Verschiedene Ausgangspunkte (Gerechtigkeit, Kriterien)
-> Formelle Gerechtigkeit
Die (bloße) Existenz von Recht als Element der Gerechtigkeit
-> Gerechtigkeit als…
…Abwesenheit von Willkür
…Gleichbehandlung gleichliegender Sachverhalte – das Problem der Vergleichbarkeit
-> Wert und Grenzen
Rechtssicherheit als Bedingung von Gerechtigkeit
Risiken einer (rein) „positivistischen“ Ansicht – die Radbruch´sche Formel (s.u.)
-> Materielle Gerechtigkeit – angemessen Behandlung von Menschen und Sachverhalten
Nicht „irgendwie“
———————-
=> Folgeproblem: was sind Kriterien für „angemessen“? (basiert auf persönlichen Werten)
Grundrechte (als Ansatz) als Element menschlicher Freiheit
Außerrechtliche Orientierung an Religion, humanistischen Werten,…
Effiziente Organisation menschlichen Lebens und Wirtschaftens (ökonomische Analyse des Rechts)
Kommunikation und Konsens (Verfahrensgerechtigkeit) -> Typen von angewendeten Verfahren:
Realer Konsens unter idealen („fairen“) Kommunikationsbedingungen (Habermas) = ideale Kommunikationsbedingungen
Fiktiver Konsens unter Bedingungen des „Schleier des Nichtwissens“ (Rawls)
Verfahren meist wichtiger als das Ergebnis
Gerechtigkeit und Entscheidungen
Es hilft nichts, das Recht auf seiner Seite zu haben. Man muss auch mit der Justiz rechnen.
(Dieter Hildebrand)
Gerechte Entscheidungen in der Praxis (Probleme)
Recht haben und Recht bekommen sind zwei verschiedene Dinge.“ – weil?
Diskrepanzen können auftreten: Beweise können sich problematisch darstellen
Das Problem der Sachverhaltsaufklärung
Beweiserhebung und Beweismittel
Notwendigkeit und Einfluss von sachverständigen
Das Problem der Normanwendung (Auslegung)
Vor Verständnis und Prägung des Entscheiders
Vorgaben durch höchstrichterliche Rechtsprechung und „h.M.“
Die Auslegungen sind bei jedem unterschiedlich
Beeinflusst durch bestimmte persönliche Vorverständnissen und Prägungen
Vertretbare Unterschiede
Was hat Recht zu tun mit Moral?
Moral (/Regel) = faktische regeln und Prinzipien für menschliches Handeln (hohes Gewicht)
(Ethik = philosophische Disziplin zur Erforschung und Begründung moralischen Handelns)
Recht = rechtlich erzeugte und rechtlich durchgesetzte, Regeln und Prinzipien für menschliches Handeln
Verhältnis der beiden?
Stimmen inhaltlich weit hin überein- „Rechtslehre und Tugendlehre unterscheiden sich also nicht sowohl durch ihre verschiedenen Pflichten, als vielmehr durch die Verschiedenheit der Gesetzgebung, welche die eine oder die andere Triebfeder mit dem Gesetz verbindet.“ (Kant) (Moral enthält kein Gesetzgebungsverfahren)
Können miteinander in Konflikt geraten – wann?
Z.B. Geld zurückzahlen
Verstoß gegen Recht kann moralisch begründet werden (z.B. Klimakleber)
Rechtliche Öffnung für Sitte und Moral
Das Recht selbst (!) kann sich für außerrechtliche Wertmaßstäbe öffnen
§ 138 Abs. 1 BGB: „Ein Rechtsgeschäft, dass gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig.“
§ 242 BGB: „Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern
Folgeprobleme? = müssen in der Anwendung ausgelegt werden
Naturrecht und Rechtspositivismus
-> Naturrecht
„Natürliche“ (religiös, humanistisch, …) begründete Gerechtigkeits- und Moralvorstellung als geltende Regeln
Grundlage universeller Menschenrechte
In Extremposition: Veränderungen durch Menschen unmöglich/unzulässig (weil es aus dem Wesen stammt)
-> Rechtspositivismus
„positives Recht“ = Gesetztes Recht (menschengemacht)
Vertrauen in „menschengemachtes“, durch Gesetzgeber (entscheidet darüber was Recht/gerecht ist) formal richtig verabschiedetes Recht
In Extremposition: (gar) keine abstrakten Maßstäbe für „richtiges“, „gerechtes“, „gutes“ Recht – Problem?
=> Ausgangspunkt für Recht
Verhältnis der beiden:
-> Radbruch´sche Formel
„Der Konflikt zwischen der Gerechtigkeit und der Rechtssicherheit dürfte dahin zu lösen sein, daß das positive, durch Satzung und Macht gesicherte Recht auch dann den Vorrang hat, wenn es inhaltlich ungerecht und unzweckmäßig ist, es sei denn, daß der Widerspruch des positiven Gesetzes zur Gerechtigkeit ein so unerträgliches Maß erreicht, daß das Gesetz als ‚unrichtiges Recht‘ der Gerechtigkeit zu weichen hat.
Es ist unmöglich, eine schärfere Linie zu ziehen zwischen den Fällen des gesetzlichen Unrechts und den trotz unrichtigen Inhalts dennoch geltenden Gesetzen; eine andere Grenzziehung aber kann mit aller Schärfe vorgenommen werden: wo Gerechtigkeit nicht einmal erstrebt wird, wo die Gleichheit, die den Kern der Gerechtigkeit ausmacht, bei der Setzung positiven Rechts bewußt verleugnet wurde, da ist das Gesetz nicht etwa nur ‚unrichtiges‘ Recht, vielmehr entbehrt es überhaupt der Rechtsnatur. Denn man kann Recht, auch positives Recht, gar nicht anders definieren als eine Ordnung und Satzung, die ihrem Sinne nach bestimmt ist, der Gerechtigkeit zu dienen.“
Gustav Radbruch: Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht. SJZ 1946, 105 (107)
Radbruch´sche Formel
=> Gustav Radbruch
Gustav Radbruch versucht den Rechtspositivismus und die Naturrechtslehre zu vereinen/lösen
“Recht ist Wille zur Gerechtigkeit”
Positives Recht gilt, wenn es auch inhaltlich ungerecht ist
weist diese Ungerechtigkeit jedoch ein unerträgliches Maß auf, gilt das Recht nicht
wurde bei der Setzung des positiven Rechts die Gleichheit aller Menschen bewusst verleugnet, kann dieses Recht nicht als solches bezeichnet werden und ist ungültig
Was hat Recht zu tun mit Religion?
„Die zehn Gebote sind deswegen so kurz und logisch, weil sie ohne Mitwirkung von Juristen zustande gekommen sind.“ (Charles de Gaulle)
Historisch vielfach: Einheit von Recht und Religion („göttliches Recht“)
Religion und religiöses Recht als Instrument der Herrschaftssicherung
„Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüth einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volks.“ (Karl Marx)
(Langwieriger) Prozess der Säkularisierung des Rechts
Folge: mehr oder weniger starke Trennung von Staat und Kirche
Folge: Konflikte zwischen Recht und religiöser (moralischer, gewissensmäßiger) Überzeugung werden möglich
BEISPIELE:
Frankreich = strikte Trennung
Symbolisch stark: Großbritannien
Deutschland: keine Staatskirche, aber Förderungen an die Kirche bestehen; Verfassung -> Präambel -> Gott einbezogen => keine strikte Trennung; auch: Religionsunterricht festgelegt und Zahlung von Kirchensteuer
Gewissensfreiheit
Verfassungsrechtlicher Schutz
Art. 4 I GG: „Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.“
Art. 38 I GG: „Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages [...] sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.“ (ermöglichen Freiräume)
Das Problem des freiheitlichen säkularen Staates
Freiheitsschutz = Schutz von Pluralität (auch von extremen Meinungen)
Zusammenleben erfordert Mindestmaß an Einheit und gemeinsamen Überzeugung
Schutz auch von Überzeugungen, die Pluralitätsschutz ablehnen?
Prüfung der Ernsthaftigkeit von Überzeugungen?
Was hat Recht zu tun mit Rechtsgefühl?
„Wer nach seiner Überzeugung handelt, und sei sie noch so mangelhaft, kann nie ganz zugrunde gehen, wogegen nichts seelentötender wirkt, als gegen das innere Rechtsgefühl das äußere Recht in Anspruch nehmen."
(Annette von Droste-Hülshoff, Die Judenbuche, 1842)
Je nach Definition (wie oben) mehr oder weniger nah an Moral, Gewissen, elementarem Gerechtigkeitsgefühl etc.
Der spezifische Wert von Judiz
Für die praktische Rechtsanwendung
Für die Klausurlösung
Die Gefahr des - wirklichen oder behaupteten - „gesunden Volksempfindens" (o.ä.)
Rechtsgefühl = gefühlte Gerechtigkeit, nah an Moral
Relativ nah an dem eigenen Gewissen
Anderes Rechtsgefühl = bezieht sich auf ein richtiges Ergebnis eines Rechtsstreits = Judiz (Fähigkeit intuitiv einen Fall zu lösen)
Verfassungsrechtlich gebändigte Herrschaft
Ziel: „Herrschaft des Rechts”
Gewaltengliederung (Gewaltenteilung) – Funktionen:
Mäßigung der Staatsgewalt („Macht korrumpiert, absolute Macht korrumpiert absolut“ – Lord Acton)
Mechanismus der gegenseitigen Kontrolle („checks and balances“)
Individueller Freiheitsschutz
Rationalisierung staatlichen Handelns:
a) Spezifische Arbeitsweisen der drei Gewalten
b) Spezifische Stärken der drei Gewalten
Ermöglicht eigene Bereiche, Verbesserung staatlichen Handelns (Rationalisierung)
Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes
Art. 20 III GG – die staatlichen Gewalten sind an Recht und Gesetz gebunden
Grundrechte (Rechte auf Freiheit und Gleichheit)
Als Abwehrrechte
Gegen den Staat
Gegen mächtige private Akteure (im Einzelnen umstritten)
Als Leistungsrechte (Ansprüche)
Als Recht auf Mitwirkung
Als Einrichtungsgarantien
Was hat Recht zu tun mit dem Rechtssystem?
Verschiedene theoretische Ansätze
Rechtssystem = System der Rechtsnormen (Dogmatik)
Rechtssystem = Institutionen der Rechtserzeugung und Rechtsanwendung
Rechtssystem = soziales System neben anderen (Wirtschaftssystem, politisches System, Wissenschaftssystem, …) – v.a. von Niklas Luhmann untersucht:
Gesellschaftliche Differenzierung als historischer Prozess
Systeme entstehen durch aneinander anschließende „Operationen“ (Kommunikation)
Systeme operieren nach spezifischen „Codes“: Recht/Unrecht, Zahlen/nicht Zahlen, Macht/Ohnmacht, wahr/falsch, …
Systeme schließen sich operativ gegen andere Systeme („Autopoiesis“)
GG ist “wirtschaftspolitisch neutral”
Art 15 GG: Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, dass Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden. Für die Entschädigung gilt Artikel 14 Abs. 3 Satz 3 und 4 entsprechend.
BVerfGE 4, 7 (1954):
Das GG garantiert weder die wirtschaftspolitische Neutralität der Regierungs- und Gesetzgebungsgewalt nocheine nur mit marktkonformen Mitteln zu steuernde „soziale Marktwirtschaft“
Die „wirtschaftspolitische Neutralität“ des GG besteht lediglich darin, daß sich der Verfassungsgeber nicht ausdrücklich für ein bestimmtes Wirtschaftssystem entschieden hat. Dies ermöglicht dem Gesetzgeber, die ihm jeweils sachgemäß erscheinende Wirtschaftspolitik zu verfolgen, sofern er dabei das GG beachtet.
Die gegenwärtige Wirtschafts- und Sozialordnung ist zwar eine nach dem GG mögliche Ordnung, keineswegs aber die allein mögliche. Sie beruht auf einer vom Willen des Gesetzgebers getragenen wirtschafts- und sozialpolitischen Entscheidung, die durch eine andere Entscheidung ersetzt oder durchbrochen werden kann.
Was hat Recht zu tun mit Wirtschaft?
Institutionen wenden Recht an und erzeugen es
Wirtschaftssysteme versuchen im Recht Lücken zu finden
Recht beeinflusst die Wirtschaft; sie muss sich an das Recht halten
Recht steht über der Wirtschaft, macht Regeln welche die Wirtschaft einhalten muss
Verhältnis zwischen Recht und Wirtschaft differiert…
… in unterschiedlichen Rechtssystemen
… in unterschiedlichen Kulturen
… zu unterschiedlichen Zeiten
… in der Vorstellung unterschiedlicher (Rechts-, Politik-, Wirtschafts-) Theoretiker
Primat (=Oberhand) des Rechts? Primat der Wirtschaft?
Der Einfluss des Rechts auf die Wirtschaft (Ge- und Verbote, rechtliche Rahmenbedingungen, Schutz der Schwächeren, Steuern und Abgaben, Sozialstaat, …) – v.a. als „Wirtschaftsverfassung“
Der Einfluss der Wirtschaft auf das Recht (Lobbyismus, Outsourcing von Gesetzentwürfen, Steuervermeidung…)
Beispiel: TTIP & internationale Schiedsgerichte
Personelle Verflechtung und Wechsel
Die ökonomische Analyse des Rechts als Methode zur Ermittlung der Wirkungen rechtlicher Normen
Rationales und irrationales menschliches Verhalten
Wirtschaftlich und rechtlich relevantes Verhalten zwischen Vernunft und Emotion
Z.B.: Das Ultimatum-Spiel
Folgen:
Wirtschafts- und Rechtswissenschaften gehen seit langem nicht mehr von (völlig) rational handelnden Menschen aus
Konkrete Schlussfolgerungen aber oftmals unklar
Grenzen der Steuerung
Gesetze, Urteile, Verwaltungsakte
Erreichen oftmals nicht (genau) das, was der Handelnde bezweckt
Haben oftmals unerwünschte Nebenwirkungen
Luhmann: Recht und Wirtschaft als strukturell gekoppelte, aber funktional differenzierte Systeme
Politisches System erzeugt Gesetze
a) Aber nach dem Code Macht / keine Macht
b) (mögliche) Folge: symbolische Gesetze, dysfunktionale Gesetze etc.
Wirtschaftssysteme verarbeitet Gesetze
a) Aber nach dem Code Zahlen / nicht Zahlen
b) (Mögliche) Folge: Umgehungsstrategien, Suchen nach Schlupflöchern, …
Folge (dieser Theorie): Skepsis gegenüber der Möglichkeit, andere Systeme zu „steuern“
Menschliches Verhalten wird durch Recht gesteuert
Was hat Recht zu tun mit Rechtswissenschaft?
„Ein Volk kann wohl ohne Rechtswissenschaft bestehen, nie aber ohne Recht.“
(Julius von Kirchmann, Die Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft. Vortrag, gehalten in der Juristischen Gesellschaft zu Berlin, 1848)
Wissenschaftsbegriff
Art. 5 III GG: „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.“
a) Wissenschaft = Oberbegriff für Forschung und Lehre
b) BVerfG: Art. 5 III GG schützt jede Tätigkeit, „die nach Inhalt und Form als ernsthafter planmäßiger Versuch zur Ermittlung der Wahrheit anzusehen ist“
Forschung = „geistige Tätigkeit mit dem Ziele in methodischer, systematischer und nachprüfbarer Weise neue Erkenntnisse zu gewinnen“
Lehre = wissenschaftlich fundierte Übermittlung der durch Forschung gewonnen Ergebnisse
Rechtswissenschaft als Wissenschaft?
Die rechtswissenschaftlichen Grundlagenfächer
Rechtsphilosophie
Rechtsgeschichte
Rechtssoziologie
…
Die Wissenschaft vom geltenden Recht
= Interpretationswissenschaft = „hermeneutische“ Disziplin
Vergleichbar Teilen anderer Textwissenschaften (Theologie, Sprach- und Literaturwissenschaften)
„Indem die Wissenschaft das Zufällige zu ihrem Gegenstande macht, wird sie selbst zur Zufälligkeit; drei berichtigende Worte des Gesetzgebers und ganze Bibliotheken werden zur Makulatur.“ (von Kirchmann)
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