Verständnis von Persönlichkeitsstörungen:
Das Modell der doppelten Handlungsregulation
Grundannahme: PS sind Beziehungs- oder Interaktionsstörungen
• Kern der PS:
1. dysfunktionale Überzeugungen über Beziehungen
2. dysfunktionale interaktionelle Intentionen
3. dysfunktionale Beziehungsgestaltung
Was ist das Modell der doppelten Handlungsregulation nach Sachse, welche drei Ebenen lassen sich unterscheiden?
1. Motivebene / Ebene der authentischen
Handlungsregulation
• Annahme: Personen haben interaktionelle
Grundbedürfnisse (=Motive):
• Anerkennung, Wertschätzung
• Wichtigkeit
• Verlässliche Beziehung
—>Menschen versuchen
zentrale Beziehungsmotive in ihren Beziehungen zu
befriedigen
2. Ebene der Schemata oder Annahmen
• Grundlage: aus Biographie stammende
Grundannahmen / Schemata in zwei zentralen
Bereichen:
• Beziehungsschemata: Annahmen über Beziehungen
• Selbstschemata: Annahmen über das Selbst
• Bei Nichterfüllung zentraler Motive
->Diskrepanz zwischen Wichtigkeit des Bedürfnis
und Schemata
3. Spielebene
• Annahme: Menschen versuchen aktiv, sich
Motive in Beziehungen zu erfüllen
• Durch bestimmte Handlungsstrategien lassen
sich interaktionelle Ziele erreichen
• Strategien sind intransparente „Lösungen“ der
Motivbefriedigung, die Gegenüber zur Erfüllung
der Bedürfnisse veranlassen sollen
—>Verhalten ist „manipulativ“ (nicht wertend
gemeint!) (auch als „Spiel“ bezeichnet)
• Funktioniert nur kurzfristig, bewirkt jedoch
keine echte Motiverfüllung
—>„more of the same“
Allgemeine Kriterien der Persönlichkeitsstörung nach DSM-5
A. Ein überdauerndes Muster von innerem Erleben und Verhalten, das merklich von den
Erwartungen der soziokulturellen Umgebung abweicht.
Dieses Muster manifestiert sich in mindestens zwei der folgenden Bereiche:
1. Kognition (d.h. die Art, sich selbst, andere Menschen und Ereignisse wahrzunehmen und zu interpretieren)
2. Affektivität (d.h. die Variationsbreite, Intensität, Labilität und Angemessenheit emotionaler Reaktionen)
3. Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen
4. Impulskontrolle
Cluster A,B,C DSM-5
Diagnostik der Persönlichkeitsstörungen
SCID-5-SPQ: Persönlichkeitsstörung-Screeningfragebogen,Selbstbeurteilungsbogen vor der Durchführung des Interviews
SKID-5-PD:Halbstrukturiertes diagnostisches Interview, mit dem die zehn im DSM-5 enthaltenen Persönlichkeitsstörungen der Cluster A, B und C
Selbstbeurteilungsverfahren: Persönlichkeits-Stil und Störungs-Inventar (PSSI) (Kuhl & Kazén, 1997, 2009)
• orientiert sich an ICD/DSM, als Screening-Verfahren gut geeignet
Persönlichkeitsinventar für DSM-5 (PID-5)
• Dimensionale Erfassung von Persönlichkeit mit 220 Items auf 25 Merkmalsfacetten, Kurzversion
mit 100 bzw. 25 Items
Wie läuft die Diagnostik der Persönlichkeitsstörung im ICD-11 ab? 1. Schritt?
-Diagnostik in 3 Schritten
1.Prüfung der allgemeinen Diagnosekriterien der PS:
• Andauernde Funktionsbeeinträchtigungen in Aspekten
• des Selbst (Identität, Selbstwert)
• der Beziehungsgestaltung (Fähigkeit zur Beziehungsentwicklung,Konfliktlösung)
• PS manifestiert sich in unangepassten Mustern von Kognitionen, emotionaler Erfahrung, emotionalen Ausdrucks sowie Verhaltens
• Statt „Stabilität“: Mindestdauer von zwei Jahren
• Altersgrenze nicht fixiert
• Beispiel Borderline-PS: Screening ab Alter von 12 Jahren
Wie läuft die Diagnostik der Persönlichkeitsstörung im ICD-11 ab? 2. Schritt?
2.Schritt: Einordnung des Schweregrades
• Dimensionale Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigung einer Person in den Bereichen des
Selbst und der interpersonellen Beziehungsgestaltung (Aspekte siehe vorherige Folie)
• Einschätzung der Beeinträchtigung in mild, moderat und schwer
Wie läuft die Diagnostik der Persönlichkeitsstörung im ICD-11 ab? 3. Schritt?
3 Schritt: Einordnung auf 5 Merkmalsausprägung:
NDDEA
1. Negative Affektivität:Tendenz, eine große Bandbreite negative Gefühle in disproportionalem Ausmaß zu erleben
2.Distanziertheit:Große interpersonelle und emotionale Distanziertheit
3. Dissozialität: Missachtung der Rechte und Gefühle anderer aufgrund starker Selbstbezogenheit
4.Enthemmung:Tendenz, vorschnell auf interne und externe Stimuli zu reagieren
5.Anankasmus:Rigidität, Perfektionismus, klare Vorstellungen von Richtig und Falsch
Psychodynamische Perspektive
Im psychodynamischen Verständnis sind Persönlichkeitsstörungen:
• Basale Störungen im Selbst- und Objektbezug
• Resultat von Entwicklungspathologien
• Triebtheorie: ungünstige Lösung zentraler Entwicklungsaufgaben in oraler, analer und/oder
phallischer Phase
• Unbewusste Selbst- und Objektrepräsentanzen
• Zentral für die Repräsentanzen der Affekte
• Innere Realität ist keine reine Abbildung der äußeren Realität
• Frühe Beziehungserfahrungen sind von hoher Relevanz und prägen den Erwachsenen unb
Verhaltenstherapeutische Perspektive
• Grundannahme: Persönlichkeitsstörungen beruhen auf der Entwicklung von dysfunktionalen
• Grundannahmen und Schemata über das Selbst und Beziehungen
• Entstehung der Grundannahmen in der Kindheit
• Nichtbewusste, verinnerlichte (gelernte), meist abwertende Bemerkungen der Eltern oder anderer
naher Bezugspersonen
• Aus diesen internalisierten Aussagen oder Erfahrungen entwickeln sich das Selbstbild sowie das Bild
über andere und die Beziehungserwartungen
• Aktivierung der Grundannahme als Erwachsener
• Betroffene vermeidet die Gefühle
• Lösung: Vermeidungs- und Bewältigungsstrategien
• Problem: Leiden und Einschränkungen im psychosozialen Funktionsniveau
Konsistenztheoretisches Modell (Grawe)
• 4 evolutionär entwickelte Grundbedürfnisse von Menschen
1.Bindung, 2.Orientierung/Kontrolle, 3.Selbstwerterhöhung und 4.Lustgewinn/Unlustvermeidung
• Nichtbefriedigung dieser Grundbedürfnisse führt zu unangenehmen Emotionen
• Entwicklung motivationaler Schemata
• Annährungs- und Vermeidungsschemata
• Funktion: die Bedürfnisse zu befriedigen bzw. eine Bedürfnisfrustration zu vermeiden
• Als „Pläne“ gespeichert
• Führen zu Problemen in der Beziehungsgestaltung
Wie ist die therapeutische Beziehungsgestaltung bei Persönlichkeitsstörungen?
Zwei zentrale Prinzipien:
• Komplementäre Beziehungsgestaltung
= therapeutische Beziehung so gestalten, dass zentrale Beziehungsmotive des/r Patient:in
befriedigt werden
• Schafft Beziehungs-“Kredit“
• Konfrontation auf Spielebene
• Ziel: Entwicklung von Ich-Dystonie bzgl. der PS
• Aufmerksam machen auf eigene Anteile
• !Wichtig:
• Handeln immer im Rahmen der therapeutischen Regeln
• Immer authentisch handeln (ansonsten signal-inkongruent)
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