besteht lediglich die Verpflichtung
Trennung von Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft
Es bedarf zweier weiterer Geschäfte:
Verkäufer V musste gem. § 929 S. 1 BGB das Eigentum an dem Motorrad auf Käufer K übertragen und
K musste gem. § 929 S. 1 BGB das Eigentum am Geld auf V übertragen und die Geldscheine übergeben
Gesamter Vorgang umfasst also drei Verträge:
einen schuldrechtlichen Vertrag und
zwei dingliche Verträge
idR zeitliches Zusammenfallen von Abschluss des Kaufvertrages und Abschluss des dinglichen Vertrages aber trotzdem gilt Trennungsprinzip
Verfügungsgeschäft
Durch Übereignung des Motorrads erfüllt Verkäufer V seine Leistungspflicht gegenüber Käufer K
Anspruch von K gegen V auf Übereignung und Übergabe aus § 433 Abs. 1 S. 1 BGB erlischt nach § 362 BGB durch Erfüllung
Durch Übereignung des Geldscheines erfüllt K Leistungspflicht gegenüber V
Anspruch von V gegen K auf Kaufpreiszahlung erlischt nach § 362 BGB durch Erfüllung
Lösung
also drei Rechtsgeschäfte, die stets voneinander zu trennen sind:
1. Kaufvertrag, § 433 BGB (das Verpflichtungs- bzw. Kausalgeschäft),
2. Einigung über Übergang des Eigentums und Übergabe der Kaufsache, § 929 S. 1 BGB (1. Verfügungsgeschäft) und
3. Einigung über Übergang des Eigentums und Übergabe des Kaufpreises (d.h. der Geldscheine), § 929 S. 1 BGB (2. Verfügungsgeschäft).
Was ist das Trennungsprinzip?
Trennungsprinzip: Strikte Trennung zwischen dem Verpflichtungsgeschäft einerseits und dem Verfügungsgeschäft andererseits
Was ist das Abstraktionsprinzip?
Abstraktionsprinzip: Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft sind in ihrer Wirksamkeit unabhängig voneinander
Was ist der Vor- und Nachteil des Trennungsprinzips?
Trennungsprinzip ermöglicht zB Verkauf einer Ware unter Eigentumsvorbehalt (§ 449 BGB) = Kreditsicherungsmittel
beim Verkauf unter Eigentumsvorbehalt wird Verkauf als solcher ohne eine Bedingung (§ 158 BGB) abgeschlossen
dagegen steht Übereignung unter der aufschiebenden Bedingung der vollständigen Bezahlung des Kaufpreises (§§ 929 S. 1, 158 Abs. 1 BGB)
Käufer wird also erst dann Eigentümer, wenn er den Kaufpreis vollumfänglich entrichtet hat (erst dann ist die Bedingung eingetreten)
Trennung einheitlichen Vorgangs in Kausalgeschäft (Kaufvertrag) und abstraktes Verfügungsgeschäfte (Übereignung der Kaufsache und Übereignung des Kaufpreises) widerspricht dem „natürlichen Rechtsgefühl“
Verpflichtungsgeschäft und Verfügungsgeschäft sind in ihrer Wirksamkeit voneinander unabhängig (= abstrakt).
Unwirksamkeit des einen Geschäfts führt nicht automatisch zur Unwirksamkeit des anderen Geschäfts (Fehlerunabhängigkeit)
ist also Verpflichtungsgeschäft (zB Kaufvertrag) unwirksam, berührt diese Unwirksamkeit grundsätzlich nicht Wirksamkeit des Verfügungsgeschäfts (Eigentumsübertragung).
Verfügungsgeschäft muss nicht Bestimmung enthalten, warum es vorgenommen wird (= causa kann unbenannt bleiben)
Parteien einigen sich nur darüber, dass das Eigentum übergeht
Folge (Problem) des Abstraktionsprinzip: wenn Verpflichtungsgeschäft entfällt, kann Leistender Sache nicht einfach wieder zurückverlangen
dazu bedarf es gesetzlicher Grundlage, die die Folgen des Abstraktionsprinzips wieder rückgängig macht ➔ Bereicherungsrecht (§§ 812 ff. BGB)
K will von V einen antiken Kompass kaufen und macht ihm ein schriftliches Angebot in Höhe von 250,- €; er wollte eigentlich 150,- € schreiben. V ist über dieses Angebot erfreut und übereignet dem K am nächsten Tag den Kompass. Dabei vereinbaren sie, dass K mit der Zahlung des Kaufpreises (wobei in diesem Zeitpunkt über die Höhe nicht gesprochen wird) noch eine Woche warten kann, da dieser gerade „knapp bei Kasse“ ist.
Als V dann die 250,- € verlangt, stellt sich der Irrtum des K heraus. Dieser ficht seine Erklärung sofort nach § 119 Abs. 1 Var. 2 BGB wegen eines Erklärungsirrtums wirksam an. V verlangt – wenn er schon die Zahlung des Kaufpreises nicht verlangen kann – wenigstens den Kompass zurück. Zu Recht?
Vorüberlegung
Kaufvertrag ist nichtig: gemäß § 142 Abs. 1 BGB ist Kaufvertrag als von Anfang an nichtig anzusehen, sodass das der Verfügung zugrunde liegende Verpflichtungsgeschäft nicht mehr existiert
Eigentum verbleibt bei K: dennoch bleibt K Eigentümer des Kompasses, da Verfügungsgeschäft gem. § 929 S. 1 BGB von der Unwirksamkeit des Verpflichtungsgeschäfts unberührt bleibt – dinglicher Herausgabeanspruch gem. § 985 BGB ist nicht einschlägig
Lösung: Bereicherungsrecht (§§ 812 ff. BGB) hilft hier weiter
da K durch die Leistung des V das Eigentum und den Besitz am Kompass ohne rechtlichen Grund (der Kaufvertrag ist nichtig) erlangt hat, ist er dem V zur Herausgabe verpflichtet
V kann also nach § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 1 BGB bzw. nach § 812 Abs. 1 S. 2 Var. 1 BGB Eigentumsübertragung und Besitzverschaffung verlangen
K täuscht V beim Ankauf eines antiken nautischen Kompasses, indem er wider besseres Wissen dem V vorspiegelt, der Kompass sei ein damaliges Massenprodukt gewesen und in jeder Hafenbarkasse verbaut gewesen. In Wahrheit handelt es sich um ein sehr seltenes Exemplar aus der Kaiserzeit, das gegenüber den Angaben des K einen 10fachen Wert hat. Nach der Abwicklung sowohl des Verpflichtungs- als auch des Verfügungsgeschäfts bemerkt V die Täuschung und ficht beide Erklärungen an.
Überlegung:
K täuscht V über eine verkehrswesentliche Eigenschaft (§ 123 Abs. 1 Var. 1 BGB).
täuschungsbedingte Irrtum bezieht sich auf Kausalgeschäft (Kaufvertrag) und auf Übereignung: V hätte nicht übereignet, wenn er den wahren Wert gekannt hätte BGH: Anfechtung des Übereignungsgeschäfts
beide Rechtsgeschäfte leiden an demselben Fehler = täuschungsbedingte Willensbeeinträchtigung
wegen Fehleridentität sind Verfügungs- und Verpflichtungsgeschäft aufgrund der Anfechtung gem. § 142 Abs. 1 BGB nichtig
durch Anfechtung auch des Verfügungsgeschäfts und der Nichtigkeitsanordnung des § 142 Abs. 1 BGB ist V damit Eigentümer geblieben
V kann Kompass daher gem. § 985 BGB herausverlangen
§ 812 bleibt trotz Bejahung des § 985 anwendbar
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